Von Maya Tissafi
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) arbeitet in den Gesund-heitsprojekten ganz konkret mit dem Primary Health Care Ansatz. Konnte die DEZA damit Erfolge erzielen? Wie steht die DEZA heute zu Primary Health Care?
Trotz der Kritik an der Entwicklunsgszusammenarbeit konnten in den in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten beachtliche Fortschritte erzielt werden: Die Lebenserwartung ist gestiegen, Kindersterblichkeitsraten sind gesunken und Einschulungsquoten sind in vielen Ländern höher – der Analphabetismus ist erfolgreich zurückgedrängt worden.
Diese Erfolge sind nicht nur mit der verbesserte Infrastruktur in Gesundheitsdiensten oder Schulen zu begründen, nicht nur durch Empowermentprogramme zur Stärkung der Betroffenen, sondern auch durch gezielte Politik. Zentrale Bausteine hierfür sind die Stärkung guter Regierungsführung, demokratischer Institutionen und der Menschenrechte.
Und doch gibt es noch viel zu tun – viele Länder erreichen die Millennium Development Goals (MDGs) nicht. Können Sie sich vorstellen, dass die Lebenserwartung der Bewohner und Bewohnerinnen der ärmsten Länder heute um 40 Jahre tiefer liegt als bei uns? Dass mehr als ein Drittel aller Frauen ihr Kind ohne jegliche medizinische Unterstützung gebären muss? Dass die Pro-Kopf Ausgaben der Regierungen für das Gesundheitswesen von US-$ 20 bis zu 6000 US-$ pro Kopf auseinanderklaffen. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Hat die Vision von Alma-Ata versagt?
Die DEZA hat die Leitsätze der Alma-Ata Deklaration in ihrer Gesundheitspolitik integriert. Die aktuelle Politik mit Gültigkeit von 2003-2010 anerkennt Gesundheit als ein Menschenrecht, legt den Fokus auf Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Armutsverminderung und will Gesundheit partnerschaftlich durch Empowerment, Ownership und im Sinne der Nachhaltigkeit fördern. Nicht nur diese Grundsätze widerspiegeln das Gedankengut der Alma-Ata Deklaration, sondern auch die fünf strategischen Schwerpunkte der DEZA im Gesundheitsbereich. Diese sind:
1. die „Gute Regierungsführung“ von Gesundheitssystemen stärken;
2. auf Strukturen im Gesundheitswesen aufbauen, welche auf die Armen ausgerichtet sind;
3. Empowerment der Gemeinwesen und der Nutzerinnen und Nutzer der Gesundheitsdienste;
4. Kontrolle der wichtigsten übertragbaren Krankheiten und
5. die Verbesserung der Sexuellen und Reproduktiven Gesundheit.
Um diese Gesundheitspolitik umsetzen zu können, arbeitet die DEZA auf der Makroebene mit Regierungen und auf der Mesoebene über Partnerorganisationen. Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit ist besonders gefordert, die Handlungsfähigkeit armer Staaten zu stärken, damit diese konstruktiv mit eigenen Problemen und auch mit dem Globalisierungsdruck umgehen können. Die OECD-Staaten haben kürzlich in Accra bestätigt, die Geberprogramme besser aufeinander abzustimmen und sich an den Prioritäten der Partnerländer auszurichten. Dies bedeutet den Einsatz von Instrumenten wie Budget- und Sektorunterstützung, das Engagement in Gesundheits-SWAPs (SWAP: Sector-Wide Approach) oder das Einwirken über multilaterale Organisationen.
Diese neuen Hilfsmodalitäten ergänzen die Unterstützung der klassischen Entwicklungszusammenarbeit in vielen Ländern. Durch eine komplementäre Zusammenarbeit zwischen staatlichen Agenturen, privatwirtschaftlichen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen, versprechen wir uns eine bessere Wirkung und mehr Erfolg, um uns der Erreichung der MDGs zu nähern. Die DEZA hat Erfahrungen mit dem Primary Health Care Ansatz in unterschiedlichen Kontexten gesammelt.
