Von Didier Clapasson
In Nepal erblinden viele Menschen wegen grosser Armut und daraus resultierenden Mangelerscheinungen. In einem Land, wo viele unter miserablen Lebensbedingungen leben, kann eine Sehschwäche das Abrutschen der ganzen Familie in noch tiefere Armut bedeuten. Mit Unterstützung des Schweizerischen Roten Kreuzes arbeiten Freiwillige mit Präventionsprojekten an der Verminderung der Armutsblindheit; in spezialisierten Augenkliniken wird kostengünstige und wirkungsvolle Hilfe angeboten.
Gulbi Chaudhary schwingt sich auf ihr Fahrrad und macht sich auf den Weg ins nächste Dorf. “Für die beste Freiwillige des Augenprogramms der Nepal Red Cross Society”, steht mit weisser Farbe auf ihrem Fahrrad gepinselt. Das Rad ist ein Geschenk des Nepal Red Cross, unter dessen Organisation ein Programm zur Verbesserung der Augengesundheit läuft. Das Programm wird vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) unterstützt und betreut. 140 Patienten konnte Gulbi Chaudhary im Verlauf der letzten acht Jahre zu einer Kataraktoperation (Grauer Star) bewegen, nicht weniger als 2000 Starblinde hat sie bereits entdeckt und betreut.
Seit 1982 ist das SRK zusammen mit einheimischen Partnern im Bereich der Augenmedizin tätig. Vor allem die Prävention wird gross geschrieben. Keine einfache Aufgabe in einem der ärmsten Länder der Welt, wo viele ums nackte überleben kämpfen, die Alphabetisierungsrate bei nur 42 Prozent liegt und nur 81 Prozent Zugang zu Trinkwasser haben. Deshalb kommt hier der Arbeit von Freiwilligen wie Gulbi Chaudhary, sogenannten Eye Care Volunteers, eine besondere Bedeutung zu. In der Gesellschaft verankert und anerkannt verwehrt man ihnen nur selten den Zutritt zu einem Haus und lässt sich gerne untersuchen.
Das religiös verankerte Kastensystem, obwohl in den 50er Jahren offiziell abgeschafft, ist noch immer sehr stark in Nepal. Vor allem die Unberührbaren, die Mitglieder der untersten Kasten, leiden durch ihre Stigmatisierung am meisten. Da die Freiwilligen meist selber Mitglied einer niedrigen Kaste und ebenfalls Stigmatisierungen ausgesetzt sind, kennen sie die Probleme und Schwierigkeiten aus eigener Hand. Ausserdem wird durch die Freiwilligenarbeit das Bewusstsein für Gesundheitsprobleme direkt in die Dorf- und Familiengesellschaften weiter getragen.
Sushil Upreti hält geduldig hin, als Shandu Lal Tharu, Ophthalmologieassistent und Leiter des Eye Care Centre von Banke, routiniert ihre Augen untersucht. Die 20-jährige Patientin leidet seit einem Jahr an wiederkehrenden Kopfschmerzen mit begleitendem Schmerz in den Augen. Auf Anraten ihrer Eltern, die vom Zusammenhang einer Sehbehinderung und Kopfschmerzen gehört haben, hat sie das Zentrum aufgesucht. Die gründliche Untersuchung bestätigt die Vermutung ihrer Eltern. Shanu Lal Tharu stellt eine Muskelschwäche im linken Auge fest. Dank Medikamenten, vom Roten Kreuz zur Verfügung gestellt, wird Sushil Upreti hoffentlich bald wieder ohne Kopfschmerzen sehen können.
Das Zentrum von Banke ist eines von vier augenmedizinischen Zentren im Land, das mit Unterstützung des SRK betrieben wird.
In den letzten 35 Jahren konnte das Nepalesische Rote Kreuz ein engmaschiges Netz über das ganze Land ziehen, 2001 hatte es 789 000 Mitglieder, davon viele Junge. Mit der Fokussierung auf Augenprobleme geht das SRK ganz bewusst nur auf einen Teilbereich der Gesundheitsprobleme in Nepal ein. In den abgelegenen, ländlichen Regionen ist die augenmedizinische Versorgung nur sporadisch und mangelhaft. So schliesst das Anbieten von Augenmedizin eine Lücke und fördert das Bewusstsein für die allgemeine Basisgesundheit. Denn vor allem Augenkrankheiten wie Trachom und Glaukom konnten sich stark ausbreiten, da das Bewusstsein dafür fehlte und die Krankheiten durch die Lebensumstände verursacht sind - was auch für viele andere Krankheiten gilt. Vor allem das Trachom, eine Infektionskrankheit, wird durch mangelnde Hygiene und das Fehlen von sauberem Trinkwasser weiterverbreitet. Seit der Einführung der ersten Augenprogramme im mittleren Westen von Nepal konnte diese Krankheit durch Informationskampagnen beträchtlich eingedämmt werden.
