Von Shanen Ganapathee, und Venkatraman Chandra-Mouli
Stellen Sie sich die Zeit während eines Lockdowns vor: Sie wollen nicht schwanger werden, sind aber mangels Zugang zu jeglichen Verhütungsmethoden Ihres Rechts beraubt, darüber zu entscheiden, wann und ob Sie ein Kind bekommen wollen; Sie sind mit Ihrem Partner eingesperrt, der früher einmal liebevoll war und nun zunehmend gewalttätig geworden ist; oder Sie haben keine andere Wahl, als bei Ihrer homophoben Familie zu wohnen, können sich nicht zeigen und müssen verbergen, wer Sie wirklich sind, um nicht rausgeschmissen zu werden. Diese und andere Themen sind nicht neu. Junge Menschen in aller Welt kämpfen schon zu lange darum, Zugang zu ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit und den damit verbundenen Rechten (SRHR) zu erhalten. Die COVID-19-Pandemie hat leider nicht dazu beigetragen, diesen Kampf zu vereinfachen.
Für junge Menschen, die in Armut leben, waren die Auswirkungen der Pandemie auf ihr Leben ausgesprochen besorgniserregend. Besonders unfair ist, dass – wenig überraschend – diese Pandemie, wie Statistiken zeigen, Milliardär*innen reicher gemacht hat (Collins, 2021), während die Armen der Welt um grundlegende Menschenrechte kämpfen müssen.
Es wäre verführerisch, sich zu beschweren und angesichts der Rückschritte bei der Durchsetzung von SRHR junger Menschen und der unbeschreiblichen Ungerechtigkeit in der Welt verzweifelt die Hände zu ringen. Viele Organisationen an vorderster Front haben sich stattdessen entschieden, zu handeln, um diesen Verlust auszugleichen, so schwierig das auch ist. Innovative Ideen und neue Partnerschaften, die vielleicht nie entstanden wären, wenn die Pandemie nicht so dazwischengefunkt hätte, können uns Hoffnung geben, dass wir auf dem langen Weg des Zugangs zu SRHR für junge Menschen weiter vorankommen können.
Weltweit gibt es zahlreiche Beispiele[1] von Organisationen, die sich umorientiert haben, beginnend bei der von Jugendlichen geführten politischen Organisation Y-ACT, die ihre üblichen Programme ausgesetzt hat, um Binden an bedürftige junge Frauen zu verteilen, bis zu TARSHI in Indien, die aktiv wurden, um im grossen Stil mit digitalen Mitteln Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit SRHR-Befürworter für sich selbst sorgen und Burnouts verhindern und so besser auf die Bedürfnisse junger Menschen eingehen können.
Innovative Ideen und neue Partnerschaften, die vielleicht nie entstanden wären, wenn die Pandemie nicht so dazwischengefunkt hätte, können uns Hoffnung geben, dass wir auf dem langen Weg des Zugangs zu SRHR für junge Menschen weiter vorankommen können.
In Uganda hat der United Nations Population Fund (UNFPA) in Partnerschaft mit der Plattform für E-Commerce Jumia und SafeBoda,
einer App für Motorrad-Mitfahrdienste, beschlossen, den Nutzer*innen
eine Vielzahl an Verhütungsmitteln anzubieten. Die Nutzer*innen konnten
von zu Hause über ihre App die Auslieferung von Kondomen oder
Schwangerschaftstest und Ähnliches bestellen. Die Liefergebühren wurden
während der Pandemie erlassen, um die Dienstleistung zugänglicher zu
machen. In diesem Beispiel war es aber entscheidend, ein Handy oder
Internet nutzen zu können, was für manche in Armut lebende Jugendliche
schon eine erhebliche Hürde darstellen kann.
Auf dem asiatischen Kontinent fand eine technisch einfachere Lösung Anwendung – eine Hotline. Die Family Planning Association of the Philippines schulte junge Menschen darin, Anrufe entgegenzunehmen, zu selektieren und Kund*innen an eine Ärzt*in, eine Hebamme oder kommunale Gesundheitsarbeiter*innen weiterzuvermitteln. Die Hotline war so beliebt, dass mit Fortschreiten der Pandemie spezialisiertere Versionen entwickelt wurden, von denen eine ausschliesslich der Betreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch gewidmet war.
Die Kaiser Foundation in den USA hat sich stark dafür eingesetzt, unterstützende Räume für junge Menschen anzubieten, die sich als LGBTQIA verstehen, und dafür virtuelle Prides auf Plattformen wie Discord und Minecraft, Zoom-Unterstützungsgruppen sowie Telefon- und Text-Hotlines für junge Menschen eingerichtet, die unter Selbstmordgedanken, Missbrauch und Verwahrlosung leiden.
Die Hotline war so beliebt, dass mit Fortschreiten der Pandemie spezialisiertere Versionen entwickelt wurden, von denen eine ausschliesslich der Betreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch gewidmet war.
In Indien hat die Foundation for Reproductive Health Services
frühzeitig auf den erschwerten Zugang zu Abtreibungsmöglichkeiten
reagiert und mitten in der Pandemie sogar für eine bessere
Erreichbarkeit gesorgt, indem sie im Bewusstsein der angespannten
finanziellen Lage der Patientinnen die Kosten für Abtreibungen
halbierte.
Viele weitere Beispiele wären zu nennen. Wir haben mit Organisationen zusammengearbeitet und betreuen (insgesamt 36) Fallstudien, die demnächst veröffentlicht werden, um die ganze Breite der weltweit ergriffenen Initiativen und ihre Auswirkungen auf SRHR von jungen Menschen aufzuzeigen.
Die von uns zusammengestellten Fallstudien zeigen, wie offen, schnell und erfinderisch die Organisationen sind, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten und liefern Beispiele für die Massnahmen, die in dem von WHO und UNFPA herausgegebenen Technical Brief Not on pause: Responding to the sexual reproductive health services of adolescents in the context of the COVID-19 crisis (UNFPA, 2020) gefordert werden.
Das Informationsblatt wirbt für einen kontinuierlichen Zugang zu
SRHR, den junge Menschen wollen und brauchen. Es enthält praktische
Anleitungen für die Bereitstellung des von der
Guttmacher-Lancet-Kommission für Sexuelle und Reproduktive Gesundheit
und Rechte aufgeführten Pakets wesentlicher Massnahmen im Bereich der
sexuellen und reproduktiven Gesundheit, die auf die Bedürfnisse und
Vorlieben von Jugendlichen zugeschnitten sind (Starrs et al., 2018).
Die in den Fallstudien aufgezeigten Initiativen sind vielversprechend,
sie müssen in Zukunft aber durch Untersuchungen in Partnerschaft mit
jungen Menschen überprüft werden.
In den letzten 18 Monaten war unser aller Leben durch COVID-19 in gewisser Weise ausgesetzt. (In vielen armen Ländern der Welt könnte dieser Zustand wegen des mangelnden Zugangs zu COVID-19-Impfungen noch über Monate, wenn nicht Jahre anhalten.) Ungeachtet dessen entwickeln sich junge Menschen überall auf der Welt körperlich, psychisch und sozial weiter. Genau wie bei Erwachsenen bewirkt ein Lockdown nicht, dass ihre sexuellen Gedanken, Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse plötzlich verschwinden.
Die Gruppe der jungen Menschen ist vielfältig – sie
befinden sich in verschiedenen Phasen der persönlichen Entwicklung und in
unterschiedlichen Lebenssituationen. Manche sind sexuell (noch) nicht aktiv.
Andre haben einvernehmlichen Sex. Wieder andere werden zu Sex gezwungen. Sowohl
einvernehmlicher wie erzwungener Sex kann in stabilen Beziehungen vorkommen und
tut es auch. Alle diese Gruppen von jungen Menschen haben unterschiedliche und
sich wandelnde Bedürfnisse an SRHR-Informationen und -Angeboten, die ihnen
schon allzu lang vorenthalten wurden.
Alle diese Gruppen von jungen Menschen haben unterschiedliche und sich wandelnde Bedürfnisse an SRHR-Informationen und -Angeboten, die ihnen schon allzu lang vorenthalten wurden.
Fast überall sind junge Menschen mit Hindernissen
konfrontiert, wenn es darum geht, ihre SRHR zu realisieren. Durch
COVID-19 hat sich diese schlechte Situation weiter verschärft. Seit vielen
Jahren haben Non-Profit-Organisationen innovative Wege beschritten, um diese
Hindernisse zu überwinden. In den letzten Jahren hat eine Reihe von Regierungen
den Lead übernommen (Schäferhoff et al., 2019). Die Krise bietet eine starke Option, restriktive Gesetze und Massnahmen, die Kontrolle durch Eltern und/oder
Partner, die Voreingenommenheit von Gesundheitspersonal und andere Hindernisse
zu hinterfragen und zu ändern. Die COVID-19-Pandemie ist zweifellos eine grosse
Bedrohung. Sie könnte aber auch eine nie dagewesene Chance für einen
verbesserten Wiederanfang sein.
Aus 40 Jahren Erfahrung mit HIV-Prävention wissen wir,
dass es nicht funktioniert, jungen Menschen einfach zu sagen, was sie tun
müssen. Wir müssen junge Menschen und insbesondere Heranwachsende, Kinder und
diejenigen, die am meisten in die Verletzlichkeit gedrängt werden, beschützen.
Während junge Menschen heranwachsen und sich entwickeln, müssen wir sie
zunehmend ermächtigen, vorbereiten und unterstützen, ihre eigenen
Entscheidungen zu treffen. Wir müssen unbedingt davon abkommen, junge Menschen
zu übergehen, zu kontrollieren und zu rügen und stattdessen mit ihnen als
gleichwertige Partner im Kontext von Kliniken wie der öffentlichen Gesundheit
zusammenarbeiten.
Während junge Menschen heranwachsen und sich entwickeln, müssen wir sie zunehmend ermächtigen, vorbereiten und unterstützen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
[1] Es gibt ein breites Spektrum an globalen, regionalen und nationalen Maßnahmen, um die Auswirkungen von COVID-19 auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die Rechte von Jugendlichen abzumildern. Hier einige Beispiele für die dokumentierten Maßnahmen.
Wir möchten uns auch herzlich bei Ahmed Ali, Alka Barua und Yemurai Nyoni für ihre Beiträge zu diesem Artikel bedanken.