Drei Forderungen als Grundstein für eine inklusive Gesundheitsdaten-Governance

Die Schweiz sollte als führende Kraft einen neuen Gesellschaftsvertrag im Umgang mit Gesundheitsdaten mitgestalten

By Isabel Knobel and Moritz Fegert

In einer neuen Studie zeigen der Think Tank foraus und Sensor Advice auf, wie die Schweiz international zur Vorreiterin im Umgang mit Gesundheitsdaten werden kann. Voraussetzung dafür ist die Inklusion von BürgerInnen in die Gesundheitsdaten-Governance: durch die Förderung von Gesundheitsdatenkompetenz, den Aufbau von bürgerzentrierten Datenplattformen sowie die gezielte Regulierung von persönlichen Datenrechten auf nationaler und internationaler Ebene.

Reading time 6 min
Die Schweiz sollte als führende Kraft einen neuen Gesellschaftsvertrag im Umgang mit Gesundheitsdaten mitgestalten
Policy Kitchen Workshop in Bern, August 2020. Foto: © Niculin Detreköy

Gesundheitsdaten haben das Potenzial, unsere Gesundheitssysteme zum Besseren zu verändern und effizienter zu machen. Die Analyse und Nutzung von Gesundheitsdaten durch digitale Technologien bringen neue Erkenntnisse hervor: ÄrztInnen stellen schon heute auf der Basis von Daten genauere Diagnosen und erkennen Krankheiten früher. Die Forschung entwickelt immer wirksamere Medikamente und personalisierte Therapien. Der Staat kann eine Pandemie wie Covid-19 durch Contact Tracing gezielt eindämmen, wenn genügend Informationen über den Verlauf und die Ausbreitung der Infektionen verfügbar sind. Richtig eingesetzt sind die Chancen von Gesundheitsdaten und neuen digitalen Technologien für die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit enorm. Das Ziel der UNO-Agenda, bis 2030 mehr als einer Milliarde Menschen weltweit Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu ermöglichen, rückt in greifbare Nähe.

Doch Gesundheitsdaten sind sensibel und können missbraucht werden. Wer mehr und bessere Daten besitzt, hat mehr Wissen und mehr Macht. Es besteht die Gefahr, dass privilegierte Länder und AkteurInnen stärker von der Nutzung von Gesundheitsdaten profitieren und weniger privilegierte diskriminiert und benachteiligt werden. Um bestehende Ungleichheiten nicht weiter zu vergrössern, sondern nachhaltig zu verkleinern, ist ein geregelter Umgang mit Gesundheitsdaten unabdingbar.


Empfehlungen für eine bessere Gesundheitsdaten-Governance

Vor diesem Hintergrund haben foraus und Sensor Advice letztes Jahr die partizipative Studie «Health Data Governance: What’s in it for Switzerland?» durchgeführt.* Diese baut auf Resultaten verschiedener Diskussionsformate mit 140 Stakeholdern sowie interessierten BürgerInnen auf. Die Teilnehmenden sprachen über Gesundheitsdaten-Governance - also die Natur, Reglementierung und Überwachung des Umgangs mit Gesundheitsdaten und digitalen Technologien.

Die Resultate der Studie zeigen, dass es auf verschiedenen Ebenen vielschichtige Herausforderungen gibt: politisch, gesellschaftlich, ethisch-rechtlich, finanziell und technisch. Tatsächlich ist die Schweiz von einer internationalen Vorreiterrolle aktuell weit entfernt. Zwar hat sich der Bund mit der Gesundheitsaussenpolitik 2019-2023 zum Engagement für eine nachhaltigere und effizientere globale Gesundheitsversorgung durch Digitalisierung bekannt (BAG, 2019). Doch in den Augen vieler Studienteilnehmenden fehlt der Schweiz eine klare innen- und aussenpolitische Strategie für den Umgang mit Gesundheitsdaten. Insbesondere der Einbezug von BürgerInnen wird als ungenügend gesehen. Dabei ist gerade die Inklusion der Zivilgesellschaft Voraussetzung für einen nachhaltigen, effizienten und breit abgestützten digitalen Wandel im Gesundheitswesen. So forderte eine Teilnehmerin passend «einen neuen Gesellschaftsvertrag für den Umgang mit Gesundheitsdaten».

Photo by Markus Spiske on Unsplash<br>
Photo by Markus Spiske on Unsplash


Die folgenden drei Forderungen aus der Studie legen den Grundstein für eine inklusive Gesundheitsdaten-Governance:

Gesundheitsdatenkompetenz stärken

Um sicherzustellen, dass die digitale Transformation des Gesundheitswesens gemeinsam mit BürgerInnen geschieht, ist eine angemessene Schulung der Bevölkerung zur Nutzung von Gesundheitsdaten über digitalem Wege eine Grundvoraussetzung. Gesundheitsdatenkompetenz oder «Health Data Literacy», also die Fähigkeit, Gesundheitsdaten zu verstehen, zu sammeln, zu verwalten und zu nutzen, sollte durch Bildungsprogramme und Informationskampagnen von Bund und Kantonen gefördert werden. Eine entsprechende parlamentarische Forderung wurde im September 2020 an den Bundesrat gerichtet (Rieder, 2020). Die Nutzung von digitalen Technologien muss transparent und verständlich erklärt und der Mehrwert von Gesundheitsdaten für die Verbesserung der persönlichen und der öffentlichen Gesundheit klarer aufgezeigt werden. Den Handlungsbedarf auf verschiedenen Ebenen diesbezüglich hat ebenfalls die öffentliche Diskussion rund um die SwissCovid App gezeigt. Hier könnte man sich beispielsweise von erfolgreichen Blutspende-Kampagnen inspirieren lassen. Gleichzeitig braucht es einen regelmässigen, institutionalisierten Dialog mit der Bevölkerung, um Vertrauen im Umgang mit Gesundheitsdaten zu schaffen und sicherzustellen, dass vor allem ältere oder weniger digitalisierungs-affine Gruppen nicht ausgeschlossen werden. Ein Anfang könnte hier eine partizipative Diskussionsplattform, die BürgerInnen den Austausch mit ExpertInnen ermöglicht, machen.

"Gesundheitsdatenkompetenz oder «Health Data Literacy», also die Fähigkeit, Gesundheitsdaten zu verstehen, zu sammeln, zu verwalten und zu nutzen, sollte durch Bildungsprogramme und Informationskampagnen von Bund und Kantonen gefördert werden. Eine entsprechende parlamentarische Forderung wurde im September 2020 an den Bundesrat gerichtet."

Bürgerzentrierte Datenplattformen aufbauen

BürgerInnen spielen beim Management ihrer persönlichen Gesundheit eine zunehmend aktive Rolle. Viele Gesundheitsdaten werden heute im privaten Umfeld generiert, beispielsweise über Gesundheits-Apps oder Wearables. Umso wichtiger ist es, dass Individuen über die Verwendung ihrer Daten selbstbestimmt entscheiden können. Bereits heute gibt es für BürgerInnen die Möglichkeit auf partizipativen Plattformen, ihre Gesundheitsdaten selbst zu verwalten. Zwei, in Kennerkreisen bekannte, Schweizer Initiativen sind die, nach genossenschaftlichem Model organisierten, MIDATA und healthbank Plattformen (MIDATA und healthbank). Besonders die Forschung könnte von proaktiven und selbstbestimmten Datenspenden seitens der Bevölkerung profitieren. Einerseits besteht ein riesiges Potenzial um die Forschung voranzutreiben und auch bürgerbestimtes Forschen zu unterstützen. Studienteilnehmende unterstrichen des Öfteren eine solche citizens science als wichtiges Element für unsere zukünftige Datennutzung. Insbesondere für die Erforschung und Behandlung seltener Krankheiten könnten solche Plattformen grenzüberschreitend wichtig sein.

Andererseits, würde die Forschung durch verstärkte Transparenz und Partizipation von BürgerInnen das Vertrauen gewisser Bevölkerungsschichten wiedergewinnen. Die Covid-19 Krise hat unterstrichen, dass sich gewisse Bevölkerungsteile nicht mehr vom aktuellen Forschungsmodell abgeholt fühlen. In diesem Sinne, bietet die Nutzung und der Austausch von Gesundheitsdaten im digitalen Raum auch eine Chance für Vertrauensbildung.

Aussen vor bleibt die Frage, wie sich die Digitalisierung der Gesundheit auf Menschen auswirkt, die wenig digitalisierungs-affin sind. Für diese sollten analoge Alternativen stets sichergestellt sein. All dies hängt stark von dem Weg ab, den wir in den nächsten Jahren verfolgen werden. Während die oben genannten und weitere Pilotprojekte für einen bürgerzentrierten Datenaustausch auf nationaler Ebene entwickelt und gefördert werden sollten, ist es erstrebenswert, sicherzustellen, dass solche Plattformen auch grenzüberschreitend funktionieren und mit ähnlichen Initiativen kommunizieren. Hier wird potenziell die im Oktober 2020 in Genf lancierte Initiative International Digital Health & AI Research Collaborative (I-DAIR) eine wichtige Rolle spielen. Gesetztes Ziel von I-DAIR ist es, eine inklusive, gerechte und verantwortungsvolle Nutzung von Gesundheitsdaten und KI-betriebenen Technologien auf internationaler Ebene zu ermöglichen und eine Plattform für Forschungszusammenarbeit zu digitaler Gesundheit zu bilden (I-DAIR). Während bürgerzentrierte Plattformen für den grenzüberschreitenden Austausch von Gesundheitsdaten essentiell sein werden, reicht dies allein nicht, um eine inklusive Gesundheitsdaten-Governance zu ermöglichen. Wichtig ist es auch die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Diskussionen hierzu sollten primär im Internationalen Genf geführt werden.

Photo by FLY:D on Unsplash<br>
Photo by FLY:D on Unsplash

Persönliche Datenrechte international regeln

Auch wenn bestehende Datenschutzgesetze die Nutzung persönlicher Daten durch Dritte regulieren, ist die Frage der Rechte an Gesundheitsdaten weder in der Schweiz noch international vollständig geklärt. Persönliche Gesundheitsdatenrechte müssen mit nationalen und internationalen Vereinbarungen gestärkt werden. Auf multilateraler Ebene gibt es aktuell Überlegungen für eine «international health data regulation» der WHO (WHO 2020). Ähnliche verbindliche Regelwerke existieren bereits im Bereich der Kontrolle des Tabakkonsums (Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs) sowie im Kampf gegen grenzüberschreitende Krankheiten (WHO Internationale Gesundheitsvorschriften). Mit einem solchen Vertrag möchte die WHO den grenzüberschreitenden Umgang mit Gesundheitsdaten regeln und einen fairen, verantwortungsvollen und inklusiven Austausch von Gesundheitsdaten in der internationalen Staatengemeinschaft sicherstellen. Die Schweiz sollte ihre Rolle als Gastgeberland für wichtige internationale Organisationen im Gesundheitsbereich weiter stärken und das Internationale Genf als führenden Standort für Digitalisierungs- und Technologiedebatten in diesem Bereich positionieren. Bereits heute fördert der Bund mit der Stiftung Geneva Science and Diplomacy Anticipator (GESDA) gezielt den Austausch zwischen wissenschaftlicher und diplomatischer Expertise zu den Herausforderungen der Digitalisierung. Um zu einem globalen Zentrum für Gesundheitsdaten- Governance zu werden, braucht es weiterhin die nötige politische und finanzielle Unterstützung von entsprechenden Initiativen und Plattformen.

"Die Schweiz sollte ihre Rolle als Gastgeberland für wichtige internationale Organisationen im Gesundheitsbereich weiter stärken und das Internationale Genf als führenden Standort für Digitalisierungs- und Technologiedebatten in diesem Bereich positionieren."

Moritz Fegert und Isabel Knobel sind die AutorInnen der Studie «Health Data Governance: What's in it for Switzerland?». Die Publikation ist das Ergebnis eines nationalen partizipativen Prozesses, den foraus, der Schweizer Think Tank für Außenpolitik, und Sensor Advice, Spezialistin für Beratung und Diskursforschung im Gesundheitssystem, durchgeführt haben. Das Projekt wurde von der Fondation Botnar unterstützt. Im Rahmen der beiden Formate PoliTisch und Policy Kitchen diskutierten mehr als 140 Stakeholder und interessierte Bürgerinnen und Bürger über die Herausforderungen und Chancen im Umgang mit Gesundheitsdaten und entwickelten Lösungen für die Zukunft. Die qualitative Analyse der Daten führte zu 12 breit abgestützten Empfehlungen für eine bessere Gesundheitsdaten-Governance auf nationaler und internationaler Ebene. Die Studie steht unter www.foraus.ch und www.sensoradvice.ch zum Download zur Verfügung.


Referenzen
Isabel Knobel
Isabel Knobel leitete 2020 das Projekt «Health Data Governance: What’s in it for Switzerland?» bei Sensor Advice. Sie hat einen Master in Politikwissenschaft und Internationalen Beziehungen vom Graduate Institute in Genf. Isabel ist seit 2019 foraus-Mitglied und seit Oktober 2020 Co-Leiterin des Programms Europa. Bis Februar 2021 war Isabel bei Sensor Advice als Projektleiterin unter anderem in den Themenfeldern Gesundheit, Digitalisierung und Europa und der Beratung von AuftraggeberInnen an den Schnittstellen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, tätig. Davor arbeitete sie unter anderem bei der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen. Email
Moritz Fegert
Moritz Fegert ist seit 2019 Mitglied von foraus und leitete 2020 das einjährige Projekt «Health Data Governance: What’s in it for Switzerland». Aktuell ist er in diverse foraus-Projekte involviert und gestaltet diese aktiv mit. Bevor er foraus beitrat, arbeitete Moritz in verschiedenen Bereichen aus der Perspektive der internationalen Organisationen (WTO), der Schweizer Diplomatie (Schweizerische Mission bei der EU) und der Industrievertretung. Er hat an den Universitäten Genf und Leiden Internationale Beziehungen und Europawissenschaften studiert. Email