Von Edgar Widmer
Mit der Jahrtausendwende haben wichtige Institutionen ihre Absichten neu formuliert. Insbesondere Weltbank und Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Lehren aus den verflossenen Jahrzehnten gezogen. Geld und Geist, Kopf und Herz sollen zusammenfinden, um die riesigen Probleme von Armut, Krankheit und Unwissenheit zu überwinden. Kann da der Einzelne trotz beschränkter Mittel das Seine beitragen? Findet globales Denken mit lokalem Handeln zusammen? Versuchen wir, diese Gedanken in einem Bogen darzulegen.
Die Ölkrise von 1973 traf mit der Verteuerung der Energie und der nachfolgenden Inflation und Rezession vor allem die Entwicklungsländer hart. Ihre Verschuldung gefährdete die gesamte Weltwirtschaft. In der Folge unterwarf der Internationale Währungsfonds IWF diese Länder drastischen Strukturanpassungsprogrammen ("Structural Adjustment Programs"). Die von Weltbank und IWF durchgesetzten Sparmassnahmen in den Sektoren Erziehung, Gesundheit und Sozialem bremsten oder verhinderten Entwicklung und widersprachen selbst dem Jahresbericht der Weltbank von 1980, in welchem angeführt wurde, dass Erziehung und Gesundheit wesentliche Faktoren für Entwicklung seien. 1987 empfahl die Weltbank die Einführung von Benutzergebühren ("users fees") und Krankenversicherungen sowie die Privatisierung und Dezentralisation des Gesundheitswesens. Diese Massnahmen sollten ermöglichen, die staatlichen Gesundheitsaufwendungen zu reduzieren und die Staatsschulden schneller zurückzubezahlen.
Im Jahre 1993 stellte die Weltbank fest, dass es sich lohne, in die Gesundheit zu investieren. Erstmals ging es nicht um die einseitige Sicht des Sparens, sondern um die Bedeutung von Gesundheit für Wirtschaft und Gesellschaft. Zwar sprach der Bericht auch über die Rolle des Wettbewerbs auf dem Gesundheitsmarkt und der privaten Finanzierung, er appellierte aber auch an die Aufgabe des Staates sowie die Verantwortung der Regierungen, das Recht des Menschen auf Gesundheit wahrzunehmen. 1997 entwickelte die Weltbank das Thema unter dem Titel "The State in a changing World" fort. Darin sprach sie erstmals von "sectorwide approaches" und über die Verantwortung des Staats für eine kohärente Gesundheitspolitik. Und im diesem diesjährigen Jahresbericht der Weltbank ist zu lesen, dass der Markt und eine liberale Wirtschaftsordnung alleine die Armut nicht beheben können. Es brauche starke öffentliche Institutionen, um die Grundversorgung und die Gerechtigkeit im Zugang ("equity") zu garantieren. Dies sei eine conditio sine qua non im Kampf gegen die Armut. Armut sei aber nicht nur ein ökonomisches und finanzielles Problem. Zum menschlichen Kapital gehörten Gesundheit und Bildung sowie der Erhalt der Umwelt.
Trotz dieser klaren Worte bleibt die traurige Tatsache, dass Armut und Krankheit in der Welt zunehmen und heute mindestens eine Milliarde Menschen in tiefster Armut leben müssen. Die Frage bleibt, ob die Weltbank dazu fähig sein wird, Worte und Taten zusammenzuführen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO betont in ihrem diesjährigen Weltgesundheitsbericht die Bedeutung des privaten Beitrags zum Gesundheitssystem. Sie fordert dementsprechend von den Staaten "Monitoring to assess behavioral change associated with decentralizing authority over resources and services and the effects of different types of contractual relationships with public and private providers.".
Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, wie die Regierungen die Effizienz des Gesundheitssystems steigern können. In indischen Staat Kerala, der ein sehr tiefes pro Kopf-Einkommen aufweist, liegt die Kindersterblichkeit mit 3 Promille Lebendgeburten um 40 Prozent tiefer ist als in Punjab, einem anderen Teilstaat Indiens mit doppelt so hohem Pro-Kopf-Einkommen. Die Liste derartiger Beispiele ist lang und zeigt, dass Verbesserungen des Gesundheitszustandes nicht allein auf ökonomischen Fortschritt zurückzuführen sind.
Wenden wir uns der Frage zu, ob nebst der internationalen und der nationalen Politik der Einzelne zur Verbesserung der Gesundheitssysteme beitragen kann. Nicht einmal alle Regierungen haben eine nationale Gesundheitspolitik, und von jenen, die ihre Gesundheitspolitik festgeschrieben haben, sind es viele, die es beim Papier belassen. Eine praktisch tätige Krankenschwester oder eine Ärztin irgendwo im Busch oder in einem Grossstadtslum wird sich der ständig wechselnden Diskussion über Effizienz in der Entwicklungsarbeit kaum bewusst sein. Die Strategien der WHO oder der Weltbank dringen kaum bis zu ihnen vor. Dennoch haben die lokalen Akteure einen wesentlichen Einfluss auf die Verbesserung der Gesundheit der Menschen. Ein Rektor der School of Hygiene and Public Health der Johns Hopkins Universität sagte richtigerweise einmal, dass der menschliche Faktor der im Gesundheitsdienst Tätigen von entscheidender Bedeutung sei. Unzählige einheimische und ausländische Fachkräfte stellen die menschliche Würde und ihr Berufsethos ins Zentrum, um sich für Gerechtigkeit und Solidarität einzusetzen. Unzählige Mitarbeiter/-innen von Organisationen wie Medicus Mundi haben dies im Felde praktiziert, Freundschaften geschlossen, kulturelle Erfahrungen ausgetauscht und sich für Menschenrechte und die Achtung des Lebens eingesetzt. Dieser Einsatz bedeutet auch, Opfer auf sich zu nehmen, Arme und Benachteiligte zu verteidigen. Wertvorstellungen solcher Art führen dazu, dass auf Kranke eingegangen wird, der Mensch einen Namen hat, er nicht nur ein Fall oder eine Nummer ist, auch wenn man an manchmal an die Grenze der Kunst oder der Mittel kommt.
Wo Menschen in einem solchen Geist arbeiten, fühlen sich Kranke verstanden und erfahren ein geistiges Umfeld, das zur Genesung helfen kann oder dazu beiträgt, einen negativen Ausgang zu ertragen. Es ist zu hoffen, dass das gelebte Beispiel einer solchen Haltung Schule für möglichst viele sei und dass damit ganze Systeme durchdrungen werden.
*Dr. med. Edgar Widmer ist Vizepräsident von Medicus Mundi Schweiz und Mitglied im Vorstand von Medicus Mundi International. Kontakt: widmeredgar@freesurf.ch.