Stärkung der Inklusion und Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Zambezi Region durch Hör- und Sehscreenings

Unbehandelter Hör- und Sehverlust verhindert Bildungschancen

By Regula Käser

Namibia ist als Land mittleren Einkommens klassifiziert, weist aber gleichzeitig grosse sozio-ökonomische Ungleichheiten auf. Diese sind vor allem in ländlichen Regionen wie der Zambezi Region im äussersten Nordosten Namibias sicht- und spürbar. Die Bevölkerung ist von einer hohen Arbeitslosigkeitsrate betroffen und vorwiegend von der Subsistenz-Landwirtschaft abhängig. UNICEF hält fest, dass die ungleichmässige Verteilung von Reichtum und Einkommen die Ungleichheit in der Bildung widerspiegelt, wobei die ärmsten Kinder am meisten benachteiligt werden (Ninnes, 2011). Comundo, als Akteurin in der Personellen Entwicklungszusammenarbeit (PEZA), setzt dort an und unterstützt mit Fachpersonen die regionale Bildungsdirektion in Zambezi. Ein Schwerpunkt der Arbeit der Fachpersonen bildet die Inklusion von benachteiligten Kindern und Jugendlichen. Das 2019 initiierte Screening-Projekt für Schüler und Schülerinnen mit Einschränkung des Seh- und Hörvermögens in der Zambezi Region ist ein Beispiel dafür, wie die PEZA als Brückenbauerin die Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Bildungssystem stärken kann.

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Unbehandelter Hör- und Sehverlust verhindert Bildungschancen
Belinda setzt erstmals ihre Hörgeräte ein. Foto: © Regula Käser

Belinda’s Schulschwierigkeiten

Die mittlerweile 20-jährige Belinda Sangwali hat erfahren, was eine Einschränkung des Hörvermögens in der Schule bedeutet: «Ich hörte nicht mehr, was die Lehrpersonen sagten. Unsere Lehrkräfte sprechen während der Lektionen immer viel, weil Schulbücher fehlen und ich verstand beispielsweise ihre Erklärungen oder ihre Aufträge nicht. Ich musste immer wieder bei meinen Klassenkameraden abschauen oder nachfragen. Insgesamt waren meine Leistungen nicht gut. Die 8. sowie die 12. Klasse musste ich dann auch wiederholen. Es war immer sehr anstrengend und ich musste gut aufpassen, dass ich den Anschluss nicht verlor.» Bei Belinda diagnostizierte die Audiologin schliesslich auf dem rechten Ohr ein mittelschwerer, auf dem linken ein schwerer Hörverlust.

Die Mutter von Mukande setzt ihm die beiden Hörgeräte ein. Foto: © Regula Käser<br>
Die Mutter von Mukande setzt ihm die beiden Hörgeräte ein. Foto: © Regula Käser

Ähnliche Erfahrungen wie Belinda machen auch andere Schülerinnen und Schüler. Vorsichtigen Schätzungen zufolge besuchen in der Zambezi Region rund 500 Lernende mit einer Höreinschränkung den Unterricht (Ministry of Education, Arts and Culture Namibia, 2020). Nebst dem vererbten Hörverlust gehören in Namibia chronische Mittelohrentzündungen, Meningitis, Malaria oder Tuberkulose zu den Hauptursachen von Hörbehinderungen oder Einschränkungen des Hörvermögens (Bruwer & February, 2019). Wie Hör- wirken sich auch Seheinschränkungen nachhaltig auf die gesamte Entwicklung eines Kindes, auf sein Leistungsvermögen und seine Lebensqualität aus. Rund 19 Millionen Kinder unter 15 Jahren haben weltweit eine moderate bis schwere Sehstörung (Pascolini et al., 2012). Davon sind bis zu 58% der Seheinschränkungen behandelbar (Kong et al., 2012). In der Zambezi Region allein sind etwa 600 Schülerinnen und Schüler betroffen (Ministry of Education, Arts and Culture Namibia, 2020).

«Ich hörte nicht mehr, was die Lehrpersonen sagten. Unsere Lehrkräfte sprechen während der Lektionen immer viel, weil Schulbücher fehlen und ich verstand beispielsweise ihre Erklärungen oder ihre Aufträge nicht. Ich musste immer wieder bei meinen Klassenkameraden abschauen oder nachfragen.

Die regionalen Krankenhäuser und die Kliniken in grösseren Dörfern sind häufig mit Medikamenten sowie Hilfsmitteln unterversorgt, ebenso fehlt gut geschultes Personal in der Diagnostik (Leslie et al., 2017). Zudem verunmöglichen fehlende Transportmöglichkeiten oder zu hohe -kosten oftmals das Aufsuchen einer Klink oder eines Krankenhauses. Als Konsequenz können Kinder und Jugendliche ihr schulisches Potential nicht ausschöpfen, sind in ihrem Lernen eingeschränkt und verlassen die Schule vor Ablauf der regulären Schulzeit. Eine Berufsausbildung und Zukunftsperspektiven rücken in weite Ferne.

"Nebst dem vererbten Hörverlust gehören in Namibia chronische Mittelohrentzündungen, Meningitis, Malaria oder Tuberkulose zu den Hauptursachen von Hörbehinderungen oder Einschränkungen des Hörvermögens."
Die Audiologin erklärt Matengu das Hörgerät. Foto: © Regula Käser<br>
Die Audiologin erklärt Matengu das Hörgerät. Foto: © Regula Käser


Das Screening-Projekt

Die Durchführung von Hörtests gehört in Zambezi zu den geplanten Jahresaktivitäten der Bildungsdirektion. Allerdings konnten die Screenings aufgrund fehlender personeller und finanzieller Mittel in den letzten Jahren nicht mehr ermöglicht werden. Dort setzte das von der Comundo-Fachperson für Inklusion initiierte und in enger Zusammenarbeit mit der Bildungsdirektion entwickelte Seh- und Hör-Screening-Projekt an.

Verschiedene Akteure wie die Audiologin im Headoffice des Bildungsministeriums, die regionale Gesundheitsdirektion, die in Windhoek angesiedelte NGO CLaSH (Association for Children with Language, Speech and Hearing Impairments), Optiker sowie der Namibische Optikerverband (Namibian Optometric Association) wurden schliesslich für das Projekt kontaktiert.

Um die Ressourcen der Spezialisten zu schonen, wurde das Screening in mehreren Schritten geplant und durchgeführt. Als erstes besuchte die Fachperson gemeinsam mit den Schulkrankenschwestern der Gesundheitsdirektion Zambezi die Schulen, die sich auf eine Anfrage gemeldet hatten. Mit einer Sehprobentafel und einem Audiometer, der von CLasH zur Verfügung gestellt wurde, wurden die Schülerinnen und Schüler getestet. So konnten mittlerweile an 34 Schulen über 800 Schülerinnen und Schüler einfache Hör- und Sehscreenings durchlaufen. Rund 250 Kinder und Jugendliche wurden schliesslich identifiziert und für nachfolgende Untersuchungen der Audiologin oder dem Optiker überwiesen.

"So konnten mittlerweile an 34 Schulen über 800 Schülerinnen und Schüler einfache Hör- und Sehscreenings durchlaufen."

Das Hörscreening

Für das weitere Hörscreening lud die Bildungsdirektion die Audiologin in die Regionshauptstadt Katima Mulilo ein, wo sie mit der Fachperson in den jeweiligen Schulkreisbüros rund 80 Schülerinnen und Schüler testete, und diagnostizierte. Für Lernende mit einem permanenten Hörverlust wurden zudem Abdrücke für die Ohrpassstücke der Hörgeräte angefertigt. In einem zweiten Besuch ein paar Monate später, brachte die Audiologin schliesslich, die von CLaSH gespendeten Hörgeräte mit, die den Kindern und Jugendlichen angepasst wurden.

Sehscreening an der Impalila Combined School. Foto: © Regula Käser<br>
Sehscreening an der Impalila Combined School. Foto: © Regula Käser


Das Sehscreening

Gemeinsam mit den Schulen organisierte die Fachperson zudem den Besuch bei Windhoek Optics, ein in Windhoek angesiedeltes Optikergeschäft, das alle zwei bis drei Monate für ein paar Tage mit einem mobilen Geschäft nach Katima Mulilo fährt. Laufend wird pro Besuch eine Gruppe von Lernenden fundierter untersucht. Die bisherigen Screenings zeigen, dass rund 85% der umfassend getesteten Kinder und Jugendlichen eine Sehhilfe benötigen, welche das Optikergeschäft gemeinsam mit dem Namibischen Optikerverband finanziert. Die fertig angepassten Brillen schickt der Optiker in die Region, wo die Fachperson, die Schülerinnen und Schüler anschliessend in den Schulen besucht und ihnen die Brillen übergibt. Einige Lernende werden aufgrund von Hornhautentzündungen, kongenitalen Glaukomen oder im Laufe der ersten Lebensjahre entwickelten Katarakte für weiterführende Untersuchungen ans Krankenhaus überwiesen.

Die Fachperson stellt bei anschliessenden Schulbesuchen die Nachbetreuung sowie die Versorgung mit Batterien für die Hörgeräte sicher. Sie sensibilisiert zudem die Lehrpersonen und zeigt auf, wie die Lernenden im Unterricht unterstützt werden können.

Schülerinnen und Schüler der Sanjo Secondary School mit ihren neuen Brillen. Foto: © Regula Käser
Schülerinnen und Schüler der Sanjo Secondary School mit ihren neuen Brillen. Foto: © Regula Käser


Zukunftsperspektiven für Belinda

Für Belinda stellen die Hörgeräte eine grosse Erleichterung dar. Sie hat mittlerweile die 12. Klasse bestanden und konnte sich an der Universität einschreiben. Sie ist ihrem Traum, Radiojournalistin zu werden, somit ein Stück nähergekommen. Ebenso sind neue Pre-Screenings und anschliessende Screenings beim Optiker sowie mit der Audiologin in weiteren, bisher nicht berücksichtigten Schulen geplant.

Die Fachpersonen der PEZA können folglich im direkten Umfeld ihres Einsatzes wirken. Sie setzen als Aussenstehende neue Impulse in vorhandenen Strukturen, bringen andere Aktionen und Strategien in die Partnerorganisationen ein und bündeln verfügbare Ressourcen, beispielsweise wie in der Zambezi Region zum Wohl von Kindern und Jugendlichen. Als Brückenbauerin kann die PEZA zudem neue Partner gewinnen. Die multi-laterale Zusammenarbeit mit privatem Sektor, NGOs und den Gesundheits- sowie Bildungsministerien im Rahmen des Projekts hat die schulischen, psychologischen und sozio-ökonomischen Erfahrungen der Lernenden mit Seh- und Höreinschränkungen längerfristig verbessert. Sie können uneingeschränkter an Bildung partizipieren, ihr Potential besser ausschöpfen und sich somit Zukunftschancen erschaffen.

"Für Belinda stellen die Hörgeräte eine grosse Erleichterung dar. Sie hat mittlerweile die 12. Klasse bestanden und konnte sich an der Universität einschreiben. Sie ist ihrem Traum, Radiojournalistin zu werden, somit ein Stück nähergekommen."
Referenzen
  • Bruwer, B.J. & February, P.J. (2019). The evolution of deaf education in Namibia. In Deaf Education Beyond the Western World: Context, challenges, and prospects. London: Oxford University Press. https://www.researchgate.net/publication/331931188...
  • Kong, L., Fry, M., Al-Samarraie, M., Gilbert, C. & Steinkuller, P.G. (2012). An update on progress and the changing epidemiology of causes of childhood blindness worldwide. In AAPOS. 2012 December: 16(6): 501-7. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23237744/
  • Leslie, H.H., Spiegelman, D., Zhou, X. & Kruk, M.E. (2017). Service readiness of health facilities in Bangladesh, Haiti, Kenya, Malawi, Namibia, Nepal, Rwanda, Senegal, Uganda and the United Republic of Tanzania. In Bull World Health Organ. 2017 Nov 1; 95(11): 738–748. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/2...
  • Ministry of Education, Arts and Culture, Government of the Republic of Namibia (2020): Education Statistics. EMIS 2019.
  • Ninnes, Peter (2011). Improving quality and equity in education in Namibia: A trend and gap analysis. UNICEF. https://searchworks.stanford.edu/view/9960312
  • Pascolini D. & Mariotti, S.P. (2012). Global estimates of visual impairment: 2010. In British Journal of Ophthalmology. 2012 May: 96(5): 614-8. https://bjo.bmj.com/content/96/5/614.full
 Regula Käser
Regula Käser: Comundo-Fachperson in der Zambezi Region, Namibia. Als Sekundarlehrerin und Heilpädagogin fördert Regula Käser den Zugang zu inklusiver Bildung für alle Lernenden. Besondere Aufmerksamkeit erhalten dabei lernschwache Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien. Email