Die neue schweizerische Gesundheitsaussenpolitik

Balancieren auf dem hohen Seil der globalen Gesundheit

Von Martin Leschhorn Strebel

Gesundheit ist in verschiedenen Ländern Teil der Aussenpolitik geworden. Die Schweiz hat eben ihre Gesundheitsaussenpolitik neu justiert – und wandert weiter auf dem schmalen Grat zwischen ihren entwicklungspolitischen Zielen und den wirtschaftlichen Interessen.

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Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends haben immer mehr Regierungen erkannt, dass gesundheitspolitische Fragen nicht an der eigenen Landesgrenze halt machen. Die Interdependenzen von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, von globalem Handel, Sicherheit und Gesundheit wurden angesichts der fortschreitenden Globalisierung immer deutlicher. Die Millenniumsentwicklungsziele waren weniger Motor dieser Sensibilisierung sondern der Ausdruck davon.

Eine Folge dieser Entwicklung stellt auch die Fragmentierung der internationalen Architektur der Gesundheitszusammenarbeit dar. Angeregt durch die brennenden gesundheitlichen Herausforderungen auf globaler Ebene entstanden neue Organisationen, welche Antworten zu geben versprachen. Dazu gehören etwa der Globale Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, TB und Malaria, die Bill & Melinda Gates Stiftung, die GAVI Alliance, die UNITAID und und und...

Strategische Kohärenz gefordert

Die komplexer werdende globale Gesundheitsarchitektur forderten auch die nationalen Aussen- und Gesundheitsministerien heraus. Epidemien wir SARS und die Vogelgrippe erhöhten den Druck sich auch auf strategischer Ebene mit Fragen der globalen Gesundheit auseinanderzusetzen und eine kohärente Politik zu verfolgen. In Oslo unterzeichneten 2006 die Aussenminister von Brasilien, Frankreich, Indonesien, Norwegen, Senegal, Südafrika und Thailand eine gemeinsame Erklärung, die diese neue Bedeutung von Gesundheit als Teil der Aussenpolitik festhielt:

“We believe that health is one of the most important, yet still broadly neglected, long-term foreign policy issues of our time...We believe that health as a foreign policy issue needs a stronger strategic focus on the international agenda. We have therefore agreed to make ‘impact on health’ a point of departure and a defining lens that each of our countries will use to examine key elements of foreign policy and development strategies, and to engage in a dialogue on how to deal with policy options from this perspective.” (The Lancet 2007)

Interessanterweise verabschiedete der Bundesrat ebenfalls 2006 eine eigene Gesundheitsaussenpolitik (GAP) und spielte damit international durchaus eine Pionierrolle. Ein tieferer Blick in die als Zielvereinbarung umschriebene erste GAP machte aber auch deren Grenzen deutlich. Indem sie sich hauptsächlich auf die – unbestritten wichtige – Absprachemodalitäten der verschiedenen Bundesämter zu Fragen der internationalen Gesundheit definierte, blieb sie bezüglich klarer politischer Zielsetzungen eigentümlich schwach.

Die von der damaligen Labour-Regierung unter Gordon Brown 2008 verabschiedete Gesundheitspolitik „Health is global“ ist demgegenüber um einiges klarer, indem sie 41 strategische Verpflichtungen festlegt, welche einzelnen Ministerien zugewiesen sind.

Schwellenländer entfachen Dynamik

Laut Devi Sridhar verbindet das englische und das schweizerische Grundsatzpapier wie auch die norwegische Aussenpolitik, dass bei allen drei die Stärkung der multinationalen Strukturen der globalen Gesundheitsgouvernanz eine zentrale Rolle spielt. Ein Spezifikum der norwegischen Politik besteht darin, dass sie der Advocacyarbeit innerhalb verschiedener UN-Organisationen für Themen der globalen Gesundheit eine hohe Bedeutung beimisst. Dass eine Regierung diese Funktion übernimmt, ist nicht selbstverständlich. Das hohe Engagement der norwegischen Regierung, etwa in Zusammenhang mit der Entstehung des WHO-Kodexes zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal, konnten aber zivilgesellschaftliche BeobachterInnen der globalen Gesundheitspolitik immer wieder feststellen.

Die Wichtigkeit von gesundheitspolitischen Fragen in der Aussenpolitik zeigt sich auch in der Bedeutung, welche Schwellenländer ihr beimessen. Sei es in Fragen des Welthandels (TRIPS) oder des geistigen Eigentums, Länder wie Brasilien, Indien oder Südafrika bringen hier dank Absprachen innerhalb von Süd-Süd-Partnerschaften machtvoll Themen der öffentlichen Gesundheit ins Spiel.

Die neue Gesundheitsaussenpolitik der Schweiz

In Themen der globalen Gesundheit ist zurzeit gerade dank dem Aufstieg der Schwellenländer einiges an Dynamik zu spüren. Eine Dynamik, die sich seit der ersten Gesundheitsaussenpolitik der Schweiz noch verstärkt hat. Die vom Bundesrat am 9. März 2012 verabschiedete neue Gesundheitsaussenpolitik kommt also zur rechten Zeit. Die Herausforderung seitens der Schwellenländer stellt das neue Papier denn auch fest. Und diese neue Herausforderung wird durchaus auch als Bedrohung der eigenen Interessen verstanden:

„Heute leben jedoch zwei Drittel der Menschheit in Schwellenländern, welche nicht mehr klassische Entwicklungszusammenarbeit, sondern einen Austausch unter gleichberechtigten Staaten erwarten. Insbesondere die grossen Schwellenländer (BRICS) haben zudem in multilateralen Verhandlungen zu Themen wie Zugang zu Medikamenten aufgrund ihrer wirtschafts- und forschungspolitischen Interessen oft andere Positionen als die ärmsten Entwicklungsländer. Nicht selten werden wettbewerbsmotivierte mit gesundheitspolitischen Interessen vermischt. Dies wiederum stellt besondere Herausforderungen an die Schweiz zur Abwägung der eigenen entsprechenden Interessen und bedingt eine bedeutend engere Zusammenarbeit zwischen den involvierten Bundesstellen.“ (Schweizerische Gesundheitsaussenpolitik 2012).

Der hier angesprochene Interessenkonflikt begleitet die Schweiz als zentraler Pharmastandort bereits seit langem. Der Gegensatz zwischen einer entwicklungspolitisch geleiteten Politik, welche etwa Medikamente den Ärmsten zugänglich machen möchte, und einer aussenwirtschaftspolitisch geleiteten Politik, welche die Schweizer Industrie mittels Patenten schützen möchte, kann die Schweiz nicht aufheben. Der Gegensatz geht auch Mitten durch die Verwaltung. Aus der Perspektive der Verwaltung ist denn auch richtig und durchaus wichtig, dass diese internen Interessengegensätze ausgeglichen werden. Die GAP gibt dazu die Instrumente, indem sie etwa eine interdepartementale Konferenz Gesundheitsaussenpolitik (IK GAP) festlegt, welche die Prioritäten und gemeinsame Projekte festlegt. Diese wird durch zwei interdepartementale Arbeitsgruppen (IdAG) unterstützt: Die IdAG „Gesundheitsaussenpolitik“ sowie die IdAG „Gesundheit, Innovation und Geistiges Eigentum“.

Knackpunkt

Diese Struktur könnte als Interna am Rande erwähnt sein. Doch die bezeichnende Trennung des grundlegenden Interessengegensatzes einer schweizerischen Gesundheitsaussenpolitik ist eben mehr als eine interne, strukturelle Frage. Sie könnte ein starkes Indiz dafür sein, dass auch in Zukunft auf der einen Seite eine durchaus sehr kompetente, auf die Gesundheitsbedürfnisse der Ärmsten ausgerichtete Entwicklungspolitik gemacht wird, während daneben in zentralen wirtschaftpolitischen Fragen eine Politik umgesetzt wird, welche letztlich den Interessen der Ärmsten widerspricht.

Dieser Knackpunkt der neuen schweizerischen Gesundheitsaussenpolitik wird auch nicht durch die Prinzipien und Werte aufgelöst, welche der GAP zugrunde liegen. Dabei handelt es sich um Good Governance, Gerechtigkeit und Armutsfokus, Globale Verantwortung, Interessenwahrung und Kohärenz, sowie „Swissness“.

Die neue GAP soll eine bessere „Verknüpfung der verschiedensten Aktivitäten im Gesundheitsbereich bzw. eine systematische Bildung von Synergien“ bewirken. Dafür richtet sie sich auf die Zielbereiche Gouvernanz, Wechselwirkung mit anderen Politikbereichen und Gesundheitsfragen (etwa die Verbesserung der Mutter-Kind-Gesundheit) aus. Diese Zielbereiche sind mit 20 Zielen verknüpft, zu deren Erreichung die Schweiz „einen wesentlichen Beitrag“ leisten möchte.

 

Auswahl aus den 20 Zielen der neuen schweizerischen Gesundheitsaussenpolitik

2. Rolle der WHO: Die WHO als leitende und koordinierende Behörde der globalen Gesundheit stärken.

3. Globale Gesundheitsarchitektur: Die Wirkung, Effizienz und Kohärenz der globalen Gesundheitsarchitektur verbessern.

4. Stärkung der Gesundheitssysteme: Die Stärkung leistungsfähiger, qualitativ hochstehender, erschwinglicher und fairer Gesundheitssysteme ins Zentrum der GAP rücken.

8. Wirtschaftliche Interessen: Die Stärken der Schweizer Gesundheitswirtschaft international positionieren.

9. Schutz des geistigen Eigentums: Geistiges Eigentum als Anreiz für die Forschung angemessen schützen.

10. Gesundheitsdeterminanten: Wirtschaftliche, soziale und ökologische Determinanten der Gesundheit nachhaltig verbessern.

12. Kontrolle Infektionskrankheiten: Das international vernetzte System zur Kontrolle und Bekämpfung von Infektionskrankheiten weiter stärken.

14. Gesundheitspersonal: Globalen Mangel und ungleiche Verteilung von Gesundheitspersonal bekämpfen.

15. Zugang / Qualität der Heilmittel: Zugang zu unentbehrlichen, bewährten wie neu entwickelten, qualitativ einwandfreien und bezahlbaren Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessern.

16. Nichtübertragbare Krankheiten: Prävention, Diagnose und Behandlung nichtübertragbarer Krankheiten fördern.

18. Humanitäre Hilfe: Schweizer Kapazitäten und Kompetenzen für die Rettung und Sicherung von Leben und Wiederherstellung des gesundheitlichen Wohlbefindens bei humanitären Krisen zur Verfügung stellen.

19. Menschenrechte: Das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit fördern und verwirklichen

20. Gesundheit von Mutter und Kind / sexuelle und reproduktive Gesundheit: Die Gesundheit von Mutter und Kind sowie die sexuelle und reproduktive Gesundheit fördern.

 

Die neue schweizerische Gesundheitsaussenpolitik ist – nicht zuletzt auch dank zivilgesellschaftlichen Inputs wie aus dem Netzwerk Medicus Mundi Schweiz – gegenüber der Vorgängerversion gestärkt worden. Der jährlich stattfindende Austausch mit den Stakeholdern ist ein klarer Fortschritt. Doch bleiben wie oben beschrieben Zielwidersprüche bestehen. Aus unserer Sicht hätte es ein klares politisches Bekenntnis des Bundesrates gebraucht, das Recht auf Gesundheit als Richtschnur festzusetzen und wirtschaftliche Interessen der betroffenen Industrie demgegenüber unterzuordnen.

*Martin Leschhorn Strebel ist Geschäftsleitungsmitglied des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz. Kontakt: mleschhorn@medicusmundi.ch

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