De Nicola Imseng et Martina Staenke
Die 23. Internationale Welt-Aids-Konferenz fand in diesem Jahr unter dem Titel AIDS 2020: Virtual vom 6.-10. Juli 2020 statt. Die ursprünglich in San Francisco stattfindende Konferenz wurde aufgrund der Coronapandemie erstmalig in ihrer Geschichte virtuell durchgeführt. Als Delegierte*r hatte man die Möglichkeit, an über 12 Prime Sessions, 27 Workshops, 50 Symposien, 10 Pre-Conferences und über 70 Satellite-Sessions teilzunehmen. Vorliegender Bericht fasst einzelne an der Konferenz behandelte Themenfelder kurz zusammen.
1. Ziele ausser Kontrolle
2. COVID-19 und das nachlassende Engagement in die HIV/Aids Bekämpfung
3. Soziale Unterschiede und HIV/Aids bzw. Covid19 - Fokus USA
4. HIV und Klimawandel
5. Die neue UNAIDS-Strategie 2021-2026
6. Zentrale Schwachstellen und wichtige Ansatzpunkte:
6.1. Stigmatisierung und Diskriminierung bekämpfen - Menschenrechte in den Vordergrund stellen
6.2. HIV- Self-Testing und ihre Bedeutung für verschiedene Bevölkerungsgruppen
6.3. Differenzierte PrEP–Ansätze notwendig
6.4. Menschen, die Drogen injizieren und HIV
6.5. Heranwachsende Mädchen und junge Frauen
7. Die Welt-Aids-Konferenz - eine wichtige Plattform für die Zivilgesellschaft
Die Weltgemeinschaft habe versagt und ihre selbst gesetzten Ziele im Kampf gegen HIV und Aids verfehlt, war an der AIDS 2020 Konferenz immer wieder zu hören. Es ist ein Skandal und kollektives Versagen, dass 2019 immer noch 690'000 Menschen an Aids starben und sich 1,7 Millionen Menschen neu mit dem Virus infizierten, betonte Peter Piot, Direktor der London School of Hygiene and Tropical Medicine, in seiner Rede an der ersten virtuellen Welt-Aids-Konferenz, die vom 6.-10. Juli 2020 tagte. Laut Plan, um die Epidemie bis 2030 zu beenden, düften sich jährlich nur noch 500`000 Menschen neu infizieren, das sind ca. zwei Drittel weniger als gegenwärtig der Fall.
Peter Piots Botschaft war unmissverständlich: "Wir müssen endlich aufhören uns kollektiv etwas vorzumachen, dass das Ende von Aids in Sicht sei. Ich glaube sogar, dass dies kontraproduktiv ist. Wie bereits vor zwei Jahren an der Konferenz in Amsterdam und in dem Bericht der IAS-Lancet-Kommission (IAS-Lancet Report 2018), der zur gleichen Zeit herauskam, betont wurde, sind die Ziele der Agenda "90-90-90" (Fast-Track Targets) nicht realistisch und berücksichtigen zu wenig den Umfang der notwendigen Anstrengungen, die Höhe der Finanzierung und die Art der treibenden Kräfte der Epidemie." (Peter Piot - Closing Session 10. Juli 2020)
Für dieses Scheitern können wir nicht COVID-19 verantwortlich machen, denn dies begann schon lange, bevor wir überhaupt von Corona gehört hatten, so Piot. Die Tatsache, dass die UNO-Ziele zu Aids nicht erreicht werden, darf jedoch nicht zu noch mehr Untätigkeit führen, denn wir sollten niemals akzeptieren, dass Menschen an vermeidbaren und sogar behandelbaren Infektionen sterben, aus welchen Gründen auch immer. Wir müssen ehrgeizig bleiben, aber neue Ziele setzen, die den globalen, nationalen und lokalen Realitäten und dem Stand der Wissenschaften Rechnung tragen. Dies kann die Aids-Aktion für das nächste Jahrzehnt vorantreiben. (Peter Piot - Closing Session 10. Juli 2020)
Ein beherrschendes Thema von AIDS 2020: Virtual war COVID-19 und wie sehr es der HIV/Aids Bekämpfung einen Dämpfer versetzt. Es herrscht grosse Sorge, dass nun alle Gelder in die COVID-19 Bekämpfung fliessen und die Aids-Pandemie in den Hintergrund rückt.
„Die Coronavirus-Pandemie droht, uns noch weiter vom Kurs abzubringen“, sagte UNAIDS-Exekutivdirektorin Winnie Byanyima in Genf (Opening Series: UNAIDS Executive Director Winnie Byanyima on the future of HIV). Die Folgen sind bereits jetzt verheerend, in vielen Ländern herrschen Versorgungsengpässe und HIV-Medikamente und Kondome werden knapp. Gesundheitsdienste sind nur noch zeitweilig geöffnet oder ganz geschlossen und Tausende können nicht mit den lebenserhaltenden Medikamenten versorgt werden. Eine sechsmonatige Unterbrechung der Therapie könnte in diesem und im nächsten Jahr in den Ländern Afrikas, südlich der Sahara zu 500'000 zusätzlichen Todesfällen führen, so die Prognose. Die Anstrengungen im Kampf gegen HIV/Aids drohen um mehr als 10 Jahre zurückgeworfen zu werden, befürchtet UNAIDS.
"COVID-19 verändert alles, es steht extrem viel auf dem Spiel", betonte auch Peter Sands, Direktor des Globalen Fonds (GF) an der AIDS 2020 (Prime Session 4: Financing). So beobachten wir eine signifikante Zunahme von geschlechtsspezifischer Gewalt und eine extrem hohe Unterbrechung von Programmen, die sich an heranwachsende Mädchen und junge Frauen wenden. In Zimbabwe verzeichnen wir einen 78% Rückgang der Programme, die PrEP (Prä-Expositionsprophylaxe) für heranwachsende Mädchen und junge Frauen sowie für Key Population bereitstellen. Auch andere Bereiche sind betroffen. Bei der Mutter-Kind-Übertragung prognostizieren wir eine Zunahme z.B. für Malawi +78% oder für Uganda +104%. Ca. 80% der Programme, in die wir investieren, sind eingeschränkt, insgesamt kann das zu einer 25%-igen Zunahme an Neuinfektionen führen, befürchtet Sands. Dem müssen wir etwas entgegensetzen: Wir dürfen die hart errungenen Erfolge der letzten Jahre nicht aufs Spiel setzen. (Prime Session 4: Financing)
In folgende Massnahmen muss schnell investiert werden:
Zurückgehende Finanzierung
Grosse Sorgen bereitet zudem die Finanzierung. HIV war schon vor Corona unterfinanziert, jetzt droht ein weiterer Einbruch, so Sands.
