Von Janine Haas und Janine Haas
Mit einer Infektionsrate von rund 15% bei den 15-49-Jährigen ist die HIV/Aids-Epidemie in Simbabwe noch lange nicht vorbei. Zwar haben immer mehr Betroffene Zugang zu einer medikamentösen Therapie, doch diese allein reicht nicht aus, um die Epidemie zu beenden. Parallel dazu müssen Menschenmit HIV/Aids psychosozial begleitet werden. Die rund 6'000 Patientinnen und Patienten von Prof. Ruedi Lüthys Newlands Clinic in der Hauptstadt Harare, die aus ärmsten Verhältnissen stammen, werden mit Gruppentherapien, Hausbesuchen oder «Peer Counseling» unterstützt. Das Konzept hat Erfolg: Therapieabbrüche und die Bildung von Resistenzen gegenüber den HIV-Medikamenten können damit vielfach verhindert werden.
In der Newlands Clinic in Harare erhalten rund 6'000 Patientinnen und Patienten aus ärmsten Verhältnissen kostenlos eine HIV-Therapie. Einer von ihnen ist der 22-jährigeTafadzwa. Trotz seines jungen Alters hat er bereits eine richtige Odyssee hinter sich: Als seine Mutter wegen Aids starb, begann für den damals achtjährigen Jungen ein unstetes Leben. Zuerst wurde Tafadzwa einige Jahre lang von seinem Stiefvater betreut. Doch als dieser wieder heiratete und das Geld immer knapper wurde, wurde der Junge jahrelang zwischen verschiedenen Verwandten hin und hergeschickt. Einmal lebte er bei einem Onkel, dann wieder bei Verwandten seiner verstorbenen Mutter – hinzu kamen belastende Familienstreitigkeiten. Tafadzwa, der nach dem grossen Verlust mehr denn je ein stabiles Umfeld gebraucht hätte, wurde in der Pubertät depressiv und lebte eine Zeit lang sogar auf der Strasse.
Tafadzwas Geschichte kann in mancher Hinsicht auf viele andere Patientinnen und Patienten der Newlands Clinic übertragen werden. Ihr Leben ist von Armut und Entbehrungen geprägt: Viele Kinder und Jugendliche wachsen als Waisen auf, weil ihre Eltern an Aids verstorben sind, Frauen leiden unter häuslicher Gewalt und Mütter und Väter wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren und zur Schule schicken sollen. Auf den Menschen lastet ein immenser Druck, und die Ausweglosigkeit ihrer Situation führt nicht selten zu Resignation bis hin zu Depressionen oder gar suizidalen Gedanken. Unter diesen Voraussetzungen eine HIV-Therapie diszipliniert einzuhalten, ist kaum möglich. Aus diesem Grund baute Ruedi Lüthy im Jahr 2013 eine Abteilung für die psychosoziale Begleitung auf. Das Team wird von einer Psychologin geleitet und umfasst auch eine Sozialarbeiterin sowie «Peer Counsellors», die selber HIV-positiv sind und ihre Erfahrungen an andere Patienten weitergeben.
Der Bedarf nach Unterstützung ist gross: Im Jahr 2016 profitierten gut 10 Prozent der Patientinnen und Patienten von den Angeboten. Dazu gehören individuelle Therapie und Beratung, Gruppentherapien, begleitete Selbsthilfegruppen, Hausbesuche durch die Sozialarbeiterin sowie ein Berufsausbildungsprogramm für junge Patientinnen und Patienten. «Meistens werden die Patienten von den behandelnden Pflegepersonen oder Ärzten an uns verwiesen, weil sie schlechte Blutwerte und psychologische Probleme haben», so Bahati Kasimonje. Schlechte Blutwerte heisst im Fall von HIV, dass die Viruslast zu hoch ist, was meistens auf eine unregelmässige Einnahme der Medikamente hinweist. Und diese ist sehr gefährlich: Wenn sich das Virus vermehren kann, mutiert es. Auf diesem Weg entstehen rasch Resistenzen und die Medikamente werden unwirksam.
Auch im Fall von Tafadzwa wurde die psychosoziale Abteilung zu Hilfe gerufen, als klar wurde, dass er die Therapie nicht konsequent einhält. «Ich fühlte mich völlig verloren», erzählt der junge Mann über die Zeit, als er immer wieder woanders lebte. Seine Besuche in der Newlands Clinic, wo er seit dem Jahr 2009 behandelt wird, wurden unregelmässiger, und einige Monate lang unterbrach er seine Therapie ganz, weil er auf der Strasse lebte – mit verheerenden Folgen: Die Standardtherapie versagte, und Tafadzwa erkrankte zuerst an Tuberkulose und später an Meningitis. Das Berufsausbildungsprogramm, das ihm eine Perspektive als Maler geben sollte, musste er wegen seiner schlechten Gesundheit abbrechen. Tafadzwa wurde depressiv und litt gar unter Halluzinationen.
«Im Fall von Tafadzwa haben wiraufgrund des Ernsts der Lage einen externen Psychiater hinzugezogen», so Psychologin Bahati Kasimonje. Doch entscheidend sei die Mobilisierung seines Umfelds gewesen. «Tafadzwa fand mithilfe unserer Sozialarbeiterin bei einem Pastor und dessen Gemeinde ein Zuhause, das ihm die nötige Stabilität gab.» Der junge Mann konnte bei einer Frau ein kleines Zimmer mieten und wurde während der Krankheit von der Gemeinde betreut. Zudem konnte der Kontakt zu einem Onkel neu aufgebaut werden, der sich schon früher um Tafadzwa gekümmert hatte. Mithilfe des sozialen Netzes ging es endlich bergauf: Der junge Mann erholte sich von den Krankheiten und fasste neuen Lebensmut. «Seine Viruslast war vor der Intervention chronisch zu hoch», so die Psychologin. «Mittlerweile hat er mit Medikamenten der 2. Linie seit sieben Monateneine vollständig unterdrückte Viruslast.»
Tafadzwa ist kein Einzelfall: Der Kampf gegen die Resistenzen ist eine grosse Herausforderung, gerade bei Teenagern. Gruppentherapien zur Therapietreue sind deshalb ein zentrales Angebot der Abteilung für psychosoziale Begleitung. Sie dauern in der Regel 6 bis 8 Wochen und basieren auf motivierender Gesprächsführung und kognitiver Verhaltenstherapie. Der Ansatz verzeichnet ermutigende Resultate: Mithilfe der Gruppentherapien konnten im Jahr 2016 bei gefährdeten Patienten Therapieabbrüche vollständig verhindert werden, und 77 Prozent hatten danach eine unterdrückte Viruslast. Bei vergleichbaren Patienten, die keine Gruppentherapie besuchten, erreichten hingegen nur 50 Prozent eine Unterdrückung, und 8 Prozent brachen die Therapie sogar ganz ab. Insgesamt können zurzeit rund 80% aller Patientinnen und Patienten mit der Standardtherapie behandelt werden. Das ist auch deshalb sehr wichtig, weil Medikamente der 2. und 3. Linie sehr viel teurer und Medikamente der 3. Linie in Simbabwe immer noch kaum erhältlich sind.
Ein weiteres häufiges Problem ist die Stigmatisierung von HIV-Patienten. Spezielle Gruppen – sogenannte «Post Disclosure Groups» – richten sich deshalb an Kinder und Jugendliche, die erst kürzlich über ihre Krankheit aufgeklärt wurden. Das ist ein heikler Moment, in dem viele Fragen und Ängste aufkommen. «Den meisten erscheint die Diagnose wie ein Todesurteil, und dieser anfängliche Schock muss durch ausführliche Informationen über die günstige Prognose einer gut behandelten HIV-Infektion und auch im Austausch mit Gleichaltrigen überwunden werden, damit die Kinder und Jugendlichen wieder eine positive Einstellung zur HIV-Therapie erlangen», so Bahati Kasimonje. Weitere Angebote richten sich an besonders verletzliche Patientengruppen wie junge Mütter, die in der Pflege ihrer Babys überfordert sind oder in einer gewaltvollen Beziehung leben, oder Mädchen und junge Frauen, die aus Armut und geringem Selbstwert in die Prostitution geraten könnten oder sich bereits prostituieren.
«Letztlich ist es ein Zusammenspiel verschiedener Massnahmen, die zum Erfolg führen», so Bahati Kasimonje. Kern der Behandlung bleibt die medizinische Therapie, die das Virus im Schach hält. Die begleitenden psychosozialen Angebote können jedoch einen grossen Unterschied machen, weil sie den Patientinnen und Patienten ein Stück Selbständigkeit und damit Lebenssinn zurückgeben. Tafadzwa versteht heute, wie wichtig es ist, dass er die Therapie strikt einhält. Er erhält nach wie vor Hilfe von der Kirchgemeinde, doch er kocht und putzt nun selber und versucht, als Maler Aufträge zu erhalten. Sein Leben wird angesichts der prekären wirtschaftlichen Situation in Simbabwe weiterhin schwierig bleiben, doch es geht ihm gesundheitlich wieder recht gut und er hat nun ein soziales Netz, das ihn in der Not auffangen kann.