Editorial

Wenn Frauen selbst bestimmten könnten

Von Helena Zweifel

Wenn Frauen selbst bestimmten könnten: welches wären ihre Schwerpunkte für die Entwicklungszusammenarbeit? Wir wissen wenig darüber, was Frauen in den Ländern des Südens und Ostens wirklich bewegt. Wenige haben die Zeit und Musse, auf Frauen zu hören, und nehmen deren Anliegen auch wirklich ernst. Frauengruppen sind ein Ort, wo Frauen offen über ihre Anliegen und Perspektiven reden können. Oft drehen sich die Gespräche um die Gesundheit, um sogenannte "Frauenkrankheiten", um Geburt und Mutterschaft, aber auch um wirtschaftliche Fragen im täglichen Überlebenskampf. Aus einer Frauenperspektive kommt der sexuellen und reproduktiven Gesundheit ein hoher Stellenwert zu. Wird auf die Anliegen von Frauen eingegangen, etwa auf den Wunsch von jungen Müttern im Tschad nach Dorfhebammen, mit denen sie vertraut sind, erhält das Programm Wirkung. Oder das Wasserprojekt in Indien, welches das Bedürfnis der Frauen nach einem "stillen Örtchen" entspricht, gewinnt durch das überraschende Engagement der Frauen Auftrieb.

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Der Zugang zu Gesundheit ist schicht- und geschlechtsspezifisch. So gehören geographische Hürden (Entfernung von einem Gesundheitsposten), kulturelle Tabus (Menstruation und Geburt gelten als unrein) und soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Einstellung des Gesundheitspersonals gegenüber Frauen, Bevorzugung von Söhnen) zu den wichtigsten Faktoren, die Frauen den Zugang zu Gesundheit erschweren. Dieselben Faktoren hindern Frauen daran, gesund zu bleiben: Mädchen und Frauen erhalten weniger zu essen, gehen seltener zum Arzt, können bei der Familienplanung nicht mitentscheiden oder sich vor einer HIV-Infektion schützen.

Um Gesundheit für alle zu erreichen – einhergehend mit einer gleichberechtigten Entwicklung für alle – müssen besondere Anstrengungen zur Stärkung der Frauen unternommen werden. Zudem muss der Dialog mit den Männern geführt werden, um sie für Genderfragen zu sensibilisieren. Gleichberechtigte Partizipation, Empowerment der Frauen und Sensibilisierung der Männer sind die drei Eckpunkte einer Strategie zur gleichberechtigten Entwicklung.

Genderanalysen, die nach den Bedürfnissen von Frauen und Männern fragen und die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, den Zugang zu Ressourcen und geschlechtsspezifische Hindernisse identifizieren, sind wertvolle Instrumente zur Planung und Umsetzung von gendergerechten Programmen und Projekten. Wichtiger als die Instrumente ist jedoch die Haltung, das Bewusstsein und Offenheit für Gender, was auch die Bereitschaft beinhaltet, eigene Rollenbilder zu hinterfragen.

Mit dem Workshop “Wenn Frauen selbst bestimmen könnten...” hat Medicus Mundi Schweiz im Juni 2004 die Diskussion rund um Frauen, Gender und Gesundheit in der internationalen Zusammenarbeit wieder aufgenommen. Das vorliegende Bulletin widerspiegelt das breite Spektrum von Ansätzen schweizerischer Entwicklungsorganisationen. Es versteht sich als Aufforderung, über einzelne Frauenprojekte hinauszugehen und den Prozess zum konsequenten Einbezug einer Frauen- und Genderperspektive in der eigenen Organisation zu intensivieren.

Helena Zweifel, Co-Geschäftsführerin von Medicus Mundi Schweiz, Netzwerk Gesundheit für alle, und Koordinatorin der Fachplattform aidsfocus.ch