Von Rafael Teck
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat sich mit dem Konzept „Menschenrechte in der deutschen Entwicklungspolitik“ von 2011, dass die Entwicklungspolitischen Aktionspläne für Menschenrechte von 2004 und 2008 ablöst, zum Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit verpflichtet. Auf verschiedenen Interventionsebenen setzt es das Konzept um.
Grundlagen für den Menschenrechtsansatz sind die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen. Diese Verpflichtungen beinhalten unter anderem das Recht auf ein Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit, das einen international gestützten Referenzrahmen für die Ausgestaltung der Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitssektor vorgibt. Es umfasst das Recht auf Vorbeugung, Behandlung und Kontrolle von Krankheiten, auf Zugang zu Gesundheitsversorgung und -gütern und auf Gesundheitsbildung und Gesundheitsinformation für alle Menschen.
Die menschenrechtsbasierte Entwicklungspolitik der Bundesregierung im Gesundheitssektor orientiert sich an den Kernelementen des Rechts auf Gesundheit, dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie den Prinzipien der Nicht-Diskriminierung und Chancengleichheit, Partizipation und Empowerment sowie Rechenschaftspflicht und Transparenz. Ziel ist es, in den Partnerländern den Zugang der gesamten Bevölkerung, insbesondere auch extrem armer und benachteiligter Gruppen, zu Gesundheitsdiensten, Gesundheitsinformationen und gesundheitsfördernden Lebensbedingungen zu verbessern.
Die vier Grundsätze einer menschenrechtsbasierten Gesundheitspolitik sind:
Verfügbarkeit: Dienste, Informationen und Vorsorgemöglichkeiten müssen vorhanden sein.
Zugänglichkeit: Dienste, Informationen und Vorsorgemöglichkeiten müssen von allen, auch von benachteiligten Gruppen, ohne finanzielle, geographische oder soziale Barrieren erreicht werden können.
Akzeptanz: Dienste, Informationen und Vorsorgemöglichkeiten müssen den Grundsätzen der medizinischen Ethik entsprechen und die kulturellen Werte der jeweiligen Bevölkerung respektieren, sofern diese nicht gegen die Menschenrechte verstossen.
Qualität: Dienste, Informationen und Vorsorgemöglichkeiten müssen medizinisch angemessen und von guter Qualität sein.
In vielen Ländern sind immer noch bestimmte Infektionskrankheiten, wie zum Beispiel HIV/AIDS, Tuberkulose oder Lepra, mit einem starken sozialen Stigma behaftet. Menschen, die daran erkranken, werden ausgegrenzt und verlieren die Unterstützung ihrer Familien und der Gesellschaft. Ursachen dafür sind Unwissen und Angst vor der Krankheit gekoppelt mit Vorurteilen gegenüber Verhaltensweisen, die möglicherweise den herkömmlichen Normen in der Gesellschaft nicht entsprechen. Aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Benachteiligung haben erkrankte Frauen meist weniger Möglichkeiten als Männer, sich gegen dieses Stigma zu wehren. Stigmatisierung ist häufig der Grund für diskriminierende gesellschaftliche Praktiken oder auch gesetzliche Regelungen, welche die Marginalisierung bereits benachteiligter Gruppen noch weiter verstärken. Die Diskriminierung der Betroffenen ist in sich bereits eine Menschenrechtsverletzung. Sie erschwert darüber hinaus aber häufig auch die Prävention, Diagnose und Behandlung der Krankheiten, unter denen die Betroffenen leiden und verhindert somit eine effektive und gerechte Gesundheitsversorgung. Ein Beispiel hierfür ist die Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern sowie Drogennutzerinnen und Drogennutzern, welche eine effektive Antwort auf HIV enorm erschwert.
Die Überwindung von Stigmatisierung und Diskriminierung ist daher eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Massnahmen im Gesundheitssystem. Dazu müssen gesellschaftliche Ängste und Vorurteile im jeweiligen Kultur- und Krankheitskontext angesprochen und die Wahrung der Menschenrechte sichergestellt werden Bei der Antwort auf HIV/AIDS unterstützt die deutsche Entwicklungspolitik in zahlreichen Ländern die Partnerregierungen, die Zivilgesellschaft und den Privatsektor bei der Überwindung der Stigmatisierung von Menschen, die mit HIV oder AIDS leben. Dies geschieht beispielsweise durch Advocacy-, Aufklärungs- und Trainingsmassnahmen in Gesundheitseinrichtungen oder am Arbeitsplatz.
Zusätzlich leistet die Umsetzung der Menschenrechtsprinzipien Transparenz und Rechenschaftspflicht einen Beitrag zur Verbesserung von der Regierungsführung und Verwaltung im Gesundheitssektor der Partnerländer.
Die Bundesregierung hat das Potential und den Mehrwert des Menschenrechtsansatzes in der Entwicklungszusammenarbeit erkannt. Er hat deshalb zu Recht hohe Relevanz auf allen Interventionsebenen und in allen Schwerpunktthemen der Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitssektor.
Handlungsmöglichkeiten im Sinne des Menschenrechtsansatzes im Gesundheitssektor bieten sich in folgenden drei Bereichen besonders an,: Politikberatung, Förderung menschenrechtsbasierter Gesundheitssysteme und Unterstützung der Zivilgesellschaft.
Gesundheitsrelevante Menschenrechte werden im Politikdialog mit Partnern und Gebern thematisiert. Ausserdem werden die Partnerregierungen bei der Umsetzung der Verpflichtungen aus internationalen Konventionen und Vereinbarungen sowie der Empfehlungen der UN-Vertragsorgane und des UN-Sonderberichterstatters zum Recht auf Gesundheit unterstützt.
Ein Ansetzen auf Regierungsebene ist zentral, da diskriminierende Gesetze den Zugang vieler Frauen und Männer zu Gesundheitsdiensten beeinträchtigen. Dies betrifft beispielsweise Mädchen und Frauen, unverheiratete Jugendliche, Menschen mit Behinderung, sexuelle Minderheiten oder Flüchtlinge. In einigen Ländern ermöglicht die Gesetzgebung frühe und erzwungene Ehen oder gewährt Frauen in der Ehe weniger Rechte als ihren Männern. In manchen Ländern ist der Zugang unverheirateter Jugendlicher zu Informationen über ihre sexuelle Gesundheit gesetzlich untersagt; schwangere Mädchen werden in manchen Fällen der Schule verwiesen. Gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen stehen in vielen Ländern unter Strafe und werden zum Teil mit der Todesstrafe geahndet Der Politikdialog der deutschen Entwicklungszusammenarbeit trägt dazu bei, diese Diskriminierungen zu überwinden und den Zugang zu den Gesundheitsdiensten und -information auszuweiten.
Ein konkretes Beispiel dazu bietet Kenia: Dort wurde mit deutscher Unterstützung eine nationale Strategie zur Schulgesundheit (school health policy) entwickelt. Gemeinsam mit unseren Partnern vor Ort konnten wir erreichen, dass diese Strategie einen menschenrechtsbasierten Ansatz verfolgt. Sie hebt als vermutlich erste Strategie zur Schulgesundheit südlich der Sahara die Rechte des Kindes hervor und verankert die entsprechenden Verpflichtungen des Staates.
Partnerregierungen werden von der Bundesregierung gezielt beim Ausbau und bei der Stärkung von Kapazitäten zur Gestaltung eines Gesundheitssystems unterstützt, das menschenrechtliche Standards und Prinzipien garantiert.
Die Ausrichtung an den Rechten und Bedürfnissen benachteiligter Gruppen steht bei der Entwicklung gerechter Gesundheitssysteme im Mittelpunkt. Hier spielen der Aufbau nachhaltiger und transparenter Finanzierungsmechanismen, etwa Krankenversicherungssystemen, eine herausragende Rolle, um sowohl das Recht auf Gesundheit als auch auf soziale Sicherheit (Artikel 9 des UN-Sozialpaktes) zu gewährleisten.
Dies lässt sich nur erreichen, wenn bei der Planung von Gesundheitsprogrammen eine differenzierte Situationsanalyse vorgenommen wird, die nicht- und unterversorgte Gruppen sowie die zu Grunde liegenden strukturellen Gründe dafür identifiziert. Dabei müssen zum einen die sozioökonomischen und soziokulturellen Determinanten von Gesundheit und Krankheit berücksichtigt werden. Zum anderen ist der Blick darauf zu richten, welche Gruppen aus Entwicklungsprozessen systematisch ausgegrenzt werden oder davon gefährdet sind. Mit dem Menschenrechtsansatz stärkt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit den horizontalen Ansatz der Gesundheitssystementwicklung. Sie verbessert die Basisgesundheitsversorgung für alle Menschen, insbesondere für Frauen und benachteiligte Bevölkerungsgruppen, und unterstützt einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsdiensten und -informationen.
Weitere Schwerpunkte sind der Abbau gesellschaftlicher Stigmatisierung und diskriminierender Praktiken, die Förderung von partizipativen Planungs- und Entscheidungsprozessen sowie die Stärkung der Rechte von Patienten und Patientinnen.
Die Einrichtung eines gemeindegestützten Alarmsystems für Müttergesundheit hat beispielsweise in zwei Provinzen Indonesiens dazu geführt, dass sich der Anteil der professionell betreuten Geburten bei armen Frauen signifikant erhöht hat. Zum Konzept gehören der Dialog in den Gemeinden über Frauenrechte, eine breite Aufklärung über Schwangerschafts- und Geburtsrisiken, die lokale Organisation von Transportmöglichkeiten für Frauen mit Geburtskomplikationen sowie die Zusammenarbeit von traditionellen und professionell ausgebildeten Geburtshelferinnen.
Zur Stärkung der Rechte von Patientinnen und Patienten können Patientenrechtschartas wirkungsvolle Instrumente sein, um den Rechtsanspruch auf eine informierte Entscheidung sowie eine respektvolle und vertrauliche Behandlung zu verankern. Um sich auf die Versorgungspraxis positiv auszuwirken, sollten diese Chartas unter Einbeziehung aller Akteure erarbeitet werden und auch Mediations- oder Beschwerdemechanismen vorsehen. Beispielsweise erarbeitete das Gesundheitsministerium in Kambodscha mit Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eine Patientenrechtscharta. Die Ausarbeitung geschah in enger Zusammenarbeit mit Vertretern aus dem Gesundheitswesen, aus Gewerkschaften sowie Nichtregierungsorganisationen des Gesundheits- und Menschenrechtsbereiches. Die Stärkung des Bewusstseins über Rechte und Pflichten führte in zwei kambodschanischen Provinzen, in denen die Umsetzung der Charta gefördert wurde, zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität, was wiederum eine verstärkte Nachfrage nach den Diensten zur Folge hatte.
Der Dialog zwischen staatlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft über die schrittweise Verwirklichung des Rechts auf Gesundheit wird in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit intensiv gefördert.
Es braucht eine engagierte Zivilgesellschaft, um Menschenrechtsverletzungen sichtbar zu machen und die Rechte von marginalisierten Gruppen zu verwirklichen. Solche Partnerschaften sind von grosser Bedeutung, da die Umsetzung eines Menschenrechtsansatzes nur in einem sozialen und politischen Umfeld gelingen kann, welches Solidarität und andere grundlegende Prinzipien von guter Regierungsführung wahrt.
In vielen Ländern beispielsweise gelten Transsexualität und Homosexualität als Verbrechen. Die Kriminalisierung und Stigmatisierung von Homosexualität birgt erhebliche Probleme bezüglich der Ausbreitung von HIV. Viele Männer halten ihre sexuellen Beziehungen mit anderen Männern geheim und informieren sich, aus Angst vor Aufdeckung, nicht über die erhöhten Risiken. Sie gehen in manchen Fällen heterosexuelle Beziehungen ein und geben eine mögliche HIV-Infektion an ihre Partnerinnen weiter. Die Etablierung von Interessenvertretungen kann durch Aufklärung und politische Advocacy-Arbeit zur Lösung der Probleme beitragen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützte daher das Netzwerk GALCK (Gay and Lesbian Coalition Kenya) dabei, eine Strategie zu entwickeln, wie sich das Netzwerk in den nächsten Jahren in Kenia positionieren und finanzielle Mittel für seine Arbeit generieren kann.
In einem partizipativen Prozess hat ein Programm der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Tansania den nationalen Rat der Muslime bei der Erstellung einer HIV/AIDS-Strategie unterstützt. Diese spricht sich deutlich gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS aus, womit sich die bedeutende religiöse Institution für die Anerkennung der Menschenrechte und gegen die Stigmatisierung von Menschen mit HIV/AIDS positioniert hat.
Da das Recht auf Gesundheit eng mit anderen Menschenrechten verknüpft ist, kann es nur voll gewährleistet werden, wenn auch andere Rechte konsequent umgesetzt werden, etwa das Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser oder das Recht auf Bildung. Um den nachhaltigen Erfolg von Entwicklungsmassnahmen zu gewährleisten, fördert die Bundesregierung verstärkt die Vernetzung des Gesundheitssektors mit anderen entwicklungspolitisch relevanten Bereichen wie Bildung, Ernährung und Abbau der Einkommensarmut. Gefördert werden insbesondere Vorhaben, die auf partizipativen Ansätzen beruhen und die Zielgruppen an der Planung, Durchführung und Bewertung von Massnahmen beteiligen. Dafür werden ebenfalls nationale Nichtregierungsorganisationen und Selbsthilfegruppen der Zielbevölkerung einbezogen.
Um die Fortschritte bei der kontinuierlichen Verwirklichung des Rechts auf Gesundheit zu erfassen, bedarf es weiterhin eines differenzierten Monitoringsystems, das die Wirkungen von Gesundheitspolitik und –programmen auf alle Rechtsträgerinnen und –träger, insbesondere benachteiligte Bevölkerungsgruppen, nachweist. Für die Erfassung solcher Wirkungen und zur Ergänzung der MDG-Indikatoren stehen Leitlinien und Indikatoren zur Verfügung, die vom Sonderberichterstatter für Gesundheit und dem Amt des hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) entwickelt und mit anderen UN-Organisationen abgestimmt wurden. Die deutsche Entwicklungspolitik trägt dazu bei, Menschenrechtswirkungen besser zu erfassen, indem sie Gesundheitsministerien und andere relevante Institutionen in Partnerländern darin unterstützt, Gesundheitsdaten nach Diskriminierungsfaktoren zu erheben und der Bevölkerung sowie den politischen Entscheidungsträgern zugänglich zu machen.
So hat die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Kenia mittels Politikberatung dazu beigetragen, dass bei der öffentlichen Gesundheitsberichterstattung systematisch und differenziert Ungleichheiten, auch im Hinblick auf Mittelallokation, dokumentiert werden.
Die konsequente Praktizierung des Menschrechtsansatzes hat sich in der entwicklungspolitischen Praxis als wirksam und nachhaltig erwiesen. Das BMZ wird daher auch in Zukunft seine Partnerländer bei der Zusammenarbeit im Gesundheitssektor in der Umsetzung des menschenrechtsbasierten Ansatzes unterstützen, seine Expertise in die Arbeitsprozesse internationaler Organisationen einbringen und Innovationen in diesem Bereich vorantreiben.
*Rafael Teck, Dipl. Regionalwissenschaftler, hat Internationale Politik und Völkerrecht in Köln und Buenos Aires studiert. Er arbeitete für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im In- und Ausland. Nach seinem Einsatz in einem Projekt der ländlichen Entwicklung in Timor Leste war er als Berater für die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) tätig. Heute arbeitet er als Referent im Referat 202 (Gesundheit, Bevölkerungspolitik) des BMZ und ist dort u.a. für den Themenkomplex HIV/AIDS, Malaria, Tuberkulose verantwortlich. Gleichzeitig betreut er die Querschnittsaufgabe Gesundheit und Menschenrechte im BMZ und ist damit für die breite Implementierung des Menschenrechtsansatzes in der deutschen Gesundheitszusammenarbeit zuständig. Die Äusserungen des Autors geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ministeriums wieder. Kontakt: rafael.teck@bmz.bund.de