Von Zsuzsa Varvasovszky und Guy Hutton
Armut und Gesundheit sind eng miteinander verbunden. Krankheit beeinträchtigt die Arbeitsfähigkeit und damit auch das Einkommen. Mit weniger Einkommen kann sich eine arme Person in der Regel weniger Gesundheitsdienste leisten, falls diese Dienste bezahlt werden müssen. Wenn Ersparnisse vorhanden sind, gehen dies durch die krankheitsbedingten Ausgaben schnell zur Neige. Das Ganze wird schnell zu einer Teufelsspirale in Richtung Armut. Eine Aufgabe von Gesundheitssystemen ist es deshalb, durch geeignete Finanzierungssysteme den direkten Zusammenhang zwischen individueller Zahlungsfähigkeit und Zugang zur Gesundheitsversorgung zu durchbrechen.
Im kürzlich erschienenen World Labour Report 2000 der internationalen Arbeitsorganisation ILO ist festgehalten, dass es nach wie vor vielen Ländern schwer fällt, den untersten Einkommensschichten minimale Gesundheitsdienste zu garantieren. In vielen Gesellschaften spielen Familienstrukturen oder gemeindegetragene Unterstützung eine wesentliche Rolle bei der Finanzierung von Krankheitskosten. Dennoch sollte es primär Aufgabe des Staates sein, den Zugang zu Gesundheitsdiensten durch angemessene Finanzierungsmodelle zu sichern.
Die meisten Finanzierungssysteme beinhalten ein Solidaritätselement, das über Quersubventionen einen Mitteltransfer von den Reicheren und Gesünderen zu den Ärmeren und Kränkeren verursacht. Systeme, die die Reichen finanziell stärker belasten als die Armen, sind denn auch ein konkreter – wenn auch technokratischer - Ansatz zur Stärkung der Solidarität innerhalb einer Gesellschaft. Dies gilt in der Regel für Steuern und Versicherungen, zum Teil auch für andere Finanzquellen. In vielen Ländern, in denen Mitgliedorganisationen von Medicus Mundi Schweiz arbeiten, spielt auch die Projektfinanzierung durch externe "Donors" eine wesentliche Rolle. Im weiteren Text soll auf die Auswirkungen verschiedener Finanzierungsmechanismen auf die armen und besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppen eingegangen werden.
Steuereinnahmen werden als direkte Einkommenssteuern oder aber als indirekte Steuern auf Waren und Dienstleistungen – beispielsweise als Einfuhrzölle oder Mehrwertsteuer – erzielt. Oft wird die Finanzierung durch Steuern auch mit anderen Finanzierungssystemen, etwa Privatversicherungen oder Benutzergebühren, verknüpft.
Die Einkommenssteuer betrifft einerseits nur diejenigen, die über ein Einkommen verfügen. Zudem kann sie so angelegt werden (sogenannte Progression), dass von höheren Einkommen mehr Mittel abgeschöpft und die niedrigen Einkommen somit entlastet werden. Allerdings ist die Einkommenssteuer von der allgemeinen Wirtschaftslage (Beschäftigungsgrad, Bruttosozialprodukt, Wachstum) abhängig, und natürlich hängt sie auch stark von der Steuermoral des Einzelnen und von Unternehmen ab. Da in vielen Entwicklungsländern der informelle Sektor eine wichtige, oft dominante Rolle spielt, kommen dort erhebliche Schwierigkeiten beim Einnehmen der Steuern hinzu. Trotzdem sind Steuereinnahmen in vielen Ländern eine wesentliche Finanzierungsquelle des Gesundheitssystems. Die Steuerbelastung ist allerdings nicht überall gleich und gerecht verteilt. Beispielsweise herrscht in den Philippinen eine eindeutig regressive Steuerbelastung, das heisst die Armen bezahlen dort proportional mehr als die reicheren Bevölkerungsschichten. In Indonesien und Malaysia ist die Steuerprogression relativ moderat und in Argentinien sehr stark zu Gunsten der armen Bevölkerungsschichten ausgelegt.
In welchem Umfang die armen Bevölkerungsschichten durch indirekte Steuern belastet werden, hängt sehr stark von den jeweiligen herrschenden politischen Rahmenbedingungen ab. Offensichtlich werden die Armen durch Steuern auf Brot oder Weizen relativ mehr belastet als die Reichen, während hohe Steuern auf Luxushotels oder den Import von Kraftfahrzeugen die Armen weniger treffen.
