Von Susanne Rohner
Maysoon Melek hat basierend auf zehn Fallbeispielen in fünf Regionen der Welt eine Dokumentation mit Empfehlungen für Projekte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen herausgegeben und diese am Treffen der parlamentarischen Gruppe Kairo+ im März in Bern vorgestellt. Das Gespräch mit der ehemaligen Kultur- und Genderbeauftragten des UNFPA führte Susanne Rohner von PLANeS, der Schweizerischen Stiftung für sexuelle und reproduktive Gesundheit.
In Ihrer vom United Nations Population Fund (UNFPA) herausgegebenen Publikation “Programming to Adress Violence Against Women” stellen Sie zehn ganz unterschiedliche, erfolgreiche Projekte zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen vor. Gibt es ein Projekt darunter, das Ihnen besonders wichtig ist?
Maysoon Melek: Speziell aufgerüttelt und berührt hat mich das Projekt in Kolumbien. Ich habe dieses Projekt besucht und mit den Leuten gesprochen, deren Leben sich durch unser Projekt verändert hat.
Es war im speziellen ein katholischer Priester, der dieses Projekt leitete. Stellen sie sich mal die Umstände vor: ein Jesuit engagiert sich für reproduktive Gesundheit in Magdalena Medio, einer Region, die durch schweren Drogenhandel und Krieg drangsaliert wird.
Reproduktive Gesundheit und Gewalt gegen Frauen wurden im Kontext der Menschenrechte behandelt. Es ging in einem ersten Schritt darum, den Leuten bewusst zu machen, wie wenig Kontrolle sie über ihren eigenen Körper haben und ihnen damit auch die Menschenrechte entzogen sind. Wenn eine Frau Mittel zur Verhütung nicht nutzen kann, wie weit gehen ihre Rechte dann überhaupt? Was ist das für eine Gemeinschaft, in der eine Frau einfach so vergewaltigt werden kann, ohne dass der Täter zur Rechenschaft gezogen wird? Was ist das für eine Gemeinschaft, die keine soziale und moralische Verantwortung in solchen Fragen übernimmt?
Das Projekt stellte einen Rahmen zur Verfügung, damit die Leute ihre eigene lokale Lösung zu dem Problem entwickeln konnten. Dies war ein sehr dynamischer und interessanter Prozess. Gruppen von Leuten, Frauen und Männern, sassen zusammen und diskutierten, wie sie ihre Rechte sehen. Welche Rechte stehen ihnen gemäss ihrer eigenen Wahrnehmung zu? Im Rahme solcher Diskussionen geschah es, dass eine Frau realisierte, dass eine Vergewaltigung nicht ein Vorfall ist, der beiseite geschoben werden soll und die Betroffenen einfach so mit ihrem Leben fortfahren müssen, als sei nichts geschehen. Und der Ehemann, der seine Frau schlug, suchte nach den Ursachen für sein Verhalten und realisierte, dass er eigentlich ein Verbrechen begangen hatte. Auch die Gesellschaft realisierte, dass eine Vergewaltigung nicht einfach ein Vorfall ist, der vernachlässigt werden kann. Männer und Frauen realisierten, dass sie sich mit solchen Fragen auseinandersetzen und die Einzelnen, die Familie, die Gemeinschaft, die sozialen Institutionen und die Regierung Verantwortung übernehmen müssen.
Sie weisen darauf hin, dass Traditionen und Rituale in einer Gesellschaft bestimmte Funktionen haben und dass auch solche, die auf Mitglieder der Gemeinschaft negative Auswirkungen haben, nicht einfach aufgehoben werden können. Sie müssten vielmehr durch positive Alternativen ersetzt werden. Wie soll, was plausibel tönt, praktisch umgesetzt werden?
Klar, es ist natürlich nicht einfach, diesen Grundsatz umzusetzen. Aber Entwicklungshilfe ist nicht einfach, gerade heute nicht. Wichtig ist mir aber folgendes: Es soll die Gemeinschaft sein, die eine Alternative findet. Nicht wir. Wir aus dem Westen können nicht einfach in Entwicklungsländer gehen und den Leuten dort sagen, was gut und was schlecht sei und was sie zu tun hätten. Wir können nicht Verhaltensänderungen herbeiführen, indem wir ihnen unsere Meinung aufdrängen. Wir können einzig eine Umgebung schaffen, in der die Leute zum Nachdenken angeregt werden, und in der Alternativen gefunden und Optionen geschaffen werden können. Jede Gemeinschaft muss sich ihre eigenen Fragen stellen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung um Verhalten zu ändern.
Ein wichtiger Faktor besteht darin, dass Schlüsselfiguren der Gemeinschaft, die sogenannten Türöffner, einbezogen werden. Damit meine ich Personen, welche die Schlüssel zu einer Gesellschaft haben, wie zum Beispiel in Afrika die Stammesführer. Solche Leute können Optionen schaffen.
Gerade in der Frage der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) gibt es offensichtlich keine Modelllösung. Weshalb hält sich gerade diese Form von Gewalt gegen Frauen so hartnäckig?
Bei der weiblichen Genitalverstümmelung ist zu beachten, dass dieser Akt auch einen symbolischen Wert hat und zwar als Initiation ins Erwachsenenleben. Gesellschaftliche Anlässe mit entsprechender sozialer Bedeutung gab und gibt es übrigens auch in Europa und den USA.