Der Globale Fonds hat zwar schnell reagiert und den Empfängerländern eine gewisse Flexibilität bei der Verwendung ihrer Gelder während der Pandemie eingeräumt sowie mit dem "Reaktionsmechanismus COVID-19" zusätzlich 1 Milliarde Dollar zur Verfügung gestellt, aber mehr können wir uns nicht leisten. Wir können nicht das Geld für die eine Krankheit nehmen, um eine andere zu bekämpfen. Wir benötigen dringend weitere 28,5 Milliarden US-Dollar von unseren externen Partnern zur Bekämpfung von HIV, Tuberkulose und Malaria. Schon vor Corona haben uns für 2020 Beiträge in Höhe von 7,6 Milliarden US-Dollar nur für HIV gefehlt. (Prime Session 4: Financing)
Auch UNAIDS beklagt die seit drei Jahren in Folge zurückgehende finanzielle Unterstützung und schätzt für 2020 mit einem Fehlbetrag von ca. 30% des benötigten Budgets.
Laut dem jüngsten Bericht der Kaiser Family Foundation, der in Zusammenarbeit mit UNAIDS erstellt und an der AIDS 2020 veröffentlicht wurde, lagen die HIV-Fördermittel der Geberländer 2019 bei 7,8 Milliarden US-Dollar und lagen damit auf einem Niveau vergleichbar mit dem Niveau von 2008. (Kaiser Family Foundation 2020)
COVID-19 - Eine ungerechte Krankheit
COVID-19 offenbart noch weitere Realitäten: Wer unten steht, leidet mehr. Die Corona-Krise verdeutlicht und verschärft soziale Ungleichheit, denn sie trifft arme und benachteiligte Menschen besonders hart.
Es werden mehr Menschen an den sozialen und wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 sterben als an der Krankheit selbst.
Sie haben ein höheres Risiko, schwer zu erkranken – und sie leiden stärker unter den Folgen der Krise. Der Lockdown treibt Millionen von Menschen, die im informellen Sektor arbeiten in prekäre Situationen. Es werden mehr Menschen an den sozialen und wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 sterben als an der Krankheit selbst, prophezeiten einige der Referent*innen der "COVID-19 Conference". Im Interview mit dem Guardian vom 21. April 2020 warnte David Beasley, Exekutivdirektor des UN-Welternährungsprogramms: "This is truly more than just a viral pandemic - it is creating a hunger pandemic. This is a humanitarian and food catastrophe". (The Guardian 2020)
Seit Beginn der HIV-Epidemie vor 40 Jahren bis heute gehören Ungleichheiten/Ungleichgewichte (disparities) zu den hartnäckigsten Problemen der HIV-Bekämpfung, welche in verschiedensten Kontexten und Popluationen entstehen und zu den Treibern wie auch zu den Lösungsansätzen der Pandemie gehören können.
In den Vereinigten Staaten leben rund 1.2 Millionen Menschen mit dem Virus, davon wissen 14% ihren Status nicht. Neben rund 38’000 Ansteckungen pro Jahr zählte das Land bis Ende 2018 über 730’000 aidsbezogene Todesfälle. Einer der auffälligsten Faktoren der US-Epidemie ist die enorme Ungleichheit und starke ethnische Komponente. In den USA tragen insbesondere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), Afroamerikaner und Hispanics/Latinos die grösste HIV-Last.
Der “klassische” HIV-Infizierte in den USA ist somit afroamerikanischen Ursprungs, gehört zur Gruppe der MSM und ist unter 35 Jahren.
Es existieren enorme geografische und demografische Unterschiede in der HIV-Inzidenz der USA. Es lässt sich ein sehr genaues HIV-Vulnerabilitätsprofil erstellen: demografisch gehört die afroamerikanische Bevölkerung zu der vulnerabelsten Gruppe. Sie macht nur knapp 13% der US-Population aus, jedoch gleichzeitig 43% der landesweiten Neuansteckungen. Darunter sind 60% MSM, wiederum davon sind 75% unter 35 Jahren alt. Somit ergibt sich ein sehr genaues Profil und eine disproportionale Verteilung der HIV-Last auf eine spezifische Bevölkerungsgruppe. Der “klassische” HIV-Infizierte in den USA ist somit afroamerikanischen Ursprungs, gehört zur Gruppe der MSM und ist unter 35 Jahren.
Geografisch gibt es eine Konzentration der Ansteckungen im Süden des Landes, wo über 52% der Ansteckungen registriert werden. Von insgesamt 3007 Counties erfolgen mehr als 50% der Ansteckungen in 48 Counties plus Washington D.C. und Puerto Rico. Eine disproportionale Verteilung der HIV-Last existiert somit auch in geografischer Hinsicht.
Die Mehrheit der Ansteckungen erfolgt also innerhalb von black and latino MSM. Eine hohe Inzidenz existiert auch unter trans Menschen und IDUs (injecting drug users).
Weshalb sind gewisse Bevölkerungsgruppen in den USA ungleich mehr von HIV, Covid19 oder allgemein STIs betroffen?
Soziale Gründe
Die Gründe hierfür sind komplex und vielschichtig, jedoch ist die Betrachtung der sozialen Determinanten von Gesundheit zentral. Als soziale Indikatoren werden Lohnungleichheit, Familie und Armut sowie der Grad an Segregation mit einer HIV-Infektion assoziiert. Die höheren Grade an Armut, prekären Lebenssituationen, Arbeitslosigkeit und Segregation in black communities führen zu einem erhöhten Risiko einer Infektion mit HIV (oder auch Sars-CoV-2). Obdachlosigkeit ist zudem unter farbigen trans Frauen ein häufiger Grund für eine hohe Viruslast. Denn nur ein Viertel der farbigen trans Frauen hat eine Viruslast unter der Nachweisgrenze.
Natürlich entstehen die Ungleichheiten auch aus politischen Gründen. In den Bundesstaaten, welche in den 1860er Jahren eine höhere Anzahl Sklav*innen hatte und somit von Konservativen geführt wurden, gibt es heute noch Gesetze, welche von Ungleichheiten durchdrungen sind. Diese Gebiete zeigen heute viele Erkrankungen von Covid19 und HIV. Auch sind farbige Amerikaner*innen heute eher misstrauisch gegenüber Daten und Informationen des Staates zu HIV/Aids.
