Von Elisabeth Zemp
Die Beschäftigung mit der Gesundheit von Frauen und mit Geschlechterfragen im Gesundheitsbereich in der Schweiz entwickelte sich nicht isoliert von internationalen Entwicklungen und Debatten. Seit der UN-Dekade der Frau (1976-85) wurde die Gesundheit von Frauen explizites Thema in der Weltgesundheitsorganisation WHO und figurierte auf der Agenda vieler internationaler Konferenzen. Auf konzeptioneller Ebene wechselte der Fokus vom "Mutter-Kind"-Konzept zu "Frauengesundheit": Die Gesundheit der Frauen wurde nicht mehr nur aus der Perspektive der Frauen als (potentielle) Mütter betrachtet, sondern auch um ihrer selbst willen und während ihrer gesamten Lebensspanne. Die sexuelle und reproduktive Gesundheit sollte - als zentraler, aber nicht einziger Gesundheitsbereich von Frauen - in Entwicklungsprogrammen die "Bevölkerungskontrolle" ablösen, wie dies in Kairo 1994 als Paradigmenwechsel gefordert wurde. Gesundheitsförderung, wie sie in der Ottawa Charta umrissen ist und neueren gesundheitspolitischen Programmen wie zum Beispiel den "Healthy Cities" zugrunde liegt, strebt einen grösseren Einbezug der Zielgruppen an und sucht deren Kompetenz, sich für ihre Gesundheit einsetzen zu können, zu erhöhen. Zaghaft gewinnen gender-Ansätze auch im Gesundheitsbereich Aufmerksamkeit.
Wie andernorts wurde auch in der Schweiz seit längerem auf die schlechte Informationslage zur Gesundheit der Frauen aufmerksam gemacht. Die Zielsetzungen der Strategie Gesundheit für Alle, welche die erste eigentliche Gesundheitspolitik im europäischen Raum darstellte, zeigten in ihren ersten Versionen beispielhaft, wie allgemein gehalten und nicht quantifizierbar die Ziele bezüglich der Frauen waren (mit Ausnahme des Ziels zur Müttersterblichkeit). In den Überarbeitungen dieser Ziele in den 90er Jahren wurden hier Präzisierungen vorgenommen. Das WHO-Regionalbüro Kopenhagen startete gezielte Initiativen zur Verbesserung der Information und ernannte Frauengesundheitsberichte zu einer Priorität. Die Initiative "Investing in Women’s Health", in deren Rahmen unter anderem die Wiener Konferenz "Women’s Health Counts" von 1994 organisiert wurde, brachte zahlreiche Vertreter/innen aus West-, Mittel- und Osteuropa zusammen und ermöglichte eine Diskussion von Informationen, gesundheitspolitischen Strategien und Handlungsprioritäten. Der WHO–Forderung nach Frauengesundheitsberichten kamen mehr als 40 europäische Länder nach, so auch die Schweiz.
An der 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995 waren Gesundheitsfragen, - insbesondere der Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit - ein zentrales Diskussionsthema. Die Ungleichstellung wurde für Frauen als Haupthinderungsgrund bezeichnet, sich für die eigene Gesundheit einsetzen zu können. In den nach dieser Konferenz angeforderten nationalen, überprüfbaren Aktionsplänen sollten denn auch intersektorale Ansätze entwickelt werden, mit Massnahmen nicht nur im Gesundheitssektor. Der Schweizerische Aktionsplan nach Beijing, der von einer interdepartementalen Arbeitsgruppe und unter Einbezug von Nichtregierungsorganisationen unter Federführung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau erarbeitet wurde, erfüllt diese Forderung in hohem Masse. Und die langjährige Forderung nach einer nationalen Stelle, die die Zuständigkeit für die Gesundheit von Frauen strukturell verankern sollte, konnte im letzten Jahr auf Bundesebene durchgesetzt werden: Im Bundesamt für Gesundheit befindet sich derzeit die Fachstelle "Gender Health" im Aufbau.
Wenn nun in der vorliegenden Ausgabe des "Bulletin Medicus Mundi" ein Beitrag zur Gesundheitsarbeit in einem Prostituertenviertel in Calcutta neben einem Interview zur frauenspezifischen HIV-Prävention bei Prostituierten in Basel steht, ist dies kein Zufall, sondern setzt um, was auf der konzeptionellen Ebene seit 25 Jahren geschieht: Es ist durchaus erlaubt, Parallelen zu ziehen, über die Grenze zu schauen, voneinander zu lernen. Auch in der Frauengesundheit ist die Schweiz keine Insel.
*Elisabeth Zemp ist Oberärztin am Institut für Sozial - und Präventivmedizin der Universität Basel und Leiterin der Abteilung Frauen und Gesundheit.