Bumrungrad Hospital in Bangkok (Foto: Isriya Paireepairit/flickr.com)

Im August zog die Ausbreitung von NDM-1 Bakterien in einem britischen Spital, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Die multiresistenten Krankheitserreger stammten aus Indien und Pakistan und kamen über PatientInnen auf die Insel, die sich in diesen Ländern einer Operation unterzogen hatten.

Durch diese Geschichte ist der Medizintourist in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Doch worum handelt es sich hier? Ist es ein Tourist, der seinen Urlaub mit einem umfassenden Wellnessprogramm verbindet? Oder ein kranker Mensch, der in seiner Heimat nicht die medizinische Hilfe erhält, die er erwartet? Zurzeit verhandeln die Medien Paare, die nach Indien reisen, um eine In-vitro-Fertilisationsbehandlung durchzuführen oder sich dort eine Leihmutter suchen lassen. Es sind je nach dem Menschen, die damit gesetzliche Schranken im eigenen Land zu umgehen suchen oder aber eine kostengünstigere Lösung brauchen, um einen Kinderwunsch zu erfüllen. Zu den sogenannten MedizintouristInnen zählen aber auch nicht versicherte US-AmerikanerInnen, die sich eine bestimmte medizinische Leistung im eigenen Land nicht leisten können oder wollen.

Medizintourismus als Outsourcing

Zu dieser Kategorie gehört auch der Schweizer, der wegen einer bei uns nicht durch die Grundversicherung gedeckten Zahnbehandlung nach Ungarn reist. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie ungenau die Bezeichnung Medizintourismus ist. In vielen Fällen geht es eben auch um ein Outsourcing. Nationale Gesundheitssysteme lagern spezifische, medizinische Dienstleistung aus.

Der Medizintourismus ist natürlich kein neues Phänomen. Immer schon reisten kranke Menschen, weil sie die in ihrem näheren Umfeld gewünschte Behandlung nicht erhielten, sich nicht leisten konnten oder aber, weil sie ihre Hoffnungen in die Hände einer Heiligen legen wollten und sich auf eine Pilgerreise machten. Und wenn wir an die Höhenkliniken für Lungenkranke in Davos denken, wird auch klar, dass sich dabei die Interessen der Gesundheits- und der Tourismusindustrie zu einem starken, PatientInnen anziehenden Faktor entwickeln können.

In den letzten Jahren hat der Medizintourismus stark zugenommen, wobei asiatische Länder dabei eine führende Rolle übernommen haben. Ironischerweise profitierten sie von der Asienkrise Ende der 90er Jahre. Reiche AsiatInnen, die zuvor zur Behandlung in die USA reisten, konnten sich dies nicht mehr leisten und zogen daher näherliegende Destinationen vor.

Boomende asiatische Gesundheitsindustrie

Zu einem der Zentren der globalisierten Gesundheitsindustrie entwickelte sich insbesondere Thailand mit dem in Bangkok situierten Bumrungrad International Spital. Mit den Terroranschlägen gegen die USA und den darauffolgenden Schwierigkeiten für AraberInnen in die USA in Behandlung zu gehen, profitierte Bumrungrad erneut. 2001 pflegte das Spital 5'000 PatientInnen aus den arabischen Ländern, bis 2006 entwickelte sich diese Zahl auf 93'000. Neben diesen spezifischen Faktoren dynamisierten auch die steigenden Gesundheitskosten in den entwickelten Ländern und die günstigeren Flugpreise das Geschäft mit den globalisierten PatientInnen.

Beinahe hätte es die Schweizer Wirtschaft verpasst, auf diesen rollenden Zug aufzuspringen. Dabei sind die Voraussetzungen denkbar günstig: Die Schweiz blickt auf eine Tradition im Kurtourismus zurück, ist bei der asiatischen und der russischen Oberschicht als Reiseziel gut verankert und kann von einem sehr guten Ruf des hiesigen Gesundheitssystems profitieren. Im Jahr 2008 gründeten deshalb die Schweizer Exportförderung Osec und Tourismus Schweiz den Verein Swiss Health, um die Gesundheitsdestination Schweiz zu fördern. Zielländer sind dabei vor allem die Länder der ehemaligen Sowjetunion.

