Krisen- und Sicherheitsmanagment für Hilfsorganisationen

Entwicklungszusammenarbeit im Krieg

Von Dirk Freudenberg und Philipp Reber

Mitarbeitende im Feld unter Schutz von Militärs, Armeen als Entwick-lungshelferInnen und Angriffe auf Hilfsorganisationen als Kriegsstrate-gie: Die Entwicklungszusammenarbeit steht vor neuen Herausforderun-gen. Wie sollen sich international tätige NGOs positionieren, um ihre Projekte durchführen und ihre MitarbeiterInnen schützen zu können?

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Die Entwicklung und die Umsetzung von Krisen- und Sicherheitskonzepten in unterschiedlichen Organisationsformen bedingen immer eine Zweck-Ziel-Mittel-Rationalität, welche in besonderer Weise die Eigentümlichkeiten, Ziele und Interessen der Organisation wie auch die Zielsetzungen ihrer Mandate sowie das Milieu ihres Einsatzes berücksichtigen müssen. Humanitäre Organisationen und ihre Angehörigen, welche als Helfer in Regionen gehen, die oftmals ein unfriedliches Umfeld bereiten, haben sich immer schon mit den Risiken eines Einsatzes auseinandersetzen müssen. Allerdings standen in der Vergangenheit eher Risiken und Gefährdungen aus dem Bereich der Arbeitssicherheit, der Gesundheitsvorsorge oder des Umgangs mit Kraftfahrzeugen in schwierigem Gelände im Vordergrund, den klassischen Safety-Aspekten. Jedoch haben sich die Hintergründe der Verwundbarkeiten verändert.

Zunehmend sehen sich auch humanitäre Akteure – wie auch die Angehörigen von Wirtschaftsunternehmen – direkt bedroht oder gar als Opfer von (bewaffneten) Angriffen, Entführungen und Erpressungen. Auch für Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben sich die Rahmenbedingungen ihres Sicherheitsumfeldes im „Humanitärem Raum“ zum Teil drastisch verändert und eine wesentliche Ursache hierfür ist, dass die kodifizierte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Helfer in den Konflikten zunehmend nicht mehr anerkannt wird – im Gegenteil, selbst NGOs häufig als Teil einer Konfliktpartei oder gar des Konflikts selbst angesehen werden und somit zum Ziel von Anschlägen oder zum Objekt und zum Faustpfand krimineller oder gar politischer Erpressungen gegenüber staatlichen Akteuren werden. Somit treten auch ansteigend Security-Aspekte von Sicherheit in den Focus vorsorgender Einsatzplanungen. Interessanter-, wie auch im Sinne eines einheitlichen Sicherheitsverständnisses nützlicherweise, liegen dem Sicherheitsverständnis unterschiedlicher Akteure dem Grunde nach die gleichen Definitionsansätze von Sicherheit und damit das gleiche Sicherheitsverständnis zu Grunde. Verantwortungsbewusste Organisationen und vor allem Personen mit Personal- und Führungsverantwortung werden sich dieser Tatsache stellen müssen, um die erforderlichen personellen, materiellen und organisatorischen Voraussetzungen für ihren Verantwortungsbereich und ihr Krisenmanagement in der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung zu treffen. Gleichzeitig erzwingt eine grundlegende Lagefeststellung eine fundamentale Standortbestimmung der eigenen Organisation, welche die besondere Rolle der eigenen Organisation im Gesamtkontext untersucht. Hierbei ist auch in zunehmendem Masse die Frage zu berücksichtigen, inwieweit eine Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren möglich oder gar zwingend geboten sein kann.

Die Hintergründe für diese Entwicklungen sind durchaus komplex. Im internationalen System hat man es zunehmend mit Akteuren zu tun, die keinen „staatlichen Körper“ haben. Möglicherweise muss sich die Staatenwelt – Nationalstaaten und staatliche Gemeinschaften – darauf einstellen, zukünftig oftmals kein entsprechendes bzw. staatliches Gegenüber zu haben. Das hat Auswirkungen auf das Völkerrecht; geht doch die Charta der Vereinten Nationen vom Prinzip der Staaten als Akteure aus und ist mit ihrem Instrumentarium hierauf ausgerichtet. Als diametrale Erscheinung der Globalisierung bilden sich regionale und örtliche Machtstrukturen heraus, die als neue Akteure aus zerfallenden Staaten hervorgehen oder aus bereits zuvor bereits bestehenden Subsystemen empor- und aufsteigen. Daher ist es auch fraglich, ob diese Akteure überkommene völkerrechtliche und staatsrechtliche Kodifikationen und Gewohnheiten akzeptieren, ja oftmals überhaupt kennen.

Konflikte beeinflussen, hemmen oder fördern

An die Stelle klassischer militärischer Konflikte treten in zunehmendem Masse kleine und asymmetrische Kriege, in denen das Handeln der nicht-staatlichen Akteure meist nicht gegen militärische Ziele gerichtet ist, sondern auf die Erzielung eines grösstmöglichen – insbesondere psychologischen – Effektes in der Gesellschaft. Dabei werden alle Akteure zunehmend zum Ziel gewalttätiger Aktionen, die dazu beitragen, einen Raum zu stabilisieren, in dem sie der Bevölkerung Hilfeleistung zu Gute kommen lassen. Je nach Standpunkt der jeweiligen Machthaber oder Opponenten wird diese Hilfeleistung geduldet, unterstützt oder behindert, ja sogar aktiv bekämpft, um den „Aufschwung“ zu fördern oder die Stabilisierung zu verhindern. Damit treten Humanitäre Akteure in das „Center of Strategy“ und werden ihrerseits zum Akteur im Einsatzgebiet. Dieses Einsatzgebiet ist somit nicht mehr allein als humanitärer Raum zu begreifen. Dementsprechend ist auch eine Entwicklung zu beobachten, die es notwendig erscheinen lässt, die Tätigkeit von Hilfsorganisationen mehr dahingehend zu hinterfragen, in wieweit sie durch ihr Tätigwerden diese Konflikte beeinflussen, hemmen oder gar fördern. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Hilfe nicht sogar ein Eingriff in das „humanitäre Biotop“ darstellt, welcher in der Lage ist, Gewalt zu katalysieren; das umso mehr, wenn die Machthaber – örtliche oder regionale – die Arbeit der Hilfsorganisationen zu eigenen Zwecken nutzen, in dem sie die Hilfe zulassen, steuern oder unterbinden.

Die neuen Konfliktlagen und die Formen ihrer gewaltsamen Austragung erscheinen uns häufig als unverständlich und unverstehbar. Hintergrund und Austragungsmodus gewaltsamer Auseinandersetzungen entsprechen oftmals nicht dem zivilisierten (westlichen) Menschen- und Kriegsbild. Die „Neuen Kriege“ sind gekennzeichnet durch den Verfall von Staatlichkeit und das Überhandnehmen privatisierter Gewalt, das Auftreten scheinbar längst der Vergangenheit angehörender Waffenträger wie Söldner, Kindersoldaten und Warlords sowie durch Kämpfe um Identität, Bodenschätze und grundlegende existentielle Ressourcen, wobei das äussere Kennzeichen der „neuen Kriege“ das vermehrte Auftreten irrational scheinender exzessiver Gewalt, Massakern oder das Umschlagen von nachbarschaftlichen Beziehungen in den „Kampf aller gegen alle“ in ethnisch überformten Konflikten ist. Hierzu wird in der Literatur ausgeführt, dass die Anwendung von Gewalt nicht mehr einer begrenzten Rationalität folgte, sondern unbegrenzt und umfassend in einer „nihilistischen Gewaltanwendung“ sich vor allem gegen zivile Ziele richte. Es ist dabei oftmals von gesinnungsloser, sinnloser oder gar irrationaler Gewaltanwendung die Rede, wobei die Irrationalität durch die Verachtung der gesellschaftlichen Ordnung und die grundsätzliche Leugnung des Wertes menschlichen Lebens in ihrer dunkelsten Form in den Alltag einbreche. Gleichzeitig wird behauptet, dass die Zweck-Mittel-Rationalität der symmetrischen Kriege eingebüsst sei. Dabei ist zu beachten, dass sich die irrational erscheinenden Ge-waltformen unter Umständen nur für das Gegenüber, den Gegner oder das Opfer, oder den Aussenstehenden Beobachter als nicht-rational darstellt. Fraglich könnte hier sein, ob das Verständnis von „Ratio“ überall dasselbe ist. Hier wird möglicherweise übersehen, dass die Gewalt aus einer Rationalität angewendet wird, die nicht dem christlich-abendländischen, von Humanismus und Aufklärung geprägten europäischen Menschen- und Weltbild entspricht, aber durchaus im Vorstellungsbild und in der planerisch-operativen Zielsetzung auf strategische Ziele eine Rationalität aufweisen kann und aus dieser Sicht einem (anderen oder gar eigenen) Vernunftverständnis entspricht.