Weibliche Genitalverstümmelung kann somit nicht nur als physischer Akt betrachtet werden, wie das aus westlicher Sicht meist getan wird, sondern hat weiter reichende Dimensionen. Wir haben dabei quasi zwei Aspekte, die hier zusammenkommen, der eine negativ und der andere positiv, wobei beide nicht einfach voneinander getrennt werden können. Einerseits wird die Frau beschnitten, andererseits erhält sie von ihrem Vater eine Kuh und wird damit wirtschaftlich unabhängig. Sie wird eine Erwachsene und zuvor war sie ein Kind.
Mit solchen Fragen müssen wir uns in unserer Arbeit auch auseinandersetzen und das haben wir bisher nicht genug getan. Wir befassten uns einseitig mit dem physischen Eingriff. Wir haben bisher den Leuten einfach erklärt, dass weibliche Genitalverstümmelung schlecht für die Gesundheit der Frauen sei, und dass es eine Menschenrechtsverletzung sei. Damit haben wir uns einzig mit einem Phänomen und dessen Symptomen auseinandergesetzt anstatt mit dessen Ursachen.
Wo muss man bei Projekten zu FGM ansetzen?
Weibliche Genitalverstümmelung hat kulturelle und nicht religiöse Ursachen. Im nördlichen Ägypten zum Beispiel, wo weibliche Genitalverstümmelungen weit verbreitet sind, werden diese in muslimischen wie auch christlichen, koptischen Gemeinschaften gleichermassen vorgenommen. Weibliche Genitalverstümmelungen sind somit nicht eine Frage der Religion sondern eine Frage der Kultur. Wie ich bereits gesagt habe, jede Gemeinschaft hat ihre eigenen Ursachen und deshalb müssen wir von diesen Ursachen in jeder Gemeinschaften ausgehen, und diese angehen, um in dieser Frage weiterzukommen.
Was kann die Schweiz dazu beitragen, um die Gewalt gegen Frauen weltweit einzudämmen?
Ich denke, die Schweiz kann viel tun, weil sie in den Entwicklungsländern ein sehr positives Image hat. Die Schweiz wird als neutrales Land betrachtet, als Land, bei dem in der Entwicklungszusammenarbeit nicht die politische Agenda im Zentrum steht. Weil die Schweiz gerade in Entwicklungsländern auf weniger Misstrauen stösst, nimmt sie damit eine wichtige Rolle als Türöffnerin ein.
Ein zweiter Pluspunkt der Schweiz ist sein Modellcharakter als Bundesstaat. Zum Beispiel für Irak, wo ich herkomme, und in dem so viele Gruppierungen gegeneinander kämpfen, kann die Schweiz als gutes Beispiel einer Konföderation dienen.
Gerade die Neutralität ist in der Schweiz aber ein umstrittenes Thema.
Aus der Sicht einer Frau, die aus einem Entwicklungsland kommt, ist die Schweizer Neutralität ein Pluspunkt.
Nehmen sie die internationale Gemeinschaft. In Ländern wie Irak, wo ich herkomme, wird die internationale Gemeinschaft quasi mit den USA gleichgesetzt. Es muss deshalb enorm viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um den Leuten klar zu machen, dass wir nicht einer politischen, sondern einer entwicklungspolitischen und humanitären Agenda folgen. Nur so gelang es mir zum Beispiel während meiner Arbeit für die UNO in Afghanistan, unter den Taliban Schulen für Mädchen wiederaufzubauen. Dies gelang nur durch kultursensible Verhandlungen, kultursensibles Advocacy und kultursensible Basisarbeit.
Die zehn Fallbeispiele in Ihrer Publikation geben Anlass zur Hoffnung, dass Gewalt gegen Frauen eingedämmt werden kann. Auf der anderen Seite sieht die Situation weltweit weiterhin düster aus. Was muss weiter getan werden?
Ein wichtiger Bereich um Fortschritte zu erzielen, ist der Bildungsbereich. Bildung in Menschenrechtfragen ist der Schlüssel zur langfristigen Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Dabei sollen alle angesprochen werden, Kinder und Jugendliche, aber auch Militär und Polizei. Es geht darum, ein Bewusstsein für Menschenrechte zu vermitteln, zu vermitteln, weshalb es wichtig ist, einander zu respektieren. Eigentlich geht es darum, bessere WeltbürgerInnen zu machen. Darin haben Regierungen meiner Meinung nach bisher zu wenig investiert.
Gewalt gegen Frauen ist nicht zuletzt aber auch ein Problem der Armut. Fehlende Bildung ist ja auch ein Problem der Armut. Fehlende medizinische Hilfe ist auch ein Problem der Armut. Aus diesem Grund muss die weltweite Bekämpfung der Armut ein zentrales Ziel sein.
*Maysoon Melek, langjährige Mitarbeiterin der Vereinten Nationen, war von 2002 bis 2006 Kultur- und Genderbeauftragte von UNFPA New York. Von 1999 bis 2002 war die gebürtige Irakerin, die 1979 emigrierte und heute in Ägypten lebt, Beraterin für Geschlechterfragen der UNO in Afghanistan. Seit Ihrer Pensionierung arbeitet die ausgebildete Ökonomin weiterhin als Beraterin für verschiedene Organisationen.
*Susanne Rohner ist Mitarbeiterin von PLANeS, der Schweizerischen Stiftung für sexuelle und reproduktive Gesundheit. Kontakt: susanne.rohner@plan-s.ch
Literatur und Hinweis