Politische Gründe
Ungleichheit auf der Präventionsebene: Obwohl farbige MSM und Latino MSM die grösste Gruppe der HIV-Neuansteckungen ausmachen, sind 75% der PrEP-User weiss! Um die Epidemie in den USA zu beenden, müssen solche Behandlungs- und Präventionslücken gefüllt werden. Diese Lücken bestehen in:
Obwohl farbige MSM und Latino MSM die grösste Gruppe der HIV-Neuansteckungen ausmachen, sind 75% der PrEP-User weiss! Um die Epidemie in den USA zu beenden, müssen solche Behandlungs- und Präventionslücken gefüllt werden.
Es ist erwiesen, dass die Überwindung sozialer Ungleichheit das Ende von HIV in den USA beschleunigen kann. (Prime Session 1: Social Factors / Prime Session 1: 40-year HIV pandemic)
Die Klima-Krise bedroht unser aller Zukunft. Das CO2-Level in der Atmosphäre steigt kontinuierlich – sogar während der Covid19-Auszeit. Dabei überschneiden sich biologische, soziale und politische Dimensionen von HIV und des Klimawandels.
Der Ursprung von HIV/Aids ist stark mit der Umweltzerstörung verbunden und mit der gewaltsamen Eindringung des Menschen in die Natur. Dasselbe gilt für SARS. Denn Pandemien resultieren aus der Zerstörung der Natur, wo es Erreger leicht haben, auf den Menschen überzuspringen.
Der Klimawandel betrifft einerseits die Tierwelt, bspw. den durch die Eisschmelze bedrohten Lebensraum von Eisbären in der Arktis oder die durch Buschbrände in Australien bedrohten Milliarden Tiere. Auf der anderen Seite sehen wir die Bedrohung des Menschen durch die Folgen des Klimawandels.
Vier Bereiche, in denen Menschen betroffen sind:
Alle vier Bereiche haben Auswirkungen auf die Prävention, Behandlung und Betreuung von HIV
Zu 1) Hitze: Extreme Hitze in Südafrika, kann bei HIV-Betroffenen zu respiratorischen Beschwerden führen. Insbesondere auch schwangere Frauen sind gefährdet, führt extreme Hitze zu einer limitierten Hitzeabführung. Des Weiteren führt es laut einer Studie zu mehr Tötungsdelikten (wenn höher als 35 Grad).
ZU 2) Infektionen: Die Reproduktion, das Wachstum und die Überlebensrate von vielen Mikroben erhöhen sich bei erhöhten Temperaturen. Somit steigt das Risiko einer Infektion des Menschen mit einem Erreger.
Es besteht die Gefahr zunehmender Armut, wenn z.B. eine Frau im ländlichen Subsahara-Afrika, durch Dürre gezwungen ist, zu migirieren, da es keine Ernte oder Wasser mehr gibt.
Zu 3) Infrastrukturzerstörung: Durch den Klimawandel verstärkte und häufiger auftretende Zyklone (bspw. in Malawi und Simbabwe 2019) zerstören essentielle Gesundheitseinrichtungen, die der Versorgung und Behandlung der Menschen dienen.
Zu 4) Armut und sozialer Zerfall: Emblematisches Beispiel einer ländlichen Frau in Subsahara-Afrika, welche durch Dürre gezwungen ist, zu migirieren, da es keine Ernte oder Wasser mehr gibt. Die Wanderung führt zu Hotspots für eine HIV-Infektion (Slums, informelle Siedlungen).
Wie kann die HIV-Community dagegen vorgehen?
1) Klimawandel muss in die existierenden HIV-Forschungsprogramme aufgenommen werden à neue Forschungsfragen generiert werden
(Bspw.: Wissen und Gewohnheiten über Klimawandel unter Sekundarschüler*innen in einem HIV-Präventionsprojekt (Südafrika))
Post-Katastophen Reaktionen: Denkbar wäre das Verteilen von Fahrrädern an Gesundheitspersonal, damit diese in überschwemmten Gebieten Medikamente verteilen können
2) Klima- und Gesundheitsdienste entwickeln und testen
sollen
3) Einfache und kostengünstige Kühlungssysteme einführen: Bspw. durch Wasserversorgung, das Weissstreichen des Daches in einer Gesundheitseinrichtung etc.
4) Post-Katastophen Reaktionen schliessen HIV-Interventionen ein: Bspw. das Verteilen von Fahrrädern an Gesundheitspersonal, um in überschwemmtem Gebiet Medikamente verteilen zu können.
Man muss die Communitites in von HIV betroffenen LMICs und in heissen Gebieten vor der Hitze schützen.
Aber: Die Problematik zeugt von hoher Komplexität! Fixieren wir uns auf die Gesellschaft? Oder auf technische Lösungen? Auf Menschenrechte? Auf das Gesundheitssystem?
Politische Kompenente: Wir müssen uns politisch engagieren. Koalitionen bauen.
Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Entscheidungsträger*innen haben jahrzehntelange Erfahrung im Bauen von wirksamen Koalitionen zur Bekämpfung globaler Public Health-Hürden, dies muss genutzt werden. Wissenschaftler*innen müssen eine Brücke bauen zwischen Politiker*innen und Aktivist*innen. (Special Session: HIV and the climate crisis)
Auch der neue UNAIDS-Bericht, "Seizing the Moment" (UNAIDS 2020), der zu Beginn der AIDS 2020 veröffentlicht wurde, zeigt, die Weltgemeinschaft ist nicht auf dem Weg, um HIV/Aids in absehbarer Zeit zu beenden. UNAIDS Exekutivdirektorin Winnie Byanyima fordert an der Konferenz einen neuen Plan, wie die globale Antwort auf HIV wieder auf den richtigen Weg gebracht werden könnte (Opening Series: UNAIDS Executive Director Winnie Byanyima on the future of HIV).
Die nächste UNAIDS-Strategie 2021-2026 muss sich direkt mit den Bereichen befassen, in denen wir immer noch im Rückstand sind. Es reicht nicht aus, nur auf die 90-90-90 Ziele zu schauen, die neue UNAIDS-Strategie muss einen stärkeren Fokus als bisher auf soziale Gerechtigkeit, also auf soziale Faktoren legen, die da sind:
Die neue UNAIDS-Strategie muss den Fokus stärker als bisher auf soziale Gerechtigkeit legen.
Dazu gehört zum Beispiel, dass wir die mehrfache Verwundbarkeit heranwachsender Mädchen und junger Frauen in Subsahara-Afrika stärker berücksichtigen oder dass wir die Kombination von Prävention und Menschenrechten bei den sog. Schlüsselgruppen voranbringen. Es genügt nicht, Sexarbeiterinnen mit Kondomen zu versorgen, ohne auf alle Faktoren einzugehen, die sie davon abhalten, sie zu benutzen.
