Von Felix Küchler
In der Schweiz fliessen nur knappe 2 Prozent der Gesundheitsausgaben in die Prävention. Dagegen fordern wir von Entwicklungsländern, dass sie das Schwergewicht auf vorbeugende Massnahmen legen. Es heisst, der Gesundheits-Gesamtnutzen für die Bevölkerung sei grösser als bei einem vorwiegend kurativen System. Auch in der Schweiz arbeitet eine noch kleine Gruppe von Gesundheitsförderern daran, die vielfältigen Möglichkeiten zu nutzen, um die eigene Gesundheit zu stärken. Die Vision ist, dass das angeborene Gesundheitspotential voll ausgeschöpft wird, ein gesundes Leben lang.
Gesundheitsförderung basiert auf der Tatsache, dass beinahe alle Menschen völlig gesund geboren werden. Theoretisch bringt das Neugeborene genügend Potential mit auf die Welt, um 100 Jahre lang gesund zu bleiben. Diese natürlichen Gesundheitsressourcen gilt es zu erhalten und zu stärken. Optimale Ernährung und Behausung, regelmässige Bewegung und Entspannung, konstruktive befriedigende soziale Einbettung, Arbeit, Sicherheit und Frieden sind die wichtigsten Faktoren, die eine volle Entfaltung des Lebens ermöglichen.
In der Schweiz ist Gesundheitsförderung gesetzlich im Krankenversicherungsgesetz (KVG) verankert. Von jeder Grundprämie werden 2.40 Fr. pro Jahr zur Schweizerischen Stiftung für Gesundheitsförderung gelenkt. Weiter gibt es Organisationen, die zumindest teilweise gesundheitsorientiert agieren. Beispielsweise bietet die Lungenliga Atemkurse an. In der Tat: wir alle könnten im Alltag tiefer, ruhiger, entspannter atmen - eine gesundheitsfördernde Massnahme die nichts kostet.
Natürlich funktioniert das nur, wenn auch die Umweltbedingungen stimmen. Eine Zusammenarbeit mit Umweltämtern, Raumplanern und Politikern ist deshalb angezeigt. Bevor sich beispielsweise eine Stadt für die billigeren Dieselbusse entscheidet, sollten die Konsequenzen für die Gesundheit der Einwohner/innen überdacht werden. Wieviel sind uns weniger Lärm und bessere Luft wert? Wäre nicht sogar die teurere Variante der Elektrobusse letztlich günstiger, wenn auch die externalisierten Gesundheitskosten in die Berechnung mit einbezogen würden?
Günstige Rahmenbedingungen erlauben es dem Individuum und der Gruppe, ein möglichst gesundheitsförderndes Verhalten zu leben. Daneben gilt es, ungünstige Gewohnheiten zu ändern. Um dies zu erreichen, zeigen "Mahnfinger"-Kampagnen wenig Wirkung. Erfolgversprechender ist es, einen bestehenden positiven Trend zu fördern. Erfreulicherweise hat beispielsweise die Anzahl Motorfahrräder im letzten Jahrzehnt stark abgenommen. Die "Human Powered Mobility" boomt, mittels Fahrräder, Inline-Skates, Kick-Boards und wie sie alle heissen...
Die Kampagne "Feel Your Power" will die Hemmschwelle zur eigenen körperlichen Aktivität noch weiter abbauen. Nicht sportliche Höchstleistungen oder Plackerei am Fitnessgerät werden propagiert, sondern die lustvollen, sozialen Komponenten des Tanzens, Laufens oder Schwimmens. Konkrete Tipps weisen auf die vielen Möglichkeiten hin, sich im Alltag zu bewegen: Treppen steigen, zu Fuss gehen statt mit dem Auto oder Bus fahren etc.
Dabei kommt ein werbetechnischer Trick zum Einsatz. Dr. Luzi Fehr operiert von seiner Hexenküche aus und funkt immer wieder mit zynischen Krankheitstipps dazwischen. Dies erweckt Aufmerksamkeit und verhilft dazu, dass Gesundheit auf humorvolle Art zum Thema wird.
Gesundheitsförderung will höhere Lebensqualität und besseres Wohlbefinden schaffen, indem ebensoviel Energie und Ressourcen für Gesundheit wie gegen Krankheiten eingesetzt werden. Unter dem Strich blieben die Ausgaben wahrscheinlich in etwa gleich. Das Resultat wäre jedoch eine sozialere, umweltgerechtere und nachhaltigere Lebensweise.
In der Schweiz fliessen jährlich an die 40 Milliarden Franken in das medizinische Behandlungssystem. Die Ausgaben sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und ein Ende des Anstiegs ist nicht abzusehen. Unbehagen und Ratlosigkeit machen sich breit. Reizwörter wie "Rationierung" und "Zweiklassenmedizin" tauchen auf. Während die Kosten dieses "Krankheitssystems" wachsen, berechnen Gesundheitsökonomen, dass der Grenznutzen eines weiteren Ausbaues der Kurativmedizin immer kleiner wird.
Die Kombination von Zähneputzen, Fluorprophylaxe und Information über die schädliche Wirkung von Süssigkeiten hat zu einer drastischen Senkung des Kariesbefalles und der Zahnfleischerkrankungen geführt. Die Evaluation der Massnahmen darf aber nicht bei Kostenberechnungen stecken bleiben. Wie herrlich ist es doch, intakte, funktionstüchtige Zähne statt Mundgeruch und Schmerzen zu haben! Was im oro-dentalen Bereich möglich war, sollte Ansporn sein, viele weitere Bereiche der physischen, psychischen und sozialen Gesundheit an den Wurzeln zu fördern und zu stärken.
Mottos wie "Vorbeugen ist besser als Heilen" weisen deshalb in die richtige Richtung, greifen aber zu kurz. Ein eigentlicher Paradigmenwechsel ist angesagt. Bereits in der Deklaration von Alma Ata (1978) finden sich Elemente wie Gemeindebeteiligung, Empowerment und interdisziplinäre Zusammenarbeit, die in der Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung (1986) wiederaufgenommen werden und die heutige Strategie bestimmen.
*Dr. med. Felix Küchler, Vorstandsmitglied von Medicus Mundi Schweiz, Mitglied der Geschäftsleitung der Schweizerischen Stiftung für Gesundheitsförderung - Stiftung 19, Lausanne.