By Martin Leschhorn Strebel
Falsch- und Desinformationen während der Covid-19-Pandemie haben gezeigt, welche Bedeutung einer adäquaten Informationspolitik seitens der Behörden zukommt. Die öffentliche Debatte zeigt, wie heikel diese sein kann – auch wenn sie aus einer Public Health-Perspektive unerlässlich ist.
Während der Covid-19-Pandemie haben verschiedene Fehlformationen die Runde gemacht. Die Schweizer Behörden gingen etwa zu Beginn davon aus, dass Covid eine Schmierinfektion sei und Masken deshalb herzlich wenig nützen würden. Diese Fehlinformation war nicht von böser Absicht gesteuert, sondern von einem Mangel an Wissen, ohne dass dieser Mangel transparent gemacht worden wäre.
Zahlreicher als diese Art der behördlichen Fehlinformationen waren demgegenüber, vor allem über soziale Netzwerke sich verbreitende Informationen über die Herkunft des Virus (Migrant:innen in Italien zum Beispiel) oder über mögliche Medikamente und weitere Gegenmassnahmen, die helfen würden. Auf Wikipedia findet sich eine gute Übersicht über die unterschiedlichsten Falschinformationen.
Falschinformationen beruhten auf Unwissenheit, auf weltanschaulich begründeten Versuchen, das Unfassbare einzuordnen, bis zu gezielt gestreuten Verschwörungstheorien von Regierungsseite, um vom eigenen Versagen abzulenken, wobei man bei Letzterem von Desinformation spricht (vgl. China Spins Tale That the U.S. Army Started the Coronavirus Epidemic, New York Times, 13.3.2020).
Falschinformationen beruhten auf Unwissenheit, auf weltanschaulich begründeten Versuchen, das Unfassbare einzuordnen, bis zu gezielt gestreuten Verschwörungstheorien von Regierungsseite, um vom eigenen Versagen abzulenken, wobei man bei Letzterem von Desinformation spricht.
Gewiss, über gewisse Falschinformationen muss man im Rückblick ein wenig lachen – etwa als Präsident Donald Trump vorgeschlagen hat, Desinfektionsmittel zu trinken. Insgesamt sind aber die Falsch- und Desinformationen im Kontext einer Gesundheitskrise problematisch. Für eine wirksame Bekämpfung eines Krankheitsausbruches braucht es eine Kommunikation, auf die sich die Bevölkerung verlassen und nach der sie sich richten kann.
Krisensituationen, wie sie eine Epidemie darstellt, bringen für die verschiedensten gesellschaftlichen Akteur:innen Unsicherheiten mit sich, was in der Verbreitung von Gerüchten ihren Ausdruck findet. Diese können selbst eine eigene Wirkung entfachen, welche zur Verschärfung der Krise und einer weiteren gesellschaftlichen Destabilisierung beitragen.
Die negative Funktionsweise von Gerüchten verschärft sich allerdings durch die sozialen Medien. Diese verbreiten Gerüchte und Falschmeldungen schneller und unkontrollierter. Und Fehlinformationen verstärken sich durch die Logik, der den sozialen Medien zugrunde liegenden Algorithmen weiter, indem sie in der Regel vereinfachende Informationen und extreme Positionen breiter auf den Plattformen verteilen. Dies ist am ausgeprägtsten bei Tiktok der Fall (Rössler, W. et al., 2024).
In einer offenen Gesellschaft mag man in normalen Zeiten mit der Wahrheit verzerrenden Informationen leben. In einer Gesundheitskrise kann dies aber fatale Folgen haben. Insbesondere dann, wenn es die Stigmatisierung und Diskriminierung von spezifischen Schlüsselgruppen in einer Gesellschaft vorantreibt. Wenn sich spezifische gesellschaftliche Gruppen nicht mehr testen lassen oder den Gang zu einer Gesundheitseinrichtung aufgrund der Stigmatisierung und Diskriminierung scheuen, wird der Kampf gegen einen Krankheitsausbruch erschwert bis verunmöglicht. Die Konsequenzen können eine weitere, unkontrollierte Verbreitung von Pathogenen sein.
