Ein Einblick in die Projektarbeit von Women’s Hope International

Brückenbauerinnen und Vertrauenspersonen

De Corinne Bächtold

Das Jahr 2020 ist das internationale Jahr des Pflegepersonals und der Hebammen. Damit möchte die WHO auch auf die besorgniserregende Tatsache aufmerksam machen, dass weltweit bis 2030 rund neun Millionen mehr Pflegefachpersonen und Hebammen benötigt werden. Der Mangel an Fachpersonal ist vielerorts bereits heute spürbar und betrifft Länder des Globalen Südens, wie auch die Schweiz. Die Herausforderungen sind jedoch andere.

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Brückenbauerinnen und Vertrauenspersonen
Angehende Hebammen am Hamlin College of Midwives ausserhalb von Addis Abeba in Äthiopien. Foto: © Hanspeter Bärtschi

Hebammen sind unentbehrliche Stützen der Müttergesundheit und leisten weit mehr als Geburtshilfe. Sie begleiten werdende Mütter und junge Familien vor, während und nach der Geburt, etwa mit pränatalen Untersuchungen und Wochenbettbetreuung. Rund 87% der notwendigen Betreuung von Müttern und Neugeborenen kann von einer fachlich ausgebildeten Hebamme durchgeführt werden (UNFPA, 2014).

Eine weitere wichtige Aufgabe der Hebammen ist die Aufklärungsarbeit über Familienplanung. Durch eine bessere Familienplanung und Verhütung können nicht nur Risikoschwangerschaften reduziert werden, sondern auch die Selbstbestimmung der Frauen wird gestärkt. In afrikanischen Ländern können die Hebammen zudem einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung leisten, indem sie wichtige Sensibilisierungsarbeit leisten.

Durch eine längere und nahe Begleitung kann die Hebamme im Idealfall zu einer Vertrauensperson der schwangeren Frauen werden und als Bindeglied zwischen ihnen und dem medizinischen System agieren. Das ist gerade in Zeiten von Corona sehr wichtig, da in vielen Krankenhäusern keine Begleitpersonen bei der Geburt mehr zugelassen sind – trotz den gegenteiligen Empfehlungen der WHO. Der Aspekt des Vertrauens in Gesundheitsinstitutionen wird allgemein oft übersehen: Doch gerade im Bereich der Müttergesundheit darf er auf keinen Fall vernachlässigt werden. Denn Misstrauen gegenüber Gesundheitseinrichtungen ist in vielen ländlichen Regionen Afrikas und Asien aus verschiedenen Gründen – auf welche ich später eingehen werde - weitverbreitet.

Eine Hebamme in Wolisso, Äthiopien, betreut eine Mutter und ihr Neugeborenes. Foto: © Hanspeter Bärtschi <br>
Eine Hebamme in Wolisso, Äthiopien, betreut eine Mutter und ihr Neugeborenes. Foto: © Hanspeter Bärtschi

Women’s Hope International setzt sich für die reproduktiven und sexuellen Rechte von Frauen und Mädchen in Asien und Afrika ein. Ein grosser Teil unserer Arbeit besteht darin, die Gesundheitssysteme in ländlichen Gebieten auszubauen und die Qualität der dargebotenen Dienstleistungen zu verbessern, damit mehr Frauen die Chance auf eine sichere und selbstbestimmte Geburt erhalten. Die Ausbildung von kompetenten Hebammen ist seit der Gründung von Women’s Hope International ein zentrales Element für eine bessere Müttergesundheit. Neben den fachlichen Fähigkeiten können Hebammen nämlich auch dafür sorgen, dass werdende Mütter sich in den Gesundheitszentren wohlfühlen und diese von sich aus aufsuchen.

Müttergesundheit in der Somali Region

Seit September 2019 setzt sich Women’s Hope International in der Somali Region im Osten von Äthiopien für eine verbesserte Mütter- und Neugeborenengesundheit ein. Die äthiopische Regierung hat der hohen Müttersterblichkeit des Landes in den letzten Jahren erfolgreich den Kampf angesagt. Doch der erzielte Fortschritt ist regional ungleichmässig verteilt. In der ruralen Somali Region sterben nach wie vor viele Frauen an Komplikationen während der Geburt und Schwangerschaft. Die meisten dieser Todesfälle könnten verhindert werden, wenn die Frauen rechtzeitig fachliche Unterstützung bekommen würden.

Gemäss zugänglichen Statistiken werden jedoch nur rund 24,45% der Geburten im Projektgebiet betreut (ESRS Bureau of Health, 2019). Nur drei Prozent der verheirateten Frauen nutzt Verhütungsmittel - eine Familie hat durchschnittlich sieben Kinder (WHO et al. 2019). Viele schwangere Frauen haben noch immer keinen Zugang zum Gesundheitswesen: Sie gebären meist zuhause, oft mit einer traditionellen Geburtshelferin. Traditionelle Geburtshelferinnen haben in der Regel selber viele Kinder entbunden und sind deshalb sehr erfahren, doch sie verfügen über keine fachliche Ausbildung und reagieren im Ernstfall nicht immer richtig oder rasch genug. Doch in den Gemeinschaften geniessen sie grosses Vertrauen.

