Die Belastung durch Depressionen und andere psychische Erkrankungen nimmt weltweit zu.

Die Covid-19 Pandemie hat den Mangel an psychischer Unterstützung deutlich gemacht

Von Carine Weiss

Mit der Covid-19-Epidemie stieg das Risiko für Millionen von Menschen, von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen zu sein, die nicht nur körperliche, sondern auch psychische Spuren hinterlässt. Als die Länder Lockdowns einführten, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, nahm die Gewalt gegen Frauen, insbesondere die häusliche Gewalt, zu - in einigen Ländern haben sich die Anrufe bei Beratungsstellen verfünffacht. In anderen Ländern ist die Zahl der formellen Meldungen über häusliche Gewalt zurückgegangen, da es für die Überlebenden schwieriger ist, auf dem üblichen Weg Hilfe zu suchen und Unterstützung zu erhalten.

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Die Covid-19 Pandemie hat den Mangel an psychischer Unterstützung deutlich gemacht
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Einer neuen WHO-Studie zufolge, hat die Covid-19-Pandemie in 93 % der Länder weltweit psychische Gesundheitsdienste unterbrochen oder zum Erliegen gebracht, während die Nachfrage nach psychologischer Beratung steigt (WHO, 2020). In vielen Kontexten fehlte es an einer angemessenen und evidenzbasierten Behandlung, und Menschen mit psychischen Erkrankungen erlebten schwere Menschenrechtsverletzungen und waren und sind Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt. Trotz des Bedarfs sind die Investitionen in die psychische Gesundheit nach wie vor äusserst begrenzt und gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen und Diensten, insbesondere in ressourcenarmen Gegenden.

Weltweit erfährt eine von drei Frauen im Laufe ihres Lebens körperliche oder sexuelle Gewalt, wobei Gewalt in der Partnerschaft am häufigsten vorkommt. Die Gewalt nimmt in der Regel in Notsituationen zu, z. B. in Kriegsgebieten, in fragilen Staaten oder während der derzeitigen Covid-19-Pandemie, da es zu Lockdowns kam. Insbesondere junge Frauen, Frauen mit Behinderungen und arme Frauen sind einem deutlich erhöhtem Risiko ausgesetzt.

Die Schliessung von Schulen und die wirtschaftliche Belastung haben dazu geführt, dass Mädchen nicht mehr zur Schule gingen und dass Frauen ärmer und arbeitslos wurden. Sie wurden anfälliger für Ausbeutung, Missbrauch, Zwangsheirat und Belästigung. Weltweit wurden im vergangenen Jahr 243 Millionen Frauen und Mädchen von einem Intimpartner missbraucht. Gleichzeitig zeigten weniger als 40 Prozent der Frauen, die Gewalt erfuhren, diese an oder suchten Hilfe (UN WOMEN, 2020).


Photo by Yuris Alhumaydy on Unsplash
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Wir müssen die Vergewaltigungskultur durchbrechen

Die Vergewaltigungskultur ist allgegenwärtig. Sie ist eingebettet in die Art und Weise, wie wir denken, sprechen und uns in der Welt bewegen. Auch wenn die Kontexte unterschiedlich sein mögen, ist die Vergewaltigungskultur immer in patriarchalischen Überzeugungen, Macht und Kontrolle verwurzelt.

Vergewaltigungskultur ist das soziale Umfeld, das es ermöglicht, sexuelle Gewalt zu normalisieren und zu rechtfertigen, und das durch die anhaltenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und durch die Einstellungen zu Geschlecht und Sexualität angeheizt wird.


Sie zu benennen ist der erste Schritt zu ihrer Beseitigung.

Jeden Tag haben wir die Möglichkeit, unser Verhalten und unsere Überzeugungen auf Vorurteile hin zu überprüfen, die eine Fortsetzung der Vergewaltigungskultur ermöglichen. Von unseren Einstellungen zu geschlechtlichen Identitäten bis hin zu den politischen Massnahmen, die wir in unseren Gemeinschaften unterstützen, können wir alle etwas gegen die Vergewaltigungskultur unternehmen.

Jede Gewaltform hinterlässt Spuren im Herzen, die sich leicht in Depressionen und Angstzuständen und anderen psychischen Störungen wie PTSD (post-traumatic stress disorders) äussern können. Es braucht mehr Anlaufstellen für die Opfer, wie auch für die Täter r. Psychische Störungen können jeden zu jeder Zeit im Leben treffen. Aber manche Menschen sind stärker gefährdet als andere.

Es ist leicht, den Täter ausfindig zu machen und ihm die Schuld für das zu geben, was er seiner Frau, seiner Tochter oder seinen Kindern und Frauen im Allgemeinen antut. Was wir oft nicht sehen, ist die Geschichte der einzelnen Personen. Wir sehen nicht, welche Art von Traumata in jeder Person stecken. Die Geschichte der Gewalt wiederholt sich, wenn sie nicht von der Person selbst aufgearbeitet und geheilt wird. Eine Frau wird Missbrauch erdulden, weil sie denkt, dass es in Ordnung und normal ist. Ein Mann wird seine Frau weiterhin schlagen, weil er denkt, dass dies normal und in Ordnung ist. Das ist es aber ganz und gar nicht!

Je mehr Menschen - Frauen und Männer gleichermaßen - aufstehen und über Vergewaltigung, geschlechtsspezifische Gewalt und die verschiedenen Formen des Missbrauchs sowie über die Ursachen sprechen, desto mehr Heilung kann stattfinden. Jeder Einzelne, jede Familie und jede Gemeinschaft kann diese schädlichen Normen und Praktiken verändern.


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Mentale Gesundheit ist Teil der physischen Gesundheit

Zu lange wurden psychische Störungen von den Gesundheitssystemen weitgehend übersehen. Fehlende politische Unterstützung, unzureichendes Management, überlastete Gesundheitsdienste und zuweilen der Widerstand von politischen Entscheidungsträgern und Gesundheitsfachkräften haben die Entwicklung kohärenter Systeme für psychische Gesundheit behindert. Missverständnisse über das Wesen psychischer Störungen und ihre Behandlung haben den Fortschritt weiter erschwert, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass Traumata und psychische Wunden geheilt und soziale Strukturen durch psychosoziale Unterstützungs- und Versorgungssysteme wieder aufgebaut werden können.


Referenzen
Carine Weiss
Carine Weiss ist Projektleiterin bei Medicus Mundi Schweiz.
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