Hilfswerke als Konfliktpartei

Die Anschläge auf Hilfsorganisationen in Krisengebieten zeigen, dass sie Teil der Kriegsstrategie werden können – ungeachtet ihrer völkerrechtlichen Schutzzeichen. Die humanitäre Hilfe und die Hilfe zum (Wieder-) Aufbau ziviler Infrastrukturen werden als feindlich angesehen, da eine Linderung der Not und eine Normalisierung des täglichen Lebens auch die – möglicherweise fragile staatliche – Ordnung stabilisieren. Diese Stabilisierung widerspricht aber oftmals den widerstreitenden Interessen, welche auf Instabilität ausgerichtet sind, da die Instabilität und das Chaos Grundlage der eigenen Existenz und Macht ist. Insbesondere der Anschlag auf das IKRK in Bagdad im Jahre 2003 kann als Indiz hierfür herangezogen werden: Das IKRK ist nach seiner Idee, seinem Code of Conduct nach und in der Wahrnehmung der Internationalen Gemeinschaft und der Weltöffentlichkeit, die unabhängigste und überparteilichste Institution überhaupt. Eine Attacke auf dieses Symbol bedeutet, dass man auch die Leistung dieser Organi-sation als feindlich einstuft, weil sie den eigenen Interessen zuwiderlaufen. Durch das Negieren der Neutralität wird diese faktisch zerstört, da eine neutrale Hilfe, die unbeeinflusst von Macht- und Interessen wirken kann, unmöglich gemacht wird. Die Störung der Aktivitäten oder gar die Vernichtung von Menschenleben dieser konkreten Institution sind das Ziel; die Auswirkungen auf die Stellung und das entsprechende Verhalten auch anderer Organisationen und Institutionen, die wegen der Abschreckungswirkung ihre Aktivitäten vermindern, einschränken oder gar einstellen, sind der Zweck. Dazu nutzen die Akteure die Anwendung von Gewalt gegen das „System“ von ausserhalb des „Systems“, ohne dass die Regeln des „Systems“ Anwendung finden. Demzufolge sind derartige Aktionen aus der Sicht der Handelnden durchaus als rational zu bewerten. Gleichzeitig sind es Handlungen von strategischer Bedeutung, die auf entsprechenden Auswirkungen abzielen. Die Zweck-Mittel-Rationalität erfolgt mithin von einem anderen Standpunkt und aus einer anderen Perspektive, entbehrt aber nicht einer gewissen Logik.

Folglich werden Helfer heute oftmals und zunehmend nicht mehr als unparteiliche und neutrale Institutionen angesehen und diese Prinzipien sind auch für kommerziell agierende Warlords mit ihren kurzfristig angelegten und häufig wechselnden Allianzen auch nicht mehr von nutzen. Im Gegenteil: Kräfte, die zur Stabilisierung in einer Krisenregion beitragen, werden, wenn ihre Massnahmen den eigenen Interessen entgegenlaufen bzw. den Einfluss der eigenen Position tangieren als feindlich angesehen und entsprechend konsequent bekämpft. Insofern findet nicht nur eine Erosion des Humanitären Völkerrechts statt, sondern es ist auch fraglich, ob dessen Grundsätze noch adäquat und zeitgemäss sind bzw. ob das geltende internationale Recht den gegenwärtigen Gewalt- und Konflikttypen noch entspricht. Das Kernproblem besteht also darin, wie die verschiedenen Akteure das Spannungsverhältnis zwischen Macht (Verfolgung und Durchsetzung eigener Interessen), Recht (Humanitäres Völkerrecht) und Moral für sich lösen. Dieses gilt auch umso mehr, als dass die Akteure zur Anerkennung und Durchsetzung der völkerrechtlichen Normen nicht vorhanden sind, oder nicht angemessen durchsetzungsfähig und -willig nach Kräften und Mandatierung im Raum auftreten. Demzufolge haben sich die humanitären Akteure in einem kriegerischen Raum, ohne klare Fronten, Kampflinien und befriedeten Hinterland zu bewegen, zu handeln und zu interagieren.