Die Somali Region in Äthiopien ist institutionell unterversorgt und gehört zu den ärmsten Gebieten des Landes. Foto: © WHI
Die Somali Region in Äthiopien ist institutionell unterversorgt und gehört zu den ärmsten Gebieten des Landes. Foto: © WHI

Die wenigen Gesundheitszentren in der Region hingegen haben einen schwierigen Stand bei der lokalen Bevölkerung. Das Misstrauen ist gross und viele Menschen – auch schwangere Frauen – schrecken davor zurück, die Dienste in Anspruch zu nehmen. Das hat mehrere Ursachen: Ein ausschlaggebender Faktor ist die Qualität der dargebotenen Dienste. Die Gesundheitseinrichtungen sind oft mangelhaft ausgerüstet und das angestellte Personal ist nicht ausreichend ausgebildet. Viele Menschen bleiben den Gesundheitseinrichtungen deshalb fern, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, etwa durch unangemessenes oder herablassendes Verhalten des überforderten Personals oder eine Behandlung, die nicht konform mit ihren soziokulturellen Ansichten ist.

In Bezug auf Geburten zeigen Studien über mehrere Länder Afrikas und Asiens, dass Frauen und Männer eine fachliche Betreuung bei der Geburt oft als überflüssig und «unnatürlich» empfinden und sie deshalb ablehnen. Viele Frauen ziehen eine Hausgeburt mit einer traditionellen Geburtshelferin vor, weil sie in einer Gesundheitseinrichtung einen Kontrollverlust befürchten. Zum Beispiel, dass sie gezwungen werden, in einer bestimmten Position zu gebären oder dass über ihren Kopf hinweg über Eingriffe bestimmt wird. Eine wichtige Rolle spielt auch die Privatsphäre, die in einer öffentlichen Einrichtung möglicherweise nicht gegeben ist. (Bohren et al., 2014)

Women’s Hope International unterstützt das Gesundheitssystem der Somali Region durch die Aus- und Weiterbildung von Hebammen und die Anschaffung von wichtigen Materialen, damit die Gesundheitszentren qualitativ hochwertige Dienste anbieten können.

«Das Gesundheitspersonal in unserer Projektregion engagiert sich tagtäglich und unermüdlich für die Verbesserung der Gesundheit von Frauen und Kinder. Women’s Hope International versucht bestehende Lücken zu schliessen, zum Beispiel in der Versorgung der Gesundheitszentren mit Medikamenten und Schutzmaterial oder durch das Angebot von hochqualitativen Trainings. Uns ist wichtig, im Dialog mit unserem lokalen Partner und den Gemeinschaften, Bedürfnisse zu identifizieren und abzudecken.» sagt Valentina Maggiulli, Geschäftsleiterin von Women’s Hope International und Programmverantwortliche für Äthiopien.

Uns ist wichtig, im Dialog mit unserem lokalen Partner und den Gemeinschaften, Bedürfnisse zu identifizieren und abzudecken.» sagt Valentina Maggiulli, Geschäftsleiterin von Women’s Hope International und Programmverantwortliche für Äthiopien.

Safia Abdulahi Ali, Sainab Abdulahi Ibrahim und Fathi Aden sind drei der Hebammen, die in Gesundheitszentren in der Somali Region täglich um das Leben von Müttern und Neugeborenen kämpfen – aber auch um das Vertrauen der Gemeinschaft.

«Ohne Vertrauen wäre unsere Arbeit nicht möglich,» sagt beispielsweise Saniab Abdulahi. Die Hebammen erleben oft, dass Familienmitglieder oder die Frauen selbst sich gegen Eingriffe wie den Kaiserschnitt wehren, selbst wenn diese lebensnotwendig sind. Nur mit viel Geduld gelingt es den Hebammen, die Frauen und ihre Familien von der Notwendigkeit von medizinischen Interventionen zu überzeugen. «Unsere Arbeit ist neu und anders als das, was die traditionellen Geburtshelferinnen machen,» sagt Saniab Abdulahi. «Es braucht Zeit, Mühe und viel Aufklärung, damit die Gemeinschaften dem Gesundheitssystem vertrauen.»

Hebamme in Wolisso, Äthiopien, bei einem Training. Foto: © Hanspeter Bärtschi
Hebamme in Wolisso, Äthiopien, bei einem Training. Foto: © Hanspeter Bärtschi
«Unsere Arbeit ist neu und anders als das, was die traditionellen Geburtshelferinnen machen. Es braucht Zeit, Mühe und viel Aufklärung, damit die Gemeinschaften dem Gesundheitssystem vertrauen.» sagt Saniab Abdulahi.

Bei der Stärkung des Gesundheitssystems in der Somali Region müssen zwingend auch kulturelle und soziale Anliegen und Bedürfnisse der Gemeinschaften berücksichtigt werden. So kritisieren die Hebammen beispielsweise, dass die äthiopische Regierung männliches Gesundheitspersonal schickt für die Betreuung von Geburten. Dabei ist es für viele Frauen der Somali Region undenkbar, sich von einem Mann bei der Geburt behandeln zu lassen. Aber auch Sprachbarrieren können die ohnehin ungewohnte Situation für die schwangeren Frauen noch unangenehmer machen, z.B. dann wenn das Personal nicht die lokale Sprache spricht.

Die Hebammen stehen täglich vor grossen Herausforderungen. Doch sie sehen auch Erfolge: Immer mehr Frauen kommen von sich aus in die Gesundheitszentren. Die gute Arbeit der Hebammen spricht sich herum und die Zusammenarbeit mit den traditionellen Geburtshelferinnen ist enger geworden. Die drei Hebammen schätzen auch die Weiterbildungen, die es ihnen möglich machen, Frauen bei der Geburt noch besser zu unterstützen. Dazu gehört beispielsweise das Basic Emergency Obstetric Care Training (kurz: BEMOC). So lernen die Hebammen mit Situationen umzugehen, bei denen sie früher ein Arzt hätten zuziehen müssen, etwa im Fall, dass die Plazenta nicht von selbst ausgestossen wird. Fathi Aden ist insbesondere die Schulung über die Sensibilisierung von Genitalverstümmelung in Erinnerung geblieben.

So kritisieren die Hebammen beispielsweise, dass die äthiopische Regierung männliches Gesundheitspersonal schickt für die Betreuung von Geburten. Dabei ist es für viele Frauen der Somali Region undenkbar, sich von einem Mann bei der Geburt behandeln zu lassen.

Hebamme in Wolisso, Äthiopien, bei einem Training. Foto: © Hanspeter Bärtschi
Hebamme in Wolisso, Äthiopien, bei einem Training. Foto: © Hanspeter Bärtschi

Vertrauen als Schlüsselfaktor: Auf der ganzen Welt

Das grosse Misstrauen in die Gesundheitssysteme ist nicht nur ein Phänomen in der Somali Region. Erfahrungen aus Projekten in Tschad und Bangladesch zeichnen ein ähnliches Bild. «Mit guten Qualifikationen, Empathie und Respekt gelingt es dem Gesundheitspersonal, Vertrauen aufzubauen,» sagt Lorenza Sansebastiano, Beraterin des Tschad Projekts. «Wenn Vertrauen und Diskretion in den Gesundheitszentren jedoch fehlen, kann es dazu führen, dass die Leute ihnen fern bleiben.»

Als Organisation mit der Absicht, mehr Frauen die Chance auf eine sichere und selbstbestimmte Geburt zu ermöglichen, setzt Women’s Hope International sich für eine fachliche Betreuung vor, während und nach der Entbindung ein. Um die Müttersterblichkeit nachhaltig zu senken und das Vertrauen in die Gesundheitssysteme zu stärken, muss diese Betreuung auch das emotionale Wohlbefinden von Frauen beachten. Gut ausgebildete Hebammen sind in der Lage, zu einer sicheren Geburt und zu einem besseren emotionalen Wohlbefinden der Frau während der Geburt beizutragen. Das gilt nicht nur für rurale Zonen des globalen Südens, wo viele Menschen noch nie ein Gesundheitszentrum besucht haben, sondern auch für Länder wie die Schweiz. Eine Studie der Berner Fachhochschule zeigt, dass jede vierte Frau in der Schweiz unter der Geburt informellen Zwang erlebt (Oelhafen, 2020). Die Geburt stellt einen einschneidenden und lebensverändernden Moment im Leben einer Frau dar. Dementsprechend würde- und respektvoll sollten schwangere und gebärende Frauen behandelt werden.

Referenzen
  • Bohren, M.A., et al.: Facilitators and barriers to facility-based delivery in low- and middle-income countries: a qualitative evidence synthesis. In: Reprod Health 11, 71 (2014). https://doi.org/10.1186/1742-4755-11-71
  • ESRS Bureau of Health, 2019.
  • UNFPA ICM, WHO: "The state of the world’s midwifery 2014: A universal pathway. A women's right to health". 2014, New York: United Nations Population Fund
Corinne Bächtold
Corinne Bächtold arbeitet als Assistentin im Bereich Kommunikation und Fundraising bei Women’s Hope International. Sie verfügt über Bachelorabschluss in Medienwissenschaft und Hispanistik und absolviert momentan einen Master in Lateinamerikastudien. Email