Von Bernd Pastors
Der permanente kritische Dialog kirchlicher Organisationen in Deutschland mit Vertretern der Pharmaunternehmen trägt zum gegenseitigen Verständnis und zum Abbau von Misstrauen bei. Mit Kooperation statt Konfrontation gehen die NGOs "den Weg der kleinen Schritte". Während Lobbygruppen wie unter anderem die BUKO Pharma-Kampagne Fehlentwicklungen durch die Pharmaindustrie plakativ und provokativ über die Medien anprangern, werden innerhalb des Dialoges die Missstände sachlich und nüchtern diskutiert und nach Lösungen und Verbesserungen gerungen.
Die Pharmaindustrie definiert ihre Aufgabe darin, Medikamente zu erforschen, sie herzustellen und zu verkaufen - zum Wohle der Gesundheit der Menschen und zum grösstmöglichen eigenen Profit. Da die pharmazeutischen Unternehmen mittlerweile meist internationale Aktiengesellschaften sind, müssen sie nach den Regeln des internationalen Kapitalmarktes und des shareholder value agieren, um Profit abzuwerfen. Unter diesen Regeln werden aber die essentiellen Bedürfnisse von Hunderten von Millionen Menschen, die in bitterster Armut leben, nicht berücksichtigt: Sie haben keinen Zugang zu einfachen und preiswerten Basismedikamenten. Sie haben ebenso wenig Zugang zu neuentwickelten Medikamenten, wie unter anderem den neuen Aidstherapien. Und haben keine Aussicht, in vernünftiger Zeit Zugang zu dringend benötigten neuen Medikamenten gegen Infektionskrankheiten zu erhalten. Denn diese werden von der Industrie nicht in genügendem Masse erforscht und entwickelt, da kein ausreichender Profit zu erwarten ist.
Wie reagiert das deutsche Medikamentenhilfswerk action medeor auf diese Herausforderung? Wir beleuchten zunächst die konkrete Handlungsebene der internationalen Tätigkeit der action medeor, um dann auf den Dialog mit der Pharmaindustrie vertieft einzugehen.
Aufbau und Unterhaltung eines weltweit vernetzten Versorgungssystems mit preiswerten, qualitativ hochwertigen Basismedikamenten: Weltweit versorgt die action medeor seit nunmehr über 37 Jahren rund 11’000 Projektpartner in rund 130 Ländern mit essential drugs. Jährlich werden rund 4.000 Medikamentensendungen im Wert von rund 18 Mio. DM an unsere Partner verschickt; 50 Prozent aller Sendungen haben nur einen Auftragswert von 1'000 DM, 85 Prozent der Sendungen haben einen Auftragswert von bis zu 5'000 DM. Damit ist die action medeor in erster Linie Partner für die vielen kleinen Gesundheitsprojekte in aller Welt. Durch die permanente Bevorratung eines Medikamentenlagers im Wert von rund 700'000 DM kann die action medeor auch in Katastrophenfällen, wie jetzt aktuell für afghanische Flüchtlinge, schnelle Hilfe leisten. Die action medeor kauft die Medikamente frisch hergestellt direkt bei europäischen Herstellern in Grossgebinden ein und kann sie so schnell und preiswert an ihre Partner weiterliefern.
Aufbau und Unterhaltung von lokalen zentralen Beschaffungsstellen in den Empfängerländern: Die Regionalisierung der Medikamentenbeschaffung kann zu einem schnelleren und effektiveren Zugang zu essentiellen Medikamenten führen, sie stärkt lokale Strukturen und führt zu nachhaltiger Hilfe. So unterstützt die action medeor den Aufbau von zentralen Beschaffungsstellen, unter anderem in Uganda, Kamerun und im Kosovo.
Rational Drug Use: Einsatz der Medikamente nach den tatsächlichen essentiellen Bedürfnissen der Menschen: Hierbei helfen der Aufbau und die Entwicklung nationaler Listen essentieller Medikamente, die Herausgabe von Behandlungsrichtlinien, die Ausbildung und Begleitung von Gesundheitsfachleuten sowie der Aufbau und Unterhalt von Systemen der Qualitätssicherung.
Aufbau und Unterhalt von Medikamentenproduktionenstätten in den Entwicklungsländern: Überall dort, wo es technisch sinnvoll und möglich ist, unterstützt die action medeor Initiativen zum Know-How-Transfer von den Industriestaaten zu den Entwicklungsländern, wobei sich die Situation in Afrika, Asien oder Südamerika sehr unterschiedlich darstellt.
Entwicklung von nachhaltigen Finanzierungsmodellen von Gesundheitssystemen, die wie etwa der Aufbau von lokalen Krankenversicherungssystemen auch der Finanzierung des Medikamentenbedarfes dienen. So wurde auch mit Mitteln von Misereor und der action medeor in Damongo im Norden Ghanas ein Krankenversicherungssystem aufgebaut. Durch jährliche Krankenversicherungsbeiträge werden die stationären Behandlungskosten finanziert, darunter auch die notwendigen Medikamente. Aktuell sind rund 30.000 Menschen Mitglieder dieser Versicherung, die sich um ein kirchliches Krankenhaus entwickelt hat und seit vier Jahren sehr erfolgreich arbeitet.
Internationale Vernetzung von Erfahrungen, die die weltweit agierenden NGOs in den beschriebenen Aufgabenfeldern gemeinsam mit ihren Partnern in den Entwicklungsländern gemacht haben: action medeor ist Mitglied von Medicus Mundi International, einem internationalen Dachverband von insgesamt zehn nationalen Organisationen, die alle im Bereich der medizinischen Entwicklungszusammenarbeit langjährige und wertvolle Erfahrungen gesammelt haben.
Seit Anfang der 90er Jahre gibt es in Deutschland einen intensiven Dialog zwischen Vertretern der beiden christlichen Kirchen, die in der ökumenischen "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung" (GKKE) zusammenarbeiten, und leitenden Mitarbeitern aus Pharma-Unternehmen, die heute als Vertreter des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) am Dialog teilnehmen. Gemeinsam mit dem Missionsärztlichen Institut Würzburg und dem Deutschen Institut für ärztliche Missionen Tübingen beteiligt sich auch die action medeor an diesem nationalen Dialogprogramm. Ziel ist es unter anderem, im Bereich der medizinischen Grundversorgung in den ärmsten Ländern der Erde gemeinsame Stellungnahmen und Positionspapiere zu erarbeiten und gemeinsame Projekte durchzuführen.
Unter der Überschrift "Kooperation statt Konfrontation" erkennen die Vertreter der GKKE und des VFA an, dass einzelne Gruppierungen im Alleingang ausschliesslich für Teilbereiche des Gesundheitswesens Lösungen anbieten können. Viele Probleme der Gesundheitsversorgung, so die auch des Zugangs zu unentbehrlichen Medikamenten, lassen sich nur durch konstruktive Zusammenarbeit aller Verantwortlichen lösen.
Neben den internationalen Lobbykampagnen, initiiert unter anderem von den Ärzten ohne Grenzen (MSF), OXFAM oder der deutschen BUKO Pharma-Kampagne, die über die Massenmedien plakativ und provokant Missstände wie etwa die Patentabkommen im Rahmen der WTO-Verhandlungen anprangern, greift das Dialogprogramm aktuelle Themen auf und diskutiert sie sachlich und nüchtern. Der Dialog hat das Ziel, die grösstmögliche Übereinstimmung über Verantwortung, Pflichten und Rollen von Kirchen und Pharmaindustrie im Gesundheitswesen der Entwicklungsländer zu finden und Fehlentwicklungen möglichst früh gegenzusteuern. Dabei sollen Kontroversen offen und ernsthaft ausgetragen und, wo immer möglich, überwunden werden. Gleichzeitig sollen die Gespräche Wissenslücken füllen und Missverständnisse ausräumen.
So konnte bereits 1992 und in einer Neuauflage 1999 ein gemeinsam erarbeitetes Positionspapier zur Arzneimittelversorgung in Entwicklungsländern veröffentlicht werden (1). In diesem Positionspapier werden unter anderem Lösungsvorschläge zur Vermarktung, Verpackung und Sortimentsgestaltung sowohl für den sogenannten Privatmarkt als auch den öffentlichen Generikamarkt gegeben. Es werden gemeinsame Projekte vorgeschlagen und durchgeführt. In demselben Dokument werden aber auch die bis heute offen gebliebenen Fragen - nach der Rolle der Ärztebesucher/Pharmareferenten, nach einer sinnvollen Sortimentsgestaltung und den rationalen Gebrauch von Medikamenten, nach den Forschungsprioritäten, unter anderem der mangelnden Erforschung neuer Arzneimittel zur Bekämpfung von Tropenkrankheiten - klar und eindeutig formuliert.
Die besten Erfahrungen wurden bei gemeinsam durchgeführten Projekten erreicht. Einige Beispiele:
Entwicklung des GPHF-Minilabs (2) zur Überprüfung von Arzneimittelqualität unter einfachen Feldbedingungen. Während die pharmazeutische Industrie in erster Linie daran interessiert ist, Fälschungen ihrer Markenprodukte durch das Minilab aufzudecken, kann das Prinzip der sogenannten dünnschicht-chromatographischen Untersuchung auch auf die Überprüfung von essential drugs angewandt werden und hilft damit bei der Aufdeckung von einer Vielzahl von Medikamentenfälschungen in den Projekten unserer Partner.
Entwicklung eines Handlungsmanuals, wie in grossen Katastrophenfällen auch mit Medikamentenspenden durch die Industrie kurzfristig effizient und sinnvoll, das heisst unter Berücksichtigung der Richtlinien für Medikamentenspenden, geholfen werden kann (3). Erarbeitung von Checklisten, in denen die pharmazeutischen Unternehmen unter anderem über die Qualität der gespendeten Medikamente sowie deren Haltbarkeit und mögliche Registrierungen Auskunft geben. Die Empfänger der Medikamentenhilfe geben gegenüber dem Spender unter anderem Auskunft über die geplante Projekthilfe und ihre Sinnhaftigkeit und begründet damit die Notwendigkeit der Hilfe.
Die Überprüfung von unterschiedlichen Produktinformationen von gleichen Medikamenten beim Verkauf in Europa, Afrika, Asien oder Südamerika. Meist enthielten die Produktinformationen beim Verkauf der Medikamente in Entwicklungsländern gegenüber dem Verkauf in Europa zusätzliche Indikationen. In langen Gesprächen wurden hier zahlreiche Angleichungen erreicht.
Die schwierigsten Gespräche gab es bei der Beurteilung über die Sinnhaftigkeit einzelner von den kirchlichen Organisationen als problematisch eingestufter pharmazeutischer Produkte. Trotz des wirtschaftliche Interesses von Seiten der Industrie, diese Produkte weiter zu verkaufen, wurde eine Vielzahl von ihnen durch die Produzenten vom Markt genommen, zumindest ein Teilerfolg langer zäher Verhandlungen.
Weitere Projekte wie die Förderung der tropenmedizinischen Forschung oder die Gestaltung von Sondervereinbarungen zur differenzierten Preisgestaltung bei den HIV/Aids-Medikamenten sollen folgen.
Was uns in den vergangenen Jahren den Dialog mit dem VFA erschwert hat, waren die häufigen Firmenfusionen innerhalb der pharmazeutischen Industrie und der damit verbundene häufige Wechsel von Gesprächspartnern. Darüber hinaus haben einige deutsche Pharmaunternehmen im Rahmen von Fusionen ihren Hauptsitz nun in andere Staaten verlegt und fallen damit aus dem nationalen Dialogprogramm heraus. Wir würden es deshalb begrüssen, wenn in anderen Industrieländern ähnliche Dialogprogramme von kirchlichen Gruppen und Fach-NGOs mit der pharmazeutischen Industrie entstehen könnten. Auch eine internationale Vernetzung solcher Dialogprogramme und damit ein Austausch dieser Erfahrungen wäre sicherlich sehr wertvoll.
*Bernd Pastors ist Geschäftsführer des deutschen Medikamenten-Hilfswerks action medeor: Auszug aus seinem Vortrag "Health and Power. Practical Actions to be promoted in Relation to the Power of Pharmaceutical Industries" an der XVI Konferenz des Päpstlichen Rates für Gesundheitspastorale, November 2001 im Vatikan. Die vollständige englische Originalfassung des Referats mit weiteren Quellenangaben findet sich in der Internet-Ausgabe des Bulletins.
1. Arzneimittelversorgung in der Dritten Welt, Positionspapier (ISBN 3-932535-27-8) der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) und des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Bonn 1999.
2. German Pharma Health Fund (GPHF): The GPHF-Minilab®, Protection against counterfeited and substandard pharmaceuticals, 2001. Internet: www.gphf.org/web_en/projekte/minilab/
3. Pressekonferenz Bonn 2001, The GPHF and Drug Donations in Emergency Situations