Die internationale Gesundheitszusammenarbeit der Schweiz: Ziele im 21. Jahrhundert

Von Walter Fust

Lesezeit 6 min.

Herr Präsident,

Meine Damen, meine Herren,

Ich freue mich sehr, an der Feier zum 25. Geburtstag von MMS (Medicus Mundi Schweiz) teilnehmen zu können.

In einer der jüngsten Ausgaben des Bulletins Medicus Mundi Schweiz zeigte der Redaktor anhand des Beispiels von Dr. Albert Schweitzer, dass sich zwar die Zeiten geändert haben, dass aber das Engagement zugunsten der Gesundheitsentwicklung nach wie vor sehr nötig ist. Leider ist der Grund für dieses Engagement heute nicht weniger aktuell als früher: das schreiende Ungleichgewicht, die Ungerechtigkeit zwischen dem, was unsere sogenannten Länder des Nordens zur Verfügung haben (bei uns in der Schweiz stehen für Gesundheitsausgaben, vorsichtig geschätzt, 3000 Dollar pro Jahr und Person zur Verfügung) und dem wenigen, mit dem sich die Bevölkerung der ärmeren Länder zufrieden geben muss: 5 bis 10 Dollar pro Jahr!

Aber die Art des Engagements musste sich ändern und muss sich mit fortschreitender Entwicklung sicher weiter ändern. Zwar haben die 1978 in Alma Ata festgelegten Prinzipien zur Unterstützung einer Gesundheitspolitik für alle nichts an Aktualität verloren. Aber die Welt hat sich in einer Art gewandelt, welche das sozio-politische Umfeld vieler Länder, insbesondere der ärmeren, veränderte. Die Basisgesundheitsdienste (Basic health services / BHS) bleiben aber offensichtlich nach wir vor unabdingbar.

Die Frage ist: wer bietet sie an, wer bezahlt sie, und wer hat Zugang dazu?

Auch bei uns ist die Zeit vorbei, da man sagen konnte, «the sky is the limit», wie die Angelsachsen sich ausdrücken. Das System wird den Zugang aller zu jeder Art medizinischer Untersuchung oder Pflege, zu welchem Preis auch immer, kaum je vollständig sicherstellen.

In den Ländern des Südens (wie übrigens auch in denjenigen des Ostens) hat die Rolle des Staates an Gewicht verloren, die zur Verfügung stehenden Ressourcen nehmen immer mehr ab. Im Gegensatz dazu steigen die Bedürfnisse, namentlich aufgrund des Bevölkerungswachstums und der steigenden Lebenserwartung auch in den ärmeren Ländern.

Angesichts der fehlenden Möglichkeiten des Staates muss die Zivilgesellschaft eine grössere Rolle übernehmen, aber sie verfügt (noch?) nicht über die Mittel, um alle Bedürfnisse zu befriedigen. Die Initiativen der Bevölkerung sind sehr wirklichkeitsbezogen und verdienen, gefördert zu werden. Durch « Empowerment» können die Menschen oft aus eigener Kraft und mit ihren eigenen Mitteln besser auf ihre Bedürfnisse im Gesundheitsbereich reagieren, zum Beispiel mit Gesundheitssparsystemen oder Gesundheitsversicherungen. Aber diese Initiativen werden nie alle Bedürfnisse befriedigen und alle Kosten auf allen Ebenen decken.

Eine gute Verwaltung (namentlich der öffentlichen Angelegenheiten), Menschenrechte und Demokratie sind wichtige Faktoren für das Aufblühen solcher Bürgerinitiativen, welche die Anstrengungen ergänzen, die der Staat trotz allem weiter unternehmen muss. Es geht also darum, diese Prinzipien gleichzeitig zu fördern, und dazu ist der Wettbewerb der Staaten nötig.

Der private Produktionssektor, von dem man erwartet, dass er mittels Investitionen die Wirtschaft ankurbelt, Arbeitsplätze schafft und damit die Verteilung der Einkommen fördert, spielt seine Rolle aufgrund der Wirtschaftskrise nur mangelhaft. Und im Bereich Gesundheitswesen in den Entwicklungsländern spielt er sie fast gar nicht.

Ferner muss die Entwicklung des Gesundheitswesen in einem weiteren Zusammenhang gesehen werden. Jemand hat einmal gesagt - und damit gab er wohl auf humorvolle Weise einem gewissen Missbehagen Ausdruck - «Die Gesundheit ist zu wichtig, um sie den Ärzten zu überlassen!». Ähnliches sagt man natürlich auch für andere Berufsgattungen. Aber abgesehen vom Misstrauen gegenüber denjenigen, welche Macht über das Leben (mein Leben) haben, nämlich den Ärzten: welches ist die positive Kritik, welche diese Formel beinhaltet, und die uns weiterbringt?

Wahrscheinlich sollte das heissen, dass «gesund sein» nicht nur «nicht krank sein» bedeutet, (dies ist ein Teil der Definition der WHO), sondern dass Gesundheit auch als positiver Faktor dazu beiträgt, dass sich Menschen als Individuen wie als Gruppen «in ihrer Haut und auch gedanklich wohl fühlen» können, weil sie die Gewissheit haben, dass ihre Grundbedürfnisse befriedigt sind, also Nahrung, Sicherheit, Schutz bei individueller oder kollektiver Schwäche, die Möglichkeit, so viele Kinder zu haben, wie man möchte, ohne dafür mit seiner Gesundheit oder seinem Leben zu bezahlen, um nur einige dieser Bedürfnisse zu nennen.

Einige dieser positiven Faktoren hängen von der natürlichen Umwelt, den sozio-ökonomischen Bedingungen oder der Kultur ab. Viele aber hängen sehr stark von den Entscheiden des Individuums selber hinsichtlich seines Verhaltens ab (Rauchen, Trinken, unsafe sex) oder von der Wahl der Lebensweise (zu wenig für gesunde Ernährung ausgeben, andere Exzesse wie brutale Sportarten oder beruflicher Stress). Auf den ersten Blick scheinen diese Faktoren vor allem unseren reichen Ländern vorbehalten zu sein, aber trotz der niedrigen Einkommen sind auch in den Entwicklungsländern vielfach Verhaltensweisen oder Entscheidungen zu finden, welche der Gesundheit nicht sehr förderlich sind.

Eine letzte Bemerkung noch: dem Informationsaustausch soll in Zukunft mehr Platz eingeräumt werden, sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Es müssen unbedingt Plattformen und Netzwerke geschaffen werden, wo Ideen zum Gesundheitswesen und damit verwandten Bereichen vorgebracht und debattiert werden können. Plattformen auch, wo Theorie und Praxis miteinander verglichen werden, wo Wissensaustausch stattfindet. Und schliesslich Plattformen, wo gar Ärzte des Südens und des Nordens zugunsten besserer Diagnosen direkten Kontakt aufnehmen können.

Nun werden Sie fragen: «Und wo ist Medicus Mundi Schweiz in all dem?»

Ich habe Ihnen hier, im Hinblick auf das bald beginnende neue Jahrhundert, einige neuere grosse Ausrichtungen im Gesundheitswesen skizziert. Diese zeigen auf, dass einerseits weiterhin die Pflegedienste im Gesundheitswesen unterstützt werden müssen, dass aber andererseits auch immer mehr Arbeit und Energie für eine bessere Gesundheit und zur Förderung von Faktoren eingesetzt werden müssen, welche zu einer besseren Gesundheit führen können.

Medicus Mundi Internationalis war und ist auf internationaler Ebene ein wichtiger Teil im Räderwerk für die Mobilisierung und den Austausch im Gesundheitswesen in den Entwicklungsländern. Das war auch so bei der Vorbereitung und den Verhandlungen in Alma Ata.

Die Vereinigung Medicus Mundi Schweiz, mit Sitz in Basel, engagiert sich seit 25 Jahren. Sie hat geholfen, die Politik des Basisgesundheitswesens zu verbreiten. Das ist eine ausgezeichnete Sache, die weitergeführt werden muss.

MMS sollte in dieser Phase des teilweise sehr fundamentalen Wandels weiterhin einen Spitzenplatz einnehmen. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ist stolz darauf, dass sie MMS schon so lange unterstützt. Sie ist auch stolz, dass sie bei der jüngsten Entwicklung als Partnerin eng beim Prozess der Dynamisierung mitarbeiten konnte.

Von einer Vereinigung wie MMS erwarte ich noch mehr: mit ihrer Leaderposition sollte sie die Kader im Gesundheitswesen dafür sensibilisieren, dass sie systematischer als bisher und freiwillig eng mit Ökonomen, Soziologen und Entwicklungsplanern zusammenarbeiten, um diese davon zu überzeugen, dass im Bereich Gesundheit ausserhalb des eigentlichen Gesundheitswesens wesentliche Beiträge geleistet werden können und müssen.

Ich bin mir natürlich bewusst, dass es für diejenigen, die aus Berufung ihren Nächsten helfen, wenn diese leiden, nie leicht sein wird, sich ebenso nützlich zu fühlen bei politischen Diskussionen oder Debatten über die öffentlichen Finanzen, welche weitere gesundheitsfördernde Aktionen auslösen sollen.

Diese Wege sind voller Tücken, und man kommt nur langsam voran. Aber ein grosser Teil der Antworten, wenn wir im 21. Jahrhundert Gesundheit für alle anstreben wollen, findet sich ausserhalb der Theorien, die in der ärztlichen und pflegerischen Ausbildung gelehrt wurden: ausserhalb des Körpers, der Pflege, die man ihm angedeihen lassen kann, sogar ausserhalb der gezielten Prävention wie Impfungen.

Heute müssen vor allem bei den Entscheiden zugunsten der Gesellschaftsentwicklung, bei der Ausrichtung der öffentlichen Ausgaben, beim Schutz der Gesundheit und bei der allgemeinen Prävention schon in der Grundausbildung die Bemühungen verstärkt werden.

Und die Berufsleute im Gesundheitswesen können dazu beitragen, dass der Dialog aufgenommen wird, dass geforscht wird, dass - gemeinsam mit anderen -Strategien zugunsten dieser wesentlichen Ziele entwickelt werden.

Ich hoffe, dass die in diesem Sinne von MMS bereits unternommenen Anstrengungen weitergeführt und intensiviert werden, und dass die jüngste Dynamisierung nicht einfach eine Modeerscheinung ist.

In diesem Zusammenhang möchte ich übrigens auch zur klaren Verbesserung des MMS-Bulletins gratulieren, das nicht nur eine gute Visitenkarte, sondern auch ein zeitgemässer Ort des Austauschs ist und eine sehr angenehme Lektüre bietet, was auch für die MMS-Websites im Internet gilt.

Auf dem Platz Basel gibt es zwei sich ergänzende Einheiten, welche der DEZA und ihren Partnern bei ihrer Arbeit – dem Kapitalisieren von Erfahrungen, Überlegungen und Forschung – helfen können: das Schweizerische Tropeninstitut (STI) und MMS.

Ich weiss, dass die beiden bereits gut zusammenarbeiten, und ich freue mich darüber. Dazu möchte ich zwei der jüngeren Aktivitäten im Bereich modernes Netzwerk für Informationsaustausch erwähnen: die zukünftige Gesundheitsseite der Website der DEZA wird vorübergehend im STI zu finden sein; das MMS andererseits verwaltet die Datenbank für Kenntnisse und Know-how im Gesundheitswesen der Länder des Südens.

Zum Abschluss möchte ich MMS ermuntern, diese sich ständig wandelnde Welt weiter genau zu beobachten, ebenso die Bedürfnisse der Bevölkerungen, welche nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Gleichberechtigung und guter Gesundheit suchen, denn die vier sind eng miteinander verbunden.

Ich möchte dem Direktionsteam von MMS danken und gratulieren: seinem Präsidenten, Nicolaus Lorenz (der auch die Verbindung mit dem STI sicherstellt); dem Chefredaktor des Bulletins der letzten zwanzig Jahre, Andreas Wirz, der in Pension gehen kann mit dem guten Gefühl, dass er als Redaktionskoordinator ausgezeichnete Arbeit geleistet hat, und schliesslich dem neuen Leiter der Geschäftsstelle, Thomas Schwarz.

Botschafter Walter Fust ist Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA