Von Alexander Schulze
Die Deklaration von Alma Ata setzte die lokalen Gemeinschaften ins Zentrum der Gesundheitsversorgung, um den Zugang zu den Gesundheitsdiensten für alle zu ermöglichen. Damit die Gemeinschaften Gesundheitsdienstleistungen nutzen, müssen diese integriert und gestärkt werden – Überlegungen aufgrund von Erfahrungen in Tansania und Mali.
Umfassende Ansätze primärer Gesundheitsversorgung (Primary Health Care) in Ländern des Südens sind immer wieder dafür kritisiert worden, dass sie schwerlich umsetzbar und daher weniger wirksam beziehungsweise auf breiterer Basis kaum replizierbar seien. Diese Kritik, gepaart mit der Einführung der Strukturanpassungsmassnahmen in den 1980er Jahren und den damit einhergehenden Kürzungen öffentlicher Gesundheits- und Bildungsausgaben, führten dazu, dass vor allem selektive Ansätze wie Kampagnen zur Impfung von Kindern oder Bekämpfung der Mangelernährung propagiert wurden.
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen öffentlicher Gesundheit wie hohe Mütter- und Kindersterblichkeit wird die Stärkung lokaler Gesundheitssysteme als Fundament jedweder Intervention wieder vermehrt propagiert. Die meisten Ansätze konzentrieren sich dabei aber auf die Angebotsseite, obschon ausreichend Evidenz vorliegt, dass der Zugang lokaler Gemeinschaften (communities) zu Gesundheitsdiensten nur dann nachhaltig verbessert werden kann, wenn auch die Nachfrageseite und die den Gemeinschaften zur Verfügung stehenden Ressourcen adäquat berücksichtigt werden. Medizinisch akzeptable Gesundheitsdienste alleine reichen nicht aus: Zunächst muss der Weg zu ihnen geebnet werden, bis überhaupt Diagnose und Behandlung in Anspruch genommen werden.
Dieser Beitrag zeigt einerseits anhand von Erfahrungen aus zwei gemeindebasierten (community-based) Initiativen in Tansania und Mali die Relevanz der Nachfrageseite für verbesserten Zugang und letztlich Gemeinschaftsgesundheit auf. Andererseits werden Möglichkeiten vorgestellt, die Ressourcen von Gemeinschaften so zu stärken, dass sie tatsächlich den Weg zu primärer Gesundheitsversorgung finden. Dabei geht es nicht nur um die Stärkung materieller Ressourcen. Gleichzeitig wird aber auch diskutiert, welche Herausforderungen sich ergeben, wenn partizipative und sektorübergreifende, gemeindebasierte Ansätze auf regionaler oder gar nationaler Ebene verbreitet werden sollen (scaling up).
Ein wesentliches Anliegen primärer Gesundheitsversorgung als erster Kontaktpunkt eines nationalen Gesundheitssystems für Individuen, Familien und Gemeinschaften ist die Schaffung von Zugang für alle. Obrist et al. haben einen Bezugrahmen zur Untersuchung und zum Abbau von Hindernissen beim Zugang von Gemeinschaften zu Gesundheitsdiensten vorgestellt. Dieser stellt einerseits das Zusammenspiel von Gesundheitssystem beziehungsweise -diensten sowie Patient(inn)en ins Zentrum, und räumt so der Nachfrageseite einen prominenten Platz ein. Zugang zu Gesundheitsversorgung ist demnach umso mehr gegeben, je besser die Gesundheitsdienste auf die Bedürfnisse, Erwartungen und Ressourcen der Patient(inn)en abgestimmt sind. Andererseits führt der Bezugsrahmen auf Meso- und Makroebene angesiedelte Einflussfaktoren ein, die über das Gesundheitssystem hinaus gehen und die Lebenschancen und damit die Ressourcenausstattung von Haushalten mitformen (Obrist et al. 2007). Dies entspricht dem erweiterten Konzept primärer Gesundheitsvorsorge, welches sowohl medizinische Grundversorgung als auch die Determinanten von Krankheit berücksichtigt (Gillam 2008: 536).