Das Community Based Health Initiatives Project (CBHI) in Tansania hat zum Ziel Gemeindegruppen zu befähigen, Ressourcen besser zu nutzen, um ihre Gesundheit zu verbessern. Das Projekt soll auch einen Beitrag leisten zur Reform im Gesundheitssektor. Das jetzige Projekt basiert auf Ergeb-nissen und Erkenntnissen zweier früheren DEZA Projekten, nämlich dem Kilombero Health Project und dem Dar es Salaam Urban Health Project, welche gezeigt haben, dass Gemeinden sehr wohl fähig sind, ihre Gesundheitsbedürfnisse zu identifizieren und auch entsprechende Massnahmen zu treffen, wenn ihnen die dafür nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden und sie entsprechend fachlich begleitet werden.
Das CBHI Projekt wurde im Jahr 2004 in drei Distrikten der Dodoma Region in Tansania eingeführt. Es unterstützt und fördert Gemeindegruppen in der Entwicklung von Gesundheitsinitiativen als Antworten auf lokale Bedürfnisse. Dies beginnt mit dem Prozess der Identifikation, der Planung und der Budgetierung der Aktivitäten, begleitet durch Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die dann später die Implementierung und das Monitoring der Community Initiativen unterstützen. In der zweiten Phase des Projektes, die 2007 begann, lag der Schwerpunkt auf der Unterstützung und Förderung von Gemeindegruppen, um es ihnen zu erlauben, eine stärkere Rolle in der Reform des Ge-sundheitssektors spielen zu können. Gemeindebeteiligung wird als zentrale Strategie für das Management von Gesundheitseinrichtungen eingeführt.
In den ersten fünf Jahren des Projektes haben 145 Gemeindegruppen Gesundheitsinitiativen entwi-ckelt und sie zum Teil in Zusammenarbeit und mit fachlicher Unterstützung des öffentlichen Sektors umgesetzt. Ein Beispiel waren Wasserprojekte auf Gemeindeebene, die in Partnerschaft mit den Wasseringenieuren des Distriktes durchgeführt wurden.
Das Projekt beinhaltet auch eine Sensibilisierungskomponente, welche die Gemeinden über ihre Rechte auf öffentliche Dienstleistungen im Gesundheitsbereich aufklärt. Aus dieser Arbeit zeichnen sich bereits Erfolge ab. Einigen Gemeindegruppen ist es durch Lobbyarbeit gelungen die Lokalregierung zur Einrichtung eines „Community Health Funds“ – also einer Art lokaler Krankenversicherung – zu bewegen. Das Projekt zeigt nachhaltige Wirkung. Gemeinden haben weitere Initiativen ergriffen, um lokale Gesundheitsprobleme zu lösen, auch ohne die direkte Unterstützung durch das Projekt.
Um das alles noch etwas anschaulicher zu machen, möchte ich ein konkretes Beispiel einer solchen Initiative etwas näher erläutern. Bewiesenermassen gibt es zwischen LKW-Fernverkehrsrouten und der Häufigkeit sexuell übertragbarer Infektionen eine Beziehung. Auf der Hauptverbindungsstrasse zwischen der Dodoma Region und Dar es Salaam wird in grossem Mass Mais transportiert und die Strasse ist dadurch eine Quelle von Wohlstand. Gleichzeitig ist aber die grosse Anzahl durchreisender Händler, Lastwagenfahrer und Reisender mit einem erhöhten HIV und AIDS Risiko für die Stadt Kibaigwa verbunden. Fünf Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt haben auf Grund dieser Gesund-heitsrisiken Massnahmen ergriffen und im Jahr 2002 eine Community Gruppe gegründet, welche sich der HIV Sensibilisierung und der Prävention durch Verhaltensänderung verschrieben hat. Die Gruppe hat sich im Jahr 2005 für finanzielle Unterstützung über das DEZA Projekt „Community Based Health Initiatives“ beworben und konnte dadurch 30 neue Mitglieder zu MediatorInnen ausbilden. Basierend auf den lokalen Bedürfnissen wurden die Projektgelder für Zusammenkünfte, Ausbildung und Beratung eingesetzt. Kondome wurden verteilt und Leute wurden ermuntert, sich in der Klinik von Kibaigwa freiwillig einem HIV Test zu unterziehen. Heute hat die Gruppe 22 aktive Mitglieder und die Aktivitäten wurden mittlerweile auf die dringend benötigte Heimpflege für AIDS Patienten ausgeweitet.
