Von Sybille Mooser
Im Rahmen des 10. Symposiums der Schweizerischen Gesundheitszusammenarbeit debattierten anfangs letzten Novembers Experten und Expertinnen aus verschiedenen Regionen der Welt über das Recht auf Gesundheit, die Bedeutung internationaler Abkommen und die Verantwortung der Staaten in der Ermöglichung gesunder Lebensbedingungen und der Schaffung eines gleichberechtigten Zugangs zu medizinischer Versorgung.
In Kooperation mit dem Schweizerischen Roten Kreuz führte Medicus Mundi Schweiz am 8. November 2011 das Symposium „Gesundheit - ein Menschenrecht“ durch, wobei bereits das Fehlen des Fragezeichens hinter dem Thementitel als zentrale Kernaussage gesehen werden kann: Die Qualifizierung des Rechts auf Gesundheit als Menschenrecht ist unbestreitbar.
Insofern stand im Zentrum des ersten Teils der Veranstaltung die Debatte, über den aktuellen Stand der Verwirklichung der Gesundheit als Menschenrecht. Dabei wurde insbesondere auf die Rolle internationaler Abkommen und Resolutionen eingegangen. Auf universeller Ebene findet sich das Recht auf Gesundheit etwa in Art. 25 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948, in Art. 12 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, sowie in die Präambel der WHO-Verfassung von 1946.
Die Frage, die sich demzufolge aufdrängte, lautete: Ist aus dem Recht auf Gesundheit ein vor Gericht einklagbarer Anspruch ableitbar? Dies musste verneint werden. Auch sehen die meisten der Übereinkommen nur schwache Durchsetzungs- und Follow-Up-Mechanismen vor. Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass das Recht auf Gesundheit nicht verwirklicht werden kann. Jedoch schien unter den Anwesenden – so stellte es sich während verschiedener Vorträge heraus – weitgehende Einigkeit darüber zu bestehen, dass es anstatt der Erarbeitung weiterer Rechtsgrundlagen, viel eher eines sofortigen Aktivwerdens durch effektiveren Einsatz bereits bestehender Gefüge bedarf.
Vor diesem Hintergrund ergriffen die Referenten die Gelegenheit zu erläutern, worin sie die Hauptgründe der noch immer dürftigen Gesundheitsversorgung sehen und wie die jeweiligen Organisationen, in denen sie tätig sind, das rechtliche Anspruchsdefizit durch ihre Arbeit zu kompensieren versuchen.
Deutlich wurde dabei, dass die Länder des Südens im Gesundheitsbereich weit hinter den Standards des Nordens zurückliegen. Ein wiederholt angebrachter Punkt dabei war, dass mangelnder Zugang nicht ein rein strukturelles Problem ist, sondern gleichermassen von sozialen Faktoren abhängig ist. Etwa fehlt Frauen in Entwicklungsländern oftmals bereits die Entscheidungsmacht darüber, bestehende Gesundheitseinrichtungen in Anspruch zu nehmen.
Als weiteres Beispiel wurde die medizinische Unterversorgung von physisch und psychisch beeinträchtigten Menschen im Westen Afrikas genannt. Von der Gesellschaft stigmatisiert und der Familie zu Hause versteckt, nutzen behinderte Menschen Gesundheitsinstitutionen nur sehr zurückhaltend. Oftmals glauben sie nicht, dass ihnen geholfen werden kann.
Mangelhafte Gesundheitssysteme sind jedoch nicht nur ein Problem des globalen Südens, sondern betreffen auch Menschen in unserer Mitte. Denn laut Christine Kopp vom SRK, sind es nicht die reichsten Länder, die am Gesündesten sind, sondern jene, die es schaffen, den Reichtum gerecht zu verteilen. Die Schweiz befindet sich diesbezüglich lediglich im Mittelfeld. Beispielsweise haben in der Schweiz lebende Sans-Papiers nur dürftigen Zugang zu medizinischer Versorgung. Auch hat sich gezeigt, dass sich der Gesundheitszustand von registrierten MigrantInnen im Vergleich zu gleichaltrigen SchweizerInnen überproportional verschlechtert. Auch hier scheint es eine grosse Scheu in der Nutzung der bestehenden Gesundheitseinrichtungen zu geben, sei es aus sprachlichen und kulturellen Gründen oder aus allgemeiner Unsicherheit infolge gesellschaftlicher Ausgrenzung.
Im Verlaufe des Symposiums wird mehrfach Bildung als möglicher Lösungsansatz der Gesundheitsproblematik genannt. Diese Konzeption setzt einerseits beim medizinischen Personal an, welches bereits während der Ausbildung über das Konzept der Gesundheit als Menschenrecht unterrichtet und zugleich auf kulturelle Besonderheiten und Tabus sensibilisiert werden sollte.
Anderseits ist mit Bildung die Vermittlung von Allgemeinwissen von Kindesalter an gemeint. So haben Studien belegt, dass ein tiefes Bildungsniveau ein Risikofaktor für die Gesundheit darstellt, da die eigene Gesundheit weniger wahrgenommen wird. Es reicht also nicht aus, Bildung als blosse Aufklärung über Gesundheitsrisiken zu verstehen. Vielmehr bedarf es eines gesamtheitlichen Verstehens gesellschaftlicher Strukturen. Der Bevölkerung muss bewusst gemacht werden, wodurch ihr eigenes Verhalten und ihre eigene Lebensweise von aussen negativ beeinflusst werden kann. Erst dann können sie sich auch dagegen wehren.
In Ländern, in denen eine hohe Arbeitslosenrate herrscht, kann das Problem allein durch Bildung jedoch nicht gelöst werden. Die betroffenen Menschen verfügen weder über die finanziellen Mittel zur Führung einer gesunden Lebensweise, noch können sie sich die Nutzung medizinischer Infrastruktur leisten. Folglich stellt Bildung zwar eine wichtige Voraussetzung dar, scheint aber nicht die Schlüsselantwort zu sein.
Schliesslich wurde an verschiedener Stelle auf die Frage eingegangen, wer die Verantwortung für die Fehl- und Unterversorgung im Gesundheitsbereich trägt. Primär appellieren die referierenden ExpertInnen an die Staaten, geeignete Massnahmen zu ergreifen, um allen – diskriminierungsfrei – ein Höchstmass an physischer und psychischer Gesundheit zu gewährleisten. Die Verantwortung der Staaten ist dabei nicht auf ihre eigene Bevölkerung beschränkt, sondern reicht im Sinne des menschenrechtsbasierenden Ansatzes über die Landesgrenzen hinaus. Es darf nicht sein, dass NGOs weltweit zunehmend die Aufgaben der Staaten übernehmen und damit Gefahr laufen, Teil des Problems, anstelle Teil der Lösung zu sein.
Im Bereich der Politik muss die Einführung einer Gesundheitsverträglichkeitsprüfung bei allen wichtigen Entscheidungen auf Bundesebene gefordert werde, so Kopp. Um dies zu realisieren, müssen möglichst alle staatlichen und nichtstaatlichen Akteure in den Entscheidungsfindungsprozess miteinbezogen werden. Auch die Zivilbevölkerung hat einen Betrag zu leisten. Sie muss befähigt werden, ihre Rechte wahrzunehmen, damit ein höheres Stimmengewicht auf individueller Ebene erreicht werden kann. Nur durch ihre Partizipation auf Gemeindeebene kann Druck auf höhere Regierungsebenen ausgeübt und diese zur Rechenschaft gezogen werden. „Man verändert, worauf man Druck ausübt“, so Claudio Schuftan vom People’s Health Movement. Derselbe Redner weist dahingegen daraufhin, dass die Einbeziehung von Vertretern des privaten Sektors zu ernsten Interessenskonflikten führen kann. Sind es nämlich oftmals die Industrien, die uns Menschen bereits im Kindesalter durch Werbung zu bestimmten gesundheitsbeeinträchtigenden Gewohnheiten verleiten.
Zum Schluss des Symposiums stellte Helena Zweifel, Geschäftsführerin von Medicus Mundi Schweiz, ein Positionspapier vor, in welchem der Bundesrat aufgefordert wird, dem Recht auf Gesundheit in Schweizerischen Entwicklungs- und Aussenpolitik eine grössere Bedeutung zuzuschreiben - ist Gesundheit doch von grundlegender Bedeutung für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung eines jeden Landes.
Was am Ende des Tages bleibt, ist das Bewusstsein, dass Gesundheit ein universelles Menschenrecht darstellt, Menschenrechte aber nicht per se gewährt werden, sondern erkämpft werden müssen – in gemeinsamer Anstrengung und mit dem Ziel, das Schweigen der Armen zu brechen.
*Sybille Mooser, Mitglied der Geschäftsleitung und ehemals Programmkoordinatorin beim Calcutta Project Basel. Kontakt: sybille_cp@hotmail.com