Von Thomas Vogel
Hundert Jahre nach der Entdeckung des Insulins ist dieses für die Bevölkerung von einkommensschwachen Ländern nach wie vor schwer erhältlich. Der ungleiche Zugang zu dieser grundlegenden medikamentösen Behandlung, lässt sich durch die Produktionskosten allein nicht erklären. Die Eigenheiten des Insulin-«Marktes» erlauben den Hersteller- und Verteiler*innen, ihre Bedingungen und oft auch den Preis zu diktieren. Wie bei anderen Produkten der Pharmaindustrie verschaffen die «Unzulänglichkeiten des Marktes» den Anbieter*innen einen unfairen Vorteil, während die Patient*innen in jeder Hinsicht den Preis dafür bezahlen. Wenn es darum gehen soll, eine wirksame Behandlung zu den niedrigsten Kosten anzubieten, müssen die «Unzulänglichkeiten des Markes» von den zuständigen Behörden korrigiert werden – vielleicht unter dem Druck jener, die gemeinsam der Ansicht sind, dass der Zugang zur Gesundheit kein Privileg sein darf.
In derselben Rubrik wies Prof. Tanner vor einigen Wochen in einem Artikel auf die explosionsartige Zunahme des Zuckerkonsums und dessen Folgen insbesondere in benachteiligten und armen Bevölkerungsschichten hin.
Wenn der Zuckerkonsum eine der Ursachen des schwindelerregenden Anstiegs von Personen ist, bei denen Diabetes Typ 2 diagnostiziert wird, wie steht es dann mit dem Zugang zu medizinischer Versorgung und Behandlungen, falls diese notwendig werden? Bei Diabetes Typ 1 ist dieser Zugang zu Insulin in jedem Fall eine Frage des Überlebens.
420 Millionen Menschen weltweit leiden unter Diabetes. Viele von ihnen müssen ihren Blutzucker mithilfe von Insulin kontrollieren. Das Überleben dieser Menschen hängt vom bezahlbaren kontinuierlichen Zugang zu diesem Produkt ab. Das gilt auch im Fall von Krisen und Konflikten oder in Ländern mit einem schwachen Gesundheitssystem. Fehlt dieser Zugang zur Behandlung, führt die Krankheit zu zahlreichen Komplikationen und vorzeitigen Todesfällen. Heute geht man davon aus, dass weltweit 50% der Menschen mit Diabetes Typ 2 keinen Zugang zu Insulin haben, das sie dringend benötigen würden.
Fällt die Diagnose, sind mehrere therapeutische Ansätze zu erwägen. Bei Typ 2 ist es am einfachsten, die Ernährungsgewohnheiten zu ändern und sich mehr zu bewegen. Leider kann sich die Änderung der Lebensweise aber als ungenügend erweisen und es wird zudem die Einnahme von Medikamenten nötig. Dabei geht es um die Kontrolle des Blutzuckerspiegels durch Insulininjektionen. Diese Behandlung muss normalerweise lebenslänglich beibehalten werden. Bei Diabetes Typ 1 ist Insulin, wie schon erwähnt, schlicht die einzige Behandlungsmöglichkeit.
Heute gibt es im Wesentlichen zwei Arten von Insulin auf dem Markt: Humaninsuline und Insulinanaloga. Beides sind gentechnologische Erzeugnisse.
Der Preis dieser beiden Insulinformen ist an sich schon eine Hürde. Dazu kommen noch mögliche unerlässliche «ergänzende Güter und Dienstleistungen», sei es medizinische Nachsorge, Injektionsspritzen, Blutzuckermessgeräte und -streifen, deren Kosten eine zusätzliche Hürde darstellen können. Manchmal fallen auch Reisekosten an, wenn man in ein städtisches Zentrum fahren muss, um die Behandlung zu erhalten.
"Heute geht man davon aus, dass weltweit 50% der Menschen mit Diabetes Typ 2 keinen Zugang zu Insulin haben, das sie dringend benötigen würden."
Dass weltweit drei Pharmakonzerne rund 90% des global hergestellten Insulins produzieren, lässt erahnen, welche Macht sie haben, ihre Bedingungen durchzusetzen. Ökonom*innen nennen diese Situationen Oligopol, gekennzeichnet durch eine kleine Anzahl Anbieter*innen, denen eine sehr grosse Nachfrage gegenübersteht. Obwohl es viele Patient*innen gibt, deren Überleben von Insulin abhängt, sind sie nicht in der Lage, gegenüber den Grosskonzernen Novo Nordisk, Eli Lilly und Sanofi und den Regeln, die diese aufgestellt haben, ein Gegengewicht zu bilden.
Obwohl davon ausgegangen wird, dass es möglich wäre, Insulinanaloga zum Preis von rund CHF 100 pro Jahr und Patient*in profitabel herzustellen und zu verkaufen, werden diese Produkte heute eher dreimal so teuer verkauft.
Einen «universellen» oder auch nur fairen Zugang zu Insulin wird es daher nicht geben, wenn man dem «Markt» nach kommerzieller Logik freien Lauf lässt. Solange es unter den Produzent*innen dominante Marktstellungen gibt, gilt es den Markt zu regulieren und für niedrigere Margen zu plädieren oder sogar die den Herstellungs- und Verteilungskosten entsprechenden Preise vorzuschreiben – wie dies theoretisch im Wettbewerbsmarkt der Fall wäre, wo die Gewinnspanne streng reduziert ist.
"Obwohl es viele Patient*innen gibt, deren Überleben von Insulin abhängt, sind sie nicht in der Lage, gegenüber den Grosskonzernen Novo Nordisk, Eli Lilly und Sanofi und den Regeln, die diese aufgestellt haben, ein Gegengewicht zu bilden."
Obwohl es hierzulande keine Insulinhersteller*innen gibt, könnten folgende Massnahmen in und aus der Schweiz gefördert werden:
Die Aussenpolitik der Schweiz im Bereich Gesundheit befasst sich seit ein paar Jahren mit nicht übertragbaren Krankheiten. Nun ist es an der Zeit, konkrete Massnahmen für einen allgemeinen Zugang zu Insulin zu ergreifen. Es wäre eine schöne Würdigung des 100. Geburtstags der Entdeckung von Insulin, den wir gerade feiern.