Von der Akzeptanz- zur Schutzstrategie

Bei der Frage, wie die Unversehrtheit der Mitarbeiter zu gewährleisten ist, muss folglich der Schwerpunkt von der Akzeptanzstrategie hin zu einer Schutzstrategie verschoben werden. Die Akzeptanzstrategie geht davon aus, dass die Sicherheit der Helfer durch ihre Anwesenheit gegeben ist und im Zweifel durch den Cordon der durch die Hilfeleistung betroffenen Bevölkerung garantiert wird, da der Ausfall oder Abzug der Helfer gleichzeitig das Ende der Vergünstigungen bedeute. Daher war die wesentliche Plattform dieser Strategie der Rückhalt in der Bevölkerung. Auf Grund der oben beschriebenen Prozesse und Differenzierungen ist dieser Rückhalt nicht mehr so ungeteilt gegeben. Humanitäre Helfer werden folgerichtig zunehmend als direktes Ziel von Gewalt definiert und angegriffen. Der Cordon der Bevölkerung ist mithin durchlässig geworden und erfüllt seinen Schutzauftrag nicht mehr ausreichend. Dementsprechend müssen Schutzstrategien entwickelt werden, die berücksichtigen, dass die humanitäre Hilfe nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern immer in vielschichtigen und mehrdimensionalen Wechselwirkungsbeziehungen zu allen Akteuren und Aktivitäten im humanitären Raum steht.

In diesem neu zu betrachtenden Feld zivil-militärischer Interaktion ist weitgehend unstrittig, dass Sicherheit nicht ohne Entwicklung und nachhaltige Entwicklung nicht ohne Sicherheit zu haben sind; in der Diskussion steht aber die Frage im Vordergrund, ob die zivil-militärische Interaktion an Rollendistanz, Wettbewerb, einer komplementären Kooperation oder am Modell einer zivil-militärischen Fusion im Namen „ganzheitlicher Politik“ ausgerichtet sein soll. Hilfsorganisationen und NGOs sowie gerade auch Internationale Nichtregierungsorganisationen (INGOs), die ihrerseits eine zutiefst inhomogene Gruppe mit zum Teil völlig unterschiedlicher Ausrichtung, Zielsetzung und Anspruch darstellen, umfassend in einen Einsatz bewaffneter Organisationen einzubinden, setzt allerdings voraus, dass diese auch Willens und in der Lage sind, Teil einer gemeinsamen Operation zu werden. Bisher muss man allerdings davon ausgehen, dass NGOs gerade das nicht wollen, und bei objektiver Betrachtung eine volle Einbindung in Operationen bewaffneter Organisationen auch nicht wollen können. Die Gründe hierfür sind mehrschichtig: Zum einen besteht bei einer Vielzahl der Hilfsorganisationen eine politisch-ideologische Ablehnung gegen alles Militärische; die Mitarbeiter dieser Organisationen sind oftmals nicht zuletzt aus diesem Grunde hier aktiv geworden. Hier besteht oftmals auch ein Anspruch auf „Definitionshoheit“ der Entwicklungspolitik bzw. humanitärer Organisationen mit moralischem Alleinvertretungsanspruch. Gleichzeitig ist ein Trend zur „Kommerzialisierung“, zur Mutation der non-profit zur partiellen for-profit Organisationen in Gang gekommen, der auch durch die zunehmende Einbindung der humanitären Akteure in die Programme und Projekte nationaler und internationaler staatlicher Geldgeber verstärkt wird. Mithin stehen hier auch handfeste finanzielle Interessen im Raum: Die Ressourcenverteilung zugunsten des Militärs wird als nicht problemadäquat in Frage gestellt und sollte zugunsten der humanitären Hilfe und der Entwicklungshilfe umverteilt werden. Insofern sehen sich die Hilfsorganisationen in direkter Konkurrenz um Ressourcen und Einfluss insbesondere zum Militär, aber auch anderen bewaffneten Organisationen gegenüber. Somit geht es auch hier letztendlich auch um Marktanteile im kommerziellen Sinne.

