Von Ursula Ackermann-Liebrich
Die Verantwortung für das Gesundheitswesen fällt in der Schweiz in den Zuständigkeitsbereich der Kantone, die Schweiz verfügt demzufolge über 26 verschiedene Gesundheitssysteme und 26 verschiedene Programme der Gesundheitsförderung. "Neu erfunden" wird die Gesundheitsförderung aber nicht nur in jedem Kanton, sondern in jeder Stadt, jeder Gemeinde, jedem Dorf. Einige der für die Gesundheitsförderungsprogramme zuständigen Personen kennen zwar das WHO-Dokument "Gesundheit für alle", doch fühlt sich im offiziellen System kaum jemand zuständig, konkrete Zielsetzungen für die Schweiz zu formulieren.
In diesem Kontext hat die Schweizerische Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (SGPG) die Initiative ergriffen, ein Dokument zu den Zielen der Gesundheitspolitik für die Schweiz zu formulieren (siehe Kasten) - ein Dokument, welches aber periodisch zu überarbeiten wäre.
Gesundheit für alle. Ziele zur Gesundheitspolitik für die SchweizDie Schweizerische Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen SGPG hat mit Unterstützung des Bundesamtes für Gesundheit ein Dokument mit Zielen zur Gesundheitspolitik für die Schweiz publiziert. Das Gemeinschaftswerk verschiedener Autor/innen hilft, eine Lücke der schweizerischen Gesundheitsdiskussion zu schliessen. Die Publikation basiert auf den 38 Zielen für "Gesundheit für alle" der Weltgesundheitsorganisation WHO und schlägt aufgrund einer Standortbestimmung für jedes einzelne Ziel quantifizierbare Einzelmassnahmen und Einzelziele für die Gesundheitsförderung in der Schweiz vor, die weit über den Bereich des traditionellen Gesundheitswesens und der kurativen Medizin hinausreichen: So werden Aspekte der Umwelt, aber auch Entwicklungsstrategien bezogen auf verschiedene Zielgruppen der Bevölkerung und auf prioritär anzugehende Gesundheitsprobleme diskutiert. Gesundheit für alle. Ziele zur Gesundheitspolitik für die Schweiz. Herausgegeben von der Schweizerischen Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (1997, Fr. 19.50). Zu beziehen bei: Sekretariat SGTP, Effingerstrasse 40, Postfach 8172, 3001 Bern, Tel. 031 389 92 86, Fax 031 389 92 88, E-mail sgpg@swisscancer.ch |
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat in den letzten beiden Jahrzehnten seine Aktivitäten beträchtlich ausgebaut. Seine Hauptaufgabe bleibt es, Infektionskrankheiten zu kontrollieren und Epidemien zu verhindern. Die HIV-Epidemie war ausschlaggebend für die Änderung im Selbstverständnis des Bundesamtes - es entwickelte ein HIV-Präventionsprogramm, das grosse Beachtung fand und heute als Erfolg bezeichnet werden darf. Auf dieser Tätigkeit aufbauend, übernahm das BAG eine Führungsrolle bei der Formulierung einer Politik im Umgang mit den Konsument/innen harter Drogen (Fixer/innen) und finanzierte entsprechende Projekte in Städten und Gemeinden. In den letzten zwei, drei Jahren entwickelte das BAG Aktionspläne für einige der grössten Gesundheitsprobleme - zum Teil mit Partnern, die in diesen Bereichen tätig sind. Doch stehen für die Aktionspläne immer nur beschränkte Mittel zur Verfügung. Das BAG finanziert oft Evaluationsprojekte in Bereichen, in denen die Massnahmen noch nicht detailliert festgelegt sind.
Als Beispiel sei hier der Aktionsplan Umwelt und Gesundheit (1) erwähnt. Das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel wurde beauftragt, diesen zu evaluieren. Der Zustand der Umwelt hat Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen, was wiederum das Verhalten der Menschen ihrer Umwelt gegenüber bestimmen kann. Der Aktionsplan "Umwelt und Gesundheit" versucht, die übergeordneten Ziele von persönlicher Gesundheitsförderung und gesunder Umwelt zusammenzuführen. Er entstand 1996 im Rahmen eines gemeinschaftlichen Prozesses unter der Leitung von BAG und BUWAL (Bundesamt für Umwelt, Wald und Landwirtschaft). Der Aktionsplan sieht in den nächsten zehn Jahren gezielte Massnahmen in den Bereichen Natur, Mobilität und Wohnen vor. In diesen Bereichen besteht nach wie vor Handlungsbedarf, wobei individuelle Prävention (Ziel: Verhaltensänderung) und Massnahmen zur Verbesserung der Umwelt im Sinne der Schaffung einer der Gesundheit förderlichen Umwelt (Ziel: Verhältnisänderung) verknüpft werden müssen.
Ein anderes Beispiel betrifft die Gesundheit der Frauen. Im Dokument der WHO konzentrieren sich die Zielsetzungen weitgehend auf die reproduktive Gesundheit und vernachlässigen die Probleme in den verschiedenen Lebensabschnitten einer Frau. In der Schweiz wurde ein Dokument veröffentlicht, das die grössten Lücken in diesem Bereich benennt (2).
Entscheidungen und Aktionen im Bereich der öffentlichen Gesundheit (Public Health) sollten auf statistischen Daten beruhen, doch besteht auch hier in der Schweiz noch ein beträchtlicher Mangel an Daten. Das Bundesamt für Statistik versucht, einige der grössten Lücken zu füllen: erst seit diesem Jahr sind zum Beispiel Spitalstatistiken in allen Spitälern obligatorisch.
Verschiedene Kantone haben inzwischen Gesundheitsberichte veröffentlicht. Das Wallis ist einen Schritt weiter gegangen und ist daran, auf der Grundlage von Gesundheitsstatistiken eine Politik der Gesundheitsförderung zu formulieren. Das ist immer noch ein Einzelfall - Public Health wurde in der Schweiz erst spät entdeckt: Es braucht wohl noch ein weiteres Jahrzehnt, bis die Schweiz so weit ist, dass die öffentliche Gesundheit zu einer Hauptzielsetzung aller Regierungsentscheidungen (auf allen Ebenen) geworden ist.
*Stark gekürzte Fassung des Referats von Prof. Dr. Ursula Ackermann-Liebrich, Vorsteherin des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel und Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen SGPG, am Kolloquium "Gesundheit für alle. Eine Standortbestimmung", Bern, 6. November 1998. Illustration: R. Pfirter, mit freundlicher Genehmigung des ISPM Basel.
(1) Kahlmeier S et al., Aktionsplan Umwelt und Gesundheit. Ein wichtiger Beitrag zur Gesundheitsförderung und Prävention in der Schweiz. In: Schweizerische Ärztezeitung Bd. 78, Heft 49/1997, S. 1852ff.
(2) Dieffenbacher Ch, Zemp Stutzt E, Daten für Taten. Schweiz. Nationalfonds, Bern, 1996.