SDSN Switzerland: An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft

Herkulesaufgabe erfordert einen Paradigmenwechsel

De Martin Fässler und Michael Bergöö

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und das Pariser Klimaabkommen zielen darauf ab, menschlichen Wohlstand in den Grenzen des Erdsystems zu erreichen. Diese Herkulesaufgabe kann nur mit vereinten Kräften angegangen werden. Deshalb mobilisiert das neu gegründete Sustainable Development Solutions Network (SDSN) Switzerland die Schweizer Universitäten, Forschungszentren, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Unternehmen, um transformative Lösungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) in der Schweiz voranzubringen. Das Netzwerk erarbeitet zukunftsorientierte Innovationen, welche auch in Strategie und Programmen der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz stärkere Akzente erhalten sollen.

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Herkulesaufgabe erfordert einen Paradigmenwechsel

Prof. Peter Messerli, Co-Direktor am CDE und Co-Autor des Globalen Berichts zu nachhaltiger Entwicklung, leitet eine Gruppendiskussion anlässlich des SDSN Switzerland Auftakttreffens im Mai 2017. Foto: SDSN Switzerland

 

Die im Jahr 2015 verabschiedete Agenda 2030 mit ihren 17 SDGs wie auch das Pariser Klimaabkommen, welches die Weltgemeinschaft auf einen klimaneutralen Entwicklungspfad verpflichtet, definieren ambitiöse globale Ziele für Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer. Beide Abkommen zeigen auf, dass zu menschlichem Wohlergehen nicht nur die Überwindung extremer Armut gehört, sondern auch ein Grundstock an Gesundheit, Bildung und Gleichberechtigung, sowie beschleunigte Anstrengungen gegen den Klimawandel, für den Schutz der Weltmeere oder für stabile Finanzsysteme notwendig sind. Ökologische Nachhaltigkeit und soziale Entwicklung sind eng miteinander verknüpft – beispielsweise führen Klimawandel bedingte Dürren zu Ernteausfällen, Gesundheitsproblemen und Konflikten, was Migration antreibt.

Paradigmenwechsel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Die Agenda 2030 bietet erhebliche Chancen: Eine langfristig angelegte Nachhaltigkeitspolitik fördert sozialen Ausgleich. Sie setzt den Rahmen für zukunftsträchtige Investitionen in umweltgerechte Technologien und Infrastrukturen. Hierzu sind jedoch mehr als nur kleine Schritte der Anpassung in Politik und Gesellschaft erforderlich. Die Agenda 2030 und insbesondere der integrative Ansatz rücken die Wechselwirkungen zwischen den sektoralen Politiken, sowie zwischen Innen- und Aussenpolitiken ins Zentrum, und stossen nachhaltigkeitsorientierte Transformationen an. Die Umsetzung erfordert einen Paradigmenwechsel in den aussen- wie auch innenorientierten Politikbereichen, und nicht zuletzt in der internationalen Zusammenarbeit.  

Auch die Schweiz ist gefordert, Verantwortung für die langfristigen und internationalen Auswirkungen ihrer Handlungen zu übernehmen. Wie kann und soll die Schweiz die Impulse der Agenda 2030 in eine nachhaltigkeitsorientierte Transformationspolitik übersetzen? Im August 2017 hat SDSN Switzerland die Einschätzung der Bundesverwaltung über die Fortschritte und Lücken in der Umsetzung der Agenda 2030 kommentiert und im Diskussionspapier „Die Schweiz und die Agenda 2030“ folgende Handlungsbereiche mit grosser Hebelwirkung identifiziert:

  • Verantwortung der Schweiz: Die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2020-2023 muss konkrete transformative Massnahmen zur Umsetzung der Agenda 2030 formulieren und sie auf Ebene Bund, Kantone und Gemeinden verankern. Die Botschaften über die internationale Zusammenarbeit (2021-2024) sowie zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (2021-2024) sollen mit Blick auf zukunftsorientierte Transformationsziele Umsetzungsmassnahmen beinhalten. Eine institutionelle Einheit, die über den Bundesämtern angesiedelt ist, soll eine Nachhaltigkeitspolitik mit beträchtlicher Hebelwirkung steuern und koordinieren.  
  • Nachhaltige Konsum- und Produktionsverfahren: Die Wechselwirkungen zwischen den SDGs sind integral zu berücksichtigen. Im Vordergrund stehen Synergien (co-benefits) und Interessenskonflikte (trade-offs) zwischen den sektoralen Handlungsbereichen. Davon sollen transformative Massnahmen – zum Beispiel mit der Verankerung des Nexus-Ansatzes (1) in Politik und Verwaltung – abgeleitet werden. Analysen und Umsetzungsmassnahmen müssen zwingend die indirekten Auswirkungen des Schweizer Güterkonsums und der Wirtschaftsaktivitäten im Ausland einbeziehen.
  • Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung: Die Schweiz muss eine regelmässige Prüfung vornehmen, inwieweit Schweizer Recht und politische Massnahmen mit der Ausrichtung der Agenda 2030 übereinstimmen. Handelsabkommen sollten auf Auswirkungen auf Menschenrechte und ökologische Nachhaltigkeit überprüft werden. Gleiches gilt für stark verflochtene und somit „kohärenzgefährdete“ Politikbereiche, wie die Weiterentwicklung der Agrarpolitik 2022+ oder die anstehende Totalrevision des CO2-Gesetzes.
  • Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung: Mit Blick auf den globalen Wettbewerb sind der Finanzplatz Schweiz und insbesondere die Finanzflüsse konsequent auf die Anforderungen der Agenda 2030 auszurichten (Stichwort: ESG-Kriterien (2) bei Investitionen, Anlagen, Pensionskassen). Komparative Vorteile sind auszuspielen, beispielsweise mit Innovationen in Vermögensverwaltung, Ausbildung und Fintech / Blockchain. Negative Auswirkungen der Schweizer (Aussen)Wirtschaftspolitik auf Entwicklungsländer, insbesondere in den Bereichen Steuern und Finanzen, sind zeitnah und mit griffigen Massnahmen zu beseitigen.
  • Forschung zugunsten der Gesellschaft: Die inter- und transdisziplinäre Forschung und Bildung zugunsten der Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung muss als eigenständiger Bereich der schweizerischen Forschungsförderung und als prioritärer Bestandteil der internationalen Zusammenarbeit substantiell gestärkt werden. Der Dialog zu nachhaltiger Entwicklung zwischen Wissenschaft und Politik ist durch die Bildung eines wissenschaftlichen Beirates und Etablierung eines nationalen Forschungsverbundes zu stärken.

 

Obwohl die Schweiz gemäss dem SDG Index & Dashboard Bericht von SDSN Global bezüglich Nachhaltigkeit im Ländervergleich in den Top 10 klassiert ist, steht lediglich bei 2 von 17 SDGs die Ampel auf grün. Zudem verursacht die Schweiz aufgrund ihrer Konsum-Muster negative Auswirkungen auf Umwelt und Bevölkerung im Ausland (Stichwort: Landverbrauch im Amazonas). Foto: SDSN Switzerland

 

Neue Ausrichtung der internationalen Zusammenarbeit

Das Reformpotenzial der Agenda hängt massgeblich von der Fähigkeit der wohlhabenden Länder ab, die Kriterien, Mechanismen und Instrumente der internationalen Zusammenarbeit (IZA) auf die Agenda 2030 auszurichten und stärker auf die Prioritäten der armen Länder und das globale Gemeinwohl zu fokussieren. Ohne Reformen der IZA kann die Schweiz das Transformationspotenzial der Agenda 2030 nur unzureichend nutzen.