Dazu gehört der Verwundbarkeitskontext. Er umfasst klimatische, ökonomische und politische Trends wie Dürren, Überschwemmungen, die aktuelle globale Finanzkrise oder gewaltsame Konflikte. Diese Trends beeinflussen ebenso wie Politiken, Institutionen, Organisationen und Prozesse (PIOP) die Nachfrageseite. Mit Blick auf die Relevanz für das Gesundheitssystem sind unter PIOP u.a. gesundheitsbezogene Forschung und Entwicklung, gesetzliche Regelungen zum Vertrieb von Medikamenten oder die Dauer von Prozessen der Gesetzvernehmlassung zu subsumieren. PIOP strukturieren die Angebotsseite und formen damit das Angebot an und die Qualität von Gesundheitsdiensten.
Auf der Nachfrageseite sind mit Ressourcen eines Haushalts nicht nur materielle gemeint (Bargeld, Ersparnisse und Zugang zu Krediten, Land und Tiere, Gerätschaft und Behausung), sondern auch soziale, politische und menschliche Ressourcen (Sicherung durch soziale Netzwerke wie Familie oder Dorfgemeinschaft, Transferleistungen des Staates, Ausbildung der Familienangehörigen etc.).
Fünf Dimensionen beeinflussen den Entscheidungsprozess, wenn der/die Patient(in) Symptome erkennt und nach Behandlung und Genesung sucht:
1. Verfügbarkeit von Gesundheitsdiensten: die bestehenden Dienste entsprechen
den (medizinischen) Bedürfnissen der Kund(inn)en;
2. Geographische Zugänglichkeit: Die Lokalität des Angebots ist mit jener der
Kund(inn)en kompatibel;
3. Angemessenheit: Die Organisation und Ausgestaltung der Dienste berücksichtigen
die Erwartungen der Kund(inn)en (Öffnungszeiten, Wahrung der Intimsphäre, Wartezone
etc.);
4. (Kulturelle) Akzeptanz: Die Charakteristika des Anbieters passen mit jenen
des/der Kund(in)en zusammen (Geschlecht, ethnische, soziale oder religiöse Zugehörigkeit);
5. Erschwinglichkeit: Die Preise der Gesundheitsdienste sind kompatibel mit
der finanziellen Ressourcenausstattung und Zahlungsfähigkeit der Kund(inn)en.
Der erreichte Zugangsgrad für jede Dimension ergibt sich dabei immer aus dem Zusammenspiel von Elementen der Gesundheitsdienste und den Ressourcen, die Patient(inn)en zur Verfügung stehen. All diese Kräfte wirken zusammen und bewirken im besten Fall, dass der/die Patient(in) den Weg zu einem Gesundheitsdienst findet, der „moderne“ Medizin anbietet. Die Nutzung einer solchen Versorgung heisst aber noch nicht, dass der/die Patient(in) sich nach der Diagnose und Behandlung in einem besseren Gesundheitszustand befindet, gleichzeitig mit der Dienstleistung zufrieden ist und entsprechend seines Bedarfs behandelt worden ist, aber im Verhältnis zu seinen finanziellen Möglichkeiten zahlen musste (Fairness). Dies verlangt ausserdem die Befolgung der Diagnose- und Behandlungsrichtlinien durch das Gesundheitspersonal, sichere und wirksame Produkte sowie die Einhaltung der verordneten Therapie durch den/die Patient(in)en.
