Von Ania Biasio
Sie sind alt, mittellos und haben kein familiäres Netz. Im Zentrum der Organisation Odamiyat in Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, finden betagte Menschen in Not Unterstützung. Sie erhalten Mahlzeiten und gesundheiliche Pflege. Freiwillige machen zudem Hausbesuche.
Während in den übrigen Ländern der Region der Übergang zur Unabhängigkeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend gewaltlos verlief, entbrannte in Tadschikistan 1992 ein bewaffneter Konflikt. Der Bürgerkrieg dauerte bis 1997, forderte Zehntausende von Todesopfern und machte Hunderttausende Menschen zu Flüchtlingen. Tadschikistan ist nun jenes Land in Zentralasien, das neben der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Erneuerung einen labilen Prozess der Versöhnung und der Traumabewältigung durchläuft. Die unsichere Lage im Nachbarland Afghanistan stellt eine zusätzliche Belastung dar.
Über 90 Prozent Tadschikistans sind Berge, für den Anbau von Produkten wie Getreide oder Baumwolle stehen nur gerade sieben Prozent der Fläche zur Verfügung. In den Jahren 2000 und 2001 herrschte die schwerste Dürre seit 75 Jahren.
All diese Faktoren tragen dazu bei, dass Tadschikistan nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gehört. Davon besonders betroffen sind die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft: Alte, Behinderte, Waisen und Witwen.
Die beiden Ärztinnen Rosiamo Ashurova und Saodat Kamalova begannen im März 1996, Kriegsveteranen und betagten Invaliden in Duschanbe Betreuung anzubieten. Das war der Anfang vom «Humanitären Rehabilitationszentrum der Vereinigung Odamiyat».
1700 Personen besuchen heute das Zentrum regelmässig. Ziel ist, ältere Menschen ohne Familienanschluss und Einkommen zu unterstützen. «Gerade in der Hauptstadt gibt es viele Betagte ohne soziales Netz», sagt dazu Nicole Stolz, Tadschikistan-Programmkoordinatorin bei Caritas Schweiz. Odamiyat bietet im Zentrum medizinische Behandlungen und psychologische Beratungen an. Um Krankheiten vorzubeugen, verteilt das Zentrum Nahrungsmittelpakete und Hygieneartikel wie Seife und Zahnpasta.
Zusätzlich zum Zentrum betreibt Odamiyat eine Art Spitex-Dienst: 120 Personen besuchen rund 200 Betagte täglich zuhause, versorgen sie mit dem Nötigsten und unterstützen sie bei ihren Aktivitäten. Das Pflegeteam setzt sich aus staatlich angestellten Sozialarbeiterinnen und -arbeitern und aktiven Freiwilligen zusammen.
Odamiyat ist auch dafür besorgt, dass die Betagten ihre Rechte kennen und durchsetzen können. Eine Rechtsanwältin bietet im Zentrum täglich Konsultationen an. Die Organisation betreibt zudem Lobbyarbeit für die Betagten und ist zum Beispiel im «öffentlichen Rat» des Präsidenten Rachmonow vertreten. Zudem besteht eine enge Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen wie Polykliniken und dem Sozial- und dem Gesundheitsdepartement des Distrikts.
«Die Situation von allein stehenden Betagten in Duschanbe hat sich seit Projektbeginn nicht gross verändert», bilanziert Nicole Stolz. «Nach wie vor gehören die Betroffenen vor allem den ethnischen Minderheiten an, es handelt sich zum Beispiel um Russen, Tataren, Ukrainer oder Deutsche. Doch der Schwerpunkt der Dienstleistungen von Odamiyat hat sich leicht verschoben. Die psychosoziale Komponente ist wichtiger geworden. Das heisst, dass mehr Zeit für Gespräche mit den Betagten zur Verfügung steht oder dass die Möglichkeit geboten wird, aktiv bei der Pflege von anderen Betagten mitzuwirken. Vermehrt kommen auch alternativ-medizinische Methoden zur Anwendung, zum Beispiel Akupunktur oder Kräutermischungen für Bäder und Tees.»
Im Prinzip wäre die Altersvorsorge Sache des Staates. Tadschikistan bietet Männern und Frauen ab 60 Jahren zwar eine monatliche Rente. Meist beträgt sie aber nur gerade fünf bis sieben Somoni, was rund drei bis vier Franken entspricht. «Im Gegensatz zu den Zeiten der Sowjetunion reichen die Altersrenten nicht mehr zum Überleben», erklärt dazu Nicole Stolz. «Das Bewusstsein für die Lage von älteren Leuten ist zwar gewachsen, doch die Situation von Rentnerinnen und Rentnern ohne Familienanschluss bleibt kritisch. In solchen Fällen ist Überlebenshilfe wie jene von Odamiyat dringend nötig.»
*Wiederabdruck eines Beitrags von Ania Biasio in der Caritas-Zeitung NR. 1/2003, mit leichten Modifikationen. Weitere Informationen zu Odamiyat finden sich auf der Website von Caritas Schweiz