Die Botschaft über die internationale Zusammenarbeit der Schweiz 2021-2024 muss folgende Fragen ausreichend beantworten:  

  • Wie setzt die Schweiz das Prinzip der Universalität im Rahmen der Entwicklungspolitik um? Wie und in welchen Allianzen fördert sie ein rasches Lernen der Länder, um nachhaltigkeitsorientierte Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft in unterschiedlichen Länderkontexten voranzubringen?
  • Wie baut die Schweiz Partnerschaften mit Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern auf und nutzt diese für die Gestaltung von Nachhaltigkeitsinnovationen? Wie können Forschungspartnerschaften in Schwellen- und Entwicklungsländern lokal adaptierte, und technologische, soziale und institutionelle Innovationen anstossen?
  • Wie setzt die Schweiz die Anforderungen, die sich aus dem „leave no one behind“-Prinzip ergeben, in ihren bilateralen und thematischen Schwerpunkten um?
  • Wie berücksichtigt die IZA der Schweiz den vernetzten Charakter der SDGs und deren Unterziele in Programmen und Projekten? Wie setzt sie integrierte Policy-Ansätze und ein vernetztes Vorgehen, das über Sektorpolitiken hinausgeht, um? Welche Massnahmen ermöglichen das Erreichen umweltpolitischer Ziele sowie deren wirtschaftliche und soziale Absicherung?
  • Wie stärkt die IZA der Schweiz politische Teilhabemöglichkeiten, damit öffentliche Verwaltungen und politische Institutionen wirksame Resultate erzielen?

Als wichtige Geldgeberin kann die Schweiz zudem mit entsprechenden Impulsen die Strategien der internationalen Organisationen auf die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung ausrichten. Die öffentlichen Mittel der IZA sind strategisch und mit Blick auf mögliche Hebelwirkungen einzusetzen und sukzessive auf 0.7% des BNE anzuheben.

SDSN Switzerland als Umsetzungsplattform für die SDGs

Die Agenda 2030 macht auch mehrere „wicked problems“, wie zum Beispiel Klimawandel, Übergewicht oder Bodendegradation, sichtbar. Wicked problems sind schwer zu lösen, weil mehrere nur schwer nachvollziehbare Einflussfaktoren einwirken und komplexe Interdependenzen bestehen. Wissenschaft und Forschung können diese nicht allein aufschlüsseln. Notwendig sind gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, wie auch eine trans- und interdisziplinären Wissensgenerierung. Beide Elemente sind unabdingbar für gemeinsame Innovations- und Lernprozesse zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

SDSN Switzerland bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Zur Überwindung des „science-policy gaps“ verfolgt SDSN Switzerland folgende Ziele

  • Multi-Stakeholder Dialoge gestalten: Der kontinuierliche Austausch von Ideen und Erfahrungen wird angekurbelt, und Denkräume für die Wissenschaft, Verwaltung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft werden geschaffen um holistische Lösungsansätze zu fördern, das Engagement zu steigern und konkrete Umsetzungsmassnahmen zu ermöglichen.
  • Transformationsorientierte Lösungen fördern: Wissenschaftliche Erkenntnisse und transdisziplinäres Wissen werden zur Entwicklung von evidenzbasierten Lösungen, integrierten Politiken und systemischen Veränderungen genutzt
  • Entscheidungsträger beraten: Den Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird evidenzbasierte Beratung angeboten, um Lücken bei der Ausgestaltung von Politiken zu füllen und normative Veränderungen anzustossen.


SDSN Switzerland ist Mitglied des 2012 vom damaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon gegründeten internationalen SDSN, welches über 600 Wissens- und Forschungsinstitutionen aus über 80 Ländern vereinigt.

Erläuterungen: 

  1. Ein Modell für eine integrierte, sektorübergreifende Bearbeitung komplexer sozioökologischer Systeme liefert beispielsweise der von der FAO entwickelte Water-Energy-Food-Nexus.
  2. Environmental, Social, Governance

 

Martin Fässler und Michael Bergöö
Michael Bergöö ist Leiter Programm Schweiz bei Biovision - Stiftung für ökologische Entwicklung und Managing Director SDSN Switzerland. Kontakt:
Martin Fässler, ehemaliger Stabschef der DEZA arbeitet als unabhängiger Nachhaltigkeits- und Entwicklungsspezialist. Kontakt: