Von Rita Schäfer
Menschen aus diktatorischen Regimen in Afrika, die verfolgt oder von kriegerischer Gewalt bedroht wurden, fliehen mehrheitlich in andere Länder auf dem Kontinent und nicht nach Europa. Südafrika ist ein Zielland für Flüchtlinge, denn seit der demokratischen Wende 1994 sind die dortigen Rechtsgrundlagen vorbildlich. Allerdings hapert es an der Umsetzung entsprechender Gesetze, wie Erfahrungen von Flüchtlingen aus Simbabwe zeigen. Viele von ihnen waren zuvor in ihrer Heimat politisch verfolgt und landesintern vertrieben worden.
Simbabwe wurde 1980 politisch unabhängig, davor war es eine britische Siedlerkolonie. Die medizinische Versorgung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit war insbesondere während des blutigen Unabhängigkeitskriegs in den 1970er Jahren unzureichend. Ab 1980 setzte die neue Regierung viel daran, ein gutes Gesundheitssystem aufzubauen und die wenigen Missionskrankenhäuser mit staatlichen Einrichtungen zu ergänzen. Ländliche Entwicklungsprojekte, die staatliche und nicht-staatliche Geberorganisationen - unter anderem aus der Schweiz - finanziell unterstützten, verbesserten die Ernährung der Menschen in vielen Landesteilen.
Dieser erfolgreiche Prozeß wurde mit der Einführung von wirtschaftlichen Strukturanpassungsprogrammen (ESAP) Anfang der 1990er Jahre eingeschränkt, denn auf Druck internationaler Kreditgeber mußte die simbabwische Regierung ihre Staatsausgaben drastisch kürzen. Zum Spardiktat zählten drastische Einschnitte im staatlichen Gesundheitssektor von 22 auf 11 Mio. US$ zwischen 1990 und 1996. Neben dem Anstieg behandelbarer Krankheiten eskalierte die Müttersterblichkeit von 238 pro 100.000 in 1994 auf 1068 pro 100.000 in 2002 und die Säuglingssterblichkeit von 54 pro 1000 Lebendgeburten in 1990 auf 69 im Jahr 2001. Bereits 1995 hatten mindestens 100.000 Menschen ihre Arbeit verloren und die Arbeitslosigkeit war auf über 50% gestiegen.
Dem verbliebenen und schlecht bezahlten Gesundheitspersonal wurden durch die rasant eskalierende HIV/AIDS-Epidemie enorme Arbeitbelastungen aufgebürdet, sogar bei Operationen war mancherorts kein ausreichender Infektionsschutz vorhanden. Während 1993 noch 1427 Ärzte im Land registriert waren, was ein Arzt/Ärztin- Patienten/-innen-Verhältnis von 1 zu 7.700 bedeutete, stieg die Zahl der Patienten/-innen in den Folgejahren rasch über 11.000 pro Arzt/Ärztin.
2003 waren laut Regierungsangaben 24,6% der 15 bis 49-Jährigen HIV-positiv, es waren vor allem Frauen und junge Mädchen. Im gleichen Jahr ging die WHO davon aus, dass 290.000 HIV-positive Menschen in Simbabwe mit anti-retroviralen Medikamenten zu behandeln seien. Die Regierung setzte sich zum Ziel, mindestens 55.000 bis zum Jahresende 2005 medizinisch zu versorgen. Im Juni 2004 erhielten aber nur 6000 HIV-Positive die lebensrettenden Medikamente, die meisten allerdings in privaten Gesundheitseinrichtungen. Im März 2005 verteilten staatliche Gesundheitseinrichtungen anti-retrovirale Medikamente an knapp 15.000 HIV-Positive. Die HIV-Prävalenzrate betrug dann 21% bei 15 bis 49-Jährigen.
Die Krise im Gesundheitssektor und eskalierende wirtschaftliche Probleme ab dem Jahr 2000 wurden durch die Enteignung mehrerer tausend weißer Farmer und die gewaltsame Vertreibung von über 150.000 schwarzen Farmarbeiter/-innen verschärft, denn danach brach die Ökonomie des Landes zusammen. Dazu trugen auch Indigenisierungsvorschriften in der Wirtschaft bei, zumal nur eine kleine regierungsnahe Elite davon profitierte.
Die landesintern Vertriebenen (IDPs) versuchten, im urbanen informellen Sektor eine neue Existenz aufzubauen, obwohl die Konkurrenz hier bereits wegen der Massenentlassungen im formellen Sektor groß war. Nach Stimmenverlusten bei nationalen Wahlen 2005, die mit massiver Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte und regimenaher Schlägertrupps einhergingen, gerieten sie ins Visier der Regierung. Diese unterstellte informell Beschäftigten, die Opposition gewählt zu haben. Im Winter 2005 wurden ihre Handwerksbetriebe und Unterkünfte von Bulldozern im Regierungsauftrag plattgewalzt. Eine UN Habitat-Studie dokumentierte die katastrophalen Ausmaße der umfassenden Zerstörungen in den Großstädten und die negativen Folgen für über 700.000 Menschen, die obdachlos und abermals landesintern vertrieben wurden. Auch Menschen, deren Handwerksausbildung die nichtstaatliche Schweizer Entwicklungszusammenarbeit gefördert hatte, zählten zu den Opfern. Die Schweizer Regierung half Vertriebenen mit wichtigen Nahrungsmitteln und weiterer humanitärer Unterstützung.
Für die Überlebenden war es schwer, in dem von parteipolitischen Patronagenetzen durchzogenen informellen Sektor erneut einen Platz zu finden. Zudem wurden verarmte Strassenhändler/-innen in regierungsnahen Medien für die wiederholten Cholera-Epidemien verantwortlich gemacht. Ihnen wurde mehrfach unterstellt, unsauberes Gemüse verkauft und damit die Erreger verbreitet zu haben. Dabei zählten nicht gewartete Wasserleitungen und durch Korruption veruntreute Gelder für Chemikalien zur Wasserentkeimung zu den Ursachen. Die Krankheit brach in dicht besiedelten und verarmten Stadtteilen aus, wo auch etliche IDPs Zuflucht gesucht hatten. Da die Regierung die Probleme zu lange ignorierte und zu spät internationale Hilfe erlaubte, erkrankten 2008-2009 über 98.500 Menschen an Cholera, mindestens 4.300 Menschen starben, wozu auch die hohen HIV/AIDS-Raten betrugen.
Der bereits kaputt gesparte Gesundheitssektor, der bei wiederholten Cholera-Epidemien zwischen 2002 und 2006 schon Hunderte Menschenleben gefordert hatte, geriet nun vollends an seine Grenzen. Die damalige Hyperinflation führte gleichzeitig dazu, dass Krankenhäuser keine Medikamente mehr kaufen konnten und die niedrigen Gehälter von umgerechnet unter 500 US-Dollar pro Arzt wegen der exorbitanten Inflation kaum reichten, um die Fahrten zur Arbeit bezahlen, geschweige denn eine Familien zu versorgen. Viele sahen sich gezwungen, im Ausland zu arbeiten. Auch die Belastungen, trotz zahlloser Überstunden heilbare Patienten/-innen mangels technischer Ausstattung und einfacher Heil- und Hilfsmittel sterben zu sehen, spielten eine Rolle. Dabei betrug der Anteil des Gesundheitsetats am gesamten Budget in den Jahren zuvor zwischen 6 und 9%. Mißmanagement bei gleichzeitigen Anfeindungen von Politikern und Verunsicherung wegen der ökonomischen Dauerkrise im Land zählten auch zu den Gründen, die Mitarbeiter/-innen im Gesundheitssystem migrieren ließ. Zwischen 1991 und 2004 verließen 674 Ärzte/-innen Simbabwe, damit sank ihre Gesamtzahl im Land auf 751. Auch Krankenschwestern emigrierten, da ihre Arbeitsbelastungen insbesondere in ländlichen Gebieten ohne die notwendige medizinische Grundausstattung noch größer waren. Von 15.476 staatlich registrierten Krankenschwestern in 1998 waren 2001 nur 12.477 geblieben. 2005 waren es nur noch 11.640, wovon ein Teil in privaten Kliniken arbeitete; die Emigrantinnen wurden mehrheitlich in UK oder Südafrika angestellt. Sie schickten regelmäßig Geld an ihre Verwandten in der Heimat und sicherten damit deren Existenz.
