Was COVID-19 ans Licht brachte

Community health workers: Weltweit Garnt:in für eine primäre Gesundheitsversorgung

De Martina Staenke

«We exist, yet we don’t exist”. Das Zitat von Margaret Odera, einer kommunalen Gesundheitshelferin (Community Health Worker) aus Kenya beschreibt, wie wenig anerkannt sie sich fühlt und mit ihr geschätzte 3 Millionen Kolleg:innen weltweit. Wie sehr Community Health Workers (CHWs) zu einer vernachlässigten Berufsgruppe gehören, zeigt sich auch daran, dass die meisten Länder über keinerlei valide Zahlen verfügen, wie viele CHWs tatsächlich in ihrem Land unverzichtbare, meist unbezahlte Arbeit leisten. COVID-19 hat ihre Bedeutung schlagartig ins Rampenlicht gerückt, doch man konnte sie nicht kontaktieren, da man nichts über sie wusste. Die Kampagne #CountCHWs will dies nun ändern.

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Community health workers: Weltweit Garnt:in für eine primäre Gesundheitsversorgung
Community Health Worker Training. Foto: © Souleymane Bathieno/HP+/flickr.com; CC BY-NC 2.0

In der Kampagne #CountCHWs haben sich mehr als 100 Organisationen, Gesundheitsministerien und Geldgeber:innen zusammengeschlossen, um Regierungen von der Wichtigkeit eines nationalen Registers zu überzeugen, indem jede/jeder CHWs eines Landes mit genauer Lokalisation und den jeweiligen Kompetenzen aufgelistet ist. Im Moment beruhen die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den geschätzten 3 Mio CHWs weltweit vorrangig auf den Angaben von gerade mal 75 Ländern und sind teilweise älter als 10 Jahre. Ein Informationsdefizit, das vor allem während der Pandemie für Frustrationen gesorgt hatte (#CountCHWs campaign, 2022).

Nicht erst seit der COVID-19 Pandemie wächst weltweit das Bewusstsein für die Bedeutung der kommunalen Gesundheitshelfer:innen (CHWs). In vielen Ländern werden die meist weiblichen CHWs schon seit langem instrumentalisiert, um überlastete und schlecht funktionierende Gesundheitssysteme zu kompensieren (Beitrag Dasgupta, Sinha & Joshi). Von Prävention über Krankheitsaufklärung, Schwangerenberatung oder Malariauntersuchungen - als erste Anlaufstelle im Falle einer Erkrankung sind sie für viele marginalisierte Bevölkerungsgruppen in abgelegenen Gebieten der einzige Zugang zu einer Gesundheitsversorgung. Aufgrund ihrer Rekrutierung aus den eigenen Gemeinden und durch ihren unermüdlichen Einsatz, die Gesundheit ihrer Mitmenschen zu verbessern, geniessen kommunale Gesundheitshelfer:innen oft grosses Vertrauen in der Bevölkerung.

Wie sehr Community Health Workers (CHWs) zu einer vernachlässigten Berufsgruppe gehören, zeigt sich auch daran, dass die meisten Länder über keinerlei valide Zahlen verfügen, wie viele CHWs tatsächlich in ihrem Land unverzichtbare, meist unbezahlte Arbeit leisten.

Die Crux: Die meisten CHWs sind unbezahlt, unversichert, leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen und sind unzureichend ausgebildet. Auch ihre Berufsbezeichnung ist unzulänglich, denn als CHWs werden Menschen bezeichnet, deren Ausbildungsstatus oft nicht miteinander vergleichbar ist.

Von Asien (Laos, Indien, Calcutta, Kurdistan) über Afrika (Lesotho, Kenya, Uganda, Sambia, Zimbabwe, Ghana, Benin) bis nach Südamerika (Mexiko, Guatemala, Brasilien) ist eine gesundheitliche Versorgung ohne kommunale Gesundheitshelfer:innen undenkbar, wie die Beiträge dieses Bulletins in eindrücklicher Weise aufzeigen. Oft sind sie mehr als nur einfache Dienstleister:innen. Bei den Zapatisten in Mexiko gilt die von den Gesundheitspromotor:innen erbrachte «Basisgesundheit als Teil des Widerstandes» (Beitrag Froidevaux) und in Indien entspricht die Rolle einer ASHA (Accredited Social Health Activist) eher der einer Aktivistin: “(…) ASHAs are the cadre who can bring together the two objectives of “people’s health in people’s hands” and access to universal health care at all levels” (Beitrag Dasgupta, Sinha & Joshi). Von ihren Regierungen kaum unterstützt, stehen die CHWs weltweit auf der untersten Stufe der Gesundheitshierarchie und kämpfen vielerorts vergeblich gegen ihre Rechtlosigkeit. (Beitrag Rusike, Beitrag Dasgupta, Sinha & Joshi).

