Das Ja zur Pflege für die Schweizer Gesundheitsaussenpolitik nutzen
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Ein weiteres Argument für die Pflegeinitiative lautete, dass es ethisch nicht vertretbar sei, dass sich reiche Länder wie die Schweiz auf dem globalen Markt mit Gesundheitspersonal bedienten und dabei der Bevölkerung in ärmeren Ländern ihr selbst ausgebildetes Gesundheitspersonal stehlen würden. Laut WHO fehlen bis 2030 weltweit 18 Millionen Gesundheitsfachleute – vor allem in Ländern mittleren und niedrigen Einkommens, die unter einer viel höheren Krankheitslast leiden. Dieser globale Mangel führt zu einem Kampf um das wenige Fachpersonal und zu einer oft unfairen Rekrutierungspraxis, die den massiven Gesundheitspersonalmangel in ressourcenschwachen Ländern befeuert.


Der Schlüsselfaktor des Gesundheitswesens

Um dem zu begegnen hat die Weltgesundheitsorganisation mit Unterstützung der Schweiz 2010 den WHO-Kodex zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal verabschiedet. Bei der Umsetzung hapert es aber noch immer. Der auf freiwilligen Grundsätzen beruhende Kodex benötigt eine Revision, die zu mehr Verbindlichkeit führt. Dies wird vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Pandemie besonders deutlich: Die Verhinderung und effektive Bekämpfung einer Epidemie ist nur möglich, wenn Gesundheitssysteme weltweit robust sind, damit Krankheitsausbrüche früh erkannt und eingegrenzt werden können. Dabei ist unbestritten, dass das Gesundheitspersonal der Schlüsselfaktor eines starken und funktionalen Gesundheitssystems ist.

Eine der zentralen Forderungen des WHO-Kodexes: Jedes Land muss seinem Bedarf entsprechend genügend Gesundheitspersonal ausbilden und dieses auch – etwa durch gute Arbeitsbedingungen – im System halten.
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Mit der Annahme und der nun folgenden Umsetzung der Pflegeinitiative erfüllt die Schweiz eine der zentralen Forderungen des WHO-Kodexes: Jedes Land muss seinem Bedarf entsprechend genügend Gesundheitspersonal ausbilden und dieses auch – etwa durch gute Arbeitsbedingungen – im System halten.

Während sich die Schweiz aufgrund ihrer Haltung zur Patentfrage für Impfstoffe gegen Covid-19 schwertut, in der Pandemiebekämpfung internationales Profil zu erhalten, eröffnet sich ihr nun plötzlich ein Bereich, indem sie sich in der internationalen Gesundheitsdiplomatie Glaubwürdigkeit zurückholen kann. Sie kann und soll sich nun mit breiter Brust für die Weiterentwicklung des WHO-Kodexes und damit in einem Schlüsselbereich der Gesundheitssystemstärkung engagieren. Dies könnte ein starker Reputationsgewinn auf der internationalen Bühne für unser Land sein – einer Bühne, die bereits in der Schweiz liegt, befindet sich doch hier in Genf die Welthauptstadt der globalen Gesundheit. Begleitend zum Einsatz auf dem Parkett der Gesundheitsdiplomatie soll die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sich in ihrer bilateralen Zusammenarbeit wieder verstärkt in der Gesundheitssystemstärkung engagieren, etwa indem sie sich in der Ausbildung von Gesundheitspersonal engagiert.

Die Schweiz kann und soll sich nun mit breiter Brust für die Weiterentwicklung des WHO-Kodexes und damit in einem Schlüsselbereich der Gesundheitssystemstärkung engagieren. Dies könnte ein starker Reputationsgewinn auf der internationalen Bühne für unser Land sein.

Doch es geht um mehr als um das eigene aussenpolitische Profil: Das Engagement für die weltweite Stärkung der Gesundheitssysteme ist ein solidarischer Beitrag der Schweiz für das Recht auf Gesundheit weltweit. Wie wir nach zwei Jahren in der Pandemie nun wissen, ist dieses globale Engagement auch ein Engagement für die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung selbst.

Dieser Text ist in der Neuen Zürcher Zeitung vom 29. Dezember 2021 unter dem Titel «Pflegepersonal aus dem eigenen Land» als Gastkommentar erschienen.

Martin Leschhorn Strebel
Martin Leschhorn Strebel ist Historiker und Direktor des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz.