De Ursula Frauchiger
Aus einer Zürcher Dachwohnung tönen von einer Schellackplatte lateinamerikanische Rhythmen in den Frühling hinaus. Drinnen tanzt eine junge Ärztin mit ihrem Baby auf dem Arm in übermütiger Vorfreude auf alles Kommende. Ein, zwei Jahre mit Mann und Kind in Kolumbien oder Peru arbeiten, ein lang gehegter Traum wurde wahr.
1971 bricht die junge Familie auf, mit dem grossen Schiff über den Ozean durch den Panamakanal nach Lima, Peru. In Lima kommen zwei weitere Mädchen zur Welt. Der Mann arbeitet in der Entwicklungshilfe, später Entwicklungszusammenarbeit. Die Frau sieht sich um, orientiert sich, findet das geeignete Familienhaus, knüpft Freundschaften und will auch arbeiten. Sie engagiert sich in einer Kinderkrippe in der Barriada und lernt die verschiedensten Ausprägungen von Armut kennen.
Aus den ein, zwei Jahren werden schliesslich 16 Jahre in Lateinamerika, mit Stationen in Peru, Honduras und Nicaragua, unterbrochen von zwei Abschnitten in der Heimat.
An jedem neuen Ort bringt sich Christa Spycher neu ein. "Gesundheit für alle" ist ihr Leitmotiv und die Mission der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu der Zeit. Ob es um Grundversorgung, bauliche Massnahmen im Armenviertel oder soziokulturellen Austausch im neu geschaffenen Frauenzimmer geht: Vieles ist geeignet, die Volksgesundheit zu verbessern. Eindrücklich beschreibt sie ihre Beobachtungen im Barrio von Tegucigalpa: Viele leiden das ganze Jahr über, besonders aber zur Regenzeit unter Infektionen der Luftwege.
Die Ärztin sieht bald den Zusammenhang zu den undichten Behausungen. "Wenn es einem fiebernden Kind ins Bett regnet, ist die Lungenentzündung nicht fern."
Die Ärztin sieht bald den Zusammenhang zu den undichten Behausungen. "Wenn es einem fiebernden Kind ins Bett regnet, ist die Lungenentzündung nicht fern." Sie behandelt nicht nur den einzelnen Krankheitsfall, sondern regt ein Hüttenverbesserungsprojekt in der Kommune an. In acht Monaten verbesserten 100 Familien ihre Hütte in gemeinsamer Anstrengung, indem sie einen bescheidenen Grundbeitrag bezahlten und sich zur Mitarbeit bei der eigenen und zwei weiteren Hütten verpflichteten. Als Gegenleistung erhielten sie das nötige Baumaterial.
Nicht überall jedoch hat man auf die ausländische Ärztin gewartet. Es braucht immer wieder viel Geduld – nicht eben die Stärke der quirligen Anpackerin – und Einfühlungsvermögen, das Vertrauen etwa von Don Enrique auf dem Sanitätsposten zu gewinnen und ihn zu überzeugen, dass sie die Gesundheitsversorgung im peruanischen Urwald gemeinsam wesentlich verbessern könnten.
Zu Hilfe kommen Christa Spycher Neugier und Wissensdurst. Fragend, immer im Austausch mit den Menschen vor Ort lernt sie die Alltagsmühen, insbesondere der von Armut betroffenen Frauen zu verstehen oder wird eine gute Kennerin lokaler Heilpflanzen und Gifttiere.
Das Leben als wildes Erdbeerpflänzchen begreifen, das sich an langen Fäden immer weiter verzweigt, so fügen sich der Botanikerin Spychers Begegnungen, Erschütterungen und Glücksmomente in Lateinamerika zu einem üppigen Geflecht. Nicht alles gelingt, ist nur schön. Die Tage sind oft anstrengend, das Ungeziefer im Haus allüberall, der Mann auf Dienstreise, ein Notfall im Dorf, die Kinder allein zu Hause. Manches bleibt ausgespart, wird angedeutet, bleibt in der Schwebe.
Wer Christa Spycher – aus der Berner Familienplanungsstelle, der MigrantInnen-Sprechstunde oder der Stiftung "Sexuelle Gesundheit Schweiz" – kennt, weiss, es ist ihre Sprache, so spricht und denkt sie auch. Das Gegenüber ist freundlich eingeladen mitzudenken, mitzufühlen und sich dem eigenen Erleben, dem erdigen, lebendigen, mit hinzugeben. Christa Spycher lebt in Bern.