Zur Rolle reicher Länder in der Migration von Gesundheitsfachkräften

Was tun, wenn nicht stehlen?

Von Thomas Schwarz

Die Migration von gut ausgebildetem Gesundheitspersonal aus ärmeren in reiche Länder mag für die einzelne Fachkraft zu einem höheren Verdienst führen. In ihrem Herkunftsland verschärft ihre Auswanderung aber die Gesundheitskrise. Die WHO will mit einem Verhaltenskodex für etwas Ordnung sorgen – ein nicht unumstrittenes Unterfangen, nach Ansicht des Autor.

Lesezeit 5 min.

Wenn wenigstens 2,3 gut ausgebildete Gesundheitsfachkräfte pro 1000 Menschen zur Verfügung stehen, können 80 Prozent oder mehr der Bevölkerung mit qualifizierter Geburtshilfe und Impfungen für Kinder erreicht werden. Gemäss WHO erreichen aber 57 Länder diese Quote nicht; ihnen wird deshalb im Weltgesundheitsbericht 2006 ein „akuter Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen“ bescheinigt. Am schlimmsten ist die Lage in Afrika südlich der Sahara, wo der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften die ohnehin schon geschwächten Gesundheitssysteme noch zusätzlich belastet.

Der Arbeitskräftemangel ist ein weltweites Phänomen, auch in reichen Ländern. Weltweit werden mehr als vier Millionen zusätzliche ÄrztInnen, Krankenschwestern, Hebammen, Manager und Public Health Worker dringend gebraucht. Anderseits ist die Welt in den letzten Jahren kleiner geworden, auch der Fachkräfte-Personalmarkt ist nun „globalisiert“. Die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften ist deshalb eine gängige Praxis geworden.

Verschärfung der Gesundheitskrise

Wenn eine Gesundheitsfachkraft eine Stelle in einem anderen Land findet, macht sie zunächst ganz einfach von ihrem Recht auf Bewegungsfreiheit Gebrauch. Ihr Einkommen mag dem Wohlstand ihrer Familie und – wenn sie Geld nach Hause schickt – auch dem Volkseinkommen ihres Herkunftslandes förderlich sein. In Ländern mit einem akuten Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen aber trägt die Abwanderung von Fachkräften auch ganz direkt zur Verschärfung der Gesundheitskrise bei. Und auch volkswirtschaftlich betrachtet, ist die Sache nicht ganz so einfach: Die Entwicklungsländer verlieren die Erträge auf die Investition, die sie in die Ausbildung der Fachkraft gemacht haben. Viele arme Länder unterstützen heute faktisch reiche Länder, die zu wenig Fachkräfte ausbilden – oder die aufgrund der niedrigen Löhne, gerade im Pflegebereich, auf ihrem Binnenarbeitsmarkt nicht genügend Personal finden.

Zahlen zu Migration von Gesundheitspersonal sind allerdings schwer zu finden sind, da es bislang wenig systematische Übersichten und Statistiken gibt. Die bereits vorhandenen Studien haben je verschiedene Parameter und sind daher schwer zu vergleichen. Im Januar 2008 wurden Daten einer ersten systematischen Untersuchung zu diesem Thema veröffentlicht. Sie beruhen auf Erhebungen aus dem Jahr 2000. Danach arbeiteten zu jenem Zeitpunkt ungefähr 65.000 ÄrztInnen und 70.000 Krankenschwestern, die in Afrika geboren wurden, in einem Industrieland. Das entspricht etwa einem Fünftel der afrikanischen ÄrztInnen und einem Zehntel der afrikanischen Krankenschwestern. Die Rate der afrikanischen Gesundheitsfachkräfte, die nicht in ihrem Herkunftsland arbeiten, variiert je nach Land zwischen 1 und 70 Prozent.

Umstrittener „Code of practice“

Angesichts dieser Situation haben die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation in den Jahren 2004 und 2005 den Generaldirektor der WHO aufgefordert, in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten und allen massgeblichen Partnern die Federführung bei der Ausarbeitung und Umsetzung eines Verhaltenskodex für die grenzüberschreitende Rekrutierung von Gesundheitsfachkräften zu übernehmen.

Ein erster Entwurf des „WHO code of practice on the international recruitment of health personnel“ liegt bereits seit einiger Zeit vor. Die am Zustandekommen des Verhaltenskodex interessierten Organisationen, darunter das Netzwerk Medicus Mundi International, sind eigentlich davon ausgegangen, dass der Kodex durch die diesjährige Weltgesundheitsversammlung im Mai 2009 verabschiedet würde. Doch hat der Vorstand der Weltgesundheitsorganisation an seiner Januarsitzung die Bereinigung der Vorlage auf das nächste Jahr vertagt und zuvor eine Reihe von nationalen und internationalen Konsultationen angesetzt.

Das Thema ist ganz offensichtlich politisch „sensibel“ und Gegenstand eines Interessenkonfliktes und wohl auch Machtkampfs zwischen Ziel- und Herkunftsländern der Migration von Gesundheitspersonal. Dies zeigt auch ein im Mai von der WHO veröffentlichtes, an die Mitgliedstaaten der WHO gerichtetes Hintergrundpapier. Die in diesem Dokument aufgeworfenen Schlüsselbereiche und Fragestellungen sind ein „offenes Buch“ der politischen Debatte. Sie umfassen neben den allgemeinen Zielsetzungen und Grundsätzen des Verhaltenskodes unter anderem auch die Praktiken der grenzüberschreitenden Rekrutierung, die Nutzbarmachung der Migration für alle Beteiligten und die nationalen Arbeitsmarktpolitiken im Gesundheitsbereich. Die einzelnen Fragen sind brisant, zum Beispiel: „Soll der Kodex eine Empfehlung zur finanziellen Entschädigung der Herkunftsländer durch die Zielländer der Migration enthalten?“ „Soll das Konzept einer nachhaltigen nationalen Arbeitsmarktpolitik im Gesundheitsbereich in den Kodex aufgenommen werden?“ Diesen Fragen nachzugehen und die eigene Rolle als Zielland von Fachkräftemigration im Gesundheitsbereich kritisch zu hinterfragen, lohnt sich bestimmt auch für die Schweiz.

*Thomas Schwarz ist Geschäftsführer des internationalen Netzwerkes Medicus Mundi International. Kontakt: schwarz@medicusmundi.org

Quellen

 

Key issues for the development of a WHO code of practice

The following subsections describe some of the key issues that Member States may wish to consider when elaborating the text of a WHO code of practice, including those upon which there may be divergence among Member States.

Objective(s) and guiding principles
What objective(s) and guiding principles should guide the development and implementation of a WHO code of practice?

For example, one issue that has emerged is how to balance the individual rights of health workers to leave any country, including their own with the enjoyment of the highest attainable standard of health for the population in both source and destination countries. While health workers have a human right to migrate to countries that wish to admit and employ them, and destination countries can appropriately strengthen their health systems by employing foreign health workers, large-scale migration can have a devastating impact on the health systems of source states. Similarly, there is a divergence among states on how to balance the interests of source and destination states in the guiding principles and how these principles should be reflected in the remainder of the text of a WHO code of practice.

International recruitment practices
Should a code of practice include a specific provision recommending that Member States regulate or monitor the activities of recruitment agencies and employers of internationally recruited health personnel?
• What standards should be included in a code of practice to encourage equality of treatment between national health workers and migrant health workers?
• Should the code include a provision recommending that Member States limit international recruitment in countries with critical health workforce shortages?

Principles of transparency and fairness are considered as key in the recruitment process of migrant health workers. There is a divergence among some states on whether and how such broad principles should be incorporated in a code of practice. In particular, some have suggested that a code of practice should include specific provisions encouraging states to regulate and monitor recruiters and employers. In addition, some have also suggested that a code of practice should include a specific provision calling upon Member States to ensure that services performed in connection with international recruitment should be performed free of charge to health workers Member States also hold widely different views on whether recruitment from states experiencing critical workforce shortages should be limited.

Mutuality of benefits
Should a code of practice promote the formulation and implementation of bilateral and multilateral agreements based upon the principle of mutuality of benefits?
• Should a code of practice include a provision recommending that destination states provide source states with financial compensation?
• What types of technical and/or financial cooperation should the code of practice encourage?

The idea that some type of compensation and/or international cooperation should be recommended in a code of practice has been highlighted by some Member States. Some suggest that an approach to compensation should be a component of the final text of a code of practice, as lower income countries, in particular those identified by WHO as being in crisis9, are indirectly subsidizing health education systems in higher income destination states. Others oppose such a compensation approach as unworkable. With respect to international cooperation, some countries highlight that a code of practice should emphasize international technical and/or financial assistance as all countries have an interest in strengthening health systems in all states.

National health workforce sustainability
Should the concept of national health workforce sustainability be included in a code of practice?
• If so, how could this broad concept of sustainability be defined and operationalized into specific recommendations in the code?

Whether or not a code of practice should include provision(s) promoting national health workforce sustainability has been central to discussions. The concept focuses on strengthening national health worker education. More broadly, achieving self sufficiency or sustainability in the health workforce is about effective retention and deployment of available workers.

Quelle: Fragekatalog der WHO (Auszug). In: A World Health Organization code of practice on the international recruitment of health personnel. Background paper. http://www.who.int/hrh/migration/code/background/en/index.html.