Von Tina Goethe
Tina Goethe sieht hinter der Explosion der Nahrungsmittelpreise eine verfehlte Landwirtschafts- und Handelspolitik von IWF und Weltbank – und fordert eine radikale Umkehr.
Die Hungerrevolten in Haiti, Bangladesh und Ägypten haben mit Gewalt ins Bewusstsein gerufen, was lange verdrängt wurde: Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sind nicht oder nur noch schlecht in der Lage, ihre Bevölkerung zu versorgen. Der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank wollen mit 10 Millionen Dollar in Haiti Nothilfe leisten, weltweit sollen 500 Millionen aufgebracht werden. Diese Nothilfe wird jedoch an den Problemen nichts ändern.
Für die Explosion der Preise gibt es mehrere Gründe: Spekulationen auf den Rohstoffmärkten, die massive Förderung der Produktion von Agrotreibstoffen und die steigende Nachfrage nach Fleisch in China und Indien sind wohl die wichtigsten. Dahinter steht jedoch eine fehlgeleitete Landwirtschafts- und Handelspolitik, für die nicht zuletzt auch Weltbank und IWF mit verantwortlich sind.
Während der letzten Jahrzehnte haben die beiden Institutionen die Regierungen vieler Entwicklungsländer dazu gebracht, die eigene Landwirtschaft – insbesondere die Produktion von Grundnahrungsmitteln – zu vernachlässigen und die Grenzen für Importprodukte zu öffnen. So geschehen vor fünf Jahren in Ghana: Den Beschluss des Parlaments, die Zölle zum Schutz der eigenen Bauern wieder leicht anzuheben, brachte der IWF nur Tage später zu Fall, indem er drohte, einen Kredit zu verweigern.
Die „Strukturanpassungsmassnahmen“ der multilateralen Geber gingen noch weiter: Die Regierungen vieler Entwicklungsländer begannen, staatliche Investitionen in landwirtschaftliche Beratung, Bildung und Infrastruktur drastisch zu kürzen. Das ohnehin geringe Landwirtschaftsbudget kam Grossproduzenten zu Gute, die Blumen, Südfrüchte, Soja oder Palmöl für den Export anbauten. Denn das versprach Devisen. Diese Politik führte dazu, dass viele Entwicklungsländer immer mehr landwirtschaftliche Güter produzieren, die sie nicht selber konsumieren und andererseits immer mehr Güter konsumieren, die sie nicht produzieren. Diese gefährliche Abhängigkeit vom Weltmarkt zeigt nun katastrophale Auswirkungen. Jahrelang schien es günstiger, die eigene Landwirtschaft zu vernachlässigen und mit billigen Importen die Stadtbevölkerung zu versorgen. Doch diese Zeiten sind vorbei, und Länder wie Haiti oder die Philippinen können sich die notwendigen Einfuhren nicht mehr leisten.
Nur eine radikale Umkehr in der Landwirtschaftspolitik wird den Ausweg aus der Krise ermöglichen. Ein letzte Woche in Paris vorgestellter Bericht des Weltlandwirtschaftsrates kommt im richtigen Augenblick. Der von über 400 WissenschaftlerInnen erstellte Bericht fordert die radikale Umstellung der weltweiten Agrarproduktion. Der Schwerpunkt dürfe nicht mehr allein auf der Steigerung der Produktion liegen, man müsse sich auf natürliche und nachhaltige Anbauweisen zurück besinnen. Der Bericht ist Resultat eines bisher einzigartigen, partizipativen Prozesses, an dem neben Regierungen auch Wirtschaft und Zivilgesellschaft beteiligt waren. Er bestätigt, was seit langem Ziel progressiver Entwicklungszusammenarbeit ist: Die kleinbäuerliche Produktion muss wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Dafür muss die Forschung lokales und traditionelles Wissen integrieren, die Agrarpolitik Umwelt- und soziale Kriterien berücksichtigen. Dem monokulturellen Intensivanbau mit hohem Einsatz von Kapital und Energie erteilt der Bericht dagegen eine klare Absage. Teure Technologiepakete aus Gentech-Saatgut, Kunstdünger und Pestiziden bieten Entwicklungsländern keine Lösung. Es wundert daher nicht, dass die Agrarkonzerne, darunter auch Syngenta, den Prozess kurz vor der Veröffentlichung der Ergebnisse verlassen haben.
Der aktuellen Hungerkrise ist nicht mit Lebensmittellieferungen beizukommen. Es braucht Investitionen in eine multifunktionelle Landwirtschaft, ebenso wie in Gesundheitsversorgung, Geschlechtergerechtigkeit und Bildung. Letztlich führt kein Weg daran vorbei, die 2.6 Milliarden Kleinbäuerinnen und -bauern sozial, politisch und finanziell so zu stärken, dass sie die Ernährung der Bevölkerung langfristig sicherstellen können.
Tina Goethe ist bei SWISSAID verantwortlich für Entwicklungspolitik und Ernährungssouveränität. Kontakt: t.goethe@swissaid.ch