Mekedes Tesfaye, 32, eine kommunale Gesundheitsberaterin, mit 8 Jahren Erfahrung, schärft derzeit in verschiedenen Teilen von Addis Abeba das Bewusstsein für das Thema COVID-19. Foto: UNICEFEthiopi/2020/NahomTesfaye/flickr.com; CC BY-NC-ND 2.0
Mekedes Tesfaye, 32, eine kommunale Gesundheitsberaterin, mit 8 Jahren Erfahrung, schärft derzeit in verschiedenen Teilen von Addis Abeba das Bewusstsein für das Thema COVID-19. Foto: UNICEFEthiopi/2020/NahomTesfaye/flickr.com; CC BY-NC-ND 2.0


Bringt COVID-19 einen Wandel?

Infolge der COVID-19 Pandemie kam es zu monatelangen Unterbrechungen in der Inanspruchnahme von grundlegenden Gesundheitsdiensten, vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMIC). Und wie schon bei der Ebola-Epidemie 2014 in Westafrika, erkannte man das Fehlen einer gemeindenahen Gesundheitsversorgung mit professionellen CHWs als Knackpunkt des Problems.

Jedoch nicht überall kam es zum Erliegen der Dienste, wie aktuelle Forschungsarbeiten aus vier afrikanischen Ländern südlich der Sahara belegen. Die Forschungen, die sich auf Kenia, Uganda, Malawi und Mali konzentrierten, ergaben, dass professionelle CHWs, die gemäss den WHO-Leitlinien unterstützt - d.h. bezahlt, kontinuierlich geschult, auch zu COVID-19 und mit angemessener Schutzausrüstung ausgestattet wurden - sicherstellen konnten, dass die Gemeinden auch während der Pandemie Zugang zu lebensrettender medizinischer Grundversorgung hatten (Ballard, M. et al., 2022).

Diese Ergebnisse widersprechen dem vorherrschenden Diskurs, dass kritische Unterbrechungen während der Pandemie besonders in schwachen Gesundheitssystemen als unvermeidlich angesehen werden und zeigen, dass eine primäre Gesundheitsversorgung, für eine Pandemiebekämpfung von entscheidender Bedeutung ist.
Fatima Hussen ist kommunale Gesundheitsberaterin im Gesundheitszentrum von Elala im Bezirk Fentale, Äthiopien. Foto: @ UNICEEthiopia/2020/EphremTamiru;flickr.com; CC BY-NC-ND 2.0
Fatima Hussen ist kommunale Gesundheitsberaterin im Gesundheitszentrum von Elala im Bezirk Fentale, Äthiopien. Foto: @ UNICEEthiopia/2020/EphremTamiru;flickr.com; CC BY-NC-ND 2.0


Praktiken, die eine Professionalisierung verhindern

Die COVID-19 Pandemie hat nicht nur die Fragilität der Gesundheitssysteme offengelegt, sondern auch die Toleranz für systembedingte Ungleichheiten verringert. Jahrzehntelang haben geberfinanzierte Programme signalisiert, dass die Gesundheitsversorgung auf dem Rücken der überwiegend weiblichen unbezahlten Arbeitskräfte eine akzeptable Option ist. Kritische Stimmen fordern internationale Gesundheitsorganisationen und NGOs sowie auch private Geldgeber dazu auf, zu überprüfen, inwieweit ihre Programme die wirtschaftliche Ausbeutung von Frauen im Gesundheitswesen aufrechterhalten und die Professionalisierung der CHWs verhindern (WGH, 2022; Ballard, M. et al., 2022).

Verlangt wird auch ein Ende von Praktiken, die mehr Schaden anrichten, als von Nutzen sind: «Funding single disease areas (…) independently from the larger health system leads to inefficiency in limited resources. Example: In one country, a CHW who has not received payment for months has received 5 smartphones to track disease-specific indicators. Not only is the value of the smartphones higher than the CHW's stipend payment, but the smart apps do not capture all duties, so the CHW has to carry both hard copy tools and the phones.” (Ballard, M. et al., 2022)

Jahrzehntelang haben geberfinanzierte Programme signalisiert, dass die Gesundheitsversorgung auf dem Rücken der überwiegend weiblichen unbezahlten Arbeitskräfte eine akzeptable Option ist.

Ben Margetts, Geschäftsführer von On Call Africa und einer der Autoren, dieser Online Ausgabe des MMS Bulletins bewertet die Situation, die seine Organisation in Sambia vorgefunden hat, ähnlich kritisch: «(…) the existing CHW programmes operated in silos, with some offering as little as two weeks training on a specific disease. What we found is that some communities might have a TB and HIV CHW, a malaria CHW and a safe motherhood CHW for example, but those CHWs were not equipped to identify (…) community members who presented with other concerns. This meant that multiple CHWs may be needed to visit just one household, and urgent health needs may be missed” (Beitrag Margetts).

Obwohl in ihren Projekten am evidenzbasierten Ansatz orientiert, musste auch On Call Africa feststellen, dass sie mit ihren Trainingsprogrammen zur weiteren Fragmentierung im System beitragen. Aufgrund dieser Erkenntnis änderten sie ihre Arbeitsweise: «(…) we have shifted our focus from service delivery to health system strengthening, and as a result we now engage more with the Ministry of Health at all levels of the health system” (Beitrag Margetts ).

