Von Brigit Obrist
Zu Beginn dieses Jahrhunderts lebten die meisten Menschen in einer ländlichen Umgebung. Jetzt, kurz vor der Jahrtausendwende, wohnt rund die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Räumen. Afrika südlich der Sahara gehört zwar zu den am wenigsten urbanisierten Regionen. Doch in den vergangenen Jahrzehnten verzeichneten afrikanische Städte sehr hohe Wachstumsraten. Auch Tansania wurde von dieser Entwicklung erfasst. Dies zeigt sich besonders deutlich am Beispiel von Dar es Salaam, der bezüglich der Einwohnerzahl und Entwicklungsdynamik wichtigsten Stadt des Landes. Wie viele vergleichbare Städte in Afrika sieht sich Dar es Salaam heute mit Gesundheitsproblemen konfrontiert, die zwar auch in ländlichen Gebieten vorkommen, in Städten jedoch eine spezifische Gestalt annehmen. Experten sprechen von einer "städtischen Gesundheitskrise" (urban health crisis).
Die städtische Gesundheitskrise der 90er Jahre ist auf drei Hauptursachen zurückzuführen: die Konzentration auf die Verbesserung der ländlichen Gesundheit in den 60er und 70er Jahren, die gleichzeitig stattfindende Migration und Urbanisierung und die stagnierende beziehungsweise. rückläufige Wirtschaftsentwicklung der 70er und vor allem 80er Jahre. Die Kombination dieser Ursachen bewirkte, dass der Lebensstandard vieler Stadtbewohner sank, die Qualität und die Verteilung der öffentlichen Dienste sich verschlechterte und die gebauten und natürlichen Umweltbedingungen sich verschlimmerten.
In Dar es Salaam ist die Mehrheit der Stadtbevölkerung einer Vielzahl von Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Eine erste Gruppe von Risiken hat direkt mit Armut zu tun. Es ist schwierig, ohne oder mit nur wenig Geld für Nahrung, Wasser und Wohnung gesund zu bleiben. Andere Risiken ergeben sich aus den Umweltbedingungen. Dazu gehören schlechte Wohnqualität, mangelhafte sanitäre Einrichtungen und verschmutztes Trinkwasser. Viele Infektionskrankheiten verbreiten sich besonders gut unter diesen Bedingungen. Eine dritte Gruppe von Gesundheitsrisiken resultiert aus der mit der Urbanisierung einher gehenden sozialen und ökonomischen Unsicherheit. Verstossene Kinder, ältere Menschen, Behinderte aber auch alleinerziehende Mütter haben es besonders schwierig, aber auch Familienväter und verheiratete Frauen empfinden die Bedingungen, unter denen sie leben müssen, als Stress. Bei den einen führt dieser Stress zu Gesundheitsstörungen. Andere flüchten sich in Drogen, Alkoholismus oder Gewalt. Eine vierte Gruppe kann auf soziale Ungleichheit im Zugang zu präventiver und kurativer Gesundheitsversorgung zurückgeführt werden. Private Gesundheitseinrichtungen sind oft besser ausgestattet und werden eher von besser ausgebildeten und besser verdienenden Bevölkerungsgruppen genutzt.
Jahr | Bevölkerung von Dar es Salaam |
1948 | 51'000 |
1958 | 128'742 |
1968 | 272'821 |
1978 | 769'445 |
1988 | 1'623'238 |
2000 | 2'000'000 |
Besonders in Städten der reichen Länder wurde in den letzten Jahrzehnten sichtbar, dass sich im Laufe der letzten hundert Jahre eine "epidemiologische Transition" vollzogen hat: Infektiöse und parasitäre Krankheiten, die oft epidemisch auftraten, wurden zurück gedrängt und von chronischen, nicht übertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Tumoren abgelöst. In Städten wie Dar es Salaam ist dieser Übergang (noch) nicht abgeschlossen, im Gegenteil: Infektiöse und parasitäre Krankheiten existieren weiter und chronische, nicht übertragbare Krankheiten kommen dazu.
Anfangs der 80er Jahre leitete Präsident Julius Nyerere verschiedene Massnahmen ein, die nach seinem Rücktritt im Jahre 1986 von seinem Nachfolger, Präsident Ali Hassan Mwinyi, in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfond noch verstärkt wurden. Zur Abfederung der negativen Auswirkungen dieser Strukturanpassungsprogramme lancierten sie auch ein Sozialprogramm. Im Rahmen dieses Sozialprogramms wurde beispielsweise ein bilaterales Abkommen zwischen den Regierungen von Tansania und der Schweiz unterzeichnet, um die öffentlichen Gesundheitsdienste in Dar es Salaam zu verbessern. Das Dar es Salaam Urban Health Project begann 1990 und ist nun in seiner letzten Phase. Es leistete wesentliche Unterstützung bei der Planung, Verwaltung und Finanzierung der 3 Krankenhäuser, 4 Gesundheitszentren, 52 Gesundheitsposten und 92 Mutter-und-Kind-Gesundheitsposten, die von den Stadtbehörden geführt werden.
1993 wurden per Gesetzesbeschluss profitorientierte, private Gesundheitsdienste, die 1977 verboten worden waren, wieder zugelassen. Es wird vermutet, dass heute rund 60 Prozent der Gesundheitsdienste vom privaten Sektor angeboten werden. Allein in Dar es Salaam gibt es heute wohl an die 300 private Kliniken und Spitäler. Diese privaten Anbieter entlasten einerseits die öffentlichen Ausgaben für die Gesundheitsversorgung, bringen andererseits jedoch neue Probleme mit sich, indem sie beispielsweise die soziale Ungleichheit verschärfen. Diese und andere Probleme werden zur Zeit in einer Reform des Gesundheitssektors angegangen.
Internationale Organisationen wie das United Nations Center for Human Settlements (UNCHS) engagieren sich ebenfalls in Dar es Salaam. Unterstützt von der Weltbank und dem United Nations Development Program koordiniert das UNCHS das Sustainable Dar es Salaam City Program. In diesem Programm geht es vor allem um die Entwicklung und Anwendung neuer Ansätze in den Bereichen Planung und Management. Zusätzlich sind Bestrebungen im Gange, Dar es Salaam mit dem Healthy Cities Project der Weltgesundheitsorganisation zu vernetzen.
Viele Experten, die in diesen Projekten und Programmen arbeiten, sind sich einig, dass Unterstützungsstrategien die drei Bereiche Gesundheit, Umwelt und städtische Entwicklung miteinander verbinden müssen. Ferner sollten diese Strategien auf lokale Bedingungen zugeschnitten sein und die Wünsche und Bedürfnisse verschiedener, besonders auch ärmerer Bevölkerungsgruppen, berücksichtigen.
Im letzten Jahrzehnt haben verschiedene Untersuchungen zu einem besseren Verständnis der Gesundheitsproblematik in Dar es Salaam beigetragen. Mehrere internationale Organisationen und nationale Behörden und Institutionen haben Lösungsansätze entwickelt und begonnen, sie umzusetzen. Doch wenn mit der Partizipation verschiedener Bevölkerungsgruppen Ernst gemacht werden soll, müssen in Zukunft grössere Anstrengungen unternommen werden, lokales Wissen über Gesundheit und Umwelt sowie Formen der sozialen Organisation von gesundheitserhaltenden und –fördernden Praktiken und deren Einbindung in die städtische Entwicklung in Erfahrung zu bringen. Solche Anstrengungen sollten facettenreich sein, Regierungsprogramme mit Beiträgen von Nicht-Regierungsorganisationen und Gemeindeinitiativen kombinieren sowie wissenschaftliche Forschung mit partizipativ angelegten Interventionen verbinden. Es braucht eine breit gestreute öffentliche Debatte auf den verschiedensten Ebenen der Gesellschaft, eine soziale und politische Bewegung, damit möglichst viele Menschen motiviert werden, wenn auch nur im Kleinen, etwas dazu beizutragen, dass im nächsten Jahrtausend möglichst viele Bewohner von Dar es Salaam gesund leben können.
*Brigit Obrist ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ethnologischen Seminar der Universität Basel