Dazu gehört auch, dass wir nach individuelleren Lösungen suchen. Wir haben alle Instrumente um Aids zu beenden. Wir haben hervorragende Präventionsmöglichkeiten, unsere Pipeline war nie reichhaltiger (PrEP-Prä-Expositionsprophylaxe, Kondome, Implantate, Scheidenringe, Male circumcision, ARV-Medikamente - Treatment as Prevention), aber dennoch verfehlen wir die Ziele, weil wir nicht in der Lage sind, diese Instrumente effektiv und optimal zu nutzen.
Wir können nicht weiterhin die gleichen Dinge tun und ein anderes Ergebnis erwarten, mahnte Winnie Byanyima.
Es ist notwendig, dass wir die Epidemie auf lokaler Ebene besser kennen und dann verstehen, was die Triebkräfte für neue Infektionen sind und welche Kombination von Interventionen uns zur Verfügung stehen, die wir nutzen können, sagte Quarraisha Abdool Karim, stellvertretende wissenschaftliche Direktorin des Zentrums für das AIDS-Forschungsprogramm in Südafrika. Wir müssen die Gemeinschaften in den Mittelpunkt stellen, sie müssen die Führungsrolle übernehmen, wenn es darum geht, die Probleme zu lösen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind. Und das bedeutet, es müssen mehr finanzielle Mittel für die Gemeinschaften bereitstellt gestellt werden.
Als Teil der neuen Strategie benötigen wir Zwischenziele bis 2025, wenn im Rahmen der Agenda 2030, nur noch fünf Jahre verbleiben, um die Aids-Epidemie zu beenden.
Als wichtiges Element und als Zwischenziel, um die Epidemie in den nächsten Jahren entscheidend zu bekämpfen und Versäumtes nachzuholen, wurde auch die rasche Umsetzung einer universellen Gesundheitsversorgung (UHC) diskutiert. Sie gilt als die "soziale" Antwort auf Aids im Gesundheitswesen, denn es ist an der Zeit die Bedürfnisse von HIV+ Patient*innen im Gesundheitswesen ganzheitlich anzugehen und sie nicht länger in getrennten Einrichtungen, wie in einem Silo zu behandeln. (Session: Achieving the end of AIDS and realizing UHC by 2030: what will it take?)
Die UNAIDS Direktorin ist überzeugt: Die neue UNAIDS-Strategie muss dringend eine neue Richtung einschlagen. Wir können nicht weiterhin die gleichen Dinge tun und ein anderes Ergebnis erwarten, mahnte Winnie Byanyima. (Session: 2025 AIDS targets: Setting the next generation of goals for the global AIDS reponse)
Stigma und Diskriminierung sind eine der Hauptgründe, warum die Epidemie nicht beendet werden kann. So betonte Elton John zu Beginn der Konferenz: "If no one in the world would be frightened of having an AIDS test and would have access to treatment, there would be no more new infections in the world today" (Opening series: Sir Elton John and David Furnish on stigma, marginalized communities and COVID-19). 54% der jährlichen Neuinfektionen finden noch immer unter den sog. Key populations statt, Gruppen, die am stärksten von Stigmatisierung, Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Dazu gehören marginalisierte Menschengruppen wie Sexarbeiter*innen, Männer, die Sex mit Männern haben, Drogenkonsumierende sowie Transgender. Obwohl in dieser Gruppe, die meisten jährlichen Neuinfektonen zu verzeichnen sind, wurde zwischen 2016-2018 nur 2% des jährlich zur Verfügung stehenden Geldes investiert (Session: HIV and COVID-19. Peter Carr Foundation).
"If no one in the world would be frightened of having an AIDS test and would have access to treatment, there would be no more new infections in the world today"
Die Bekämpfung von Stigma hat nicht mit dem medizinischen Fortschritt standgehalten. Wir kommen da einfach nicht voran, das Stigma liegt noch immer auf der Erkrankung wie ein Alptraum, beklagt die Elton John Foundation. Es ist verrückt, Menschen sterben an Aids, weil sie Angst haben sich testen zu lassen und es ist gleichzeitig sehr traurig, denn es entspricht nicht dem medizinischen Fortschritt. Viele Menschen wissen nicht, wie einfach es heute ist, die Krankheit in den Griff zu bekommen und ein langes Leben zu führen, ohne andere mit dem Virus zu infizieren. (Behandlung ist Prävention/U=U Undetectable (nicht nachweisbar) = Untransmittable (nicht übertragbar)).
Überall dort, wo die Menschenrechte nicht eingehalten und Menschen aufgrund ihrer Sexualität oder ihres anders sein kriminalisiert werden, kann ein Anstieg an Neuinfektionen beobachtet werden. Wir müssen vor allem Sexualität in unseren Gesellschaften entkriminalisieren. Viele Menschen assoziieren HIV noch immer mit schwul sein. Solange Regierungen Vorurteile, Homophobie und Transfeindlichkeit durch kriminalisierende Gesetze schüren, solange werden wir das Problem nicht lösen. Solange werden wir auch die institutionelle Diskriminierung, die wir z.B. in vielen Gesundheitseinrichtungen vorfinden und die Menschen daran hindern, diese aufzusuchen, nicht in den Griff bekommen.
Wir benötigen genaue Daten hinsichtlich der Qualität der Gesundheitsdienste sowie hinsichtlich Stigmatisierung und Diskriminierung in diesen Einrichtungen. Nur so können wir die Barrieren verstehen, mit denen Menschen dort konfrontiert sind und konkrete Lösungen zur Überwindung dieser Barrieren aufzeigen.