Und Fehlinformationen verstärken sich durch die Logik, der den sozialen Medien zugrunde liegenden Algorithmen weiter, indem sie in der Regel vereinfachende Informationen und extreme Positionen breiter auf den Plattformen verteilen. Dies ist am ausgeprägtsten bei Tiktok der Fall.
Vor diesem Hintergrund macht es durchaus Sinn, dass in den Verhandlungen innerhalb der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Pandemievertrag, die Mitgliedstaaten dem Umgang mit vertrauensvoller Information besondere Bedeutung zumessen. In einem der einleitenden Artikel, anerkennen die Vertragsparteien, „die Wichtigkeit, Vertrauen aufzubauen und das zeitgerechte Teilen von Informationen untereinander sicherzustellen, um Fehlinformationen, Desinformationen und Stigmatisierung zuvorzukommen. (13: „Recognizing the importance of building trust and ensuring the timely sharing of information to prevent misinformation, disinformation and stigmatization“). Interessant ist, wie eine inhärente Logik zwischen fehlendem Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten, der Fehl- und Desinformation mit einer drohenden Stigmatisierung beschrieben wird. Korrekte und adäquate Informationen werden als wichtig angesehen, um in einer Gesundheitskrise gefährliche Ausgrenzungen von spezifischen Bevölkerungsgruppen zu verhindern.
Korrekte Informationen beruhen auf gesichertem Wissen, das aus glaubwürdigen Instutitionen wie der Wissenschaft entstammen. Auch darüber sollen sich die Vertragsstaaten verständigen. So hält der Art. 18 zu Kommunikation und Sensibilisierung der Bevölkerung fest: "Each Party shall, as appropriate, take measures to strengthen science, public health and pandemic literacy in the population, as well as access to transparent, timely, accurate, science- and evidence-based information on pandemics and their causes, impacts and drivers, as well as on the efficacy and safety of pandemic related health products, particularly through risk communication and effective community-level engagement.“ (WHO 2024, Art. 18.1.)
Über die widergegebenen Artikel des Pandemievertrages, welche die Informationspolitik in einer Gesundheitskrise betreffen, herrscht unter den verhandelnden Staaten Einigkeit. Sie gehören nicht zu den Artikeln, welche nach der Weltgesundheitsversammlung nachverhandelt werden müssen.
Vor diesem Hintergrund macht es durchaus Sinn, dass in den Verhandlungen innerhalb der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Pandemievertrag, die Mitgliedstaaten dem Umgang mit vertrauensvoller Information besondere Bedeutung zumessen.
Das heisst nicht, dass Artikel rund um die Informationspolitik nicht von WHO-skeptischen Kreisen angegriffen werden. Der Aufruf nach einer behördlich transparent gesteuerten Kommunikation wird als Propaganda ausgelegt. Dies geschieht nicht nur seitens von radikalisierten WHO-Gegner:innen, die Verschwörungstheorien replizieren, sondern wird weit breiter rezipiert.
In einer im Dezember 2023 erschienen Auslegeordnung zum Pandemievertrag, die zwischen wissenschaftlich gut begründeter Argumentation und diffusen ideologischen Unterstellungen schwankt, wird der WHO in den geplanten Regelungen zur Informationspolitik vorgeworfen, Behördenpropaganda durchsetzen zu wollen: „Derartige Vorschriften sind abzulehnen. Sie zeugen von einem obrigkeitlichen Staatsverständnis und wären ein Einfallstor für Zensur und Behördenpropaganda. Zudem sollte man nicht vergessen, dass während der Corona-Krise auch die Behörden Falschinformationen verbreitet haben.“ (Lahrtz, S. et al. 2023)
Die Ängste sind eigentlich unbegründet. Die entsprechenden Artikel im Entwurf des Pandemievertrages machen deutlich, dass sie nur empfehlenden Charakter haben – mehr kann die WHO neben der technischen Expertise, die sie zur Verfügung stellt, gar nicht leisten. Die Ängste stehen aber auch dafür, dass seitens der Behörden in der Tat während der Covid-19 Pandemie die Informationen nicht immer korrekt gewesen sind. Eine gewisse Skepsis vor behördlichen Manipulationsvorwürfen ist wohl durchaus gesund, dazu sind gerade auch traditionelle Medien berufen.
