Immer mehr Pflegefachkräfte wandern aus Rumänien ab

Der Traum vom besseren Leben

Von Lina Langer

Besonders in ländlichen Gegenden Rumäniens bleiben Stellen im Gesundheitswesen immer öfter unbesetzt: Schlechte Arbeitsbedingungen, eine ungesicherte Arbeitsstelle und die Hoffnung auf eine besser bezahlte Arbeit führen dazu, dass Pflegefachleute ins Ausland abwandern. Das Schweizerische Rote Kreuz stärkt die Anerkennung der Gemeindeschwestern in Rumänien durch Fortbildung und kontinuierliches Lobbying.

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In den kleinen Gemeinden im Nordosten Rumäniens, der ärmsten Region des Landes, erzählen es sich die Leute im Dorf, wenn wieder jemand nach Italien, Spanien oder Portugal abgewandert ist. Der Bürgermeister von Stefanesti zum Beispiel – einer Gemeinde mit rund 6000 Einwohnerinnen und Einwohnern an der Grenze zur Republik Moldawien – berichtet, dass auf dem Papier noch alle Einwohner/innen der Gemeinde registriert sind, er aber genau weiss, dass der Schein trügt: Aus seinem eigenen Bekanntenkreis und von den Angestellten des Bürgermeisteramtes weiss er, dass in den meisten Familien ein oder sogar mehrere Familienmitglieder das Land bereits verlassen haben. Genaue Zahlen über die Abwanderung gibt es nicht, da sich in der Regel die Arbeitsemigrant/innen nicht aus ihrem Heimatort abmelden.

Wenn die Hälfte des Personals fehlt

Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) erlebt die Abwanderung von Krankenpflegekräften in seinen Einsatzgebieten in den besonders armen Bezirken Iasi und Botosani. Gemeindeschwestern füllen dort eine wichtige Lücke in der Gesundheitsversorgung der ländlichen Gegenden: Sie sind die erste Anlaufstelle bei allgemeinen medizinischen Problemen; zudem helfen sie Schwangeren und Müttern in Sachen Familienplanung und Geburtsvorbereitung oder beraten sie im Stillen und über das Impfen von Kleinkindern.

In Iasi ist die Fluktuation von Personal in diesem Bereich so gross, dass innerhalb des Jahres 2006 fast die Hälfte der Gemeindeschwestern abgewandert ist – mit Folgen für die Arbeit des SRK: In zwei Gemeinden mussten geplante Aktivitäten mit Gemeindeschwestern aufgegeben werden. So beginnen die langwierige Auswahl der Gemeinden und Rekrutierung von Gemeindeschwestern wieder von vorne. Da die Kandidatinnen oder Kandidaten aus der Gemeinde kommen müssen, ist die Auswahl oft sehr begrenzt und die Neubesetzung der Stellen nicht möglich. Durch die Abwanderung gehen somit viele Investitionen in Ausbildung und Aufbau von Kompetenzen verloren.

Der Traum vom Geld und besseren Arbeitsbedingungen

In einer Studie, die die „Gesundheitsgewerkschaft“ in Rumänien in Auftrag gegeben hatte, wurden im August 2006 802 Pflegekräfte und medizinisches Hilfspersonal aus den drei südöstlichen Bezirken Rumäniens befragt. Die Fragestellung der Studie war unter anderem, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen den schlechten Arbeits- und Lohnbedingungen im rumänischen Gesundheitswesen und der Arbeitsmigration in das westliche Europa.

Die Ergebnisse machen ersichtlich, dass sich rund 90 Prozent durch die Migration einen finanziellen Vorteil erhoffen. Das wichtigste Motiv, das Land zu verlassen, ist die Erwartung, im Ausland mehr Geld zu verdienen. Gut zwei Drittel der Befragten hatten schon überlegt, selber auszuwandern, und 87 Prozent hatten Kolleginnen oder Kollegen, die bereits emigriert sind.

Auch die schlechten Arbeitsbedingungen in Rumänien sind ein Grund dafür, weshalb viele ihre Heimat verlassen. Viele Krankenhäuser und kleinere Polykliniken müssten dringend saniert werden, und es fehlt an zeitgemässer technischer Ausstattung und an Hilfsmitteln. Hinzu kommen die veraltete Hierarchie und das mangelhafte Personal- und Organisationsmanagement im Gesundheitswesen. Besonders das Pflegepersonal leidet unter der Dominanz der Mediziner auf allen Ebenen. Eine Professionalisierung des Krankenpflegeberufes als eigenständige und anerkannte Berufsgruppe hat in Rumänien nicht einmal ansatzweise begonnen.