Der Bezugsrahmen wurde im Rahmen eines Pilotprojekts zur Verbesserung des Zugangs zu effektiver Malariabehandlung und -versorgung entwickelt. Das Projekt ACCESS wurde 2003 vom Ifakara Health Institute, dem Schweizerischen Tropeninstitut und der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung ins Leben gerufen. Von Anfang ging es darum, durch eine starke Forschungskomponente die konkreten Zugangshindernisse bei der Behandlung von Malaria in den beiden ländlichen Distrikten von Kilombero und Ulanga mit ihren gut 600’000 Einwohnern auszuweisen und darauf basierend Interventionen zu planen. Vor allem sollten die Hauptrisikogruppen der Kinder unter fünf Jahren und schwangeren Frauen erreicht werden. Aufbauend auf bereits vorhandenen Forschungsergebnissen und ersten Erkenntnissen aus dem Projekt wurden drei Interventionspakete geschnürt:
1. Auf der Angebotsseite sollte durch Weiterbildung und unterstützende Supervision
die Qualität der lokalen Gesundheitsdienste verbessert werden, insbesondere
die Diagnose und Behandlung von Malaria (Gillam 2008: 538);
2. Dies wurde ergänzt durch die Umwandlung bestehender Medikamentenläden in
und Eröffnung neuer akkreditierte(r) Medikamentenläden im Rahmen des durch USAID
finanzierten ADDO-Programms der Tanzanian Food and Drug Authority (TFDA)
und der Organisation Management Science for Health (MSH); das Ifakara
Health Institute konnte TFDA und MSH davon überzeugen, ihr Pilotprojekt
auf die Distrikte Kilombero und Ulanga auszudehnen;
3. Auf der Nachfrageseite beschränkten sich die Aktivitäten auf intensive Informationskampagnen
in den Gemeinschaften zu Ursachen, Symptomen sowie rechtzeitiger und korrekter
Behandlung mit einem empfohlenen Medikament.
Rechtzeitige und korrekte Malaria-Behandlung stand zwar im Fokus, jedoch eingebettet in einen gesundheitssystemischen Ansatz. Die bisherigen Ergebnisse sind durchaus ermutigend, zeigen aber weiteren Handlungsbedarf auf. Zwar überlappen die Krankheitsvorstellungen der Bevölkerung bezüglich Malaria mittlerweile stark mit jenen der modernen Medizin: fast 90% der untersuchten Fieberfälle bei Kindern unter 5 Jahren sind mit Malaria-Medikamenten behandelt worden. Jedoch wird ein Grossteil zu spät behandelt, das heisst nicht innerhalb der empfohlenen 24 Stunden nach Einsetzen erster Symptome. Oft wird zunächst ein fiebersenkendes Mittel eingesetzt, da dies schnell zur Hand ist. Erst wenn sich keine Besserung zeigt, werden moderne Gesundheitsdienste aufgesucht (Hetzel et al. 2008). Meist auch deshalb, weil für die Transport- und Konsultationskosten Bargeld nötig ist, welches erst durch die Mobilisierung und Umwandlung anderer Ressourcen zur Verfügung steht (Mayumana 2007). Dieser Umstand gepaart mit weiterhin zu schwacher Qualität der Gesundheitsdienste führte dazu, dass von fast 100% der untersuchten Fieberfälle, die überhaupt ein Medikament einnahmen (fiebersenkendes oder Malaria-Medikament), letztlich nur 23% ein empfohlenes Malaria-Medikament rechzeitig sowie richtig verabreicht einnahmen.
Im Rahmen einer zweiten Phase (Mai 2008-April 2011) geht es in Tansania daher darum, die Ressourcen der Gemeinschaften so zu stärken, dass der Zugang zu effektiver Malaria-Behandlung und Versorgung schneller gefunden wird, ohne dabei die Angebotseite zu vernachlässigen. Denn wenn die Qualität der Gesundheitsdienste für die Bevölkerung nicht akzeptabel ist, dann werden sie sich auch nicht (mehr) in diesen Einrichtungen untersuchen und behandeln lassen. Dementsprechend soll durch die weitere Verbreitung von leicht handhabbaren Malaria-Schnelltests sowie unterstützender Supervision bezüglich der Einhaltung neuer Behandlungsrichtlinien für Malaria die Qualität von Gesundheitsdiensten verbessert werden.
