Von Kurt Brauchli
Das Internet hat in den letzten Jahren eine rasante Verbreitung gefunden. Mit den technischen Möglichkeiten, die das Internet heute bietet, ist es leicht möglich Bilder von sehr guter Qualität in Windeseile um die Welt zu schicken, und sogar Videosequenzen lassen sich heute problemlos übertragen. Damit scheinen eigentlich alle Voraussetzungen erfüllt, das Internet für Telemedizin zu verwenden. Gerade in der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern ist es aber nützlich, sich ein paar generelle Gedanken über Telemedizin zu machen.
Traditionellerweise stellt man sich unter Telemedizin eine Interaktion zwischen PatientIn und Arzt oder Ärztin vor. Dies ist allerdings eine sehr einschränkende Sicht von Telemedizin und gerade in Entwicklungsländern selten anwendbar. Telemedizin - also medizinische Arbeit über Telekommunikation - kann in vielen verschiedenen Gebieten angewendet werden:
Im Normalfall ist eine genauere Diagnose das Ziel einer Konsultation. Gerade in Entwicklungsländern besteht aber häufig das Problem, dass für eine entsprechende Therapie nicht die benötigten Mittel zur Verfügung stehen. Eine Diagnose kann aber trotzdem weiterhelfen, denn es werden weniger Ressourcen für falsche Therapien verbraucht, und für die Patienten ist es einfacher abzuschätzen, was z.B. eine Verlegung in ein anderes Spital bringen könnte.
Zudem ist es für die beteiligten Ärzte oft frustrierend, wenn sie nicht einmal eine genaue Diagnose wissen. Vor allem für Ärzte mit guter Ausbildung ist es wichtig, dass das an der Universität erworbene Wissen auch irgendwie zur Anwendung kommt und sei es nur in der Kommunikation mit Kollegen. Neben finanziellen Aspekten ist speziell dieser Frust über mangelnde Information und mangelnde Anwendung der eigenen Kenntnisse ein Faktor, der Ärzte aus Entwicklungsländern veranlasst, ihr Land in Richtung USA oder Europa zu verlassen**.
Das ganze System basiert auf einem Webserver und ist von jedem Internetanschluss aus nutzbar. Benutzer können sich in Diskussionsgruppen zusammenschliessen. In einer solchen Gruppe können Fälle als Text und Bilder gespeichert werden, und die anderen Benutzer haben die Möglichkeit, Kommentare zu den einzelnen Fällen einzugeben (vgl. Abb.1). Auf der Basis dieser Kommentare entsteht dann eine Diskussion, in der durchaus auch mal Rückfragen, Meinungsverschiedenheiten etc. vorkommen. In der Diskussion sind alle gleichberechtigt, d.h. jedes Mitglied der Gruppe kann alles mitlesen.
Um den Zugang von möglichst vielen Orten zu ermöglichen wurde auch ein Modul entwickelt, um Daten über Email einzusenden. Dabei wird eine einfache Email mit der Beschreibung im Text und den Bildern als Anhang an ein bestimmte Email Adresse geschickt, und der Server kann diese Email automatisch in der vorgewählten Gruppe als Fall ablegen, sodass er von den übrigen Mitgliedern online diskutiert werden kann. Vor allem in Gegenden mit unzuverlässigem Internetanschluss ist dieser Zugang sehr nützlich.
Im Moment werden jetzt auch spezielle Fachgruppen zu bestimmten Spezialgebieten der Pathologie aufgebaut. Damit soll vor allem neuen Benutzern der Zugang und Kontakt mit gesuchten Spezialisten erleichtert werden.
Seit Januar 2001 betreiben wir am Institut für Pathologie der Universität Basel einen Telepathologie-Server im Internet. Dieser Server war ursprünglich dazu geplant, pathologisch-anatomische Konsultationen für das Regionalspital in Samedan anzubieten. Zudem begannen einige der Pathologen am Institut, auf dieser Plattform interessante und schwierige Fälle mit anderen Kollegen zu diskutieren.
Ein erstes Projekt mit einem Entwicklungsland wurde auf die Initiative von Dr. Hermann Oberli am National Referral Hospital (NRH) in Honiara, Solomon Islands, realisiert, wo Hermann Oberli seit Jahren als Chirurge arbeitet. Die einzige Möglichkeit, eine pathologische Diagnose zu erhalten, bestand für bisher darin, Gewebe mit dem Flugzeug ins 3000km entfernte Brisbane zu schicken. Bis die Diagnose dann 6 bis 10 Wochen später eintraf waren die Patienten meist schon wieder in ihre Heimatdörfer bzw. -inseln zurückgekehrt und nicht mehr erreichbar, da es ausserhalb der Hauptstadt fast keine Telefonanschlüsse gibt.
Im September 2001 konnten wir am NRH - zusammen mit dem lokalen Laborpersonal - ein einfaches Histologielabor aufbauen, in dem Gewebeproben für die Begutachtung unter dem Mikroskop aufbereitet werden können (vgl. Bild 2). Mit einer einfachen Digitalkamera (Nikon CoolPix 990) können am Mikroskop Fotos der Präparate gemacht werden. Diese werden per Email an den Server in Basel geschickt, wo sich eine Gruppe von Pathologen die Bilder anschauen kann. Normalerweise kann so innerhalb von zwei bis drei Tagen eine vorläufige Diagnose gestellt werden. Für definitive Diagnosen werden von den Pathologen manchmal noch zusätzliche Bilder angefordert. Wobei es auch vorkommen kann, dass auf elektronischem Wege keine Diagnose gestellt werden kann.
Neben der Ferndiagnose dient die Telepathologie in diesem Falle aber auch dazu, die Funktionsfähigkeit des Labors zu erhalten, bis ein einheimischer Arzt seine Ausbildung zum Pathologen in Papua Neu Guinea absolviert hat. Wenn niemand das Resultat des Labors betrachtet und beurteilt besteht für die beiden LaborantInnen kein Anreiz, die Arbeit gut zu machen, und das Labor verkommt, bevor der einheimische Pathologe seine Arbeit aufgenommen hat. Aber ohne funktionstüchtiges Labor lässt sich wiederum kein Pathologe finden.
Durch das Internet auf die Zusammenarbeit mit den Solomon Islands aufmerksam geworden, haben sich einige Pathologen aus diversen Entwicklungsländern gemeldet, die gerne ab und zu schwierige Fälle mit anderen Experten diskutieren wollten. Inzwischen hat sich eine aktive Gruppe von Pathologen gebildet, die solche Fälle diskutiert. Dabei arbeiten auch einige pensionierte Pathologen mit, die auch im Ruhestand gerne ihre Erfahrung und ihr Wissen weitergeben möchten.
Die ganze Diskussion basiert dabei auf einem Modell bei dem alle Partner die gleichen Rechte haben. Die anfragenden Pathologen erhalten also nicht einfach eine fertige Schlussdiagnose, sondern sind aktiv an der Diskussion zwischen den Experten beteiligt und können so aus der Diskussion über ihre eigenen Fälle lernen und bei Unklarheiten auch weitere Fragen stellen. Zudem werden die Fälle auch unter den Pathologen der einzelnen Entwicklungsländern diskutiert, und es besteht ein gegenseitiger Austausch.
Für beide Anwendungen - Konsultation und Primärdiagnostik - sind weitere Projekte in weiteren Ländern in Vorbereitung. So soll z.B. an einem Spital in Kambodscha im Juni - analog zu Honiara - von einer deutschen Gruppe ein Labor aufgebaut werden.
Daneben laufen einige Experimente, ein solches Netzwerk auch für Teaching und Weiterbildung zu verwenden. Der grosse Vorteil ist dabei der, dass auch Leute aus Entwicklungsländern bei der Aufarbeitung von Lernmaterial direkt mitarbeiten können. Durch die einfache Verfügbarkeit der Infrastruktur lassen sich auch sehr kleine aber gezielte Inhalte entwickeln. Ein extremes Beispiel ist hier vielleicht ein amerikanischer Pathologe, der für einen Kollegen aus Vietnam Spezialuntersuchungen und Antikörperfärbungen macht. Der Pathologe in den USA fotografiert die Resultate dieser Untersuchungen und speichert sie mit Kommentar und Diagnose auf dem Server, so dass sich der Pathologe in Vietnam die Resultate ebenfalls anschauen kann.
An der University of Transkei in Südafrika wird im Moment ausprobiert, das gleiche Werkzeug für den Aufbau eines regionalen Netzwerkes zu benutzen. Für einen Arzt in einem Kleinspital in der Transkei macht es im Normalfall keinen Sinn, einen Spezialisten in Europa anzufragen, sondern er möchte sein Problem erst mit einem Kollegen oder Spezialisten in der Region besprechen. Für besonders schwierige Situationen sollte es aber dennoch möglich sein, einen weiteren (ausländischen) Experten zu Rate ziehen zu können. Da die verwendete Software frei (open source) zur Verfügung steht, ist der Aufbau eines solchen regionalen Netzwerks im Prinzip ohne spezielle Kosten und mit der gleichen Software möglich. Die Verwendung der gleichen Software erleichtert den Austausch von Fällen zwischen verschiedenen Netzen natürlich enorm.
Open Source bedeutet, dass der gesamte Code der Software offen zugänglich ist. Daher kann im Prinzip jeder Programmierer die Funktionalität der Software ändern und sie den lokalen Bedürfnissen anpassen. Eine entsprechende Zusammenarbeit mit der University of Transkei ist ebenfalls geplant. Ob sich ein längerfristiger Betrieb eines solchen regionalen Netzwerkes realisieren lässt, muss sich aber noch zeigen.
Im Falle der Transkei wird die Anwendung sicherlich nicht auf Pathologie beschränkt bleiben. So werden jetzt schon Röntgenbilder verschickt aber im Prinzip sind alle Probleme, die sich mit Bild und Text beschreiben lassen, für Konsultation über Internet geeignet.
Im Moment steht das Testsystem in Basel prinzipiell allen interessierten Benützern offen und weitere Anwendungen des Systems, auch solche von experimenteller Natur, sind erwünscht. Für eine sinnvolle Weiterentwicklung einer solchen Infrastruktur sind kritische Kommentare und Anregungen von den Benützern unabdingbar. Ob ein langfristiger Betrieb eines solchen Systems an der Universität Basel möglich ist, ist noch nicht geklärt. Da die Software, die im Rahmen des Projektes entwickelt wurde, frei erhältlich ist, lässt sich eine solche Plattform auch von anderen Institutionen für ihre eigenen Zwecke realisieren.
*Input von Kurt Brauchli, Institut für Pathologie, Universität Basel, am MMS-Workshop "Ins Netz gegangen", 5. Juni 2002. Kontakt: kurt.brauchli@unibas.ch. Projekt-Homepage: http://ipath.sourceforge.net; Telepathologie Server: http://telepath.patho.unibas.ch. Informationen zu Solomon Islands: www.hermannoberli.ch;
**Vgl. Dominique Frommel in Le Monde Diplomatique vom Mai 2002