Wir scheitern noch immer an den sexuellen Rechten
Foto: UNAIDS High Level Meeting 2016/ Carine Weiss

Die Zivilgesellschaft entrüstet sich zurecht, dass nach langem diplomatischen Ringen, einer kontroversen Debatte und mit erheblichen Abstrichen gegenüber den ersten Entwürfen (Health Policy Watch, 2021), noch heute entscheidende Faktoren wie die sexuellen Rechte negiert oder bekämpft werden. Zwar werden in der Deklaration die besonders stark von HIV betroffenen Gruppen erwähnt, sowie die soziale Benachteiligung als Haupthindernis für die Bekämpfung der HIV-Epidemie benannt, jedoch mangelt es noch immer an klaren Worten zu den sexuellen Rechten und es fehlt ein konkreter Finanzierungsplan.

Umfassende Sexualaufklärung und die Anerkennung der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität sind von zentraler Bedeutung im Kampf gegen HIV/Aids. HIV-Präventions- und Behandlungsprogramme, die die Vielfalt der Bevölkerungsgruppen und ihre einzigartigen Bedürfnisse nicht berücksichtigen, werden die HIV-Infektion nicht erfolgreich stoppen oder sicherstellen, dass alle Menschen, die mit HIV/Aids leben, Zugang zur Behandlung haben.

Was als "starke und progressive Deklaration" begann, die evidenz- und wissenschaftsbasiert war, ist zu einem Text geworden, dem der Ehrgeiz fehlt, der notwendig ist, um die erklärten Ziele dieses hochrangigen Treffens zu erreichen: Ungleichheiten und Aids zu beenden.

Menschen mit HIV sind Teil der Lösung - nicht des Problems!

Die sexuellen Rechte von Menschen mit HIV werden oft nicht anerkannt oder respektiert. Diskriminierende und stigmatisierende Kommunikation von und mit Gesundheitsdienstleister*innen zu sexuellen Fragen haben zur Folge, dass Betroffene die Dienstleistung meiden oder uninformiert bleiben, sodass HIV sich weiter ausbreiten kann. Es ist zwingend notwendig, dass wir weiter voranschreiten hinsichtlich der Umsetzung von sexuellen Rechten und einer allumfassenden Sexualaufklärung.

Was als "starke und progressive Deklaration" begann, die evidenz- und wissenschaftsbasiert war, ist zu einem Text geworden, dem der Ehrgeiz fehlt, der notwendig ist, um die erklärten Ziele dieses hochrangigen Treffens zu erreichen: Ungleichheiten und Aids zu beenden.

Foto: UNAIDS High Level Meeting 2016/ Carine Weiss
Foto: UNAIDS High Level Meeting 2016/ Carine Weiss


Die politische Deklaration legt dennoch wichtige Ziele bis 2025 fest

Die Deklaration fordert die Länder auf, 95 % aller Menschen mit dem Risiko, an HIV zu erkranken, in allen epidemiologisch relevanten Gruppen, egal welchen Alters und an welchem Wohnort, den Zugang zu einer personenzentrierten und effektiven HIV-Kombinationsprävention zu verschaffen (UNAIDS, 2021).

Sie fordert, dass 95 % der Menschen, die mit HIV leben, ihren HIV-Status kennen, 95 % der Menschen, die ihren Status kennen, eine HIV-Behandlung erhalten und 95 % der Menschen, die eine HIV-Behandlung erhalten, virussupprimiert sind.

Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass weniger als 10 % der Länder restriktive rechtliche und politische Rahmenbedingungen haben, die dazu führen, dass der Zugang zu Diensten verweigert oder eingeschränkt wird. Sie verpflichteten sich auch, dafür zu sorgen, dass weniger als 10 % der Menschen, die mit HIV leben, davon bedroht oder betroffen sind, Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Somit sollen die Schlüsselgruppen mehr geschützt werden.

Schliesslich ist es das Ziel, 34 Millionen Menschen eine lebensrettende HIV-Behandlung zukommen zu lassen, die jährliche Zahl der HIV-Neuinfektionen auf unter 370 000 und die Zahl der AIDS-bedingten Todesfälle auf unter 250 000 zu senken. Dazu sollen neue HIV-Infektionen bei Kindern eliminiert werden, pädiatrisches Aids beendet und alle Formen von HIV-bedingter Diskriminierung bis 2025 beseitigt werden.

Die Erklärung fordert eine finanzielle Investition von 29 Milliarden US-Dollar jährlich bis 2025, aber ohne konkreten Finanzierungsplan.


Covid-19 strapaziert die Ziele zusätzlich

Die Covid-19 Pandemie hat weitreichende Folgen für die Bekämpfung von HIV/Aids, da zahlreiche Dienstleistungen unterbrochen wurden und Präventionsmassnahmen nicht mehr stattgefunden haben.

Vor allem junge Frauen sind stark von HIV betroffen und die Anzahl an Neuansteckungen erhöht sich zunehmend. Zwei von sieben neuen HIV-Infektionen weltweit im Jahr 2019 betrafen junge Menschen (15-24 Jahre). Es braucht zusätzliche Massnahmen, um die strukturellen Faktoren zu beseitigen, die die Anfälligkeit von heranwachsenden Mädchen, jungen Frauen und jungen LGBTI Menschen erhöhen, wie zum Beispiel geschlechtsspezifische Gewalt, Armut, Stigmatisierung und Diskriminierung sowie die unzureichende Umsetzung umfassender Programme zur Sexualaufklärung.

Auch diese globale UN Versammlung hat es nicht geschafft, das Tabu rund um die sexuellen Rechte aufzubrechen. Covid-19 hat die ganze Aufmerksamkeit an sich gerissen. Trotz dieser weltweiten Pandemie dürfen wir HIV aber nicht negieren, um die hart erkämpften Erfolge nicht zunichte zu machen.

As Winnie Byanyima, Executive Director of UNAIDS states: ”There is a risk that the hard-earned gains of the AIDS response will be sacrificed to the fight against COVID-19, but the right to health means that no one disease should be fought at the expense of the other.”

Foto: International Monetary Fund/flickr, CC BY-NC-ND 2.0<br>
Foto: International Monetary Fund/flickr, CC BY-NC-ND 2.0
Auch diese globale UN Versammlung hat es nicht geschafft, das Tabu rund um die sexuellen Rechte aufzubrechen. Covid-19 hat die ganze Aufmerksamkeit an sich gerissen. Trotz dieser weltweiten Pandemie dürfen wir HIV aber nicht negieren, um die hart erkämpften Erfolge nicht zunichte zu machen.

Die Zivilgesellschaft war enttäuscht nach so vielen Wochen der Lobbyarbeit und der Verhandlungen, des Drucks auf die jeweiligen Missionen und Diplomat*innen. Zwei Schritte vor und drei Schritte zurück. Trotz allem ein notwendiger Prozess, denn, wenn die Zivilgesellschaft keinen Druck ausüben würde, dann wären wir nicht da, wo wir heute stehen.

The amount of work that many of us advocates have spent or these little gains are exhausting but so very important (Civil society advocate)

Dieses hochrangige Treffen bot die Gelegenheit, die HIV-Massnahmen zu verstärken und sicherzustellen, dass globale und nationale Verpflichtungen, die für die aktuellen und zukünftigen gesundheitlichen Herausforderungen dringend notwendig sind, angegangen werden und zwar vor dem Hintergrund geschwächter Gesundheitssysteme und konkurrierender Ressourcen für Gesundheit.

Auch wenn der Text der Abschlusserklärung ernüchternd ist, ist die politische Deklaration zur Beendigung von Ungleichheit und Aids ein politisches Statement, das nicht zu unterschätzen ist.

Medicus Mundi Schweiz mit Carine Weiss war Teil der Schweizer Delegation am HLM 2021. Die Delegation wurde von Bundesrat Ignazio Cassis geleitet, der während der Generaldebatte einen Beitrag in Form eines aufgezeichneten Videostatements abgab. Während die Schweizer Delegation über die ständige Vertretung in New York persönlich am HLM teilnahm, waren die Delegationsmitglieder aus Bern virtuell mit der Live-Übertragung verbunden.


Referenzen
Feedbacks aus der Sicht der Zivilgesellschaft
Carine Weiss
Carine Weiss ist Projektleiterin bei Medicus Mundi Schweiz.
Email