Von Pierre Zwahlen
Die schweizerische Nachhaltigkeitsstrategie steht seit über einem Jahr still. Weit mehr als die Gesundheitskrise sind es die unterschiedlichen Ansichten innerhalb der Bundesverwaltung, welche das Inkrafttreten der Strategie verzögern. Ohne nationale Strategie kann der Bundesrat die Agenda 2030 der UNO nicht umsetzen, zu der sich die Schweiz 2015 zusammen mit weiteren 192 Staaten verpflichtet hat. Die zivilgesellschaftliche Plattform Agenda 2030 fordert nun zum Handeln auf. Ein Aufruf, den der Präsident der Plattform, Pierre Zwahlen, im vorliegenden Artikel an Dringlichkeit unterstreicht.
Vor fünf Jahren hat die Schweiz die UNO-Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) verabschiedet. Die Umsetzung dieser ambitionierten Ziele ist angesichts der multiplen Krisen unserer Zeit dringend notwendig. Antonio Guterres, Generalsekretär der UNO, stellt klar: die Umsetzung der 17 SDGs verlangt einen grossen politischen Willen und ambitionierte Aktionen von allen Beteiligten. In der Schweiz haben wir bislang viel zu wenig von beidem gesehen. Zwar hat der Bundesrat ein Direktionskomitee und zwei Delegierte zur Umsetzung der Agenda eingesetzt. Ein erster wichtiger Schritt für die Umsetzung fehlt jedoch: die Schweiz hat immer noch keine Strategie Nachhaltige Entwicklung für das kommende Jahrzehnt.
Ohne nationale Strategie kann der Bundesrat die Agenda 2030 der UNO nicht umsetzen, zu der sich die Schweiz 2015 zusammen mit weiteren 192 Staaten verpflichtet hat.
Die Plattform Agenda 2030, der neben Medicus Mundi Schweiz 50 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen angehören, hat sich Ende September an den Bundesrat mit einem Appell gewandt.
Die Plattform Agenda 2030 fordert die Umsetzung aller 17 globalen Ziele in der Schweiz und durch die Schweiz sowohl auf dem Finanz- und Wirtschaftsstandort als auch in der internationalen Zusammenarbeit. Die Plattform nimmt wie folgt Stellung zu den drei Schwerpunktfeldern, die der Bundesrat in seiner Legislaturplanung angekündigt hat:
Es
ist höchste Zeit, dass der Bundesrat ein Projekt in die Vernehmlassung
gibt und damit den Weg frei macht für die Verabschiedung einer neuen
Strategie Nachhaltige Entwicklung, die den von ihm selbst angekündigten
Ambitionen gerecht wird.
Das anhaltende Fehlen einer nationalen Strategie verhindert kohärente Entscheidungen und begünstigt eine widersprüchliche Interessenspolitik, die einer nachhaltigen Entwicklung zuwider läuft, wie Waffenexporte in Bürgerkriegsländer, Subventionen, die der biologischen Vielfalt schaden, unkoordinierte Freihandelsabkommen und willkürliche Migrationspolitik. Die Coronakrise darf die Veröffentlichung einer Strategie nicht weiter verzögern, die auf die Ursachen von Epidemien im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung und dem dramatischen Rückgang der Artenvielfalt einwirken kann. Gleichzeitig müssen wir auf die Auswirkungen und Umwälzungen in der Arbeitswelt reagieren und den Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung, Gesundheit und Information für alle gewährleisten.
Das anhaltende Fehlen einer nationalen Strategie verhindert kohärente Entscheidungen und begünstigt eine widersprüchliche Interessenspolitik, die einer nachhaltigen Entwicklung zuwider läuft.
Nachhaltige Entwicklung stärkt die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft und verringert die Anfälligkeit der Schwächsten. Eine Strategie, die hauptsächlich auf wirtschaftliche und sektorale Belange ausgerichtet ist, würde nicht die notwendige Kohärenz und die von der Regierung bereits in ihrer Legislaturplanung festgelegten Ansprüche erfüllen.
Schweiz: führend im Verursachen von Kosten im Ausland
Gemäss der Bertelsmann-Stiftung lebt die Schweiz stärker als alle anderen Staaten auf Kosten des Auslands. In einem 2019 publizierten Bericht
der deutschen Stiftung liegt die Schweiz auf dem schlechtesten Rang,
was die Auswirkungen der Güter betrifft, die sie importiert oder
jenseits der Grenze produzieren lässt. Die Stiftung vergleicht 160
Länder im Hinblick auf die verschiedenen Ziele nachhaltiger Entwicklung.
Während die Schweiz generell eher gut abschneidet, wird sie
insbesondere in Bezug auf Nachhaltigen Konsum und Produktion (SDG 12)
sehr schlecht und in Bezug auf Biodiversität (SDG 15) sowie Steuerwesen
(SDG 17) mittelmässig bewertet. In Bezug auf Nachhaltigkeit belegt die
Schweiz gemäss Bertelsmann Stiftung nur den 17. Rang, was im Gegensatz
zum 2. Platz im Human Development Index des UNDP (Entwicklungsprogramm
der Vereinten Nationen) steht. PZ