Dieses Beispiel zeigt, dass durch die Anwendung der zentralen Grundsätze von Alma-Ata, wie Community Partizipation und Empowerment Menschen ihre Gesundheitsanliegen umsetzen können. Mit fachlicher und finanzieller Unterstützung können Gemeinden Lösungen auf lokale Gesundheitsprobleme finden, die weitreichende Bedeutung und Wirkung haben.
Ein weiteres Projekt ist das Rural Health Project in Nepal. Es hat gezeigt, dass die Unterstützung und Stärkung von Basis Gesundheitsansätzen auch unter sehr schwierigen Bedingungen möglich ist und dass der Prozess selbst einen wichtigen Beitrag zur Friedensförderung leisten kann.
Das Projekt wurde 1991 in der nord-östlichen Hügelregion Nepals umgesetzt. Es hat zum übergeordneten Ziel, die Gesundheitssituation von Frauen, Kindern, Jugendlichen und Männern durch partizipative Entwicklung lokal angepasster und erschwinglicher Gesundheitssysteme zu verbessern. Beteiligt sind lokale Regierungsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Gemeinden, traditionelle Heilerinnen und Heiler, Freiwillige, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter. Zentrales Prinzip ist, dass die Gesundheitsaktivitäten von den Gemeinden selbst initiiert und geplant werden. Dies verlangte erst eine Reform der Struktur der bestehenden Community Health Coordination Commit-tees, mit dem Ziel, eine grössere Repräsentanz von Frauen und Männern benachteiligter Bevölke-rungsgruppen zu ermöglichen. Gleichzeitig zielte das Projekt auf eine Wiederbelebung und Unterstützung von Frauenorganisationen (z.B. Freiwilligengruppen und Müttervereinigungen), die sich für lokale Dienstleistungen als Lösung von Gesundheitsproblemen stark machten. Neben der Unterstützung eines demokratischen Prozesses für die Identifizierung von Gesundheitsproblemen und -lösungen schuf das Projekt auch einen Mechanismus für gemeinschaftliche Finanzierung von Gesund-heitsinitiativen und schulte die Fähigkeiten der freiwilligen Frauen, damit sie in ihrer Gemeinde das Bewusstsein für Gesundheitsprobleme fördern.
Als Nepal während der 90er Jahren durch zunehmende Unruhen zerrissen wurde, fiel die Gesundheitsinfrastruktur dem wachsenden Konflikt zum Opfer. Obwohl die Nepalesische Regierung ab 1999 eine Politik der Gesundheitsdezentralisierung verfolgte, wurden in den ländlichen Gebieten die öffentlichen Dienstleistungen nur unzureichend sichergestellt. Dies wurde zusätzlich durch den Mangel an Regierungsbeamten erschwert, die Verantwortung im Management der „Health Coordination Committees“ hätten übernehmen können. Die am meisten marginalisierten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen litten am stärksten. Zum Zerfall der lokalen Dienstleistungen kam noch dazu, dass unabhängige und internationale Hilfe aus Sicherheitsgründen aus der ländlichen Peripherie zunehmend abzog.
Die Partnerorganisationen der DEZA haben es geschafft politische Belange und Fragen der Sicherheit so auszuhandeln, dass die Projektaktivitäten auch während sehr instabilen Phasen aufrechterhalten werden konnten. Diese beachtliche Projektleistung ermöglichte, dass die Gemeinden – trotz des Konfliktes – ihre Gesundheit verbessern konnten und die nationalen Anstrengungen zum Erreichen der Millenniumsziele 3 (Abbau der Geschlechterungleichheit / Empowerment), 4 (Verringerung der Kindersterblichkeit) und 5 (Verbesserung der Müttergesundheit) umgesetzt wurden. Das Projekt erreichte über die Wiederbelebung und Stärkung dieser Gemeindegruppen den Einbezug der benachteiligten Gruppen und verschaffte ihnen so Zugang zur Gesundheitsversorgung und Mitsprache bei dessen Gestaltung. Die Gemeinden definieren ihre Gesundheitsbedürfnisse in einem integrierenden Prozess und halten diese dann in ihrem lokalen jährlichen Aktionsplan fest. Diese fliessen dann auch in die Pläne der Lokalregierung ein.
Obwohl das Projekt sich der Sicherheitssituation anpassen musste, haben sich die Prinzipien von Alma-Ata als wertvolle Basis für die Konzeptgestaltung erwiesen. Durch seinen integrativen Charakter wirkte das Projekt auch auf die soziale Gerechtigkeit und konnte potentielle lokale Konflikte entschärfen. Auf der Impaktebene bewirkte das Projekt eine Zunahme der Frauen, die Schwanger-schaftskontrollen und Tetanusimpfungen durchführen liessen. Das durch den Sensibilisierungsansatz des Projektes erlangte Wissen über ein Recht auf Gesundheit hatte einen positiven Einfluss auf das präventive Verhalten und wird zukünftig zur Reduktion der Krankheitslast und der Sterblichkeitsraten beitragen.
Die externe Evaluierung zeigte auf, dass der Ansatz der sozialen Integration ein ganzheitlicheres Verständnis der Gemeinden und grössere soziale Gerechtigkeit gefördert hat. Dies zeigt sich in einer verbesserten Repräsentanz von marginalisierten, sogenannten „Unberührbaren“ oder „Dalit“ in den Community Health Management Committees. Zusätzlich gab es eine Zunahme an durch Gemeinden initiierter und finanzierter Projekte und Initiativen, wie zum Beispiel der Bau von Latrinen und die Installation von Trinkwasser in Schulen. Viele Gemeinden haben ausserdem – mit Hilfe des Projektes – Nothilfefonds gegründet, welche den ärmsten Familien, wenn nötig, Zugang zu fachärztlicher Behandlung ermöglicht.
Mit dem Eintritt Nepals in eine neue politische Epoche erhält der Erfolg des Projektes eine wegleitende Bedeutung. Die erreichte partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und Regierungseinheiten im Bereich Gesundheit hat zukunftsweisenden Modellcharakter. Die Regierung von Nepal nutzt heute das integrierende Gesundheitsmanagementmodell des Projektes, um es als Mittel für die Sicherung eines gerechten Gesundheitswesens auf nationaler Ebene zu implementieren.
Anhand der wenigen Beispiele wollte ich Ihnen zeigen, wie das Gedankengut der Deklaration von Alma-Ata das Gesundheitsprogramm der DEZA bis heute prägt und wie dieser Ansatz zu mehr Gerechtigkeit und Gesundheit der Ärmsten geführt hat.
Obwohl Primary Health Care das globale Gefälle der Gesundheitsversorgung nicht überwinden konnte, anerkennt die DEZA, dass wir heute – 30 Jahre nach Alma-Ata – vor einer veränderten Situation stehen. Wir sind überzeugt, dass Primary Health Care weiterhin ein relevanter Ansatz darstellt, um die auch heute noch schreienden Ungleichheiten in der Gesundheitssituation der Menschen dieser Welt anzugehen. Der kürzlich erschienene Weltgesundheitsbericht der WHO zu diesem Thema zeigt, dass wir von einer gerechten Gesundheitsverteilung noch weit entfernt sind. Um die Ärmsten am Fortschritt teilhaben zu lassen, braucht es den universellen Zugang zu Gesundheitsdiensten.
Es geht in unserer schnelllebigen Welt jedoch nicht darum, das Rad immer wieder neu zu erfinden, sondern aus dem zu lernen, was funktioniert und das, was nicht funktioniert hat, hinter uns zu lassen. Der Geist von Alma Ata wird dabei die DEZA sehr wohl auch in Zukunft noch begleiten.
*Maya Tissafi ist Sozialwissenschaftlerin mit einem Master in Public Health. Sie arbeitet seit 1993 in der Internationalen Zusammenarbeit. Von 1993 bis 1999 arbeitete sie beim Christlichen Friedensdiendienst (cfd) und baute 1993 das psychosoziale Programm des cfd in Bosnien auf. Von 1994 bis 1999 war sie Programmverantwortliche für das Palästina-Israel Programm, welches ein Fokus auf Gesundheitsversorgung, Friedensförderung und landwirtschaftliche Entwicklung legte. Im Jahre 2000 reiste sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nach Tansania aus, um für SolidarMed das lokale Büro im Kilombero-Distrikt aufzubauen und zu leiten. 2002 wechselte Maya Tissafi als Genderbeauftragte zur DEZA und leitete ab 2006 die Sektion Soziale Entwicklung. Seit Oktober 2008 ist Maya Tissafi Abteilungsleiterin Ost- und Südliches Afrika. Das Thema Gesundheit ist in dieser Abteilung angesiedelt. Kontakt: maya.tissafi@deza.admin.ch