In der Schweiz mag noch dazu kommen, dass die im Zuge der sogenannten Corona-Leaks bekannt gewordenen Absprachen zwischen dem Generalsekretariat des für die Bewältigung der Pandemie zuständigen Bundesrates Alain Berset und dem Ringier-Verlag als Herausgeber der Boulevardzeitung Blick für eine erhöhte Sensibilität bezüglich behördlicher Manipulation gesorgt haben.
In der Schweiz mag noch dazu kommen, dass die im Zuge der sogenannten Corona-Leaks bekannt gewordenen Absprachen zwischen dem Generalsekretariat des für die Bewältigung der Pandemie zuständigen Bundesrates Alain Berset und dem Ringier-Verlag als Herausgeber der Boulevardzeitung Blick für eine erhöhte Sensibilität bezüglich behördlicher Manipulation gesorgt haben. Ihre Absprachen führten dazu, dass der Blick verschiedene Corona-Massnahmen publik gemacht hatte, bevor der Bundesrat überhaupt entschieden hatte.
In der Tat ist das ein skandalträchtiger Vorgang. Dass Anträge einzelner Bundesrät:innen an das Gesamtgremium vor dem Entscheid des Gesamtbundesrates an die Medien durchsickern, kommt zwar immer wieder vor, auch wenn sie rechtlich unzulässig sind. Dies jedoch während der grössten Gesundheitskrise seit der Spanischen Grippe? Die Geschichte ist in den Medien als eine gezeichnet worden, in der ein sehr machtbewusster Bundesrat mit seinem Stab Bundesratsentscheide beeinflussen wollte, indem in den Medien bewusst eine öffentliche Erwartungshaltung geschaffen wurde, hinter die der Gesamtbundesrat nicht zurücktreten konnte. Mit diesem Vorgang wollte – so die Erzählung – das zuständige Generalsekretariat des Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI) für ihren Bundesrat auch medialen Goodwill erlangen.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit müsste eine Bevölkerung stehen, die eigenverantwortlich mit der Bewertung von Informationen umgehen kann. Eine Bevölkerung, die dazu über die notwendige Medienkompetenz verfügt, und die weiss, wie wissenschaftliche Evidenz entsteht. Letztlich braucht es grundlegende staatsbürgerliche Kompetenzen – auch ausserhalb von Krisensituationen. Dazu gibt es nur einen Hebel: Eine gute Bildungspolitik.
Viele Elemente dieser Erzählung sind sicherlich richtig. Vielleicht liesse sich die Geschichte aber vor der weiter oben beschriebenen Bedeutung der Informationspolitik in einer Gesundheitskrise auch anders lesen. Zur Bewältigung der Gesundheitskrise war es für die zuständigen Bundesbehörden unerlässlich, die Informationspolitik so zu steuern, dass die Bevölkerung Verständnis für die in einer offenen Gesellschaft eigentlich unerhörte Massnahmen aufbringt. Natürlich bleibt der Versuch der Informationssteuerung seitens der Behörden in einer Demokratie immer heikel, doch sollten solche Überlegungen bei der Bewertung der Corona-Leaks nicht ausgeschlossen bleiben. Dies umso mehr, als dass wir heute wissen, dass in der Schweizer Regierung zu dieser Zeit mit Bundesrat Ueli Maurer jemand im Entscheidungsgremium sass, der sich nach seinem Austritt aus der Landesregierung als Massnahmenskeptiker geoutet hat. Es ist richtig, dass die Corona-Leaks sorgfältig untersucht werden – auch deshalb, um die richtigen Lehren für eine nächste Krise zu ziehen.
Die Informationspolitik in einer Gesundheitskrise bleibt, insbesondere in demokratischen Gesellschaften wichtig und heikel zugleich. Im Zentrum der Aufmerksamkeit müsste eine Bevölkerung stehen, die eigenverantwortlich mit der Bewertung von Informationen umgehen kann. Eine Bevölkerung, die dazu über die notwendige Medienkompetenz verfügt, und die weiss, wie wissenschaftliche Evidenz entsteht. Letztlich braucht es grundlegende staatsbürgerliche Kompetenzen – auch ausserhalb von Krisensituationen. Dazu gibt es nur einen Hebel: Eine gute Bildungspolitik.