Sozialversicherungssyteme haben grosse Ähnlichkeiten mit den durch Steuereinnahmen finanzierten Systemen, da auch sie oft obligatorisch vorgegeben sind und die Prämien in einem bestimmten Verhältnis zum Einkommen stehen. Dabei ist zu beachten, dass nur die Versicherten beziehungsweise deren nahe Angehörige abgedeckt sind. Oft werden nur klar umrissene Versorgungsleistungspakete gewährt, in denen dann häufig Zusatzzahlungen vom Patienten oder dessen Familie verlangt werden. Sozialversicherungssyteme müssen in der Regel durch den Staat subventioniert werden, damit die ungenügenden Beiträge aus den niederen Einkommensgruppen ausgeglichen werden können. In vielen Fällen, auch in Europa, bevorzugen die oberen Einkommensgruppen private Versicherungen, da deren Prämien nicht an das Einkommen gekoppelt und deshalb häufig günstiger sind. Für die Sozialversicherungssysteme bedeutet dies oft einen zusätzlichen Subventionsbedarf, obwohl teilweise Quersubventionen stattfinden, wenn etwa privat versicherte Patienten öffentliche Einrichtungen benutzen und diese Dienstleistungen dann der Sozialversicherung rückerstattet werden.
Sozialversicherungssysteme haben oft Schwierigkeiten, die Beiträge einzunehmen, etwa von Personen, die nur saisonal oder im informellen Sektor tätig sind oder über ein unregelmässiges Einkommen verfügen Für diese Fälle haben einige Länder innovative Instrumente entwickelt. So wurde in Thailand eine "Gesundheitskarte" eingeführt, die 500 Baht (ca. 20 SFr) kostet. Diese Gesundheitskarte erlaubt einkommensschwachen Familien den Zugang zu einem klar definierten Versorgungspaket. Die Regierung trägt zu den Kosten der Karte ebenfalls 500 Baht bei, und die verbleibenden Kosten müssen von der Gesundheitseinrichtung getragen werden, die der Patient aufsucht.
Private Krankenversicherungsprämien werden auf Grund des eingeschätzten Risikos für den Versicherer festgelegt: Bei der Prämienberechnung werden in der Regel das Eintrittsalter, das Geschlecht sowie bereits bestehende Gesundheitsprobleme berücksichtigt. Unter Umständen wird eine Versicherung auf Grund der Risikoeinschätzung verweigert. Arme oder Risikogruppen werden deshalb in der Regel durch private Krankenversicherungssysteme benachteiligt oder haben oft gar keinen Zugang dazu. Es gibt keine Quersubvention zwischen verschiedenen Einkommensgruppen. Wie bereits erwähnt, stellt die private Krankenversicherung eine Möglichkeit für reichere Bevölkerungsgruppen dar, sich in Ergänzung zu einem staatlichen System gegen zusätzliche Risiken zu schützen oder sich Komfort und Vorzugsbehandlungen zu sichern. Daneben gibt es auch andere Systeme wie etwa in den USA, in denen die Armen, Alten oder Unversicherten ein vollkommen anderes Gesundheitssystem benutzen müssen als die Privatversicherten. Dieses Finanzierungsmodell wird kaum als Vorbild für andere Länder angesehen, da es Ungleichheit in einer Gesellschaft fördert.
Der Begriff Mikroversicherungssystem umreisst soziale Netzwerke für diejenigen, die ausserhalb der regulären Systeme stehen oder zu diesen keinen Zugang haben. Der Erfolg von Mikroversicherungssystemen beruht in ihrer Einbindung in Gemeinschaften, in denen die Bedürfnisse der Mitglieder genau bekannt sind und wo das Versicherungssystem nur den Zugang zu gemeinsam festgelegten Leistungen, nicht aber eine Gewinnmaximierung zur Grundlage hat. Da derartige Systeme vor allem für die Armen und gefährdete Personengruppen ausgelegt sind, lassen sich Subventionen von der öffentlichen Hand, oder von nationalen oder internationalen Organisationen rechtfertigen, um die Solidarität zu fördern und gefährdete Gruppen in ein Gesellschaft zu unterstützen.
Ein Problem mit derartigen Mikroversicherungssystemen ist das Risikopooling. Wenn die versicherte Bevölkerungsgruppe nicht gross genug ist oder wenn nur Hochrisikoindividuen dem Netz angehören, kann dies zu für die jeweilige Gruppe zu inakzeptabel hohen Versicherungsprämien führen.
Medizinische Sparkonten ermöglichen einem Individuum, Ersparnisse für zukünftige medizinische Ausgaben anzulegen. Dies stellt gegenüber einem Versicherungssystem einen konzeptionell anderen Ansatz da. Finanzielle Beiträge und Leistungsbezüge werden nicht innerhalb einer Personengruppen ausgeglichen, sondern nur zeitlich getrennt – was für das Individuum durchaus Vorteile bringen kann. Da sich solche Sparkonten in der Regel nur in Familien oder sonstigen klar umschriebenen Kleingruppen (Beispiel "Tontine") realisieren lassen, findet aus naheliegenden Gründen keine Subvention von armen oder anderweitig gefährdeten Personen statt.
