Von Dorina Waldmeyer
Laut UNICEF sterben im Südsudan 62 von 1.000 Babys in ihrem ersten Lebensjahr. Der Bedarf nach ausgebildeten Hebammen ist gross. Die Hebammenschule von der Presbyterian Relief and Development Agency (PRDA) wurde 2005 in der Stadt Leer gegründet und im darauffolgenden Jahr in Betrieb genommen. Während des Bürgerkrieges wurde die Schule dann im Jahr 2013 total zerstört. Dies war ein furchtbarer Moment für die Lehrerschaft und die Studentinnen, die fliehen mussten, aber auch für das Projekt und die Schule selbst. So viel Herzblut hatte man in diese Einrichtung gesteckt, was auf einmal zerstört wurde. Viel Zeit zum Trauern hatte man allerdings nicht, denn es musste weitergehen. Die Studentinnen konnten evakuiert werden und man war sich einig, dass ein Krieg zwar ein Gebäude zerstören mag, aber nicht ein Projekt, das Hebammen ausbildet, um damit werdende Mütter und ihre Neugeborenen im Südsudan zu unterstützen.
In 2014 wurde die Schule nach und nach wiederaufgebaut. Diesmal in Lokichoggio nahe Kakuma, einem der grössten Flüchtlingslager für Südsudanesische Flüchtlinge in Nordkenia. 30 Studentinnen können pro Turnus aufgenommen werden und erhalten nach einer dreijährigen Ausbildung ein staatlich anerkanntes Diplom als Hebamme. Inhaltlich geht es im Kern um die gleichen Themen wie bei einer vergleichbaren Ausbildung in Europa: Die Hebammen lernen, die schwangeren Frauen vorzubereiten, sie bei der Geburt zu unterstützen und den Neugeborenen einen komplikationslosen Start ins Leben zu ermöglichen. Dennoch gibt es auch wesentliche Unterschiede in der Ausbildung aufgrund der begrenzten Hilfsmittel und der extrem herausfordernden Lebensbedingungen der Menschen im Südsudan.
So wird neu seit der Wiedereröffnung der Schule zum Beispiel psychosoziale Unterstützung für die Studentinnen angeboten. Zum einen, weil sie selbst traumatisiert waren, zum anderen damit sie lernen, wie sie mit traumatisierten Schwangeren und frisch gebackenen Müttern umgehen müssen, die durch den Krieg jegliches Vertrauen in fremde Menschen verloren haben.
Angelina erhielt ihr Diplom an der Hebammenschule am 6. Juli 2019. Das Datum wird sie niemals vergessen, gesteht sie uns. Schon immer wollte sie im Gesundheitssektor arbeiten. Dass dies einmal Realität wird, davon konnte die heute 28-Jährige nur träumen. Angelina hat vier andere Geschwister und das Geld für die Ausbildung reichte nur für ihre zwei älteren Brüder. Es ist die Regel, dass kulturell bedingt Frauen selten eine höhere Ausbildung machen können. Nur mit dem Stipendium der Kirche konnte Angelina studieren. Angelina hatte schon früh den Wunsch, etwas bewirken zu wollen im Südsudan. „Ich wollte, dass Mütter und Babys bei uns genauso gut betreut werden, wie in jedem anderen Land in der Welt“, sagt sie. „Noch immer sterben hier zu viele Babys und Mütter an Komplikationen bei der Geburt“.
Im Südsudan haben Hebammen und Frauen mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. „Wir wissen, dass für die Frauen Folsäure und auch andere Vitamine wichtig sind und zur Entwicklung des Ungeborenen beitragen. Leider ist es oft der Fall, dass wir nicht genug davon auf Vorrat haben. Dasselbe gilt für die Malaria-Impfung für Kinder. Wir als Hebammen wissen, dass es eine Malaria-Impfung gibt, allerdings ist der Impfstoff im Südsudan nicht verfügbar“. Deshalb müssen die Frauen anstelle der Impfung die Mütter darauf vorbereiten, wie sie mit Säuglingen umgehen, die Malaria haben“. Dabei gehören Infektionskrankheiten wie Malaria, Lungenentzündung und Durchfallerkrankungen zu den häufigsten Todesursachen bei Babys und Kleinkindern im Südsudan.