Instrumente zur Bekämpfung von Stigma
So berichtet Mandeep Dhaliwal (Direktorin der HIV, Health & Development Groupe von UNDP - United Nation Development Programme), dass trotz der Tatsache, dass Gesundheit ein Menschenrecht ist, UNDP im Laufe der Jahre akzeptieren musste, dass dies besonders im Zusammenhang mit HIV nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, sondern dass konkrete Programme und Investitionen nötig sind, um dieses Recht einzufordern. Zur Lancierung diesbezüglicher Programme hat UNDP mit Regierungen, der Zivilgesellschaft und multilateralen Partnern in 89 Ländern zusammengearbeitet. Die Empfehlungen wurden in dem Bericht "Global Commission on HIV and the Law" festgehalten. (Pre-conference Session: Human rights, community response and overcoming stigma, discrimination and other barriers to access TB, HIV, COVID-19 health services)
Um die Länder bei der Umsetzung dieser Empfehlungen zu unterstützen, wurden entsprechende Instrumente entwickelt. Eines dieser Instrumente ist die Bewertung des rechtlichen Umfeldes mittels der sog. LEAs (Legal Environment Assessment). (HIV and the Law 2018) Zentral geht es dabei um die Analyse von Gesetzen, Richtlinien und Vorschriften und deren Wechselwirkung mit HIV, Tuberkulose und Gesundheit. Diese Überprüfung erfolgt durch einen von der Regierung und der Zivilgesellschaft geführten Prozess, in dem Wissenschaftler*innen aus dem Bereich der öffentlichen Gesundheit, mit Menschenrechtsvertreter*innen, mit Vertreter*innen des öffentlichen Rechts und mit direkt von HIV betroffenen Personen der Zivilgesellschaft zusammentreffen und in einen Dialog treten, um politische und rechtliche Reformen zu erarbeiten oder schädliche Gesetze abzuschaffen. (UNDP 2018)
Prioritär für diese Analysen ist der hohe Bedarf an besseren Daten zur Bewertung von Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung von Schlüsselgruppen und von allen von HIV betroffenen Menschen. Vor der Entwicklung der LEA-Methodik waren diese Fragen kaum diskutiert worden und ihr Bekanntwerden machte deutlich, wie dürftig die Evidenz ist, um geeignete politische Massnahmen auf den Weg zu bringen.
Bislang konnte das Instrument in 30 Länder erfolgreich angewendet werden. Es hat dazu geführt, dass im Kongo die Schlüsselbevölkerung in die nationale HIV-Politik aufgenommen sowie Kondome und Gleitmittel auf die Liste der unentbehrlichen Medikamente gesetzt wurde. Die LEAs spielten eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung und Überarbeitung nationaler strategischer Pläne in den CCMs (Country Coordinating Mechanism) des Globalen Fonds oder sie bot Schlüsselbevölkerungen, die mit HIV leben, die Möglichkeit, in einen konstruktiven Dialog mit Regierungsvertreter*innen zu treten. Viele weitere Beispiele liessen sich anführen.
Das "Legal Environment Assessment" wurde 2014 zur Bewertung des rechtlichen Umfeldes um HIV entwickelt, 2017 auf TB ausgedehnt, 2019 wurden gemeinsame LEAs zu HIV, Tuberkulose (TB) und zu Sexueller und Reproduktiver Gesundheit (SRH) erarbeitet. (UNDP Zimbabwe, 2019) Aktuell wird die LEA-Methodik für COVID-19 angepasst.
Prioritär für diese Analysen ist der hohe Bedarf an besseren Daten zur Bewertung von Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung von Schlüsselgruppen und von allen von HIV betroffenen Menschen. Vor der Entwicklung der LEA-Methodik waren diese Fragen kaum diskutiert worden und ihr Bekanntwerden machte deutlich, wie dürftig die Evidenz ist, um geeignete politische Massnahmen auf den Weg zu bringen. (Pre-conference Session: Human rights, community response and overcoming stigma, discrimination and other barriers to access TB, HIV, COVID-19 health services)
Weltweit leben im Moment über 38 Millionen Menschen mit HIV, ca. 1.8 Millionen wissen nicht, dass sie seropositiv sind. Jedoch ist das Wissen um den HIV-Status einer Person zentral in der Bekämpfung des Virus – “Wissen ist Macht” kann hier also wörtlich genommen werden. Denn Voraussetzung für eine Behandlung ist das Wissen um die eigene Ansteckung. Selbsttests sind hierfür zentral und könnten viel bewirken. Selbsttests sind eines der besten Beispiele von innovativen Zugängen, um HIV/Aids zu besiegen und die Leute zu erreichen, die wahrscheinlich keine Testzentren besuchen.
Am Beispiel von Südafrika, welches ein grosses Budget hat für HIV-Self-Screenings, wird aufgezeigt, wie dies funktionieren kann. In Südafrika leben fast 8 Mio. Menschen mit HIV, fünf Millionen sind unter antiretroviraler Therapie (ART). Viele junge Leute und insbesondere Männer gehen in keine Gesundheitseinrichtungen, um sich testen zu lassen. Somit muss man diese Menschen anders erreichen und von der Wichtigkeit des Wissens um den eigenen HIV-Status überzeugen. Hierfür eignen sich Selbstests, welche in den Communities verteilt werden können.
Viele Arbeiter*innen migrieren während ihrer Tätigkeiten von Ort zu Ort und haben keinen festen Wohnsitz. Das Verteilen von Testkits in solchen Communitites bringt auch hier grosse Vorteile. Mit Selbsttests erreicht man zudem nicht nur einzelne Personen, sondern ganze Familien, was überaus wichtig ist. Das Verteilen von Testkits ist im Übrigen auch Teil einer breiteren Strategie von von sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRHR) und dient der Sensibilisierung junger Menschen gegenüber ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit.
Denn im Selftesting geht es primär darum, die Leute dort zu erreichen, wo immer sie sind. Denn wenn die Menschen keine Testzentren besuchen, müssen die Tests zu ihnen.
HIV-Tests sind aber nicht nur essentiell, um jemanden in Behandlung zu setzen, sondern auch um PrEP (Prä-Expositionsprophylaxe) zu verschreiben. Für die Benutzung von PrEP bedarf es eines Tests, da nur negativ getestete Personen diese Oralprophylaxe einnehmen dürfen. Dies ist beispielsweise ein Grund dafür, warum das Hometesting in den USA angestiegen ist. Insbesondere im Süden der USA und in ländlichen Gebieten ist HIV mit Stigmata verbunden. Zur Überwindung dieser Barrieren sind Selbsttests ein guter Weg.
Vergessen gehen in der Testpolitik oftmals Gefängnisinsassen. Als Schlüsselgruppe sollten auch sie regelmässig Selbsttests erhalten. Denn im Selftesting geht es primär darum, die Leute dort zu erreichen, wo immer sie sind. Denn wenn die Menschen keine Testzentren besuchen, müssen die Tests zu ihnen. Wichtig ist jedoch die Bündelung der verschiedenen Dienstleistungsangebote. Das Wissen um eine Infektion ist nutzlos, wenn keine Behandlung (Arzt, Apotheke, etc.) zur Verfügung steht.
HIV-Selbsttests machen somit einen Anfang
Das globale Ziel von UNAIDS zielte auf 3 Millionen PrEP-Benutzende bis Ende 2020. Mit rund 575’000 Usern wird dieses Ziel massiv verfehlt werden. Trotz einer langwierigen Anfangsphase bei der Einführung von PrEP bieten mittlerweile mindestens 78 Länder weltweit die orale Prä-Expositionsprophylaxe als Präventionsmittel an. Im Gegensatz zu einer hohen Anzahl differenzierter Ansätze von ART, lässt die Diversität von PrEP-Ansätzen zu wünschen übrig. Die differenzierten ART-Ansätze sollten als Vorbild gelten für neue PrEP-Dienstleistungen.