Die Schweiz möchte auch profitieren

Ein Blick auf die Website von Swiss Health macht deutlich, dass dieser Verein noch in den Kinderschuhen steckt. Die Seite ist einzig auf Deutsch abrufbar und hält für die interessierte Kundschaft nur minimal Informationen bereit. Betreut wird Swiss Health vom Geschäftsführer der Swixmed AG. Diese Agentur bietet vor allem für russischsprachige PatientInnen umfassende Dienstleistungen von den medizinischen Vorabklärungen, über die Vermittlung der Klinik, der Organisation der Reiseformalitäten, bis zur Betreuung hier in der Schweiz ein ganzes Packet an.

Aktiver in diesem Markt bewegen sich auch die Universitätsspitäler in Zürich und Basel. Auf ihren Websites bewerben sie ihre Vorzüge und Dienstleistungen. Das Universitätsspital Zürich bietet eine Broschüre in Deutsch, Englisch, Russisch und Arabisch an und preist dabei nicht nur seine medizinischen Leistungen sondern auch das kulturspezifische Angebot an ÜbersetzerInnen, Gebetsräumen oder Ernährung.

Wie man sich gegenüber den globalisierten PatientInnen erfolgreich öffnet, zeigt das Universitätsklinikum Hamburg. Dieses erwirtschaftet jährlich rund sechs Millionen Euro mit der Behandlung von AusländerInnen. Darin werden auch die Chancen gesehen, sich an diesem globalen Wettbewerb um PatientInnen zu beteiligen. Die eingenommenen Gelder fliessen ins nationale Gesundheitssystem zurück und ermöglichen Investitionen von welchen alle profitieren würden.

Drohende Entsolidarisierung

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat in einem Beitrag vom 5. Juli 2010 darauf hingewiesen, dass es sich durchaus nicht nur um die Allerreichsten handelt, welche Leistungen deutscher Krankenhäuser beziehen: „Nicht wenige kratzen den letzten Groschen zusammen, um sich hierzulande eine Behandlung leisten zu können. Oft handelt es sich dabei um komplexere Eingriffe oder anspruchsvolle Therapien, die sie zu Hause nicht oder nicht in der gleichen Qualität erhalten können. Mangelndes Vertrauen in die medizinische Versorgung ihres Heimatlandes veranlasst etwa viele russische und arabische Personen dazu, die Reise an ein deutsches Krankenhaus anzutreten.“

Und hier blitzt denn auch die andere Seite der Medaille auf, nach der nie gefragt wird: Was heisst das für die Gesundheitssysteme in den Herkunftsländern der PatientInnen? Diejenigen, die es sich irgendwie leisten können, lassen die Gesundheitsversorgung im eigenen Land links liegen. Dabei droht eine Entsolidarisierung: Weshalb sollen sie mit ihren Steuern oder über Versicherungsprämien ihr eigenes Gesundheitssystem unterstützen, wenn sie sich auf dem globalen Markt bedienen können?

Umgekehrt profitieren die im internationalen Markt tätigen Gesundheitsversorger von der maroden Gesundheitsversorgung in jenen Ländern. Je schlechter, umso attraktiver der globale Markt. Dabei geht es auch für die Schweizer Volkswirtschaft bereits jetzt um viel Geld: Jährlich lassen sich 30'000 Patientinnen und Patienten für eine Milliarde Franken aus dem Ausland in der Schweiz behandeln. Die 500'000 Hotelübernachtungen der mitreisenden Verwandten sind dabei noch nicht eingerechnet.

Angesichts dieser Dimensionen stellt sich die Frage, ob nicht ein Teil des Umsatzes zur Stärkung von Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern eingesetzt werden könnte.


Martin Leschhorn Strebel ist Mitglied der Geschäftsleitung des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz
. Kontakt: mleschhorn@medicusmundi.ch

 

Quellen:
Nora MacReady: Developing countries court medical tourists. In: The Lancet, vol 369, June 2 2007, pp. 1849-1850

Nicola von Lutterotti: Die Kranken von weit her. Faz.Net, 5. Juli 2010

Yvonne Staat: Kranke Gäste. Zeit-Online, 22.10.2009