Fehlende Zukunftsperspektiven

Ein weiteres Motiv für die Abwanderung ist die Unsicherheit, den Arbeitsplatz langfristig zu behalten. Eine Karriereplanung mit Stabilität und Aufstiegschancen ist in Rumänien nicht möglich. Im Fall der Gemeindeschwestern läuft der Arbeitsvertrag seit Januar 2007 immer nur für drei Monate. Zuvor betrug die Vertragsdauer ein Jahr, und ein Vertrag wurde jeweils erst im Dezember verlängert. Der Beruf der Gemeindeschwester ist immer noch nicht fester Bestandteil im rumänischen Gesundheitswesen und die rumänische Regierung nicht fähig und willens, eine entsprechende Regelung zu erlassen. Hinzu kommt, dass weder das Pflegepersonal noch deren Patienten und Klienten eine schlagkräftige Lobby haben – Selbsthilfegruppen und Patientenvereinigungen existieren so gut wie nicht.

Widersprüchliche Gesundheitspolitik als Ursache

Doch wie könnte man das Pflegepersonal im Land behalten? Die rumänische Regierung vertritt die Ansicht, dass die Hauptursache des Problems die unprofessionelle Kontrolle der vorhandenen Ressourcen sei. Die Mehrheit der befragten Pflegekräfte ist jedoch der Meinung, dass eine widersprüchliche Gesundheitspolitik sowie nicht ausreichende Ressourcen die Hauptprobleme seien. Meiner Meinung nach gibt es drei Hauptgründe für das Problem: Auf der einen Seite die im Gesundheitsministerium besonders ausgeprägte Unfähigkeit zu bürgerorientierter und professioneller Regierungsarbeit, auf der anderen Seite die nicht entwickelte Professionalisierung der Gesundheitsberufe, und schliesslich, beim bestehenden Mangel an Ressourcen, die Unfähigkeit, sozial und fachlich orientierte Prioritäten zu setzen.

Nebenbei Krankenschwester werden

Besonders im ländlichen Raum sind die Folgen der Abwanderung bereits spürbar: Für einige der Stellen für Gemeindekrankenschwestern oder -pfleger, zum Beispiel in Botosani oder Iasi, findet sich auf eine freie Stelle oft nur ein Bewerber, oder die Stelle kann überhaupt nicht besetzt werden. Oft sind es Berufsanfänger, die keine entsprechende Berufserfahrung für die schwierige Aufgabe mit besonders benachteiligter Klientel mitbringen. Wir erleben bereits die absurde Situation, dass eine rumänische Krankenschwester, die in Italien arbeitet, für ihre betagte Mutter in Botosani verzweifelt eine Pflegekraft sucht.

Die Vorstellung, im Ausland als Pflegekraft viel Geld zu verdienen, hat zu einem starken Anstieg der Zahl privater Krankenpflegschulen in Rumänien geführt. Diese Schulen werben mit der Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten, und bilden mit wenig Aufwand – man kann die Ausbildung „nebenberuflich“ machen – und mit niedrigem Ausbildungsniveau Pflegepersonal aus. Unter den Schülerinnen und Schülern sind auch Ärztinnen, die zusätzlich zu ihrem Studium ein Krankenpflegeexamen machen, da es erheblich einfacher ist, als Pflegekraft eine Stelle im Ausland zu erhalten. Der Ausbildungsstand in den Privatschulen, aber auch in den staatlichen Krankenpflegeschulen, entspricht nicht den europäischen oder angelsächsischen Standards. Dies nicht nur wegen der mangelhaften praktischen und theoretischen Ausbildung, sondern auch wegen der noch nicht stattgefundenen Professionalisierung.

In einer Studie zu Wissenstand, Einstellungen und Verhalten unter 50 diplomierten Pflegekräften in der Gemeindepflege, die das SRK im Rahmen des Programms in Iasi und Botosani durchgeführt hatte, zeigten sich besonders ein Mangel an Kenntnissen im modernen Pflegemanagement und Schwierigkeiten in der Umsetzung von Wissen. Die grössten Probleme in der Beantwortung der Fragen hatten alle Teilnehmer an der Studie bei zehn Fragen, die einem deutschen Prüfungskatalog zum Saatsexamen für den Krankenpflegeberuf entnommen waren – und dies, obwohl fast alle Befragten bereits ein oder mehrere Jahre im Beruf gearbeitet und das „Examen“ also schon abgelegt hatten.