Benutzergebühren sind direkte Zahlungen für Gesundheitsdienstleistungen und decken entweder einer Teil oder die gesamten Kosten ab. In manchen Fällen mag sogar eine Profitkomponente eingebaut sein. In den 80er Jahren wurden Benutzergebühren in vielen Entwicklungsländern als eine Antwort auf Reduktionen der Ausgaben der öffentlichen Hand eingeführt oder ausgebaut. In den meisten Ländern beträgt ihr Anteil um die 5 Prozent der Gesamtausgaben, wobei es dabei grosse Unterschiede gibt (Thailand: 20 Prozent). Die Gebühren werden meistens auf Medikamente, zahnmedizinische und fachärztliche Leistungen oder auf bestimmte "Hotel"-Leistungen bei stationären Behandlungen erhoben. Benutzergebühren sind extrem regressiv, das heisst die armen Bevölkerungsschichten werden schwerer belastet als reichere Schichten und stehen oft der Wahl stehen, entweder die Gesundheitsausgaben zu reduzieren oder Einsparungen in anderen Grundbedürfnisbereichen wie etwa Nahrung und Erziehung vorzunehmen. Ausnahmeregelungen oder begleitende Alternativfinanzierungen können sich auf die Höhe des Haushaltseinkommens, auf bestimmte Krankheiten (chronische Erkrankungen, Tuberkulose etc.) oder aber auf das Alter (Kinder, Alte) beziehen. Auch Schwangere sind oft davon befreit, bestimmte Dienstleistungen zu bezahlen.
Verschiedene Untersuchungen haben inzwischen belegt, dass die Nutzung von Gesundheitsdiensten durch Arme massiv abnimmt, wenn die sozialen Auffangmechanismen nicht existieren oder schlecht funktionieren. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass die Einführung von Benutzergebühren teilweise zu Verschlechterungen des allgemeinen Gesundheitszustandes geführt hat. Keine Frage, dass damit auch Ungleichheit und Ungerechtigkeit in einer Gesellschaft erhöht werden (siehe auch Kommentar von Rudolf Fischer).
Externe Unterstützung durch internationale, bilaterale oder nichtstaatliche Organisationen spielen in vielen Entwicklungsländern eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der Gesundheitssysteme. Man geht davon aus, dass 1990 mindestens 25 Prozent der Gesundheitsausgaben im Afrika südlich der Sahara durch "Donors" finanziert wurden. Es ist schwierig festzustellen, in welchem Umfang diese Finanzierungsmechanismen vor allem den Armen zugute kommen. Von unabhängigen Fachleuten wird die Meinung vertreten, dass ein grosser Teil der externen Finanzierungen primär von den Interessen der externen Organisationen und Institutionen abhängen, die nicht notwendigerweise den Bedürfnissen des empfangenden Landes entsprechen. Seit langem ist auch bekannt, dass sehr wenig Koordination zwischen den verschiedenen Geberländern und der jeweiligen Regierung vorhanden ist, was oft zu Duplizierungen und damit Verschwendung führt. Neue Ansätze, wie der sogenannte "Sector wide approach" haben, zumindest was diesen Aspekt angeht, ein Potential zur Verbesserung der Finanzierungssituation. Unabhängig davon ist festzuhalten, dass externe Finanzierungsquellen ihre Berechtigung haben, um Finanzierungslücken in Krisensituationen zu lösen. Durch den Projektcharakter, das heisst eine bestimmte, in der Regel nur drei- bis fünfjährige Laufzeit, sind externe Unterstützungen aber keine Antwort auf die strukturellen Probleme der Gesundheitssystemfinanzierung.
Für die meisten Menschen ist es das wichtigste, dass sie Zugang zu Gesundheitsdiensten haben, ohne sich finanziell ruinieren zu müssen. Die verschiedenen von uns dargestellten Finanzierungssysteme haben Stärken und Schwächen und sollten sich idealerweise ergänzen. Der Fokus auf Benutzergebühren hat in den vergangenen Jahren die soziale Dimension verstellt, insbesondere was den gesicherten und gerechten Zugang sowie die gesellschaftliche Solidarität betrifft. Die Sicherung des Zugangs zu einer minimalen Gesundheitsversorgung bleibt eine zentrale Aufgabe von Regierungen. Auf welchen Wegen dieses Ziel erreicht wird, welche Instrumente verwendet werden und wie diese finanziert werden – öffentlich , privat, kooperative oder gemeindegestützt – ist letztendlich eine sekundäre Frage, so lange das Ziel erreicht wird und der Zugang zur Gesundheit sichergestellt ist.
*Zsuzsa Varvasovszky, MD, PhD, arbeitet als Beraterin des Ungarischen Nationalen Gesundheitsversicherungsfonds. Daneben unternimmt sie Beratungsmissionen im Rahmen von Policy- und Finanzierungsfragen (Kontakt: zs.varvasovszky@oep.hu). Guy Hutton, MSc, PhD, arbeitet als Gesundheitsökonom für das Schweizerische Zentrum für Internationale Gesundheit des Schweizerischen Tropeninstituts, Basel (Kontakt: Guy.hutton@unibas.ch). Übersetzung und Redaktion durch Nick Lorenz..