Zur Stärkung und zum Schutz der Ressourcen der Bevölkerung werden vor allem drei Pfade verfolgt:
1. Finanzielle und technische Unterstützung bestehender Spar- und Kreditkooperativen
von Frauen zur Verbesserung der Haushaltseinkommen;
2. Technische, organisatorische und Management-Unterstützung bestehender „Gesundheitsfonds“
(community health fund) zur Absicherung der Bevölkerung vor finanziellen
Folgen von Krankheit;
3. Informationskampagnen zu rechtzeitiger und korrekter Malaria-Behandlung,
zu Vorteilen einer Mitgliedschaft in einem Gesundheitsfond sowie zum Recht auf
Qualitäts-Diagnose und Behandlung.
2008 wurden fünf Spar- und Kreditkooperativen (Saving and Credit Cooperative Societies) von Frauen unterstützt. Zunächst wurde mit den Gruppen eine Situationsanalyse vorgenommen, um ihre Stärken, Schwächen und Bedürfnisse zu ermitteln. Zusammengenommen haben die fünf Kooperativen 160 Mitglieder, wobei ihre Haushalte insgesamt fast 900 Personen vereinigen. Die vorrangigen Ziele der Frauen sind die Verbesserung ihrer ökonomischen Situation durch Aufbau von einkommensschaffenden Massnahmen und gegenseitige Hilfe im Falle von Krankheit, Hunger oder Todesfällen in der Familie. Alle Gruppen unterhalten bereits individuelle und kollektive Aktivitäten wie Schweine- und Geflügelzucht, Gemeinschaftsfelder oder Kleinrestaurants, wobei drei von ihnen über das Participatory Agricultural Development and Empowerment Project eine erste Unterstützung von durchschnittlich 1500 Schweizer Franken erhalten haben. Ihre derzeitigen Schwächen liegen in der Finanzverwaltung, Führungs- und Organisationsfähigkeit.
Die Kooperativen wurden ausgesucht, weil sie aktiv und zudem bereit sind, sich auf bestimmte Grundsätze der Zusammenarbeit mit dem ACCESS-Projekt einzulassen. Dazu gehören neben der Verwendung der zur Verfügung gestellten Summe (ca. 2500-3000 Schweizer Franken) für die Vergabe von Investitions- und Notfallkrediten die Verpflichtung, gesundheits- und malariabezogene Botschaften innerhalb der Frauengruppe und in der Gemeinschaft zu verbreiten. Zudem haben sie sich verpflichtet, dass sie und ihre Haushalte (kostenlose) präventive Malaria-Behandlung sowie prä- und postnatale Konsultationen im Falle einer Schwangerschaft in Anspruch nehmen, unter Moskitonetzen schlafen und unter Fachaufsicht im Gesundheitszentrum gebären. Diese einfachen Massnahmen haben nicht nur zum Ziel, rechtzeitige und korrekte Malaria-Behandlung zu erwirken, sondern letztlich die noch immer hohe Mütter- und Neugeborenensterblichkeit zu senken. Schliesslich sollen die Frauen dafür sorgen, dass ihr Haushalt Mitglied eines Gesundheitsfonds wird.
Im Ulanga-Distrikt besteht bereits ein solcher Fonds, in Kilombero-Distrikt wird er gerade aufgebaut. Da der politische Wille auf Seiten der Distriktbehörden in Ulanga zur Reaktivierung des Gesundheitsfonds gegeben ist, wurde zunächst dort angesetzt: Im Rahmen eines Workshops zu Problemen und Herausforderungen des Fonds wurde eine Task Force gebildet, die daraufhin einen ersten Massnahmenkatalalog entwickelte und Verantwortlichkeiten jeder Partnerorganisation definierte. Der Gesundheitsfond in Ulanga leidet nicht nur an geringen Mitgliederzahlen, sondern weist auch Schwächen im Management auf: Haushalte treten nicht mehr bei oder erneuern ihre Mitgliedschaft nicht mehr, da das eingesammelte Geld zum Teil auf Distriktebene blockiert und für die Gesundheitszentren nicht zugänglich ist – es fehlt an Medikamenten und medizinischem Material. Daher haben sich Distriktbehörden, ACCESS II und weitere Partnerorganisationen dazu entschlossen, auf der einen Seite das Management der Fonds zu stärken, so dass u.a. Beiträge effizienter eingesammelt, verwaltet und dann für die Versorgung der Gesundheitszentren mit Medikamenten und Material verwendet werden. Auf der anderen Seite sollen die Haushalte ausführlicher und regelmässiger über die Vorteile und Situation des Fonds informiert werden – über Radio und Versammlungen.
