Von Thomas Schwarz
Armut macht krank. Anderseits ist Gesundheit ein Schlüssel für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und die Überwindung von Armut. Dies gilt nicht nur für arme Länder und Gesellschaften, sondern auch für die Schweiz. Zur Überwindung des Teufelskreises von Armut, sozialer Ungleichheit, Verelendung und Krankheit benötigt es Massnahmen innerhalb und ausserhalb des Gesundheitsbereichs. Am diesjährigen Symposium der schweizerischen Gesundheitszusammenarbeit in Basel wurden einige Wege skizziert.
Die armut- und krankheitsbetroffenen Menschen sind die wichtigsten Fachleute, wenn es darum geht, ihre Situation zu analysieren und Auswege aus der Krise zu formulieren. Diesen Grundgedanken aufnehmend, entsandte das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz, Organisatorin des Basler Symposiums, den Basler Filmemacher René Schraner ins Bergland von Kirgisien, in eine abgelegene Provinz von Haiti – und nach Bern. Zurückgebracht hat Schraner eindrückliche Bilder und Geschichten von krankmachender Armut und von durch Armut entstandener Krankheit. An den drei Porträts von Familien, die in so unterschiedlichen Welten leben, erstaunen die Parallelen: Die Abwärtsspirale von Mittellosigkeit, sozialer Verelendung und Krankheit, die Hindernisse im Zugang zu Gesundheitsdiensten – und die Tatsache, dass die Betroffenen den Schlüssel zur Verbesserung ihrer Situation oft nicht in Gesundheitsleistungen sehen. Wie es Gulsaira Ibraimova aus Chong-Dubu, Kirgistan lakonisch festhielt: „Mit Geld kann man alles machen. Heutzutage löst man Probleme mit Geld.“ - Die Filmporträts gingen den Tagungsteilnehmern unter die Haut und bildeten genügend Stoff für die Ausweitung und Vertiefung der Thematik durch Vorträge und im Gespräch.
Als im weiteren Verlauf der Tagung die Fachleute schweizerischer und internationaler Organisationen ihre Analysen und Strategien darlegten, sagten die Vertreterinnen und Vertreter der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA und des Genfer IUÉD, der Weltgesundheitsorganisation WHO, der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau oder des britischen Institute for Health Sector Development in ihren Worten eigentlich nichts anderes als die Mutter aus Kirgistan: Es ist die Armut und insbesondere die soziale Stellung in einer Gesellschaft, es sind die prekären Lebedingungen und der mit ihnen verbundene Stress, die die Gesundheit der Menschen am stärksten gefährden und ihnen den Zugang zu den eigentlich vorhandenen Gesundheitsleistungen erschweren oder verunmöglichen. Die Kameruner Ärztin Paule Kemgni betonte in ihrem Referat die Bedeutung der sozialen Unterschiede innerhalb eines Landes und zeigte, dass ein in einem Ghetto aufwachsender schwarzer US-Amerikaner trotz höherem Familieneinkommen eine um 16 Jahre tiefere Lebenserwartung hat als eine Vietnamesin aus einer Mittelschichtsfamilie.
Auch für die Schweiz gilt: Armut macht krank, und arme Menschen haben schlechteren Zugang zur Gesundheitsversorgung. Der Basler Arzt Alex Schwank warnte deshalb in seinem Referat ausdrücklich davor, den in der Baselbieter Verfassung von 1982 festgeschriebenen Satz „Jeder ist für seine Gesundheit in erster Linie selber verantwortlich“ zur Schuldzuweisung an die Opfer krankmachender Lebensverhältnisse zu machen und forderte statt individuellen Gesundheitsförderungsprogrammen, die die Armen sowieso nicht erreichen würden, Strategien der Verhältnisprävention: „Präventionspolitik für die unteren sozialen Schichten setzt Gegenmacht voraus, die Mobilisierung der Betroffenen für die Verbesserung ihrer sozialen Lage.“
Wo beginnen, bei der Bekämpfung krankmachender Armut oder Verbesserung der Gesundheit als Voraussetzung für ein aktives Leben? – Barbara del Pozo, Vertreterin der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit beantwortet diese Frage nach dem „Huhn oder dem Ei“ klar: Es brauche beides. Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit gebe der Armutsbekämpfung oberste Priorität, doch die Verbesserung Gesundheit spiele dabei eine Schlüsselrolle. Wichtig seien das ganzheitliche, Handeln, das Überwinden von engen Grenzen des eigenen Fachs, das Eingehen auf die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen: Diese sind nicht einfach „Zielgruppe“ einer Intervention, sondern müssen in jedem Fall als verantwortliche Akteure, Eigner und Nutzniesser jeglicher Entwicklungsarbeit einbezogen werden.
Im Rahmen des Symposiums präsentierten schliesslich die Mitglieder des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz ihr Manifest „Gesundheit für alle – ein realistisches Projekt“, das den Beitrag der schweizerischen Nichtregierungsorganisationen zur Überwindung der globalen Gesundheitskrise reflektiert - und dies überraschenderweise in einem völlig unzeitgemässen, optimistischen Grundton: "Unsere Arbeit beruht auf einer Einsicht, die sich aus jahrelangen Erfahrungen mit Erfolgen und Rückschlägen der Gesundheitszusammenarbeit ergeben hat: Die Verbesserung der Gesundheit benachteiligter Bevölkerung ist ein realistisches Projekt. Die globale Gesundheitskrise kann überwunden werden. Wir sind davon überzeugt, dass es sich lohnt, in die internationale Gesundheitszusammenarbeit zu investieren, und setzen mit unserer Arbeit ein Zeichen gegen die Resignation."
Thomas Schwarz, Co-Geschäftsführer von Medicus Mundi Schweiz
Symposium der schweizerischen Gesundheitszusammenarbeit
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