Von Martina Saner
In einem Gespräch mit dem "bulletin medicus mundi" erläutert Martina Saner, Präventionsbeauftragte der Aids-Hilfe beider Basel, Hintergründe und Zielsetzungen von spezifischen HIV-Präventionsprogrammen für Frauen, die deshalb erfolgreich sind, weil sie bei den konkreten Lebenssituationen verschiedener Frauengruppen ansetzen.
Die bekannte Präventionsbotschaft "Geschlechtsverkehr immer mit Kondom" ist simpel und richtet sich sowohl an Frauen als an Männer. Besteht denn ein Bedürfnis nach frauenspezifischer HIV-Prävention?
Frauen können sich das Präservativ ja nicht selbst überrollen. Um ihren Partner für den Kondomgebrauch zu gewinnen, müssen sie mit ihm reden, ihn motivieren. Dies setzt Verhandlungs- und Kommunikationsstrategien voraus. Die Formel "immer mit" ist zwar durchaus geeignet, den Kern der Sache kurz und knapp auf den Punkt zu bringen. Doch die entscheidenden Fragen stellen sich für eine Frau anders. Es ist die konkrete Machtverteilung in einer Beziehung, die oft entscheidet, ob eine Frau den Kondomgebrauch gegenüber ihrem Partner überhaupt ansprechen kann. Es sind auch gesellschaftliche Mechanismen, die sie hindern, zu mehr Selbständigkeit und Autonomie zu finden.
Sind die Frauen unzufrieden mit der Stop-Aids-Kampagne, die den Kondomgebrauch als Selbstverständlichkeit darstellt?
Nicht direkt. Doch wenn ich etwa Migrantinnen nach einer Informationsveranstaltung frage, was sie jetzt mit den Informationen machen, was sie zu Hause erzählen werden, dann kommen ganz viele Einwände, wie zum Beispiel: "Wenn ich über den Kondomgebrauch rede, denkt mein Mann, ich misstraue ihm", oder "Dann meint er vielleicht, ich selber habe Aids, oder ich sei untreu gewesen". Diese Ängste sind Ausdruck eine Überforderung.
Bei jungen Frauen ist es etwas anders. Sie sagen oft: "Ja, alles klar mit dem Kondom, das brauchen wir." Doch wenn es dann um die Umsetzung geht - wer kauft die Kondome ein? wer spricht den Kondomgebrauch an? - dann zeigen Untersuchungen, dass junge Frauen eigentlich gerne hätten, wenn der Mann das regelt und die Initiative ergreift.
Das lockere Selbstbewusstsein der Frauen in den Kondom-Spots am Fernsehen existiert also (noch) nicht?
Es ist sicher nicht so selbstverständlich vorhanden, sondern muss eingeübt, erlernt werden. Dieser persönliche Prozess hängt von den spezifischen Lebensumständen und den daraus resultierenden Verhaltensweisen einer Frau ab, ihrem Selbstwertgefühl, ihrem Selbstbewusstsein.
So gibt es denn auch nicht einfach "frauenspezifische HIV-Prävention". Frauen sind offensichtlich keine einheitliche Zielgruppe. Welche Akzente setzen Sie in Basel?
Die unterschiedlichen Lebenszusammenhänge von Frauen verlangen nach einer spezifischen Vorgehensweise für eine wirksame HIV-Prävention. Es gibt zwar Aussagen, die für die meisten Frauen gelten: Sie brauchen direkten und einfachen Zugang zu Informations- und Beratungsangeboten. Und sie brauchen Unterstützung und Ermutigung, um ihre Bedürfnisse, auch bezüglich Verhütung von ungewollter Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten aktiv in die Beziehung einbringen zu können. In Basel haben wir aber auf ein allgemeines Programm "Frauen und HIV/Aids" verzichtet und konzentrieren unsere frauenspezifischen Angebote, nicht zuletzt aufgrund beschränkter Ressourcen, auf einzelne Gruppen, die aufgrund ihrer Lebensumstände besonders verletzbar sind: auf junge Frauen, auf Prostituierte, auf Migrantinnen.
Junge Frauen, die eben erst dabei sind, ihre Identität zu entwickeln, sind geprägt von einer Umgebung, die ihr suggeriert, dass sie besonders wertvoll seien, wenn sie einen Mann finden. Deshalb arbeiten wir an den Schulen immer in speziellen Gruppen für Jungen und Mädchen. Beim Gespräch mit Mädchen über Freundschaft und Sexualität kommen dann sehr bald die Kernfragen zur Sprache: Wer bin ich? Was wünsche ich mir eigentlich? Wie kann ich mich, meine Wünsche und Bedürfnisse einbringen? Wo sind meine Grenzen? Wo kann ich mir Hilfe holen?
Eine andere wichtige Zielgruppe Ihrer Arbeit sind wohl die Prostituierten, eine der "klassischen" Aids-Risikogruppen?
Im Bereich der Prostitution gibt es verschiedenste Frauen in verschiedensten Lebensumständen. Das Projekt "Frauen-Oase" des Vereins Frau, Sucht, Gesundheit richtet sich speziell an Frauen, die mit der Prostitution ihren Drogenkonsum finanzieren. Die Aids-Hilfe beider Basel richtet ihr Augenmerk vor allem auf Frauen, die hier als Migrantinnen mit unterschiedlichem, oft unklarem Aufenthaltsstatus leben. Diese Frauen sind oft sehr alleine und finanziell stark abhängig von den Personen die sie in die Schweiz vermittelt haben, wie auch von den Bar- oder Etablissementbesitzern. Sie stehen unter extremem Druck, viel Geld zu verdienen, und haben aufgrund ihrer Lebenssituation psychische Probleme. Dadurch werden sie für die Freier leicht ausbeut- und erpressbar.
Wie erreichen Sie diese Frauen? Einem Bericht aus Calcutta haben wir entnommen, dass Prostituierte in vergleichbaren Lebensumständen nicht von sich aus die Gesundheits- und Präventionseinrichtungen aufsuchen.
Wir haben unsere Kontakte über lange Zeit langsam aufgebaut. Das "Barfüsser-Projekt" arbeitet mit Mediatorinnen verschiedener ethischer Herkunft. Seit 1994 besuchen sie in regelmässigen Abständen die sich prostituierenden Migrantinnen, vermitteln ihnen Informationen und konkrete Tipps für den Kondomgebrauch und versuchen zusätzlich ihr Selbstbewusstsein zu stärken, sie untereinander zu vernetzen und auch die Clubbesitzer/innen und Patron/innen einzubeziehen.
Haben Sie bei dieser Arbeit von Erfahrungen an anderen Orten profitiert, oder erfindet jede Aids-Hilfestelle ihre Rezepte wieder selbst?
Gerade das Barfüsser-Projekt ist ein Beispiel eines gelungenen Austausches. Lanciert und während längerer Zeit zentral koordiniert wurde es von der Aids-Hilfe Schweiz mit Geldern des Bundesamtes für Gesundheit. Nach dem Auslaufen der BAG-Starthilfe wurden die Projekte von der Aids-Hilfe Schweiz an lokale Trägerschaften weitergegeben. Daneben besteht weiterhin ein nationaler Austausch und eine Koordination, die mithilft, dass die Migrantinnen, die ja auch in der Schweiz ihren Aufenthaltsort oft wechseln, von den "Barfüsser-Frauen" überall gleich angesprochen werden und dieselben Hilfestellungen erhalten.
Abgesehen von den Prostituierten ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung und Prävention wohl auch für die übrigen Migrantinnen keine Selbstverständlichkeit.
Aufgrund ihrer Lebenssituation ist es klar, dass eine türkische Migrantin mit dem Slogan "ohne Dings kein Bums" nichts anzufangen weiss. Wir müssen deshalb einen anderen, kulturspezifischen Zugang zu ihr finden. Hier übernehmen unsere MediatorInnen aus den entsprechenden Kulturgruppen eine entscheidende Funktion. Die Gespräche, die sie mit Migrantinnen führen, beginnen dann oft nicht mit dem Thema Geschlechtskrankheiten und Aids, sondern mit Kindererziehung, Aufklärung, dem Arztbesuch, dem Gebrauch von Verhütungsmitteln.
...und so ist der Bogen gespannt von der konkreten HIV-Prävention hin zu einem breiteren Verständnis der Gesundheitsförderung die die gesamten Lebensumstände einer Zielgruppe berücksichtigt.
Ja. Im HIV-Bereich war zuerst Geld da, weil Aids auf nationaler Ebene als hohe Priorität eingestuft wurde. Um der HIV-Prävention zu mehr Nachhaltigkeit zu verhelfen, tendieren wir in unserer Arbeit zunehmend Richtung umfassenderes Gesundheitsverständnis, das die alltäglichen Lebensbezüge wie Freundschaft, Liebe, Sexualität in den Mittelpunkt stellt und die HIV-Prävention als wichtigen Aspekt in diesem Kontext sieht. Diese Themen sind näher beim Alltag einer Frau. Sie fühlt sich selbst angesprochen und kann durch die offenen Auseinandersetzung ihre sozialen Kompetenzen verbessern. Sie überlegt sich, wie sie sich vor einer Schwangerschaft oder einer Geschlechtskrankheit schützen kann, und kann ihre Erkenntnisse schliesslich auch besser umsetzen.
Ihre Ausführungen zeigen, dass im HIV-Bereich die konkreten Projekte der Verhaltensprävention den Ausgangspunkt bilden, das Problem jedoch tiefer liegt: Es braucht auch eine Veränderung der Verhältnisse.
Natürlich, die konkreten Präventionsmassnahmen wären ein Fass ohne Boden. Die Prostitution ist bei uns tabuisiert, und nur deshalb können Frauen – und Männer – die in diesem Bereich arbeiten, so missbraucht werden. Die harte Ökonomie hinter den Verhaltensweisen der Frauen zeigt sich zum Beispiel offensichtlich bei den sich prostituierenden Migrantinnen, deren Druck, viel Geld zu verdienen, sich durch die Tatsache verstärkt, dass viele Kunden noch immer bereit sind, für ungeschützten Geschlechtsverkehr höhere Preise zu zahlen.
Wir sind gefordert, uns auch für die Gleichstellung der Frauen einzusetzen, uns beispielsweise für die Rechtssicherheit von Migrantinnen stark zu machen, sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz oder in der Partnerschaft zu bekämpfen und ähnliches mehr. Damit unsere konkreten präventiven Massnahmen langfristig wirksam werden und Frauen in gerechteren Strukturen leben können, braucht es unser Engagement auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene.
*Martina Saner ist Präventionsbeauftragte der Aids-Hilfe beider Basel. Kontakt: AHbB, Clarastrasse 4, 4058 Basel, Tel. 061 692 21 22, info@ahbb.ch, www.ahbb.ch. Die Fragen stellte Thomas Schwarz, Geschäftsführer von Medicus Mundi Schweiz.