Eine grosse Herausforderung sind die langen Wege für die Hebammen. „Manchmal ist es ein Tagesmarsch, um die in den Wehen liegenden Frauen zu erreichen. In vielen Fällen kommen wir zu spät zur Geburt“, sagt Angelina. Deshalb ist es besonders wichtig, die Frauen gut auf ihre Geburt vorzubereiten. Mittlerweile werden vermehrt Babys in Spitälern geboren. Dies soll zur besseren Gesundheitsversorgung der Mütter und Kinder beitragen. Im Allgemeinen gibt es eine grosse Unterversorgung an geschulten Hebammen im Land. Etwas flächendeckendender gibt es die sogenannten Community Midwives, die oft leider nicht ausreichend trainiert sind. Sie aber unterstützen die Frauen vor allem mental.
„Ich wollte, dass Mütter und Babys bei uns genauso gut betreut werden, wie in jedem anderen Land in der Welt“, sagt sie. „Noch immer sterben hier zu viele Babys und Mütter an Komplikationen bei der Geburt“.
Angelinas Leben hat sich total verändert, seitdem sie Ihr Diplom bekommen hat. Auch Angelina hat sich verändert. „Ich kann einen Beitrag dazu leisten, dass junge Mütter bei der Geburt gut begleitet sind und die Säuglinge einen guten Start ins Leben haben. Ich kann dabei sein, wie sich das Leben anderer positiv verändert. Ausserdem wird mir jetzt Respekt entgegengebracht. Die Menschen schauen zu mir auf, denn ich helfe den Frauen, neues Leben auf die Welt zu bringen.“ Aber es gibt auch traurige Momente. „Wenn ich eigentlich weiss, was zu tun wäre, wenn es zu Komplikationen bei Frau und Kind kommt, und ich einfach keine Medikamente zur Verfügung habe, das ist das Schlimmste für mich“, sagt Angelina.
So hat der Südsudan mit 789 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten (UNICEF 2020) eine der höchsten Muttersterblichkeitsraten der Welt. Auch bei der postnatalen Versorgung gibt es im Südsudan grossen Bedarf. Neben der unzureichenden Ausstattung und dem Mangel an Fachkräften in den Gesundheitseinrichtungen, tragen die schlechte Strasseninfrastruktur sowie die langen und unsicheren Wege dazu bei, dass nur wenige Schwangere und junge Mütter in die Spitäler gehen. Meist kommen selbst jene Frauen, die zur Entbindung ins Spital gegangen sind, nicht wieder zurück, um das Baby und sich selbst weiter untersuchen und begleiten zu lassen. Dies erschwert es, frühzeitige Säuglingserkrankungen, wie Gelbsucht oder gar Mangelernährung, aufzudecken. So ist auch ein grosser Teil von Angelinas Arbeit Aufklärung für die Mütter. „Wir sensibilisieren sie, selbst zur Vorsorge zu gehen vom sechsten bis zum neunten Schwangerschaftsmonat und auch zur Abschlussuntersuchung nach der Geburt zu kommen. Ausserdem geben wir ihnen Tipps zum Stillen, zur Ernährung und zur Pflege des Babys im Allgemeinen.
Trotz der vielen Herausforderungen, denen sich die ausgebildeten Hebammen stellen müssen, ist der Abschlussjahrgang bereits der fünfte Jahrgang, der graduiert ist und deren Absolventinnen nun im Südsudan und den umliegenden Flüchtlingslagern tätig sind. Die ausgebildeten Hebammen arbeiten in Spitälern und bei internationalen Organisationen wie dem Roten Kreuz oder Ärzte ohne Grenzen. Sie sind hochmotiviert und wollen mit ihrer Arbeit den Müttern und Neugeborenen helfen. „Für die Zukunft wünsche ich mir immer genügend Instrumente, Medikamente und Materialien zu haben, um die Frauen und die Babys adäquat betreuen zu können. Manchmal fühle ich mich wie ein Auto ohne Benzin. Ohne die nötigen Arbeitsmaterialien kann ich nicht richtig arbeiten und die Frauen und Babys richtig begleiten. Und ihr Leben schützen.“, so Angelina.
Die Nachfrage nach einem Studienplatz zum Studieren in der
Hebammenschule ist gross, die Motivation aktueller denn je. Die Sustainable
Develpment Goals (SDG’s) der UN haben sich zum Ziel gesetzt, im Jahr 2030 die
Müttersterblichkeit auf 70 je 100.000 Lebendgeburten sowie die Sterblichkeit
bei Neugeborenen auf 12 je 1.000 Lebendgeburten zu senken (SDG 3). Dazu sind
gerade im Südsudan noch grosse Anstrengungen nötig.
Die Hebammenschule in Lokichoggio ist eine der wenigen Ausbildungsstätten von diplomierten Hebammen für den Südsudan. Wenn man die jungen motivierten Frauen sieht und den Glanz in ihren Augen, hat man fast das Gefühl, man könne dieses Ziel erreichen. Der starke Wunsch ist zumindest da.