Von Eva Schmassmann
“Our world is in deep trouble, and so are the SDGs.” Mit diesen Worten wandte sich UNO Generalsekretär António Guterres an die versammelte Staatengemeinschaft in New York. Im Juli findet dort das jährliche Hochrangige Politische Forum statt, an dem UNO-Organisationen und Staaten über Fortschritte bei der Erreichung der SDGs berichten. Oder eher Rückschritte. Denn nach mehr als zwei Jahren Pandemie sowie dem sich hinziehenden Krieg Russlands gegen die Ukraine meldet die UNO (UN, 2022) einen Anstieg der Menschen, die in Armut und Hunger leben, weniger Kinder, die eine Impfung erhalten und die Schule besuchen können, mehr Menschen, die an Tuberkulose sterben. Noch bleiben acht Jahre, um die ambitionierten Ziele der Agenda 2030 zu erreichen.
Nach den UNO Organisationen präsentierten 44 Länder ihre nationalen Fortschrittsberichte, darunter auch die Schweiz. Im Vergleich mit anderen Ländern spricht der Bundesrat in seinem Bericht (Schweizerischer Bundesrat, Länderbericht 2022) durchaus Herausforderungen und Fehlentwicklungen an: So stieg die Armut in der Schweiz seit 2014 von 6.6% auf 8.5% der Bevölkerung an. Mehr als 30% der Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz sind bedroht. Der Bundesrat stellt selbst fest, dass die bestehenden Mittel und Massnahmen nicht ausreichen, um die biologische Vielfalt wirksam zu schützen.
Doch zentrale Baustellen blendet er aus: So verliert er über den durch unseren Konsum verursachten Wasser-Fussabdruck im Ausland kein Wort, oder fokussiert beim Thema nachhaltige Infrastruktur allein auf den Aufbau einer widerstandsfähigen Infrastruktur, die dem Klimawandel standhält. Die vorhandenen Defizite bezüglich barrierefreier Zugänglichkeit von Bauten und Anlagen werden indes mit keinem Wort erwähnt.
Doch zentrale Baustellen blendet der Bundesrat aus: So verliert er über den durch unseren Konsum verursachten Wasser-Fussabdruck im Ausland kein Wort, oder fokussiert beim Thema nachhaltige Infrastruktur allein auf den Aufbau einer widerstandsfähigen Infrastruktur, die dem Klimawandel standhält.
In den letzten Monaten erarbeitete die Plattform Agenda 2030, bei der auch Medicus Mundi Mitglied ist, in Zusammenarbeit mit zahlreichen Expertinnen und Experten einen eigenständigen Bericht, der aus Sicht der Zivilgesellschaft Bilanz zieht zur Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweiz: Weiter wie bisher auf Kosten der Welt? (Plattform Agenda 2030)
Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir bei vielen SDGs weit fortgeschritten: Wir profitieren von einem hohen Bildungsstandard und guter Gesundheitsversorgung. Doch auch bei uns gibt es Menschen, die aufgrund von Behinderungen oder Aufenthaltsstatus nur ungenügenden Zugang dazu haben. Als eines der reichsten Länder kann es sich die Schweiz grundsätzlich leisten, niemanden zurückzulassen, und das Versprechen der Agenda 2030 «Leave no one behind» (Plattform Agenda 2030, SDG 10) einzulösen. Doch offenbar wollen wir es uns nicht leisten. Und akzeptieren damit, dass bestimmten Bevölkerungsgruppen grundlegende Menschenrechte wie Zugang zu Bildung oder Gesundheitsversorgung verwehrt werden.
Als eines der reichsten Länder kann es sich die Schweiz grundsätzlich leisten, niemanden zurückzulassen, und das Versprechen der Agenda 2030 «Leave no one behind» einzulösen. Doch offenbar wollen wir es uns nicht leisten.
Handlungsbedarf besteht ausserdem beim Ressourcenverbrauch und im Kampf gegen die Klimaerhitzung. Unsere Fussabdrücke im Ausland sind enorm (Plattform Agenda 2030, SDG 12). Wir importieren mehr als die Hälfte unserer Konsumgüter, und belasten damit Menschen in anderen Ländern mit Umweltverschmutzung, Treibhausgasaustoss, oder Arbeitsrechtsverletzungen. Oder übernutzen bereits knappe Wasserreserven (Plattform Agenda 2030, SDG 6), in trockenen Gebieten für die Herstellung von Kleidern für unseren Schrank oder Anbau von Lebensmitteln und Futtermitteln für unseren Esstisch.
Die Schweiz hat nicht nur eine Verantwortung für die Umsetzung der Agenda 2030 im eigenen Land. Sie muss auch dazu beitragen, dass andere Länder eine bessere Ausgangslage zur Umsetzung der Agenda 2030 erhalten (Plattform Agenda 2030, SDG 17). Dazu müssen wir insbesondere unsere Handelspolitik und unsere Steuerpolitik auf Nachhaltigkeit ausrichten. Der von der Schweiz verteidigte strenge Patentschutz behindert weltweit den Zugang von Milliarden von Menschen zu Heilmitteln und Impfstoffen. Economists without boarders schätzen, dass Konzerne jährlich über 100 Milliarden Dollar an Gewinnen in die Schweiz verschieben (Thomas Tørsløv, 2022), die folglich in den Produktionsländern der Konzerne nicht versteuert werden. Damit entgehen anderen Ländern Steuereinnahmen, die dringend notwendig sind, um Bildung oder Gesundheit für alle zu realisieren.
Der von der Schweiz verteidigte strenge Patentschutz behindert weltweit den Zugang von Milliarden von Menschen zu Heilmitteln und Impfstoffen. Economists without boarders schätzen, dass Konzerne jährlich über 100 Milliarden Dollar an Gewinnen in die Schweiz verschieben (...), die folglich in den Produktionsländern der Konzerne nicht versteuert werden.
Die Plattform Agenda 2030 konnte ihren zivilgesellschaftlichen Bericht im Juli ebenfalls in New York vorstellen. Und erhielt von Jacques Ducrest, Delegierter des Bundesrats für die Agenda 2030 und Leiter der Delegation in New York das Versprechen, dass auch unsere Analysen in die anstehende Überarbeitung der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 sowie des Aktionsplans 2024-2027 einfliessen werden. Dies sind die zentralen Umsetzungspläne der Agenda 2030 in der Schweiz. Unser Bericht zeigt klare Handlungsoptionen auf, um weitere Rückschritte zu verhindern und Wirtschaft und Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit zu verändern. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob wir in Politik und Verwaltung auf offene Ohren und den notwendigen politischen Willen stossen, um diese Veränderungen auch tatsächlich anzugehen.
Unser Bericht zeigt klare Handlungsoptionen auf, um weitere Rückschritte zu verhindern und Wirtschaft und Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit zu verändern.