Grundsätzlich und auch vor dem Hintergrund von Covid19 gibt es ein höheres Bedürfnis nach community-basierten und differenzierten PrEP-Dienstleistungen.
So wäre es vorteilhaft, längerfristige PrEP-Nachfüllungen (monatlich, 3-monatig, 6-monatig) einzuführen. Des Weiteren müssen PrEPs dezentralisierter verteilt werden können (Anlaufstellen, Apotheken), um die Menschen zu Hause zu erreichen. Denn die meisten PrEP-Dienstleistungen bedingen einen Besuch in einer Gesundheitseinrichtung gemäss einem von den Klinik festgelegten Nachfüll-Zeitplan. Zur Unterstützung solcher Ansätze sollten Expert*innen, Peers, Klient*innen, Community-Arbeiter*innen, Krankenpfleger*innen oder Apotheker*innen involviert werden.
Wie kann der PrEP-Zugang vereinfacht werden? Durch eine Anpassung des Wo, Wann, Was und Wie?
Durch einen peer-led approach sollen weibliche Sexarbeiter*innen in Äthopien beispielsweise besser erreicht werden. Der Peers-Approach soll dabei der Verhinderung von Stigma und Diskriminierung untereinander dienen. Peers haben einen starken Einfluss und ihnen wird vonseiten der Klient*innen am meisten Vertrauen geschenkt. Er dient auch zur Steigerung der Erreichbarkeit, da Peers am besten wissen, wo die Sexarbeiter*innen zu finden sind.
Covid-19 muss als Gelegenheit gesehen werden, Anpassungen des Wo, Wann, Was und Wie in den PrEP-Dienstleistung vorzunehmen. (Session: Bringing PrEP closer to home: Why is now the time for differentiated PrEP?)
Um die globale HIV-Epidemie unter Menschen, die Drogen injizieren (people who inject drugs (PWID)) zu beenden, bedarf es dringender Reformen. Doch was muss getan werden, um in einem der anspruchsvollsten Bereiche in der Antwort auf Aids Erfolge zu erzielen? Keine Population ist mehr vernachlässigt und ausgeschlossen worden als PWID. Gleichzeitig werden die Epidemien von HIV, Hepatitis C und TB in dieser Bevölkerungsgruppe nicht unter Kontrolle gebracht. Weltweit gibt es diesbezüglich viele Misserfolge zu sehen, andererseits einige hoffnungsvolle Beispiele von erfolgreicher Adressierung von PWID und deren Bedürfnissen.
Weltweit leben rund 269 Millionen Drogenkonsument*innen, davon 11.3 Millionen intravenös injizierend. Intravenöser Drogenkonsum, bei welchem ein besonders hohes Risiko einer Ansteckung mit dem HI-Virus gegeben ist, ist in 179 Ländern dokumentiert. Die Prävalenz von i.v-Drogeninjizierenden in Osteuropa ist 7 mal höher als im weltweiten Schnitt. Frauen, die Drogen injizieren, sind vulnerabler als Männer. Weltweit sind es schätzungsweise ca. 3.2 Millionen Frauen, insbesondere in Ost- und Südasien sowie in Osteuropa und Nordamerika. Auch erkennt man eine höhere Prävalenz unter Frauen (13%) als bei Männern (9%).
Die Faktoren, wodurch Frauen in allen Regionen einem höheren Risiko ausgesetzt werden, sind:
HIV-Epidemie unter PWID
Wie bereits erwähnt, geht man von ca. 11.3 Millionen PWID weltweit aus (2020), davon leben schätzungsweise 1.4 Millionen mit HIV. Zwischen 2011 und 2018 konstatierte man global einen Anstieg von HIV-Infektionen unter PWID. Denn PWID haben ein 22 mal höheres Risiko, sich mit HIV zu infizieren als Erwachsene in der allgemeinen Bevölkerung. Im Jahr 2018 machten sie 12% der weltweiten Neu-Infektionen aus. Ansteckungszahlen im Zusammenhang mit dem intravenösen Drogengebrauch variieren selbstverständlicherweise von Weltregion zu Weltregion. In Osteuropa machen HIV-Infektionen unter PWID über 40% der Neu-Ansteckungen aus. Gefährdet sind insbesondere auch Trans*frauen, die Dogen injizieren.
Weshalb sind Menschen, die Drogen injizieren, gefährdeter für HIV?
Insbesondere der fünfte Punkt der Kriminalisierung und Marginalisierung verhindert effektive Prävention und anderweitige Interventionen. Wir müssen, um die Situation von PWID zu verbessern, gegen Ungerechtigkeit gegenüber marginalisierten Gruppen einstehen. Dies gilt auch für andere Gruppen wie people of color, trans Menschen, MSM und Sexarbeiter*innen.
Aktuellen Entwicklungen muss man erfolgreich entgegenwirken. Drogengebrauch hat neben einem hohen HIV- oder Hepatitisrisiko auch enorme soziale und ökonomische Konsequenzen, denn Drogengebrauch ist teuer.
Prävention und Behandlung
Bestimme Interventionsprogramme können die HIV-Epidemie unter PWID diminuieren. Es sind dies beispielsweise:
Nur 1% aller PWID weltweit lebt in Ländern mit einer hohen Abdeckung durch Nadel- und Spritzenaustauschprogrammen oder Opiat-Substitutionstherapien
Menschen, die in solchen Programmen sind, werden zudem vermehrt in Therapien behandelt und sind unter ART. Jedoch gibt es grosse programmatische Lücken in vielen Ländern. Nur 1% aller PWID weltweit lebt in Ländern mit einer hohen Abdeckung durch Nadel- und Spritzenaustauschprogrammen oder Opiat-Substitutionstherapien. Des Weiteren haben nur 16% der Leute, die Opioide nehmen, Zugang zu einem Substitutionsprogramm. Die Notwendigkeit einer höheren Investition in solche Programme sowie der dazugehörigen Forschung ist also gegeben. Weit mehr Länder müssten entsprechende Investitionen tätigen und Programme einführen.
Jedoch sind es oftmals auch rechtliche Barrieren sowie Hindernisse im Bezug auf Menschenrechte, die die Unterstützung von PWID LWHIV verhindern. Wir werden die Beendigung der HIV-Epidemie global nicht erreichen, wenn wir nicht gegen Stigmata, Diskriminierung und Kriminalisierung, welche feindselige Umgebungen für mehrere Schlüsselgruppen schaffen, kämpfen.
