Von Chantal Wullimann
Anfangs November 2012 führte das Netzwerk Medicus Mundi das jährliche Symposium der internationalen Gesundheitszusammenarbeit durch. Im Zentrum des Interesses standen Mütter und Kinder, die Hauptnehmer von medizinischen Dienstleistungen weltweit. Drei Jahre vor Ablauf der Millenniums-Entwicklungsziele gilt es, die Müttersterblichkeit und den Zugang zu reproduktiver Gesundheit zurück ins öffentliche und politische Interesse zu rücken.
Referenten unterschiedlicher Organisationen aus Europa, Asien, Afrika und Lateinamerika sprachen über die Herausforderungen, denen sie bei ihrer täglichen Arbeit für Frauen- und Müttergesundheit begegneten und teilten ihre Erfahrungen. Diskutiert wurden Hindernisse und Brücken zwischen Frauen in Entwicklungsländern auf der einen Seite und Zugänge zu Gesundheitsanbietern und Informationen auf der anderen. Dabei bildeten lückenlose Versorgungsketten vor, während und nach der Geburt, Selbstbestimmungsrechte und die Überwindung räumlicher, finanzieller und kultureller Barrieren die zentralen Themen.
Nach der Begrüssung und thematischen Einführung durch Thomas Vogel (MMS) brachte Ann Svensén (RFSU) Frauen- und Kindergesundheit auf den Punkt: starke und selbstbestimmte Frauen können sich besser um die eigene Gesundheit und das Wohlergehen der ganzen Familie kümmern. Svensén zeigt auf, wie es um die Gesundheit von Frauen und Kindern bis 2015, dem Referenzjahr der Millennium-Entwicklungsziele, aussieht und skizziert die Agenda für die Verbesserung der Müttergesundheit über diesen strategischen Zeithorizont hinaus. Noch heute – drei Jahre vor der zeitlichen Ziellinie – sterben täglich rund 1‘000 Frauen und Mädchen an Komplikationen in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt; davon fast alle (99%) in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. In diesen Ländern ist dies die häufigste Todesursache für Mädchen und junge Frauen zwischen 15 und 19 Jahren.
Svensén betont die soziale Komponente der Nachhaltigkeit, die erst gewährleistet werden kann, wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichberechtigt am sozialen Leben teilnehmen können. Sie appelliert an die politischen Entscheidungsträger, sich vermehrt für die Gesundheit und die Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen einzusetzen und die Rahmenbedingungen für Frauengesundheit innerhalb des internationalen Menschenrechtssystems zu verankern. Agnès Adjou-Moumouni, für die DEZA in Benin tätig, weitet diesen Appell auf die kulturellen und religiösen Einflusspersonen aus, die eine grosse Rolle bei der Weiterverbreitung bzw. beim Abbau von Vorurteilen spielen. Solche sind beispielsweise die Assoziation der Pille mit Prostitution oder der obstetrischen Fistel mit Verwünschungen und okkulten Ritualen.
Die Vorteile einer lückenlosen Betreuung vor, während und nach der Geburt werden auch von Judith Eisenring (medico international) aufgezeigt. Eisenring erklärt die Funktion der Geburtshäuser in ländlichen Gebieten El Salvadors und Nicaraguas. Die werdenden Mütter gehen zur Geburtsvorbereitung, Untersuchung und Information in eigens dafür eingerichtete Häuser und können dort vom medizinischen Fachwissen sowie vom Austausch mit anderen Frauen profitieren. Nach der Entbindung in einer nahegelegenen Klinik kehren die Frauen wieder in diese Häuser zurück, wo sie zusätzliche Informationen zur Säuglingspflege erhalten und erneut von Hebammen betreut und vom Wissen erfahrener Mütter profitieren können.
Noch während des Vormittags wurde ebenfalls klar, welche Rolle den traditionellen Geburtshelferinnen zukommt. Elizabeth Moreno (Servicios de Salud Publica de Sucumbíos) und Nathalie López (RIOS) erklärten wie in Ecuador Brücken zwischen traditioneller und moderner Medizin geschlagen werden. Über die Schnittstelle zwischen kulturell verwurzelten Geburtshelferinnen und westlich ausgebildeten Hebammen findet ein gleichberechtigter Informationsaustausch statt, der unter anderem dazu führte, dass traditionelle Heilpflanzen und Gebärstellungen den Weg in moderne Kreissäle fanden. So können gleichzeitig traditionelle Gebärpraktiken anerkannt und eine umfassende medizinische Betreuung und hygienische Bedingungen gewährleistet werden. Moreno und López unterstrichen auch die gesellschaftliche Rolle der Geburtsbegleiterinnen, wie sie bereits zuvor von Eisenring hervorgehoben wurde. Hebammen kämpfen sowohl für die Durchsetzung des Rechts auf bestmögliche Gesundheit für Frauen und Mütter als auch um Anerkennung ihres eigenen Berufsstandes. Die Durchsetzung von Rechten und Gesetzen spricht auch Katrin Heeskens der Bethlehem Mission an. Am Beispiel der sesshaften Samburu Frauen und Kinder in Kenya zeigt sie auf, dass Recht erst durchgesetzt werden könne, wenn es zuvor erfolgreich kommuniziert worden sei.
Auch Oumou Dolo (IAMANEH) wies auf die Wichtigkeit der Kommunikation zwischen Tradition und Religion auf der einen und dem modernen Medizin- und Rechtsverständnis auf der anderen Seite hin. Dolo kämpft in Mali für die Ausbildung von Frauen und Mädchen und deren Rechte auf eine gesunde und normale Sexualität. In einem Umfeld religiöser Interpretationen, Analphabetismus und fehlender Elektrizität dringen neue Konzepte und progressive Ideen nur langsam in die Gesellschaft vor. IAMANEH führt deshalb Individualberatungen durch, in denen Frauen informiert und unterstützt werden, gewisse Entscheidungen selbständig zu treffen. Die Frage nach dem Einfluss religiöser Institutionen auf die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen wurde während der Podiumsdiskussion am Vormittag auch aus dem Publikum gestellt. Adriane Martin Hilber (Swiss TPH) beantwortete diese, indem sie den hohen Stellenwert religiöser Institutionen in weiten Teilen des globalen Südens unterstrich und die Vorteile einer Zusammenarbeit mit der Kirche aufzeigte. Es gelte, diesen Einfluss positiv zu nutzen, denn es sei unter anderem auch religiösen Institutionen zu verdanken, dass Geburten zuhause langsam zurückgingen.
Um institutionelle Geburten zu fördern, muss einerseits die Erreichbarkeit gewährleistet und andererseits die Qualität der Einrichtung positiv wahrgenommen werden. Adjou-Moumouni präsentierte die „Normierung“ der Praktiken bzw. die Errichtung eines Qualitätsstandards innerhalb des DEZA Programms in Benin bereits am Vormittag. Wie komplex die Frage nach dem Zugang zu Geburtsstätten in der Praxis tatsächlich ist, wurde während den Referaten am Nachmittag klar, als unterschiedliche Ansätze zur Überwindung von finanziellen, physischen und kulturellen Barrieren aufgezeigt wurden.
Janet Perkins und Muzahid Ali (Enfants du Monde) zeigten auf, wie in Bangladesch die Zahl ungewollter Schwangerschaften zurückging, nachdem Karten mit klar verständlichen Bildern angeboten wurden und man Ehepartner aufforderte, Entscheide zur Familienplanung gemeinsam zu fällen. Um die finanziellen Herausforderungen einer institutionellen Geburt zu meistern, können die Familien Beratung und Transport zum Geburtshaus als vorteilhaftes Paket in Form eines günstigen Kredits in Anspruch nehmen. Auch im nördlichen Mozambique haben institutionelle Geburten nach der Einführung eines „Baby-Packages“ zugenommen, wie Michael Hobbins (SolidarMed) aufzeigt. Auch das Rote Kreuz verfolgt eine ähnliche Strategie. Jean-Marc Thomé (Schweizerisches Rotes Kreuz) und Bounlam Souvannas (Lao Red Cross) fördern institutionelle Geburten mit sogenannten „Maternity-Voucher“. Das Ziel ist, dass diese Leistungen mittelfristig vom staatlichen Gesundheitsdienst angeboten werden.