In einem Land wie Nepal, wo seit 1996 ein erbitterter Bürgerkrieg zwischen der Regierung und dem militanten Block der Communist Party of Nepal, den “Maoisten” herrscht, wo Erpressungen, Wegzölle – auch für Touristen – und Mord an der Tagesordnung sind, übernimmt die Nepal Red Cross Society eine neutrale und deshalb anerkannte Stellung im Lande ein. Nicht zuletzt der Betrieb der landesweiten Blutbank sowie ein zuverlässiger Krankenwagenservice sichern das Vertrauen der Bevölkerung.
So ist es nicht verwunderlich, dass in einer Zeit, in der viele Hilfsprojekte auf Sparflamme betrieben werden, die Projekte des Roten Kreuzes von Maoisten und Regierung grösstenteils unbehelligt weitergeführt werden können. Für die betroffene Bevölkerung ist dies ein Zeichen von Normalität und Vertrauen. Während den Besuchen der Projekte in den beiden Distrikten Bardia und Banke im mittleren Westen des Landes ist die Anwesenheit der bewaffneten Maoistenarmee weder zu sehen noch zu spüren gewesen, obwohl angeblich in nächster Nähe ein Armeecamp errichtet worden sei.
Saubat Ali tappt unbeholfen am Arm des Pflegers in den Vorbereitungsraum des Operationssaales des Fateh-Bah Eye-Hospital in Nepalganj. Auf seinem linken Auge ist der 60-jährige Bauer seit einem Jahr total blind.
Das Augenspital in Nepalganj behandelt seit 1994 jährlich Tausende von Patienten mit Grauem Star; pro Tag sind es zwischen 25 und 40 Patienten. Im Jahr 2002 wurden im einfach eingerichteten Operationssaal des Spitals 6167 fachgerechte Operationen durchgeführt. Das Fateh-Bal Eye-Hospital ist eines der wenigen Hilfsprojekte in Nepal, die den Status des Empfängers externer Hilfe hinter sich lassen konnten. Seit 2001 kann sich das Spital fast ganz selber finanzieren - und ist deshalb der Stolz des SRK in Nepal. Nach dem Vorbild des Spitals in Nepalganj wird nun das Augenspital in Janakpur, im Süden des Landes, unterstützt.
Saubat Ali liegt ein wenig verloren auf dem grossen Schragen. Behutsam wird seine linke Gesichtshälfte von einer Operationsassistentin desinfiziert und das Augenlid mit einem geübten Griff mit Nadel und Faden fixiert. Konzentrierte Stille herrscht. Mit schon tausendmal geübten Griffen macht sich Doktor Induprasad Dhungel an die Operation des Auges. Bald darauf hängt die vollkommen getrübte Linse von Saubat Ali an der Pinzette des Arztes und wird durch eine künstliche ersetzt.
Und schon ist die Operation vorüber. Noch blind tappt Saubat Ali am Arm des Pflegers nach der Operation zurück ins Krankenzimmer. Schon am nächsten Tag wird er die Binde abnehmen und sehend in die Zukunft gehen können.
Das Recht auf SehenDie Dämmerung kommt meist langsam, doch die Dunkelheit ist unerbittlich. Wer von Blindheit betroffen ist, wird seiner Selbständigkeit beraubt, wird hilflos und zu einer Last für die Familie. Vor allem in Drittweltländern wie Nepal, wo Familien oft auf jede Hand angewiesen sind, kann der Verlust der Sehkraft eines Familienmitgliedes den Sturz der ganzen Familie in noch tiefere Armut bedeuten. Weltweit leben schätzungsweise 45 Millionen blinde Menschen. Diese Zahl nimmt jährlich um ein bis zwei Millionen zu. Alle fünf Sekunden erblindet aus Armut ein weiterer Mensch, jede Minute ein Kind. Die meisten Blinden leben in Armutsgebieten und haben keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung. Dabei könnten 80 Prozent der Erblindungen kostengünstig verhindert werden, wenn die notwendigen Mittel bereitstehen würden. Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) setzt sich in Nepal, Tibet, Vietnam, Mali, Ghana, Togo und im Tschad für die Verhütung und Heilung von Armutsblindheit ein. Das Schweizerische Rote Kreuz unterstützt auch die internationale Kampagne Vision 2020, deren Ziel es ist, bis zum Jahr 2020 die Hauptursachen von Blindheit zu besiegen und allen Menschen auf dieser Welt, speziell den Millionen Armen, das Recht auf Augenlicht zu geben. Um diese Vision zu verwirklichen, muss auch bei uns erkannt werden, dass Blindheit eines der grössten Gesundheitsprobleme weltweit ist. |
*Der Journalist Didier Clapasson (Kontakt: clapasson@gmx.net) verfasste den vorliegenden Bericht für das Schweizerische Rote Kreuz. Einige Ergänzungen stammen aus dem aktuellen SRK-Dossier “Augenlicht schenken. Die augenmedizinische Hilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes in Asien und Afrika” (2004). Zur Vertiefung des Themas eignen sich auch die beiden Filme “Blind, weil sie arm sind. Augenschein in Nepal” (DVD und VHS) sowie “Augen-Blicke in Ghana. Präventive und kurative Bekämpfung von Blindheit und Augenkrankheiten” (VHS). Details und online-Bestellung: www.redcross.ch/info/publications/int oder iz@redcross.ch.