Ketcia Orilius, 37, kommunale Gesundheitshelferin in Robin, Haiti, wandert durch die Berge, macht Hausbesuche und besucht Patient:innen. Foto: David Rochkind, USAIDU/flickr.com; CC BY-NC 2.0<br>
Ketcia Orilius, 37, kommunale Gesundheitshelferin in Robin, Haiti, wandert durch die Berge, macht Hausbesuche und besucht Patient:innen. Foto: David Rochkind, USAIDU/flickr.com; CC BY-NC 2.0


Professionalisierung gemäss den WHO Richtlinien

Um der vorherrschenden Ineffizienz in den Programmen entgegenzuwirken, empfiehlt die WHO in ihrem evidenzbasierten Leitfaden, die Integration von CHW-Programmen in die nationalen Gesundheitssysteme (WHO, 2018). Externen Partner:innen und Geldgeber:innen wird nahegelegt, ihre CHW-Programme mit den Regierungen abzustimmen und einen gesundheitssystembezogenen Ansatz zu verfolgen.

Dazu gehört auch die Notwendigkeit, die Rolle der CHWs im Verhältnis zu den anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen zu definieren und für das gesamte Gesundheitspersonal und nicht nur für bestimmte Berufsgruppen zu planen (WHO, 2018).

Zu den grössten Herausforderungen gehört eine nachhaltige Finanzierung. Der WHO Bericht ruft dazu auf, Investitionen in die Beendigung der unbezahlten Arbeit in der Gesundheitsversorgung vorzunehmen und CHWs fair und gerecht zu entlohnen: «The WHO guideline recommends that practicing CHWs receive a financial package that reflects the job demands and its complexity, the number of hours, training and the roles that they are asked to undertake» (Beitrag van Roy). Bis heute sind diese Empfehlungen der WHO weltweit kaum umgesetzt. So sind Schätzungen zufolge auf dem afrikanischen Kontinent mehr als 4 von 5 CHWs unbezahlt (Ballard, M. et al., 2022). Umso mehr gewinnen innovative Finanzierungsansätze wie das Pilotprojekt von SolidarMed in Lesotho an Bedeutung (Beitrag van Roy).

Traditionell ist die staatliche Unterstützung der Gesundheitssysteme in den LMIC unterfinanziert und staatliche Mittel fliessen vorrangig in Krankenhäuser als Vorzeigeobjekte (sog. «Krankenhauszentrismus»). Die Finanzierung der Basisgesundheitsversorgung bleibt auf der Strecke. Diese wird externen Geldgeber:innen überlassen, die beispielsweise in Afrika bis zu 60% der CHW-Programme finanzieren, die dann als vertikale, krankheitsspezifische Programme implementiert, nicht den lokalen Bedürfnissen entsprechen (Colvin, C.J., et al., 2021). Die «Community Working Group on Health» (CWGH) aus Zimbabwe kritisiert: «There is urgent need to invest in community health workers, increasing domestic health financing and move away from the current heavy reliance on external donors as it is not sustainable and poses a security threat in the event that donors decide to pull out for whatever reason.” (Beitrag Rusike).

CHWs wollen nicht endlose Anerkennung, sondern einen Vertrag, der ihr Einkommen und ihre Rechte regelt.

#CHWCounts - #CountCHWs

Ist die Zeit reif für die Abschaffung eines ungerechten Systems? Benötigen wir einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitsversorgung, um den prognostizierten Mangel von 15 Millionen professionellem Pflegepersonal bis 2030 auffangen zu können? (WHO, 2022; Devex, 2022)

Unbestritten ist, dass es Anzeichen für einen Wandel gibt: So arbeitet das «African Center for Disease Control and Prevention (African CDC)» an einer Community Health Strategie für 2022-2026 (Abdulaziz. et al., 2022) und in mehreren afrikanischen Ländern wurden Gesetze verabschiedet, die den Status der CHWs verbessern sollen (Beitrag Margetts), (Beitrag Verling, Ombeli, Soita).

Kampagnen wie #CountCHWs oder «Africa Frontline First» sowie die «Community Health Impact Coalition», ein weltweites Netzwerk von Organisationen und Expert:innen, fordern von der globalen Gemeinschaft, ihre Untätigkeit zu beenden: CHWs wollen nicht endlose Anerkennung, sondern einen Vertrag, der ihr Einkommen und ihre Rechte regelt. Neben der WHO unterstützen mittlerweile auch weitere internationale Organisationen, wie UNAIDS, USAID oder der Globale Fonds (GF) den Ausbau von CHW-Programmen. Dies ist auch in der neuen Strategie des GF verankert: CHWs gelten darin als der Schlüssel, um Pandemien abzuwenden. Sie sind nicht länger ein «nice to have», sie sind ein «must have». COVID-19 hat eine wichtige Lektion offenbart: Investitionen in widerstandsfähige Gesundheitssysteme sind nicht verhandelbar!


Referenzen

Martina Staenke