Von Helena Zweifel
Kultur ist nicht primär ein Hindernis in der HIV-Prävention und der Unterstützung aidsbetroffener Menschen, sondern Teil der Lösung. Dies war der Tenor an der Fachtagung von aidsfocus.ch. Mehr noch: Wenn das kulturelle Verständnis fehlt und die Leute mit Botschaften von aussen mobilisiert werden sollen, greifen die internationalen HIV- und Aidsprogramme zu kurz.
Die Fachtagung ging von einem ganzheitlichen Kulturbegriff aus. Kultur ist nicht nur Kunst und Literatur, Kultur umfasst die Lebensweisen, die grundlegenden Menschenrechte, Wertsysteme, Traditionen und Glaubenssätze (UNESCO, 1982). Unterschiedliche Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit, von Sexualität und Geschlechterrollen, von richtig und falsch prägen die Verhaltensweisen und so auch den Umgang mit HIV und Aids. Die Gefahr von Missverständnissen ist gross, kulturelle Sensibilität ein Muss.
Kultursensible Ansätze zu HIV und Aids setzen sich mit Werten, Glauben, Traditionen und sozialen Strukturen auseinander, dem kulturellen Kontext und „Bedeutungsgewebe“, in dem die Menschen leben. Am sichtbarsten sind kulturelle Ausdrucksformen wie Theater, Tanz, Lieder, traditionelle Riten und Symbole. Beispiele in diesem Bulletin zeigen, wie wirkungsvoll kulturell verankerte Kommunikationsformen sind, da sie die Leute direkt ansprechen, vertraute Bilder nutzen und zum Mitmachen einladen. Weitere Beispiele berichten von der erfolgreichen Zusammenarbeit mit traditionellen HeilerInnen und mit christlichen und muslimischen Geistlichen. Sie sind lokale Respektspersonen, geniessen das Vertrauen der Leute und wirken als kulturelle ÜbersetzerInnen. Bei kultursensiblen Ansätzen müssen die Betroffenen zu Beteiligten werden und sich an der Formulierung und Umsetzung von Präventionsbotschaften und Unterstützungsprogrammen beteiligen.
Kultursensible Ansätze fordern Mitarbeitende in der Entwicklungszusammenarbeit heraus. Kultur ist nicht eine Technik oder ein Instrument, das jeder und jede unbedarft anwenden kann. Kultursensibles Vorgehen verlangt von allen Beteiligten, hinzuhören und sich auf das andere einzulassen - gleichzeitig sich der eigenen kulturellen Identität bewusst zu werden und eigene Bilder zu hinterfragen. In der gemeinsamen Auseinandersetzung und im Dialog können Bedeutungen ausgehandelt und neue Handlungsoptionen entwickelt werden.
Es lohnt sich. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dort, wo kultursensitive Ansätze
in der Kommunikation zu HIV und Aids gebraucht und die Betroffenen in den Prozess
einbezogen wurden, die Programme grössere Wirkung zeigten auf das Bewusstsein,
das Verhalten und auf die Reduktion von Stigma.
Helena Zweifel ist Geschäftsführerin des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz und Koordinatorin der Fachplattform aidsfocus.ch Kontakt: hzweifel@medicusmundi.ch