Zwischen Angst vor Militarisierung und Sicherheit

Des Weiteren verbieten die Grundsätze der Überparteilichkeit und Unabhängigkeit (Code of Conduct) den meisten NGOs eine solche Art der Zusammenarbeit. Militär und Polizei, Grenzschutz und andere dagegen sind immer im staatlichen Auftrag tätig, auch wenn dieses hoheitliche Handeln auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner multinationaler oder internationaler Interessensdurchsetzung gerichtet ist. Für viele humanitäre Organisationen hingegen ist es gerade keine Aufgabe, sich für die Prävention bewaffneter Konflikte, Friedenssicherung, Demokratisierung oder den Schutz der Menschenrechte einzusetzen, da dieses zwar wichtige, aber nicht-humanitäre Ziele seien, im Sinne der Sorge um Menschen in Not und das Bemühen um bedingungslose Menschlichkeit. Dieser Ansicht wird kritisch entgegengehalten, dass bei einer solchen Betrachtung der sozialen Beziehungen von Kriegsgesellschaften die Menschen auf ihren Status als Opfer reduziert und die besonderen Macht- und Herrschaftsverhältnisse, durch die Menschen ins Elend gestürzt werden, dabei fast immer ausser Acht gelassen werden. Gleichzeitig ist auch hier zu hinterfragen, in wieweit es mit der tatsächlichen Unabhängigkeit der Hilfsorganisationen auf der internationalen Bühne bestellt ist, oder ob sie nicht zum privaten Arm der Entwicklungs- und Aussenpolitik ihrer Heimatstaaten werden, zu blossen Dienstleistern für Hilfsprogramme, die Hilfe als Geschäft betreiben. In diesem Zusammenhang wird auch davon ausgegangen, dass die Annahme, die Nichtregierungsorganisationen stellten von vorneherein ein Gegengewicht zur staatlichen Politik dar, falsch ist, da sich zunehmend die Strategie des out-sourcing einzubürgern scheint und damit die Regierungen die Nichtregierungsorganisationen mit der Abwicklung ihrer Projekte beauftragten, womit sich die Politik Instrumente zur Steuerung und Kontrolle der in diesen Sektoren tätigen Akteure verschafft hat. Darüber hinaus müssen die „Helfer“ auch realisieren, dass sie durch ihre Hilfsmassnahmen, z. B. die Bereitstellung materieller Hilfe, aber auch durch die daraus abgeleiteten Einkommen und Transportentgelte, selbst wirtschaftliche Akteure im Konflikt sind. Während jegliche Form humanitärer Hilfe mit dem Prinzip der Humanität vereinbar ist, ergibt sich für die nichtstaatlichen Akteure das Dilemma, welchen Prinzipien humanitären Handelns sie Priorität einräumen und welchen nicht: Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Neutralität.

Allerdings ist auch in dieser Frage zwischen den Hilfsorganisationen ein Streit entbrannt, bei der sich die Vertreter der Linie des „Klassischen Humanitarismus“ darauf beschränken wollen, dass die humanitären Schutz- und Hilfeleistungsmassnahmen im politisch neutralen und unabhängigen Umfeld geleistet werden; bei den Vertretern des „Neuen Humanitarismus“ wird humanitäre Akuthilfe ebenso geleistet wie Wiederaufbau- und Entwicklungshilfe, wobei – anders als beim klassischen Ansatz – keine Berührungsängste zwischen humanitären Akteuren, politischen sowie militärischen Akteuren besteht.

Eigene Sicherheitsstrategie und Schutzverpflichtung des Staates

In Abwägung dieser Wertediskussionen mit den tatsächlichen Gegebenheiten der Wirklichkeit bedingt die Verantwortlichkeit und die Fürsorge der Organisationen für ihre Mitarbeiter, sowie aber auch die Rechtfertigung gegenüber den Gebern, welche ihr Geld sinnvoll eingesetzt wissen wollen und entführte sowie getötete Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in zunehmendem Masse nicht akzeptieren wollen, auch die Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren positiv zu überdenken und in die eigene Krisen- und Sicherheitsstrategie zu übernehmen.

In diesem Kontext ist auch immer zu beachten, dass Staaten immer auch eine Schutzverpflichtung gegenüber ihren Angehörigen haben. In Phasen von Bürgerkriegen oder auch eskalierenden staatlichen Konflikten sind Staaten daher bemüht, ihre Bürger sicher zu repatriieren. Hierzu müssen Staaten Kompetenzen und Instrumentarien für Krisenmanagement und Krisenreaktion ressortübergreifend vorhalten, um notfalls die Rückführung auch durch Einsatz bewaffneter Kräfte durchführen zu können. Die Entführungen von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, Unternehmen oder nur „einfachen Staatsbürgern“, welche zum Teil bereits seit Jahrzehnten in Ländern leben, die zum Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen werden, machen deutlich, dass gewisse Akteure glauben, sich diese Schutzverpflichtung für politische oder kriminelle Zwecke nutzbar machen zu können. Im äussersten Fall sind auch hier militärische Kräfte zur Rettung und Befreiung zum Einsatz zu bringen. Auch die Vertreter von Hilfsorganisationen müssen sich darüber bewusst sein, dass es eine einseitig erklärte Neutralität nicht gibt, wenn diese nicht von den übrigen Akteuren akzeptiert wird.