Die simbabwische Regierung reagierte auf Streiks des Gesundheitspersonals, das auch in den Folgejahren die katastrophalen Zustände und (Arbeits)bedingungen in staatlichen Krankenhäusern skandalisierte, mit Drohungen und Massenentlassungen, so im April 2018. Währenddessen ließ sich die politische Elite bei Unpäßlichkeiten auf Staatskosten außer Landes behandeln.
Politische Verfolgung, willkürliche Verhaftungen, Folter und Bedrohungen veranlaßten zahlreiche Simbabwer/-innen, ins Nachbarland Südafrika zu fliehen. 2008 stellten 111.668 einen Asylantrag, 2009 waren es 149.453 und 2010 146.566. Auch die ökonomische Dauerkrise zwang Familienversorger/-innen zur dortigen Arbeitssuche, 2015 waren es über 475.000. Überfordertes und korruptes Personal in Einwanderungsbehörden verschleppte zahllose Aufenthalts- und Arbeitsanträge, wodurch es für Simbabwer/-innen schwer wurde, legal in Südafrika zu sein. Das verursachte große Belastungen, denn damit war der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, Wohnraum und Arbeit verbunden. Gemäß gesetzlicher, gesundheits- sowie migrationspolitischer Vorgaben sollte es keine Diskriminierung im Gesundheitssektor geben, faktisch erlebten Asylbewerber/-innen und Migranten/-innen aus Simbabwe und anderen afrikanischen Ländern jedoch xenophobe Anfeindungen bei medizinischen Untersuchungen. Diese spiegelten Strukturprobleme und Mängel im öffentlichen Gesundheitssystem Südafrikas, etwa jahrelang verschleppte HIV-Prävention.
Besonders problematisch war das für Vergewaltigte, die anti-retrovirale Medikamente benötigten. Simbabwerinnen, die bereits in ihrer Heimat politisch verfolgt und mißhandelt worden waren und bei der Flucht durch Gewaltübergriffe abermals traumatisiert wurden, waren nicht nur mit Problemen in der Alltagsorganisation und geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert, sondern auch mit Xenophobie. Zudem drohten ihnen Deportationen, was wiederum ihre Gesundheit beeinträchtigte. Zwischen 2000 und 2013 deportierte Südafrika 960.00 Simbabwer/-innen. 2015 wurden 3.051 Menschen aus Simbabwe während der Operation Fiela deportiert; dem waren xenophobe Übergriffe vorausgegangen. Absurderweise suchten die Sicherheitskräfte dann illegale Migranten/-innen und fahndeten nicht nach xenophoben Gewalttätern. Solche Probleme dauern an, daher sind Projekte zur Situationsverbesserung in Simbabwe sehr wichtig.
Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit fokussiert auf Gesundheit, insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Dazu gehört deren materielle und psychosoziale Versorgung sowie Wissen über reproduktive und sexuelle Gesundheit. Damit werden junge Menschen gestärkt. Auf regionaler Ebene werden kleinbäuerliche Produzenten/-innen bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt, lokal angepaßtes Saatgut mindert den existentiellen Zwang zur Abwanderung. Eine diversifizierte Landwirtschaft zählt zur Schweizer Entwicklungsstrategie 2018-2022 im südlichen Afrika, so werden dortige ländliche Versorgungs- und Lebensperspektiven verbessert. In Simbabwe kommen Wasser- und Sanitärversorgung hinzu, marginalisierte Gruppen sind seit 2008 eine besondere Zielgruppe. Das schützt intern Vertriebene vor Diskriminierung.
Ergänzend wirkt die humanitäre Hilfe, etwa für Überlebende des Zyklon Idai, der Mitte März 2019 Zerstörungen im Osten Simbabwes verursachte. Die Unterstützung konzentriert sich auf die Masvingo Provinz, wird von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) vergeben und vom Welternährungsprogramm koordiniert. All diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass Vertriebene und von der Dauerkrise im Land Betroffene eigene Zukunftsperspektiven entwickeln können.