Von Richard Gerster
Wir kennen alle das Bild der leeren Apotheken Afrikas. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Medikamenten soll zu niedrigen, staatlich fixierten Preisen sichergestellt werden. Doch es gibt nichts zu kaufen. Im Zuge der Privatisierung haben sich die Regale nun gefüllt, doch sind die Arzneimittel für die Mehrheit der Menschen unerschwinglich geworden. Macht es Sinn, nur den Rationierungs-mechanismus umzugestalten und die Bürokratie durch den Markt zu ersetzen, weiterhin aber grosse Teile der Bevölkerung von den lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen auszuschliessen? Marktwirtschaftliche Reformen allein sind kein Allheilmittel.
Das Gesundheitswesen spiegelt die ökonomische Realität, auch auf globaler Ebene. Zwar werden seitens der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand weltweit jedes Jahr 60 bis 80 Milliarden Dollar in die medizinische Forschung investiert. Doch 90 von 100 Forschungs-Franken gelten Krankheiten, deren Bekämpfung einer reichen Minderheit von 10 Prozent der Weltbevölkerung nützt. Kein Wunder, beispielsweise sind Malaria und Tuberkulose wenig attraktiv, um Millionen von Forschungsgeldern zu investieren. Damit lassen sich keine grossen Gewinne erzielen. Der Markt versagt, wo die Kaufkraft fehlt.
Gerade auf diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, mit welcher Vehemenz die Pharmaindustrie den Patentschutz in den Entwicklungsländern verteidigt. Die Klage der Industrie gegen Südafrika, die gnadenlosen Gefechte in der WTO stehen in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung dieser Märkte. Ganz Afrika südlich der Sahara macht mit drei Milliarden Dollar Umsatz an modernen Medikamenten nur ein Prozent des Welt-Pharmamarktes aus. Statt gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und die afrikanischen Regierungen offensiv darin zu unterstützen, dass sie dem Gesundheitswesen Vorrang einräumen, werden mit dem Patentwesen zusätzliche Barrieren beim Zugang zu Medikamenten errichtet. Offensichtlich geht es nur um Gewinnmaximierung, nicht ums Überleben der Firmen oder gar der Menschen.
Malaria, Durchfall und Entzündungen der Atemwege führen in Mozambique zum Tod jedes vierten Kindes, bevor es fünf Jahre alt wird. Im ganzen Land – 20 mal die Fläche der Schweiz, 17 Millionen Menschen – sind nur 600 Ärztinnen und Ärzte tätig. Schlamperei und Korruption im öffentlichen Gesundheitsdienst unterlaufen ständig dessen Wirksamkeit. Es fehlt an qualifiziertem Personal an allen Ecken und Enden. Und allen Anstrengungen zum Trotz erreicht das öffentliche Gesundheitswesen Mozambiques immer noch nur die Hälfte der Bevölkerung. Wer weiter weg wohnt, kommt zu spät ins Spital. Die traditionellen Heiler sind manchenorts die einzige Möglichkeit, sich medizinischen Rat und Trost zu holen.
Dazu kommt nun seit einigen Jahren Aids. Aids ist in Afrika südlich der Sahara eine Krise der Gesellschaft und lässt keinen Stein auf dem anderen. "Aids wird im nächsten Jahrzehnt in Afrika mehr Todesfälle verursachen als sämtliche Kriege des 20. Jahrhunderts weltweit", schreibt Alan Whiteside, Professor an der südafrikanischen Universität Natal. 10 Millionen Waisenkinder im Jahr 2000 – 40 Millionen im Jahr 2010 – sprengen die Tragfähigkeit der traditionellen Grossfamilien. Die Bildungschancen vor allem der Mädchen sinken, weil sie Pflegeaufgaben übernehmen müssen. Die vielen schlecht betreuten Waisen lassen die Kriminalitätsraten explodieren. Diskriminierung von HIV-Positiven in der Ausbildung oder am Arbeitsplatz ist häufig, die volkswirtschaftlichen Einbussen sind gravierend.
Der neue "Global Fund" der UNO ist keine Patentlösung, aber der Versuch einer Antwort auf eine unerträgliche Situation. Und was tut die Schweiz? Es ist ihr gelungen, das Fonds-Sekretariat für den Platz Genf an Land zu ziehen. Sie trägt 16 Millionen Franken aus dem DEZA-Budget zum Fondskapital bei – keinen Franken zusätzlicher Mittel. Statt einer Mobilisierung von Politik und Wirtschaft beherrscht Routine die Szene. Eine angemessene Antwort wäre eine neue Form von "Public-Private Partnership": Die Politik stellt jährlich eine Milliarde Franken zusätzlicher Mittel zur Verfügung, die Industrie überlässt es den Entwicklungsländern, ob und wie sie Erfindungen schützen wollen. Die Botschaft "Switzerland makes a difference!" würde triumphieren – auch in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse.
*Richard Gerster, Dr. oec. HSG, Berater und Publizist, Richterswil
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