Es muss vor diesem Hintergrund der mangelhaften Ausbildungsstandards diskutiert werden, inwieweit sich dies auf die Qualität der Pflege in den Immigrationsländern allgemein auswirkt, aber auch, was dies für die Qualität in der Patientenversorgung bedeutet. Eine Kontrolle der Qualifikationen findet in der Europäischen Union nicht mehr statt, da die Examina gegenseitig anerkannt werden müssen.

Was tun?

Die Situation bildet keinen Grund zur Resignation, doch erfordert sie eine noch intensivere, mittel- und langfristig orientierte Arbeit in mindestens vier Bereichen:

Intensive Verbesserung der Aus- und Fortbildung der Pflegekräfte im ambulanten Sektor, besonders der Gemeindeschwestern und der Pflegekräfte in den Praxen der Familienärzte (family doctors). Das SRK initiierte eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung verbindlicher Ausbildungsstandards und zur Entwicklung eines Katalogs von Mindestfortbildungen für die Gemeindeschwestern. Die vom SRK bereits durchgeführten Fortbildungen werden 2007 fortgesetzt.

Unterstützung der Professionalisierung und der Anerkennung des Pflegeberufes in Rumänien durch Darstellung der Arbeit in den Medien und Förderung des Austausches mit Pflegeverbänden in anderen EU Ländern mit kontinuierlicher Lobbyarbeit. Das SRK unterstützt bereits den Austausch durch öffentliche Veranstaltungen und die Vernetzung mit Verbänden in der Schweiz, Österreich und Deutschland.

Unterstützung der Lobbyarbeit auf der Ebene des Gesundheitsministeriums und der Arbeit des staatlichen Pflegeverbandes gegenüber dem Bildungsministerium. Im Jahr 2007 wird das SRK eine internationale Konferenz zur Pflegproblematik in Rumänien durchführen mit der Präsenz der beiden Ministerien.

Fortführung und Ausweitung der Arbeit in den Gemeindetreffpunkten, die von den Gemeindeschwestern mit Schwangeren, Mütter mit Neugeborenen und chronisch Kranken geleistet wird. Die Beratung und die Arbeit mit Gruppen wird als sehr befriedigend erlebt und leistet einen doppelten Beitrag: einerseits zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in den Gemeinden und andererseits zur Verbesserung der Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte. Eine erhöhte Arbeitszufriedenheit ist wiederum ein wichtiger Faktor, dass man den Arbeitsplatz und das Land nicht verlässt.

*Lina Langer ist Delegierte des Schweizerischen Roten Kreuzes in Rumänien. Kontakt: dir_ fsm@fsm.org.ro

Das SRK in Rumänien

Augenmerk auf Schwangeren, Müttern und Kindern

Das Schweizerische Rote Kreuz setzt sich in Rumänien besonders für eine verbesserte Gesundheitsversorgung von Schwangeren, Müttern und Kindern ein. In den zwei besonders armen Distrikten Botosani und Iasi bildete das SRK im letzten Jahr insgesamt 85 Gemeinde-Krankenschwestern und -pfleger aus und baute vier Gemeindetreffpunkte auf. Die Krankenschwestern besuchten im letzten Jahr rund 17'000 Schwangere, Mütter mit Neugeborenen und Familien in den abgelegenen Dörfern und unterstützten sie in Bezug auf Familienplanung und Geburtsvorbereitung. In den seit Oktober eröffneten Beratungszentren wurden bereits 150 Schwangere und Mütter in Gesundheitsfragen für sie und ihre Familien beraten.

Im Jahr 2007 sollen alle 100 Gemeinde-Krankenschwestern und -pfleger von Botosani und Iasi sowie weitere 60 der Region Vaslui weiter geschult werden, so dass sie Mütter und Kinder noch umfassender beraten und pflegen können. Zudem plant das Schweizerische Rote Kreuz die Eröffnung weiterer Gemeindetreffpunkte und den Ausbau bestehender Angebote zu grösseren Mütterzentren. Frauengruppen haben in den Treffpunkten die Gelegenheit, beispielsweise mit einer Wäscherei ein kleines Einkommen zu erzielen. In Gesundheits-Selbsthilfegruppen können Erfahrungen ausgetauscht und Wissen vermittelt werden.

Informationen: www.redcross.ch