Die humanitären Akteure müssen sich tiefgründig mit Risiko- und Bedrohungsanalysen befassen und beurteilen, welche Wirkungen ihre Anwesenheit und ihr Tätigwerden im Raum auslöst und bewirkt. Die Gefahren von Anschlägen, Ent-führungen und Geiselnahmen sind in diese Überlegungen einzubeziehen und bedürfen Strategien für die Bewältigung und den Umgang hiermit. Ebenso sind Rückzugs- und Evakuierungsstrategien zu entwerfen und zu implementieren, und die hierfür notwendigen Ressourcen an Personal, Information und Material bereitzustellen, und ggf. kompetente Sicherheitspartnerschaften zu installieren und zu pflegen.

Bei einer ernsthaften Umsetzung dieser Fragen müssen sich humanitäre Organisationen ein Krisen- und Sicherheitsmanagement leisten, das auf der Grundlage einer entsprechenden „Policy-Guideline“ Richtlinien und Verhaltensweisen für alle sicherheitsrelevanten Situationen im Feld verbindlich vorgibt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass derartige Vorgaben wiederum Auswirkungen und Interdependenzen auf die Sicherheit haben.

Krisen- und Sicherheitsmanagement

Somit wird auch deutlich, dass das Krisen- und Sicherheitsmanagement mehr-stufig und mit abgestuften Verantwortlichkeiten aufgebaut werden muss. Zumindest auf strategischer Ebene sind der Austausch und die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen für Hilfsorganisationen und staatlichen Stellen dringend geboten.

Vor dem Hintergrund des oben ausgeführten erstaunt es deshalb wenig, dass in den letzten Jahren ‚Sicherheitsmanagement’ zu einem geflügelten Wort in der Hilfswerksszene geworden ist und sich auch einiges getan hat. Es gibt neben der vordringlichen Erhöhung der Sicherheit aller Mitarbeitenden vor Ort weiter Gründe, die für die Einführung eines wirksamen institutionellen Sicherheitsmanagements sprechen:

1. Ein angemessenes Sicherheitsdispositiv gehört zu einem kompetenten und nachhaltigen Quality Management einer Organisation, das nach einer umfassenden Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit, der Arbeitsqualität und der Arbeitssicherheit strebt. Wer hier Vorgaben erfüllt, kommt leichter an Geldmittel institutioneller Geber.
2. Da Kontext- und Risikoanalyse integrale Elemente des Sicherheitsmanagements sind, wird so fortlaufend Wissen generiert, welches für das Gestalten wie für das Umsetzen von Programmen und Projekten unabdingbar ist.
3. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dort, wo keine vorbereitenden Massnahmen getroffen worden sind, das Krisenmanagement langsamer bzw. unter weit grösserer Anstrengung in Bewegung kommt und oft wertvolle Zeit unnötig verloren geht.
4. Nur bei vorhandenem Sicherheitsdispositiv können Nahtstellen und Prozesse der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, welche z.B. bei einer Entführung von Mitarbeitenden das Krisenmanagement übernehmen, vorab definiert werden.

Anforderungen an das Sicherheitsmanagement

Die Fähigkeiten, mit Sicherheitsfragen und -krisen erfolgreich umzugehen, sollten so weit wie möglich in einer Organisation selbst verankert werden. Das dazu erforderliche Dispositiv (d.h. die Gesamtheit aller Vorkehrungen) sollte auf die Bedürfnisse bzw. die Arbeitsweise der Organisation abgestimmt sein, regelmässig überprüft und, falls nötig, angepasst werden. Für Hilfswerke ist ein ganzheitlicher Ansatz sinnvoll, der nicht nur auf die Akzeptanz der Organisation und ihrer Mitarbeitenden im Einsatzgebiet setzt, sondern auch geeignete Schutzmassnahmen für Menschen und Güter im Einsatzgebiet vorsieht.

Im folgenden Diagramm ist ein Gleichgewicht zwischen Dokumenten und praktischen Elementen des Sicherheitsmanagements dargestellt:

  Sicherheitsdispositiv    
       
Policy (Reglement)   Handbuch   Training (Aus- und Weiterbildung)   Unterstützung
             
Lokaler Sicherheitsplan (LSP)            

Die Policy

Eine Policy regelt nicht nur institutionelle Belange und Abläufe (u.a. Krisenmanagement, Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und -nehmer usw.). Sie bringt auch die Wichtigkeit der Sicherheit der Mitarbeitenden und die Verpflichtung der Organisation zum Ausdruck, Verantwortung zu übernehmen und entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Eine Policy ist jedoch nur dann griffig, wenn sie Sanktionsmöglichkeiten bei Regelverletzungen vorsieht.

 

Der lokale Sicherheitsplan

Lokale Sicherheitspläne (LSP) regeln alle relevanten Sicherheitsbelange in Einsatzgebieten und sind verbindlich. Sie sind die kontextspezifische Projektion der Policy in das Einsatzgebiet.

Das Handbuch

Nicht jede Organisation muss ihr eigenes Sicherheitshandbuch erarbeiten. Das ist aufwändig und kostspielig. Jede Hilfsorganisation sollte jedoch ihren Mitarbeitenden ein geeignetes Handbuch zur Verfügung stellen. Dabei sollte neben seinem praktischen Umfang insbesondere darauf geachtet werden, wer das Handbuch wann verfasst bzw. herausgegeben hat, und ob es den eigenen Bedürfnissen entspricht.
Das Handbuch bildet neben Policy und LSP den praktischen Rahmen für das Verhalten und das Sicherheitsmanagement im Ausland. Es enthält Grundlagen, Empfehlungen und Hinweise für situationsgerechtes Handeln. Die Mitarbeitenden (auch die lokalen) sollten damit bestens vertraut sein und über ein Exemplar verfügen.
Caritas Schweiz hat sich entschlossen, ein eigenes Handbuch zu verfassen und herauszugeben. Dieses ist auf die Bedürfnisse der Organisation und ihrer Mitarbeitenden abgestimmt und deckt ein breites Spektrum von Arbeitskontexten und Sicherheitsfragen ab. Es reicht von der Nothilfe in Konfliktgebieten bis hin zur Entwicklungszusammenarbeit.

Wichtig ist auch, über ein Sicherheitshandbuch zu verfügen, welches Grundlagen, Empfehlungen und Hinweise für situationsgerechtes Handeln enthält. Diese Dokumente sind jedoch nur so viel wert, wie sie gelesen und gelebt werden und als Führungsgrundlage verbindlich dienen.

Aus- und Weiterbildung

Besonders wichtiges Element des Sicherheitsmanagements ist die an die jeweilige Funktion angepasste Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden in den Bereichen personal Safety & Security einerseits und Safety & Security Management andererseits.
Dokumente alleine reichen nicht aus, um sicherheitsrelevantes Verhalten zu verinnerlichen. Dazu ist eine Mischung aus theoretischen und praktischen Unterrichtselementen (field simulation excercise) notwendig, werden die Leute doch hier durch die Ebene der persönlichen Erfahrung und Auseinandersetzung mit dem Thema sensibilisiert.

Unterstützung

Für den Erfolg entscheidend ist auch, dass eine oder mehrere geeignete Personen innerhalb der Organisation für Sicherheitsfragen zuständig sind. Diese stehen im Feld und im Hauptquartier für die Organisationsentwicklung, die Erarbeitung von Dokumenten, Weiterbildung, Beratung, Führungs- und Krisenunterstützung, Arbeitsgruppen sowie Community of Practitioners usw. zur Verfügung. Sicherheitsberater müssen mit einem klaren Pflichtenheft ausgestattet und institutionell so eingebettet sein, dass sie für alle Beteiligten vertrauenswürdig und zugänglich sind und bleiben. Ihre Rolle ist eine heikle, gewährt sie doch einen tieferen Einblick auch in die Schwächen der jeweiligen Hilfsprogramme, gerne werden zudem sicherheitstechnische Empfehlungen und Vorgaben als unerwünschte Einmischung in das Programm- und Projektmanagement empfunden.

Sicherheit soll in der Organisation ein Thema werden, über welches ein offener Diskurs geführt wird. Die Institutionalisierung von Sicherheitsmanagement muss deshalb Chefsache sein. Führung von unten ist jedoch genau so wichtig, denn hier werden die Bedürfnisse des Felds in die Organisation hineingetragen.

Ein Sicherheitsdispositiv sollte so weit wie nur möglich von den Mitarbeitenden selbst erarbeitet werden. Nur auf diese Weise sowie durch einen in den Reihen der Organisation breit abgestützten Vernehmlassungsprozess (Anhörung aller Beteiligten zu den geplanten Massnahmen bzw. zum Sicherheitsdispositiv) wird die für eine Verbesserung der Sicherheit notwendige Ownership erzielt, welche die Mitarbeitenden von Betroffenen zu Beteiligten macht.

Schlussgedanke

Wer in Krisengebieten erfolgreich arbeiten will, braucht ein umfassendes und der jeweiligen Situation angepasstes Sicherheitsdispositiv, welches die Fähigkeit besitzt, sich mit anderen Hilfswerken und – falls nötig – mit staatlichen und militärischen Strukturen sinnvoll zu vernetzen.

Sicherheitsmanagement funktioniert nicht ohne klare Führung; basisdemokratische Entscheidungsprozesse gehören nicht in ein Krisenmanagement.

Die Qualität der Arbeit vor Ort steht und fällt mit dem Team bzw. den persönlichen wie beruflichen Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Deshalb ist auf deren Auswahl wie auch auf deren Aus- und Weiterbildung besondere Sorgfalt zu verwenden.

Setzen sich eine Organisation und ihre Mitarbeitenden als Team intensiv mit der Thematik Sicherheit auseinander, so ist nicht nur der Umgang mit Sicherheitsfragen eher integraler Teil des Programmmanagements, sondern werden auch eher Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Handelns erkannt und verortet.

*Dirk Freudenberg und Philipp Reber können über die Redaktion kontaktiert werden: info@medicusmundi.ch

Hinweise und Literatur

  • Dirk Freudenberg: Theorie des Irregulären, Partisanen, Guerillas und Terroristen im modernen Kleinkrieg, Wies-baden 2008, S. 160
  • Ders.: Zivil-Militärische-Zusammenarbeit (ZMZ). Entwicklungen und Tendenzen in einem veränderten sicher-heitspolitischen Umfeld, in: Notfallvorsorge 2008, Heft 1, S. 24 ff.
    Ders: Staaten und parastaatliche Akteure in Interaktion. Neue Konzepte für die internationale Sicherheit, in: ÖMZ 2007, S. 685 ff.
  • Ders.: Veränderte Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit. Einführung in die Sicherheitssitua-tion heute, in: Notfallvorsorge 2005, Heft 4, S. 10 ff.
  • Philipp Reber, Einige Gedanken zum Sicherheitsmanagement bei Hilfswerken, in: Notfallvorsorge 2004, Heft 4, S.20 ff.
  • ders: Mehr Sicherheit bei Auslandeinsätzen. Ein Handbuch der Caritas Schweiz. Caritas Publications, Luzern 2006
  • Ulrich Albrecht: Michael Kalman, Sabine Riedel, Paul Schäfer (Hrsg.): Das Kosovo-Dilemma. Schwache Staaten und neue Kriege als Herausforderung des 21. Jahrhunderts, Münster 2002
    Christian Tomuschat: Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, in: DÖV, 2006, S. 357 ff.
  • Wolf Dieter Eberwein: Humanitäre Hilfe – Krieg und Terror. Kontinuität des Politikfeldes der humanitären Hilfe, Berlin 2004, S. 1
  • Andreas Heinemann-Grüder: Tobias Pietz, Zivil-militärische Intervention – Militärs als Entwicklungshelfer, in: Christoph Weller, Ulrich Ratsch, Rheinhard Mutz, Bruno Schoch, Corinna Hauswedell (Hrsg.): Friedensgutachten 2004, Münster 2004, S. 200 ff.
  • Michael Brzoska: Human Security – mehr als ein Schlagwort?, in: Christoph Weller, Ulrich Ratsch, Rheinhard Mutz, Bruno Schoch, Corinna Hauswedell (Hrsg.): Friedensgutachten 2004, Münster 2004, S. 156 ff.
  • Ulrike von Pilar: Konfliktprävention – (k)eine Aufgabe für humanitäre Organisationen?, in: Ursula Blanke (Hrsg.): Krisen und Konflikte. Von der Prävention zur Friedenskonsolidierung, Berlin 2004, S. 203 ff; 204
  • Thomas Gebauer: Zwischen Befriedung und Eskalation. Zur Rolle der Hilfsorganisationen in Bürgerkriegsökono-mien, in: Werner Ruf (Hrsg.): Politische Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und die Privatisierung von Gewalt und Krieg, S. 281 ff.; 281
  • Bernd Ludermann: Privater Arm der Geberstaaten? Widersprüchliche Funktionen von NGOs in der Not- und Ent-wicklungshilfe, in: Tanja Brühl, Thomas Debiel, Brigitte Hamm, Hartwig Hummel, Jens Martens (Hrsg.): Die Priva-tisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, S. 174 ff
  • Wolf Dieter Eberwein, Humanitäre Hilfe – Krieg und Terror. Kontinuität des Politikfeldes der humanitären Hilfe, Berlin 2004
  • Francois Jean, Jean-Christophe Rufin (Hrsg.): Ökonomie der Bürgerkriege, in: Francois Jean, Jean-Christophe Rufin: Ökonomie der Bürgerkriege, Hamburg 1999, S. 7 ff