Von Thomas Schwarz
Die Migration von gut ausgebildetem Gesundheitspersonal aus ärmeren in reiche Länder mag für die einzelne Fachkraft zu einem höheren Verdienst führen. In ihrem Herkunftsland verschärft ihre Auswanderung aber die Gesundheitskrise. Die WHO will mit einem Verhaltenskodex für etwas Ordnung sorgen – ein nicht unumstrittenes Unterfangen, nach Ansicht des Autor.
Wenn wenigstens 2,3 gut ausgebildete Gesundheitsfachkräfte pro 1000 Menschen
zur Verfügung stehen, können 80 Prozent oder mehr der Bevölkerung mit qualifizierter
Geburtshilfe und Impfungen für Kinder erreicht werden. Gemäss WHO erreichen
aber 57 Länder diese Quote nicht; ihnen wird deshalb im Weltgesundheitsbericht
2006 ein „akuter Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen“ bescheinigt. Am schlimmsten
ist die Lage in Afrika südlich der Sahara, wo der Mangel an gut ausgebildeten
Fachkräften die ohnehin schon geschwächten Gesundheitssysteme noch zusätzlich
belastet.
Der Arbeitskräftemangel ist ein weltweites Phänomen, auch in reichen Ländern.
Weltweit werden mehr als vier Millionen zusätzliche ÄrztInnen, Krankenschwestern,
Hebammen, Manager und Public Health Worker dringend gebraucht. Anderseits ist
die Welt in den letzten Jahren kleiner geworden, auch der Fachkräfte-Personalmarkt
ist nun „globalisiert“. Die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften
ist deshalb eine gängige Praxis geworden.
Wenn eine Gesundheitsfachkraft eine Stelle in einem anderen Land findet, macht
sie zunächst ganz einfach von ihrem Recht auf Bewegungsfreiheit Gebrauch. Ihr
Einkommen mag dem Wohlstand ihrer Familie und – wenn sie Geld nach Hause schickt
– auch dem Volkseinkommen ihres Herkunftslandes förderlich sein. In Ländern
mit einem akuten Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen aber trägt die Abwanderung
von Fachkräften auch ganz direkt zur Verschärfung der Gesundheitskrise bei.
Und auch volkswirtschaftlich betrachtet, ist die Sache nicht ganz so einfach:
Die Entwicklungsländer verlieren die Erträge auf die Investition, die sie in
die Ausbildung der Fachkraft gemacht haben. Viele arme Länder unterstützen heute
faktisch reiche Länder, die zu wenig Fachkräfte ausbilden – oder die aufgrund
der niedrigen Löhne, gerade im Pflegebereich, auf ihrem Binnenarbeitsmarkt nicht
genügend Personal finden.
Zahlen zu Migration von Gesundheitspersonal sind allerdings schwer zu finden
sind, da es bislang wenig systematische Übersichten und Statistiken gibt. Die
bereits vorhandenen Studien haben je verschiedene Parameter und sind daher schwer
zu vergleichen. Im Januar 2008 wurden Daten einer ersten systematischen Untersuchung
zu diesem Thema veröffentlicht. Sie beruhen auf Erhebungen aus dem Jahr 2000.
Danach arbeiteten zu jenem Zeitpunkt ungefähr 65.000 ÄrztInnen und 70.000 Krankenschwestern,
die in Afrika geboren wurden, in einem Industrieland. Das entspricht etwa einem
Fünftel der afrikanischen ÄrztInnen und einem Zehntel der afrikanischen Krankenschwestern.
Die Rate der afrikanischen Gesundheitsfachkräfte, die nicht in ihrem Herkunftsland
arbeiten, variiert je nach Land zwischen 1 und 70 Prozent.
Angesichts dieser Situation haben die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation in den Jahren 2004 und 2005 den Generaldirektor der WHO aufgefordert, in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten und allen massgeblichen Partnern die Federführung bei der Ausarbeitung und Umsetzung eines Verhaltenskodex für die grenzüberschreitende Rekrutierung von Gesundheitsfachkräften zu übernehmen.
Ein erster Entwurf des „WHO code of practice on the international recruitment
of health personnel“ liegt bereits seit einiger Zeit vor. Die am Zustandekommen
des Verhaltenskodex interessierten Organisationen, darunter das Netzwerk Medicus
Mundi International, sind eigentlich davon ausgegangen, dass der Kodex durch
die diesjährige Weltgesundheitsversammlung im Mai 2009 verabschiedet würde.
Doch hat der Vorstand der Weltgesundheitsorganisation an seiner Januarsitzung
die Bereinigung der Vorlage auf das nächste Jahr vertagt und zuvor eine Reihe
von nationalen und internationalen Konsultationen angesetzt.
Das Thema ist ganz offensichtlich politisch „sensibel“ und Gegenstand eines
Interessenkonfliktes und wohl auch Machtkampfs zwischen Ziel- und Herkunftsländern
der Migration von Gesundheitspersonal. Dies zeigt auch ein im Mai von der WHO
veröffentlichtes, an die Mitgliedstaaten der WHO gerichtetes Hintergrundpapier.
Die in diesem Dokument aufgeworfenen Schlüsselbereiche und Fragestellungen sind
ein „offenes Buch“ der politischen Debatte. Sie umfassen neben den allgemeinen
Zielsetzungen und Grundsätzen des Verhaltenskodes unter anderem auch die Praktiken
der grenzüberschreitenden Rekrutierung, die Nutzbarmachung der Migration für
alle Beteiligten und die nationalen Arbeitsmarktpolitiken im Gesundheitsbereich.
Die einzelnen Fragen sind brisant, zum Beispiel: „Soll der Kodex eine Empfehlung
zur finanziellen Entschädigung der Herkunftsländer durch die Zielländer der
Migration enthalten?“ „Soll das Konzept einer nachhaltigen nationalen Arbeitsmarktpolitik
im Gesundheitsbereich in den Kodex aufgenommen werden?“ Diesen Fragen nachzugehen
und die eigene Rolle als Zielland von Fachkräftemigration im Gesundheitsbereich
kritisch zu hinterfragen, lohnt sich bestimmt auch für die Schweiz.
*Thomas Schwarz ist Geschäftsführer des internationalen Netzwerkes Medicus
Mundi International. Kontakt: schwarz@medicusmundi.org
Quellen
Key issues for the development of a WHO code of practice The following subsections describe some of the key issues that Member States may wish to consider when elaborating the text of a WHO code of practice, including those upon which there may be divergence among Member States. Objective(s) and guiding principles Principles of transparency and fairness are considered as key in the
recruitment process of migrant health workers. There is a divergence among
some states on whether and how such broad principles should be incorporated
in a code of practice. In particular, some have suggested that a code
of practice should include specific provisions encouraging states to regulate
and monitor recruiters and employers. In addition, some have also suggested
that a code of practice should include a specific provision calling upon
Member States to ensure that services performed in connection with international
recruitment should be performed free of charge to health workers Member
States also hold widely different views on whether recruitment from states
experiencing critical workforce shortages should be limited. The idea that some type of compensation and/or international cooperation
should be recommended in a code of practice has been highlighted by some
Member States. Some suggest that an approach to compensation should be
a component of the final text of a code of practice, as lower income countries,
in particular those identified by WHO as being in crisis9, are indirectly
subsidizing health education systems in higher income destination states.
Others oppose such a compensation approach as unworkable. With respect
to international cooperation, some countries highlight that a code of
practice should emphasize international technical and/or financial assistance
as all countries have an interest in strengthening health systems in all
states. Whether or not a code of practice should include provision(s) promoting
national health workforce sustainability has been central to discussions.
The concept focuses on strengthening national health worker education.
More broadly, achieving self sufficiency or sustainability in the health
workforce is about effective retention and deployment of available workers. |