Die GATT-Verträge wurden nach langjährigen Verhandlungen im April 1994 von 117 Staaten in Marrakesch verabschiedet und führten zur Gründung der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) mit Sitz in Genf. Erstmals wurde ein umfassendes Paket von Regeln geschnürt, das Staaten nur komplett akzeptieren können - oder bei Ablehnung gravierende Nachteile für ihren Aussenhandel in Kauf nehmen müssen. Die Dritte Welt Länder haben bei den GATT-Verhandlungen keine gemeinsame Position durchsetzen können.

Kurz gesagt, vereinfachen die GATT-Vereinbarungen die Aktivitäten grenzüberschreitend tätiger Unternehmen. Dabei geht es nicht nur um den Abbau von Zöllen, sondern auch um die Möglichkeit, unbehindert Dienstleistungen weltweit anzubieten (z.B. Banken und Versicherungen). GATT führt aber nicht generell zu einem freieren Welthandel, sondern enthält stark protektionistische Elemente, die vor allem Grossunternehmen aus dem Norden begünstigen. Unter dem Begriff "handelsbezogene intellektuelle Eigentumsrechte" (Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights TRIPs) verbirgt sich im GATT-Vertrag der Zwang für alle Mitgliedsstaaten, einen 20-jährigen Patentschutz zu akzeptieren. Diese Vorschrift hat für die Medikamentenversorgung der Dritten Welt gravierende Folgen, denn sie gibt den grossen Pharmamultis die Möglichkeit, hohe Preise auch im Süden zu realisieren. Ein Patent bedeutet für das Unternehmen ein Vermarktungsmonopol und damit die Ausschaltung von Konkurrenz. Bislang haben viele Länder der Dritten Welt keine Patente für Arzneimittel anerkannt. Deshalb konnten lokale Firmen neuere Arzneimittel herstellen und zu günstigeren Preisen anbieten, oder der Staat konnte Arzneimittel, die auf dem lokalen Markt überteuert waren, aus anderen Ländern importieren.

Um die vom südafrikanischen Staat im Entwurf eines Heilmittelgesetzes vorgesehene Möglichkeit des "Parallelimportes" von günstigeren Arzneimitteln ist denn auch im letzten Jahr ein heftiger Streit zwischen der Regierung und der durch internationale Unternehmen dominierten südafrikanischen Pharmabranche entbrannt. Unter Berufung auf die TRIPs drohen die Pharmaunternehmen mit einer Klage vor der WTO (siehe Med in Switzerland Nr. 3/1998).

Wenig Medikamente - Viel Geld

Viele wichtige Arzneimittel für die Dritte Welt sind zu alt, um noch durch Patente geschützt zu sein. Doch tragen bereits jetzt patentgeschützte Arzneimittel durch ihren hohen Preis einen bedeutenden Anteil an den Ausgaben für Arzneimittel in Ländern der Dritten Welt. Zuverlässige Preisvergleiche liegen nur für Industrieländer vor. So ermittelten in Deutschland die Krankenkassen, da sie für ein patentgeschütztes Arzneimittel im Schnitt mehr als dreimal so viel erstatten müssen wie für ein patentfreies. Da patentfreie Arzneimittel in der Dritten Welt meist billiger als bei uns angeboten werden, dürfte dort der Preisunterschied eher noch höher ausfallen.

In Zukunft werden Länder der Dritten Welt noch stärker auf patentierte Arzneimittel angewiesen sein. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Zunehmende Resistenzen gegen bekannte Medikamente. Dies ist vor allem bei Antibiotika und Malariamedikamenten ein grosses Problem.

Für viele Krankheiten, die in der Dritten Welt häufig sind, gibt es noch keine befriedigenden Therapien.

Das Aufkommen neuer Krankheiten. So stehen alle Medikamente, die den Ausbruch von AIDS verzögern, unter Patentschutz und sind enorm teuer.

Nur ein schwacher Trost ist, da die WTO-Regeln für Länder der Dritten Welt Übergangsfristen bis zum Jahr 2000 (bis 2005 für die am wenigsten entwickelten Länder) möglich machen. Die wenigen Drittweltländer, die über eine nennenswerte nationale Pharmaindustrie verfügen, knicken teilweise schon früher ein. So hat Brasilien bereits 1996 ein Patentgesetz erlassen, das einen sofortigen Schutz von noch in der Forschung befindlichen Mitteln garantiert und ab 1997 Patente auf Arzneimittel vergibt. Der Weltverband der grossen Pharmamultis, IFPMA, triumphierte: "ein signifikanter Meilenstein in der Wirtschaftsgeschichte Brasiliens, der eine 180 Grad Kehrtwendung der brasilianischen Politik der 70er und 80er Jahre darstellt."

Bestrafung ohne demokratische Kontrolle

Eine weitere bedrohliche Komponente von GATT sind die Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten. Beschwert sich ein Land, da ein anderes Land gegen die GATT-Vereinbarungen verstossen hat, so entscheidet ein dreiköpfiges Gremium von Handelsexperten unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dagegen kann das beklagte Land nur Beschwerde bei einem siebenköpfigen Ausschuss bei der WTO einreichen. Dessen Beschluss wiederum kann nur durch einstimmiges Votum aller WTO-Mitgliedsländer - einschliesslich des Beschwerdeführers - aufgehoben werden. So hat jedes Land de facto ein Vetorecht gegen eine Beschwerde. Und die Strafen, die die WTO verhängen kann, sind nicht unbeträchtlich: Entweder muss der Einnahmeverlust, der durch den Verstoss gegen die GATT-Regeln entstanden ist, in voller Höhe bezahlt werden, oder das "benachteiligte" Land kann Strafmassnahmen in gleicher Höhe gegen jeden beliebigen anderen Sektor des Regelbrechers verhängen. Äusserst problematisch erscheint, da dieses Verfahren im Geheimen abläuft und durch nicht demokratisch legitimierte Experten durchgeführt wird.

Bleibt noch Hoffnung?

Viele Regeln der neuen GATT Vereinbarungen schützen die Interessen der grossen Firmen in den Industrieländern. Dieses Ungleichgewicht wird sich nur langfristig durch Veränderungen bei den GATT-Verträgen ändern lassen. Einige kleine Schlupflöcher bleiben den Ländern der Dritten Welt jedoch noch offen. So kann ein Land Erfindungen von der Patentierbarkeit ausschliessen, wenn dies "notwendig ist, um [..] die Gesundheit der Menschen zu schützen" . Allerdings ist diese Einschränkung an enge Voraussetzungen gebunden, der Staat müsste solche Arzneimittel selbst produzieren, und dürfte keinerlei Gewinn damit erzielen.

Schon jetzt steht fest, da die GATT-Verträge schwerwiegende Nachteile für Länder der Dritten Welt bringen; das genaue Ausmass des Schadens wird aber erst die Zukunft zeigen. Die wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse werden zugunsten des Nordens zementiert. Viele der neuen GATT-Regeln sind sehr kompliziert und ihre genaue Bedeutung wird sich erst in der Praxis erweisen. Selbst potentiell vorhandene Vorteile der GATT-Verträge werden von den Staaten des Südens möglicherweise nicht genutzt, weil ExpertInnenwissen fehlt und die Staaten das Risiko einer Auseinandersetzung mit der WTO mit ungewissem Ausgang scheuen.

"Power, Patents, and Pills": Health Action International und die BUKO-Pharma-Kampagne haben im Oktober 1996 an einem Seminar in Bielefeld die Politik von GATT und WTO betreffend unentbehrlicher Medikamente untersucht. Die Vorträge und Diskussionen des Seminars wurden vor kurzem in einer 26-seitigen Broschüre publiziert. Wer sich erfolgreich durch den Dschungel der Abkürzungen durchgeschlagen hat, wird in dem Büchlein viel Diskussionsstoff finden: Power, Patents and Pills. An Examination of GATTT/WTO and Essential Drugs Policies. Seminar Report.