Der Bundesrat hat die künftige Strategie zur internationalen Zusammenarbeit verabschiedet. Nach einer fragwürdigen Vernehmlassungsversion, hat sich der Bundesrat auf die Zivilgesellschaft zubewegt. Trotzdem – die neue entwicklungspolitische Strategie könnte innovativer sein, findet MMS-Geschäftsführer Martin Leschhorn Strebel.
Am 19. Februar 2020 hat der Bundesrat die Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit zuhanden des Parlamentes verabschiedet. Aufgrund der Vernehmlassungsversion haben viele eine einseitig auf migrationspolitische und wirtschaftliche Interessen ausgerichtete Strategie erwartet. Der Bundesrat hat die Vorlage nun aber deutlich verbessert. Er verankert die Botschaft doch noch in den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030. Er nimmt explizit Bezug auf die Kernaufgabe der Entwicklungszusammenarbeit – die Armutsbekämpfung. Und er schreibt die Themen Bildung und Gesundheit in den übergeordneten Zielen der neuen Botschaft fest.
Während die Vernehmlassungsversion noch im politischen Niemandsland schwebte, ist die verabschiedete Botschaft deutlich geerdeter. Liest man das Interview der französischsprachigen Tageszeitung Le Temps mit dem zuständigen Bundesrat Ignazio Cassis, könnte man zu Schluss kommen, dass alles von Beginn weg ein Missverständnis gewesen sei („On m’a mal compris en Suisse Romande“). War es wirklich ein Missverständnis oder eine kalkulierte Reaktion auf ein sich veränderndes politisches Umfeld?
Eine Ausrichtung auf Eigeninteressen ist nicht innovativ, sondern steht schlicht im historischen Kontext des Kolonialismus‘ und Neokolonialismus‘.
Die politischen Hintergründe des Wandels sind wesentlich, um die künftige entwicklungspolitische Strategie der Schweiz in ihren Stärken und Schwächen zu verstehen. Neben den erwähnten Veränderungen sticht eine hervor, die vom Bundesrat in der Kommunikation über die nun verabschiedete Botschaft immer wieder betont worden ist: Die Ausrichtung der Strategie auf die Interessen der Schweiz sei nie auf kurzfristige, sondern immer nur auf langfristige Interessen der Schweiz ausgerichtet gewesen.
Wiederum ein Missverständnis? Im Vernehmlassungstext stand nichts dazu – nur, dass die Interessen der Schweiz gleichgewichtig neben den Bedürfnissen der betroffenen Bevölkerungen und dem Mehrwert stünden, welche die Schweiz mit ihren spezifischen Kompetenzen erzielen könne. In der ausführlichen Vernehmlassungsantwort des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz (MMS) wurde der Bundesrat aufgefordert, diese Schweizer Interessen breiter anzulegen: „MMS schlägt vor, dass die Botschaft die sogenannten Schweizer Interessen entlang einer weltoffenen und solidarischen Schweiz definiert, wie sie sich aus der Verantwortung als globaler Industrie- und Handelsplatz und als Sitzstaat einer Vielzahl internationaler Organisationen ergeben. Die Botschaft muss ihre Interessen schliesslich auf eine langfristige, nachhaltige und gerechte Entwicklung der Welt auslegen.“
In der nun verabschiedeten Bundesratsversion heisst es: „Bei den Interessen der Schweiz handelt es sich um langfristige Interessen: eine friedliche und gerechte internationale Ordnung, die sich auf einen starken Multilateralismus stützt, stabile und investitionsfreundliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Reduktion der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration sowie eine weltweite nachhaltige Entwicklung.“ (pdf; S. 27)
Der Bundesrat sucht offenbar eine politisch breitere Basis. Hinter der jetzigen Formulierung können sich die weltoffene, solidarisch ausgerichtete Zivilgesellschaft und die global agierende Exportwirtschaft wie auch national-konservative Kreise das herauspicken, was ihnen gefällt.
Bei der Veröffentlichung der Vernehmlassung wurde gerade die Ausrichtung des Strategieentwurfs auf die Schweizer Interessen als besonders innovativ gefeiert. Die Entwicklungszusammenarbeit hätte so stärker in die aussenwirtschaftspolitischen und migrationspolitischen Interessen integriert werden können. Der Bundesrat nimmt dies nun ein Stück weit zurück. Zum Glück: Eine Ausrichtung auf Eigeninteressen ist nicht innovativ, sondern steht schlicht im historischen Kontext des Kolonialismus‘ und Neokolonialismus‘.
Hinter der jetzigen Formulierung können sich die weltoffene, solidarisch ausgerichtete Zivilgesellschaft und die global agierende Exportwirtschaft wie auch national-konservative Kreise das herauspicken, was ihnen gefällt.
Der Bundesrat hat die Eigeninteressen jetzt so eingebettet, dass sie unverdächtiger daherkommen. Er hat einen Schritt von einer Haltung, die das Potential einer Switzerland-First-Politik hatte, hin zu einem wieder offeneren entwicklungspolitischen Verständnis gemacht. Dieser Schritt lässt sich durchaus vor dem Hintergrund des politischen Linksrutschs in den letzten Wahlen lesen: Der Legitimationsdruck kommt nicht mehr ganz so einseitig von mitte-rechts wie in der vergangenen Legislatur.
Alles gut also? Eher nicht: Die Büchse der Pandora mit Schweizer Interessen im Vordergrund der internationalen Zusammenarbeit wird sich nur schwer wieder schliessen lassen. Die Debatte hat insbesondere den Blick auf eine viel wichtigere Diskussion verhindert: Wie sieht eigentlich eine innovative, zukunftsfähige Entwicklungspolitik aus, die auch endlich ihr koloniales Erbe hinter sich lässt?
Basierend auf unsere Erfahrungen in der internationalen Gesundheitszusammenarbeit, sehe drei Pfeiler, an welchen für die Botschaft 2025 gearbeitet werden müsste:
Dies wären Schritte hin zu einer innovativen Entwicklungspolitik, die jetzt begonnen werden müsste. Als erstes indem die Schweiz als reiches Land dem minimalen Ziel entspricht, 0,7% der Bruttonationalproduktes in die internationale Zusammenarbeit zu investieren.