Während die Unterstützung der Frauen-Kooperativen dem Prinzip des intersektoriellen Ansatzes entspricht und vor allem physische, natürliche und finanzielle Ressourcen stärkt, trägt die Förderung von Gesundheitsfonds und Informationskampagnen den Prinzipien der Teilhabe von Gemeinschaften und Nutzung ihrer Ressourcen Rechnung. Durch Management-Unterstützung der Frauenkooperativen und Gesundheitsfonds werden menschliche Ressourcen gestärkt und gleichzeitig genutzt, da sie als Gemeinschaftsmitglied gesundheitsbezogene Botschaften in der Bevölkerung streuen.
Im Vergleich dazu ist die Ressourcenstärkung in Mali durch Krankenkassen und Mikrokredite für Frauen schon weiter gediehen. Für die Initiative Accès, die in 11 Gesundheitszonen der Region Ségou den Zugang der ländlichen Bevölkerung (165000 Einwohner) zu primärer Gesundheitsversorgung verbessern möchte, wurde der ACCESS-Bezugsrahmen als Planungsinstrument genutzt. Aufbauend auf den Erfahrungen eines Pilotprojekts (2001-2006), wurden Massnahmen in allen fünf Zugangsdimensionen geplant. Auf der Angebotsseite wird mit den Distrikt- und Regionalbehörden nicht nur die Verfügbarkeit und Qualität kurativer und präventiver Dienste verbessert, sondern u.a. auch die Kommunikation zwischen Gesundheitspersonal und Patient(in) sowie das Management der für lokale Gesundheitszentren verantwortlichen Trägerorganisationen (Associations de Santé Communautaire). Im Gegensatz zu Tansania sind gemeindebasierten Krankenversicherungen (mutuelles de santé) eigenständig und nicht an Gesundheitsdienste angehängt. Die im Rahmen des Pilots aufgebaute Kasse umfasst heute knapp 2000 Versicherte, im malischen Vergleich eine ermutigende Zahl. Dennoch geht es für diese Versicherung darum, ihre Versichertenzahl durch Erweiterung ihres Einzugsgebiets und massgeschneiderte Angebote für kollektiv Versicherte (z.B. lokale Dorfvereinigungen) weiter zu erhöhen.
Zur Stärkung der Ressourcenbasis sind in Zusammenarbeit mit der Syngenta Stiftung für Nachhaltige Landwirtschaft 20 Frauengruppen (550 Frauen und weitere 3288 Personen in ihren Haushalten) unterstützt worden. Die ersten 10 haben seit der ersten Unterstützung mit je ca. 350 Schweizer Franken ihr Kapital mehr als verdreifacht – nach Rückzahlung der geliehenen Summe. Die allermeisten Kredite wurden für Investitionen in Kleingeschäfte genutzt. In einem nächsten Schritt geht es darum, bestehende Vereinigungen von Animateurinnen mit Krediten als Motivation dafür zu unterstützen, dass sie in ihren Dörfern die Bevölkerung bezüglich Hygiene- und Ernährungsmassnahmen unentgeltlich sensibilisieren.
Ebenso ist mit der Syngenta Stiftung eine vielversprechende Einkommensaktivität eingeführt worden - Jatropha. Aus den Nüssen dieser recht trockenresistenten Pflanze wird Öl beziehungsweise Bio-Diesel gewonnen. Bisher haben sich 235 Bauernhaushalte und 74 Dorfvereinigungen entschlossen, 170 Hektar Jatropha als Hecken oder in Kombination mit Sesam oder Kuhbohnen anzupflanzen, damit die Nahrungsmittelsicherheit nicht gefährdet wird. Auch wenn der Kilopreis mit 15 Rappen nicht hoch ist, so bringt dies doch zusätzliche Bareinkommen.