Die Referenten sind sich einig, dass finanzielle Anreize institutionelle Geburten zunehmen lassen. Dass sie sich allerdings auch für den Gesundheitsanbieter finanziell lohnen, rechnet Erika Placella (Médecins du Monde) am Beispiel von Haiti vor.
Sabina Matter (Novartis Foundation for Sustainable Development) und Christina Biaggi (Swiss TPH) stellten das neue e-learning Programm Integrated Management of Pregnancy and Childbirth training tool (IMPACtt) vor. Das in Zusammenarbeit zwischen der WHO, dem Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut und der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung entwickelte Arbeitsinstrument beinhaltet vier Module zu Geburt und Säuglingspflege und basiert auf den von der WHO entwickelten IMPAC-Richtlinien (Integrated Management of Pregnancy and Childbirth). Das erste Modul „Essential Newborn Care“ wurde bereits im Tanzanian Training Centre for International Health in Ifakara getestet und steht in Englischer Sprache zur Verfügung. Das zweite Modul über Schwangerenfürsorge wird zurzeit aufgesetzt und die beiden weiteren Module zur Geburt und Säuglingspflege sind noch in der Entwicklungsphase.
Als Anstoss zur abschliessenden Podiumsdiskussion richtet Martin Leschhorn die Frage nach Anzeichen einer konservativen Wende an Jacques Martin (Santé Sexuelle Suisse), Annemarie Sancar (DEZA), Ann Svensén (RFSU) und Maja Loncarevic (IAMANEH). Nachdem Jacques Martin präzisierte, dass es für alle Generationen um eine höhere Lebensqualität und nicht um zusätzlich gewonnene Lebensjahre gehen solle, machte Svensén auf die Komplexität der Frage aufmerksam. Für eine allgemeingültige Antwort seien die Zeichen auf internationaler Ebene zu unterschiedlich und Widersprüche zu verflochten. So würden mancherorts das formale Recht und die Wirklichkeit stark auseinanderklaffen, während aus Ländern des Südens, wie beispielsweise Namibia, zunehmend progressive Stimmen zu hören seien und dies trotz des starken Einflusses der Kirche. Svensén mahnt abschliessend jedoch ebenfalls zur Vorsicht und warnt davor, die Gegner von progressiven Ideen zu unterschätzen.
Maja Loncarevic (IAMANEH) sieht vor allem Zeichen für eine konservative Tendenz. In Mali wurde der neue Entwurf eines frauenaufwertenden Gesetzes vor zwei Jahren im Parlament ebenso abgeschmettert wie das geplante Gesetz gegen die Beschneidung. Im Gegenzug dazu würde sich eine konservative Vorlage an die andere reihen, ein Trend der vom globalen konservativen Tenor noch verstärkt werde und diesen allenfalls weiter nähre. Auch auf dem Balkan, so Loncarevic weiter, würden progressive Errungenschaften von parallel laufenden Gegentrends, wie beispielsweise die Zunahme häuslicher Gewalt, begleitet.
Sancar ihrerseits warnt davor, den Blick auf die Gesundheit zu stark einzuschränken und betont, dass Frauen in der Regel nicht nur die Mutterrolle zukäme, sondern sie als Schlüsselfiguren für die Gesundheit und das Wohlergehen des gesamten Haushalts verantwortlich seien. Da Entscheide nicht in einem Vakuum sondern innerhalb der Gemeinschaft getroffen würden, seien Grundrechte, Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Gleichstellung schliesslich ebenfalls gesundheitsrelevant und müssen in diesen Diskurs einfliessen. Eine Stimme aus dem Publikum erinnerte schliesslich daran, dass auch die Wahl zwischen „konservativem“ bzw. „progressivem“ Verhalten ein universales Menschenrecht darstelle.
*Chantal Wullimann ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Calcutta Project, Basel. Kontakt: chantal.wullimann@stud.unibas.ch