Denn Dekriminalisierung ist ein wichtiger Schritt für die Reduzierung von Gesundheits- und Sozialrisiken im Zusammenhang mit Drogen. Dazu bedarf es rechtlicher Reformen in vielen Ländern.
In Ländern, welche umfassende Schadensminderungsstrategien implementiert haben (Uk, Schweiz, Deutschland, Österreich), ist die HIV-Prävalenz unter PWID deutliche niedriger als in Ländern mit ungenügenden oder gar keinen Programmen (Thailand, Russland). Auch internationale Organisationen und Donatoren beovrzugen Harm Reductions. Der Globale Fonds ist einer der grössten Geldgeber für Harm Reductions.
Die Mittel zur harm reduction können dabei vielfältig sein:
Zukunftsweisende Trends zu "Schadensminderung":
Wo gab es trotz verfehlter UNAIDS-Ziele Fortschritte zu erkennen? Welches bleiben die Herausforderungen?
Vor einigen Jahren gab es noch kaum afrikanische Länder, welche Schadensminderungsprogramme implementiert hatten. Dies hat sich zwischenzeitlich etwas verändert. Nun gibt es mehrere Länder mit Substitutionsprogrammen, trotz schwieriger Umfelder.
Eine grosse Herausforderung bleibt die oppressive Politik im Bezug auf Drogengebrauch, Kriminalisierungen und Diskriminierungen. Probleme gibt es auch beim Funding von harm reductions aufgrund von Geldgebern, die aussteigen. Drogenpolitische Massnahmen (drug policies) sind in einigen Ländern oftmals ideologisch gefärbt und basieren nicht auf wissenschaftlicher Evidenz. Die Strafen für junge Drogenbenutzende sind teilweise schlimmer, als der Drogengebrauch an sich.
Wäre Entkriminialiserung das Schlüsselelement der Politik, das wir sehen wollen?
Unbedingt, die politischen Massnahmen müssen geändert werden. Dies sind die primären Hindernisse für die Einführung von nützlichen und erfolgreichen Schadensminderungsprogrammen.
Wie kann die Entwicklung in Osteuropa in den nächsten Jahren verändert werden?
Die Situation in Osteuropa ist vor allem durch die Situation in Russland geprägt. In dieser Region sind 48% der HIV-Infektionen im Zusammenhang mit Drogen erklärbar, deshalb braucht es dringliche Änderungen auf Policy-Ebene. Insbesondere auf der Ebene der Städte und bei den Bürgermeister*innen müsste man ansetzten, jedoch bedarf es eines sehr breiten Engagements in Osteuropa. Da Donatoren sich abwenden, ist es unerlässlich mit den Regierungen zusammenzuarbeiten. (Session: Prime Session 2; People who inject drugs)
Die Verbesserung ihrer Situation bildete einen Schwerpunkt an der AIDS 2020 und sie wird auch in der neuen UNAIDS Strategie grosses Gewicht einnehmen: Heranwachsende Mädchen und junge Frauen (AGYW - adolescent girls young women) gelten als besonders verwundbar und nach wie vor als ein Treiber der HIV/Aids Epidemie, wie die viel zu hohen Infektionszahlen von wöchentlich ca. 6200 Ansteckungen (Subsahara Afrika ca. 4500) verdeutlichen.
Nur etwa ein Drittel der Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren in Subsahara-Afrika verfügt über umfassende Kenntnisse zu HIV.
So infizieren sich AGYW in Subsahara Afrika doppelt so häufig an HIV wie ihre männlichen Altergenossen. Viele haben keinen Zugang zu sexuellen und reproduktiven Dienstleistungen. Von den weltweit 38 Millionen sexuell aktiven heranwachsenden Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren verwenden mehr als die Hälfte keine Verhütungsmittel. Mindestens 10 Millionen ungewollte Schwangerschaften ereignen sich jedes Jahr bei heranwachsenden Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen und Komplikationen während der Schwangerschaft und bei der Geburt sind weltweit die häufigste Todesursache bei Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren. Auch das Wissen über und die Prävention von HIV bei AGYW ist gering: Nur etwa ein Drittel der Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren in Subsahara-Afrika verfügt über umfassende Kenntnisse zu HIV (UNAIDS 2020. Seizing the Moment).
Das DREAMS Projekt
Einzelne Interventionen haben bislang nicht den gewünschten Erfolg in der Reduktion von HIV-Neudiagnosen gezeigt, vielversprechender erweist sich hingegen ein multisektorialer Ansatz, wie er im DREAMS Projekt von PEPFAR angewendet wird. DREAMS ist nicht nur ein Programm, "DREAMS is a movement" mit grossem Impact, war an der Konferenz zu hören. 2,2 Millionen erreichte heranwachsende Mädchen und junge Frauen in 10 Ländern führten zu einem 25%-igem Rückgang an Neuinfektionen. DREAMS steht für "Determined, Resilient, Empowered, AIDS-Free, Mentored and Safe" und wurde an der AIDS 2020 als erfolgreiche Intervention vorgestellt. (Session: DREAMing Together: Investing in Comprehensive HIV Prevention Programming for Adolescent Girls and Young Women).
Massnahmen auf die DREAMS fokussiert, um AGYW vor einer HIV-Infektion zu schützen, sind:
Regierungsverantwortliche sollten jeden Tag danach gefragt werden, was sie unternehmen, damit ihre weiblichen Heranwachenden den Schulbesuch nicht unterbrechen, fordert Deborah Brix, die globale Aids-Koordinatorin von PEPFAR. Eine der grössten Herausforderungen war es gewesen, die am meisten gefährdeten heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen zu identifizieren, erklärt Sanyukta Mathur, die wissenschaftliche Leiterin des Forschungsprogramms zu DREAMS. Es gab dazu kaum Daten und erst als wir herausfanden, dass vor allem Mädchen vermisst werden, die nicht zur Schule gingen, konnten wir unsere Strategien entsprechend anpassen.
Zugrundeliegende Prinzipien
AGYW werden meist in der eigenen Community mit schädlichen Praktiken konfrontiert oder vergewaltigt. Hier lernen sie zu oft, dass sie es nicht wert sind, aufgeklärt zu werden, dass Sex ein Tabu-Thema ist, selbst wenn sie schwanger sind oder dass Gewalt ein stillschweigend zu ertragender Teil des Leben ist.