Das ACCESS-Projekt zeigt, dass auch eine auf Krankheit fokussierte Initiative innerhalb eines systemischen Ansatzes erfolgsversprechend umgesetzt werden kann. Jedoch bedeutet ein umfassender Ansatz nicht, dass alle relevanten Bereiche abgedeckt werden müssen. Um die Koordination verschiedener, auch über das Gesundheitssystem hinausgehender Komponenten sicher zu stellen und umfassende Ansätze auch für eine flächendeckende Verbreitung nutzbar zu machen, sollten letztlich ausgewählte Schlüsselbereiche identifiziert werden. In beiden Beispielen wurde neben der Förderung von Krankenkassenschutz der Zugang zu Mikrokrediten für Frauen für einkommensschaffende Massnahmen als sinnvolle Aktivitäten zur Stärkung der Gemeinschaftsressourcen bewertet. Ihre tatsächliche Wirkung auf Zugang muss erst noch gemessen werden.
Umfassendere Ansätze, die die Nachfrageseite durch Förderung intersektorieller Ansätze sowie Gemeinschaftsbeteiligung an Ausgestaltung von Gesundheitsdiensten stärker berücksichtigen, verlangen zudem Kooperation mit anderen Initiativen. Leider bleibt dies eine Seltenheit, obwohl letztere manchmal Bereiche abdecken, die für das Gelingen des „eigenen“ integrierten Ansatzes von Bedeutung sind. Im Falle der malischen Initiative konnten mehrere Massnahmen durch die Zusammenarbeit mit der Syngenta Stiftung schnell vorangetrieben werden. Dem ACCESS-Projekt gelang es, das ADDO-Programm in das Einzugsgebiet zu bringen. Jedoch bedeutet die Finanzierung durch Dritte auch, dass weniger Einfluss bei der Umsetzung besteht. So erreicht das ADDO-Programm bisher nicht alle entlegenen Dörfer, die weder Gesundheitszentrum noch Medikamentenladen haben.
Auch wenn Ansätze primärer Gesundheitsversorgung die direkte Arbeit mit Gemeinschaften vorsehen, so muss von Anfang mit Distrikt- oder regionalen Behörden zusammengearbeitet werden, um sie nachhaltig in das System einzubetten. Gleichzeitig muss so viel Evidenz zu ihrer Wirksamkeit wie nötig geschaffen werden, damit eine Chance auf Verbreitung besteht (Gillam 2008: 537).
Als gesundheitsorientierter Entwicklungsansatz, der Teilhabe und Selbstverantwortung von Gemeinschaften sowie Stärkung ihrer Ressourcen vorsieht, ist das Konzept primärer Gesundheitsvorsorge letztlich nur dann ein Stück weit umsetzbar, wenn ein gewisser Grad an Dezentralisierung gegeben ist. Insbesondere in Mali sind dafür mit der Existenz der als Vereinigungen registrierten Trägerorganisationen und Krankenversicherungen Möglichkeiten gegeben. Dennoch verlangt dies auch politischen Willen und längerfristige Begleitung dieser lokalen Akteure (Diesfeld 2006: 23).
*Alexander Schulze, M.A. in Soziologie (Ethnologie, Afrikanistik) und Nachdiplom
in Entwicklungszusammenarbeit (NADEL/ETH Zürich). Programmverantwortlicher bei
der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung (Basel), zuständig für einige
von der Stiftung unterstützten Gesundheitsinitiativen in Mali und Tansania.
Doktorand am Lehrstuhl für Entwicklungssoziologie der Universität Bayreuth,
Thema der Arbeit: „Gesundheitssicherung im Kontext sozialer Differenzierung
in Afrika“. Thematische Schwerpunkte: Zugang zu Gesundheitsdiensten, soziale
Sicherung, Gesundheitsfinanzierung, soziale Differenzierung. Kontakt: alexander.schulze@novartisfoundation.org
Literatur: