Von Martin Leschhorn Strebel
Anlässlich des Vierzigjahrjubiläums der Alma-Ata-Deklaration erarbeitet das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz ein neues Manifest zum Thema, wie die Weltgemeinschaft bis 2030 Gesundheit für alle erreicht und welche Rolle dabei Schweizer Organisationen und Institutionen der internationalen Gesundheitszusammenarbeit spielen.
„Gesundheit für alle“ – das ist es, wofür sich das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz (MMS) zusammen mit seinen Mitgliedsorganisationen seit weit über vierzig Jahren einsetzt. Mit diesem Slogan legt MMS Zeugnis davon ab, dass es das Recht auf Gesundheit weltweit umgesetzt sehen will und dass es sich für eine solidarische Weltinnenpolitik engagiert. Und mit „Gesundheit für alle“ bestätigen wir auch unsere Verankerung in der Alma-Ata-Deklaration von 1978.
Dieses Jahr erarbeitet MMS ein neues Grundsatzdokument in der Form eines Manifestes dazu, wie wir die Erreichung des Ziels Gesundheit für alle sehen. Mit „wir“ ist einerseits das Netzwerk als Vertretung seiner Mitglieder gemeint. Wir laden aber auch die Mitgliedsorganisationen direkt ein, das Manifest als Organisation oder Institution zu unterzeichnen. Es dient damit als Verständigungsgrundlage darüber, wie wir uns heute – vierzig Jahre nach der Alma-Ata-Deklaration für das Recht auf Gesundheit weltweit engagieren und wo wir die Hindernisse sehen, das Ziel bis 2030 zu erreichen.
Bereits 2004 hat MMS ein Manifest „Gesundheit für alle“ veröffentlicht. Dieses Dokument ist noch heute von Relevanz. Gleichwohl braucht wohl jede Generation die Momente der inhaltliche Selbstvergewisserung und des kritischen Hinterfragens. Ausschlaggebend war aber für den Entscheid, ein neues Manifest zu lancieren, dass die internationale Gesundheitszusammenarbeit heute an einem anderen Punkt steht als vor bald 15 Jahren.
2004 befand sich die internationale Gesundheitszusammenarbeit in der Aufbruchphase der Millenniumsziele (MDGs), in der die drei Gesundheitsbereiche Kindersterblichkeit, Müttergesundheit und der Kampf gegen die übertragbaren Krankheiten HIV/Aids und Malaria fokussiert angegangen wurden. Die MDGs waren Ausdruck der Weltgemeinschaft die globale Entwicklung sehr zielgerichtet anzugehen. So konnte in den Jahren nach 2000 viel an politischem Willen und grosse finanzielle Mittel mobilisiert werden, um die Gesundheitsziele innerhalb der MDGs anzugehen. Das Problem bestand dabei darin, dass diese Ansätze vertikal und selektiv waren. Sie verfolgten keinen systemischen Ansatz und schwächten damit die Gesundheitssysteme in einkommensschwachen Ländern.
Damit unterliefen die Millenniumsziele die Prinzipien von Alma-Ata: Die Basisgesundheitsversorgung wurde geschwächt statt gestärkt. Ab 2008 begann dann eine Gegenbewegung, die ihren Ausdruck im Weltgesundheitsbericht 2008 „Primary Health Care – Now More than Ever“ fand. Mit dem Schlussbericht der WHO-Kommission zu den sozialen Determinanten von Gesundheit im August 2008 (Closing the gap in a generation: Health equity through action on the social determinants of health) wurde auch das Verständnis dafür wieder in den Vordergrund gestellt, dass das Recht auf Gesundheit vor allem auch mit Massnahmen ausserhalb des eigentlichen Gesundheitssektors realisiert werden muss.
Die durch diese beiden Berichte belegten Erkenntnisse bestätigten nach dreissig Jahren Irrfahrt die Richtigkeit des in Alma-Ata 1978 proklamierten Ansatzes und erweiterte diesen mit neuen Elementen, wie etwa der Universal-Health-Coverage als zentralem Baustein eines gerechten und auf Qualität bauenden Gesundheitssystems. Die Erkenntnisse, Verbreiterung und Vertiefung dieser Debatten beförderten die Entwicklung der Agenda 2030, welche als Nachhaltigkeitsziele 2015 die MDGs abgelöst haben.
Der neue globale Referenzrahmen der Agenda 2030 ist das Kernelement, um welches das neue MMS Manifest entwickelt wird. MMS und seine Mitgliedsorganisationen reflektieren das Ziel, bis 2030 Gesundheit für alle zu erreichen, vor diesem neuen globalen Entwicklungsverständnis. Die neue Qualität besteht dabei in der Intersektorialität, das heisst etwa für die Gesundheitszusammenarbeit, dass es nicht nur um die Gesundheitssystemstärkung gehen kann, sondern darüber hinaus, um all die in den Nachhaltigkeitszielen definierten Themen, die auf die Gesundheit einwirken, wie Armut (SDG 1), Hunger und Ernährung (SDG 2), Bildung (SDG 4), Geschlechtergleichstellung (SDG 5), Zugang zu sauberem Wasser (SDG 6), nachhaltiges Wirtschaftswachstum (SDG 8), Ungleichheit (SDG 10), nachhaltige Städte und Gemeinden (SDG 11), Konsum- und Produktionsmuster (SDG 12), Klimawandel (SDG 13), Frieden und Gerechtigkeit (SDG 16).
Doch nicht nur der globale politische Rahmen hat sich verändert. Es ist Zeit, dass auch wir selbst in unseren Organisationen und Institutionen unsere Rolle in der internationalen Zusammenarbeit für Gesundheit hinterfragen und neu denken. Dabei interessiert uns weniger die von isolationistischen Kreisen seit einiger Zeit geführten Versuche, die Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich zu delegitimieren. Uns muss aber sehr wohl interessieren, wo unsere eigenen Grenzen liegen und wie wir selbst mit unserer Arbeit den Weg zu einer gerechteren Welt eher behindern denn befördern. An einem Workshop vor der letzten Mitgliederversammlung haben die MMS Mitgliedsorganisationen an diesen Themen gearbeitet. Dabei stützten wir uns auch auf das Diskussionspapier „Health Cooperation: Its relevance, legitimacy and effectiveness as a contribution to achieving universal access to health“, das unser internationals Netzwerk Medicus Mundi International erarbeitet hat.
Es geht beim Manifest also letztlich darum, vierzig Jahre nach Alma Ata neue Denkprozesse anzustossen und ein neues Kapitel in der Gesundheitszusammenarbeit aufzuschlagen. Das Manifest wird anlässlich des MMS Symposiums vom 7. November 2018 in Basel veröffentlicht. Das Manifest soll den Mitgliedsorganisationen als Referenzwerk für die eigene Arbeit dienen, die kommende Netzwerkstrategie prägen und die inhaltliche Inputs für die Advocacyarbeit geben.