Wollen wir diese Normen verändern, müssen wir die Communities noch stärker involvieren. Ohne die enge Zusammenarbeit mit lokalen Partnern, mit der Zivilgesellschaft vor Ort kommen wir nicht weiter. Sie sind diejenigen, die die verschiedenen Dienste in den Communities bereit stellen, sie leisten die Advocacy-Arbeit, sie nehmen die Regierungen in die Verantwortung, sie helfen die Herausforderungen in den Communities zu identifizieren, aber auch die Lösungen dafür zu finden. Deshalb investiert DREAMS 70% der Ressourcen, durch das "DREAMS Innovation Challenge" Programm direkt in lokale Partner, in sog. commmunity-based Organisationen. Es ist so gelungen, dass in kurzer Zeit 46 lokale Organisationen, davon zwei Drittel Grassroots-Organisationen, innovative Präventionsangebote für AGYW bereitstellten.
Land für Land wird uns klarer, dass die Interventionen von Gleichaltrigen angeführt werden müssen. Wir brauchen entschlossene, starke und selbstbewusste junge Frauen, die als DREAMS-Botschafterinnen verhindern, dass wir die falschen Strategien fahren.
Eine weitere Erkenntnis lehrt uns, dass das Empowerment von AGYW selbst angeführt werden muss, sie wissen, was sie wollen und was getan werden muss, sie sind die Expertinnen über ihr Leben. Land für Land wird uns klarer, dass die Interventionen von Gleichaltrigen angeführt werden müssen. Wir brauchen entschlossene, starke und selbstbewusste junge Frauen, die als DREAMS-Botschafterinnen verhindern, dass wir die falschen Strategien fahren. Eine solche DREAMS-Botschafterin ist Juliet Murindi, die uns erklärt, dass z.B. der Zugang zu erschwinglichen Hygieneprodukten für Mädchen verbessert werden muss. Weil sie sich diese nicht hatte leisten können, hätte sie beinahe selbst die Schule abgebrochen bzw. sich auf riskante Aktivitäten wie den Verkauf von Sex eingelassen. (Session: DREAMing Together: Investing in Comprehensive HIV Prevention Programming for Adolescent Girls and Young Women)
Jungen und Männer
Auf der anderen Seite müssen wir sexuelle Risiken dahingehend reduzieren, indem wir Programme für Jungen und Männer anbieten, nicht nur um deren Wahrnehmung und Verhalten zu verändern, sondern auch, damit sie stärker als bisher von den Gesundheitsdiensten profitieren. Viele Untersuchungen bestätigen eine beträchtliche Kluft zum Beispiel in der Bereitstellung von HIV-Tests für Männer im Vergleich zu Frauen. Gesundheitssysteme sind strukturell geschlechtspezifisch ausgerichtet, um den Gesundheitsanforderungen von Frauen gerecht zu werden.
Ein zentrales Forschungsergebnis der letzten Jahre belegt, dass starre Geschlechternormen die Gesundheit und das Wohlergehen aller Menschen beeinträchtigt.
Jungen und Männer sind in den HIV-Programmen zu wenig präsent und ihre Bedürfnisse werden zu wenig berücksichtigt. Die Gesundheit von Jungen und Männern sollte uns jedoch nicht länger nur unter dem Fokus der Verbesserung der Gesundheit ihrer Partnerinnen und Kinder interessieren, sondern sie sollten um ihrer eigenen Gesundheit willen angesprochen werden. Ein zentrales Forschungsergebnis der letzten Jahre belegt, dass starre Geschlechternormen die Gesundheit und das Wohlergehen aller Menschen beeinträchtigt, eine wichtige Erkenntnis auch im Hinblick auf das Ziel, HIV bis 2030 zu beenden. (Grimsurd A. et al. 2020)
COVID-19 ist ein Stresstest und verändert alles - wie Peter Sands resümierte. Die Länder sind absorbiert, Bewältigungsmechanismen für die veränderten Umwelt- und Lebensbedingungen zu entwickeln und um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Andere Probleme treten in den Hintergrund.
Dies hatte auch Auswirkungen auf die AIDS 2020. Die virtuelle Austragung konnte nicht die emotionale Sprengkraft und das Empowerment entwickeln, wie das Zusammentreffen von Wissenschafter*innen, Politiker*innen, Aktivist*innen und HIV+ Menschen der Jahre zuvor. Dennoch: Die Welt-Aids-Konferenz ist nach wie vor und wie kaum eine andere internationale Konferenz, die Mahnstimme der Zivilgesellschaft und ihr Aufruf zur Einhaltung der Menschenrechte. Besonders von HIV betroffene und vulnerable Menschengruppen finden hier eine Plattform, um auf ihre Bedürfnisse und Hindernisse im Zugang zu HIV-Prävention und Behandlung aufmerksam zu machen. Sie finden hier das Gehör, das ihnen ihre Regierungen oftmals verweigern.
Die Welt-Aids-Konferenz verdeutlicht auch immer wieder die Bedeutung der Suche nach innovativen Lösungen und der Wichtigkeit der Forschung: Forschung ist ein Schlüsselelement, um essentielle Fragen im Kampf gegen HIV/Aids zu beantworten und um dauerhaft Veränderung herbeizuführen: Weshalb haben wir die Ziele erreicht oder verfehlt? Was müssen wir verändern, um diese Ziele zu erreichen? Solche Fakten und Daten sind unerlässlich, um Strategien zu entwickeln, die dauerhaft Veränderung in Gang setzen und um Regierungen zur Verantwortung zu ziehen und auf ihre Verpflichtungen hinzuweisen, die sie eigentlich qua Amt innehaben: Die Bevölkerung, der sie dienen, umfassend zu schützen.
Kaiser Family Foundation 2020. Donor Government Funding for HIV in Low-and Middle-Income Countries in 2019. http://files.kff.org/attachment/Donor-Government-Funding-for-HIV-in-Low-and-Middle-Income-Countries-in-2019.pdf
Population Council 2020. Results brief. Reducing HIV Risk among young women and their partners. https://www.popcouncil.org/uploads/pdfs/2020HIV_HIVRiskAGYW-DREAMSbrief.pdf
Saul, Janet, et al. 2018. The DREAMS Core Package of Interventions: A Comprehensive Approach to Preventing HIV among Adolescent Girls and Young Women. PLOS ONE, Public Library of Science. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0208167
Prime Session 2: People who inject drugs, Andriy KLEPIKOV, Executive Director, Alliance for Public Health, Ukraine.
Session: Bringing PrEP closer to home: Why is now the time for differentiated PrEP? Organizer: AIDS Vaccine Advocacy Coalition (AVAC); PATH; International AIDS Society (IAS).