Springen wir auf den SRHR-Zug auf: Verwirklichen wir die Bedürfnisse junger Menschen nach SRHR trotz der COVID-19 Pandemie
Girl Power - Melissa aus Zimbabwe. Foto: Un Women/Ryan Brown/flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Für junge Menschen, die in Armut leben, waren die Auswirkungen der Pandemie auf ihr Leben ausgesprochen besorgniserregend. Besonders unfair ist, dass – wenig überraschend – diese Pandemie, wie Statistiken zeigen, Milliardär*innen reicher gemacht hat (Collins, 2021), während die Armen der Welt um grundlegende Menschenrechte kämpfen müssen.

Es wäre verführerisch, sich zu beschweren und angesichts der Rückschritte bei der Durchsetzung von SRHR junger Menschen und der unbeschreiblichen Ungerechtigkeit in der Welt verzweifelt die Hände zu ringen. Viele Organisationen an vorderster Front haben sich stattdessen entschieden, zu handeln, um diesen Verlust auszugleichen, so schwierig das auch ist. Innovative Ideen und neue Partnerschaften, die vielleicht nie entstanden wären, wenn die Pandemie nicht so dazwischengefunkt hätte, können uns Hoffnung geben, dass wir auf dem langen Weg des Zugangs zu SRHR für junge Menschen weiter vorankommen können.

Weltweit gibt es zahlreiche Beispiele[1] von Organisationen, die sich umorientiert haben, beginnend bei der von Jugendlichen geführten politischen Organisation Y-ACT, die ihre üblichen Programme ausgesetzt hat, um Binden an bedürftige junge Frauen zu verteilen, bis zu TARSHI in Indien, die aktiv wurden, um im grossen Stil mit digitalen Mitteln Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit SRHR-Befürworter für sich selbst sorgen und Burnouts verhindern und so besser auf die Bedürfnisse junger Menschen eingehen können.

Innovative Ideen und neue Partnerschaften, die vielleicht nie entstanden wären, wenn die Pandemie nicht so dazwischengefunkt hätte, können uns Hoffnung geben, dass wir auf dem langen Weg des Zugangs zu SRHR für junge Menschen weiter vorankommen können.
Schulung in umfassender Sexualerziehung für Mitarbeiter der Udaya Public School in Faizabad. Foto: © TARSHI
Schulung in umfassender Sexualerziehung für Mitarbeiter der Udaya Public School in Faizabad. Foto: © TARSHI

In Uganda hat der United Nations Population Fund (UNFPA) in Partnerschaft mit der Plattform für E-Commerce Jumia und SafeBoda, einer App für Motorrad-Mitfahrdienste, beschlossen, den Nutzer*innen eine Vielzahl an Verhütungsmitteln anzubieten. Die Nutzer*innen konnten von zu Hause über ihre App die Auslieferung von Kondomen oder Schwangerschaftstest und Ähnliches bestellen. Die Liefergebühren wurden während der Pandemie erlassen, um die Dienstleistung zugänglicher zu machen. In diesem Beispiel war es aber entscheidend, ein Handy oder Internet nutzen zu können, was für manche in Armut lebende Jugendliche schon eine erhebliche Hürde darstellen kann.

Boda Boda in Uganda liefern die via App bestellten Kondome, Schwangerschaftstests oder Ähnliches, während der Pandemie direkt nach Hause. Foto: © SafeBoda, Uganda<br>
Boda Boda in Uganda liefern die via App bestellten Kondome, Schwangerschaftstests oder Ähnliches, während der Pandemie direkt nach Hause. Foto: © SafeBoda, Uganda


Auf dem asiatischen Kontinent fand eine technisch einfachere Lösung Anwendung – eine Hotline. Die Family Planning Association of the Philippines schulte junge Menschen darin, Anrufe entgegenzunehmen, zu selektieren und Kund*innen an eine Ärzt*in, eine Hebamme oder kommunale Gesundheitsarbeiter*innen weiterzuvermitteln. Die Hotline war so beliebt, dass mit Fortschreiten der Pandemie spezialisiertere Versionen entwickelt wurden, von denen eine ausschliesslich der Betreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch gewidmet war.

Die Kaiser Foundation in den USA hat sich stark dafür eingesetzt, unterstützende Räume für junge Menschen anzubieten, die sich als LGBTQIA verstehen, und dafür virtuelle Prides auf Plattformen wie Discord und Minecraft, Zoom-Unterstützungsgruppen sowie Telefon- und Text-Hotlines für junge Menschen eingerichtet, die unter Selbstmordgedanken, Missbrauch und Verwahrlosung leiden.

Die Hotline war so beliebt, dass mit Fortschreiten der Pandemie spezialisiertere Versionen entwickelt wurden, von denen eine ausschliesslich der Betreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch gewidmet war.

In Indien hat die Foundation for Reproductive Health Services frühzeitig auf den erschwerten Zugang zu Abtreibungsmöglichkeiten reagiert und mitten in der Pandemie sogar für eine bessere Erreichbarkeit gesorgt, indem sie im Bewusstsein der angespannten finanziellen Lage der Patientinnen die Kosten für Abtreibungen halbierte.

Viele weitere Beispiele wären zu nennen. Wir haben mit Organisationen zusammengearbeitet und betreuen (insgesamt 36) Fallstudien, die demnächst veröffentlicht werden, um die ganze Breite der weltweit ergriffenen Initiativen und ihre Auswirkungen auf SRHR von jungen Menschen aufzuzeigen.


Die von uns zusammengestellten Fallstudien zeigen, wie offen, schnell und erfinderisch die Organisationen sind, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten und liefern Beispiele für die Massnahmen, die in dem von WHO und UNFPA herausgegebenen Technical Brief Not on pause: Responding to the sexual reproductive health services of adolescents in the context of the COVID-19 crisis (UNFPA, 2020) gefordert werden.

Titelbild des Technical Brief "Not on pause: Responding to the sexual reproductive health services of adolescents in the context of the COVID-19 crisis", herausgegeben von WHO und UNFPA. Foto: © UNFPA
Titelbild des Technical Brief "Not on pause: Responding to the sexual reproductive health services of adolescents in the context of the COVID-19 crisis", herausgegeben von WHO und UNFPA. Foto: © UNFPA

Das Informationsblatt wirbt für einen kontinuierlichen Zugang zu SRHR, den junge Menschen wollen und brauchen. Es enthält praktische Anleitungen für die Bereitstellung des von der Guttmacher-Lancet-Kommission für Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte aufgeführten Pakets wesentlicher Massnahmen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, die auf die Bedürfnisse und Vorlieben von Jugendlichen zugeschnitten sind (Starrs et al., 2018). Die in den Fallstudien aufgezeigten Initiativen sind vielversprechend, sie müssen in Zukunft aber durch Untersuchungen in Partnerschaft mit jungen Menschen überprüft werden.

Die Pandemie hat unsere verschiedenen Organisationen dazu gezwungen, die Art und Weise zu ändern, wie sie Programme durchführen, wie sie zusammenarbeiten und die Bedürfnisse junger Menschen weiter unterstützen. Drei entscheidende Botschaften, die Sie aus der Lektüre dieses Beitrags mitnehmen sollten, möchten wir aber speziell hervorheben:


Die Gruppe junger Menschen ist vielfältig und ihr Zugang zu SRHR war schon immer eingeschränkt

In den letzten 18 Monaten war unser aller Leben durch COVID-19 in gewisser Weise ausgesetzt. (In vielen armen Ländern der Welt könnte dieser Zustand wegen des mangelnden Zugangs zu COVID-19-Impfungen noch über Monate, wenn nicht Jahre anhalten.) Ungeachtet dessen entwickeln sich junge Menschen überall auf der Welt körperlich, psychisch und sozial weiter. Genau wie bei Erwachsenen bewirkt ein Lockdown nicht, dass ihre sexuellen Gedanken, Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse plötzlich verschwinden.

Die Gruppe der jungen Menschen ist vielfältig – sie befinden sich in verschiedenen Phasen der persönlichen Entwicklung und in unterschiedlichen Lebenssituationen. Manche sind sexuell (noch) nicht aktiv. Andre haben einvernehmlichen Sex. Wieder andere werden zu Sex gezwungen. Sowohl einvernehmlicher wie erzwungener Sex kann in stabilen Beziehungen vorkommen und tut es auch. Alle diese Gruppen von jungen Menschen haben unterschiedliche und sich wandelnde Bedürfnisse an SRHR-Informationen und -Angeboten, die ihnen schon allzu lang vorenthalten wurden.

Aufklärungskampagne zu SRHR durch die Organisation Foundation for Reproductive Health Services (FRHS) in Indien. Foto: © FRHS<br>
Aufklärungskampagne zu SRHR durch die Organisation Foundation for Reproductive Health Services (FRHS) in Indien. Foto: © FRHS
Alle diese Gruppen von jungen Menschen haben unterschiedliche und sich wandelnde Bedürfnisse an SRHR-Informationen und -Angeboten, die ihnen schon allzu lang vorenthalten wurden.

COVID-19 ist eine reale Gefahr, sollte aber auch als grosse Chance wahrgenommen werden

Fast überall sind junge Menschen mit Hindernissen konfrontiert, wenn es darum geht, ihre SRHR zu realisieren. Durch COVID-19 hat sich diese schlechte Situation weiter verschärft. Seit vielen Jahren haben Non-Profit-Organisationen innovative Wege beschritten, um diese Hindernisse zu überwinden. In den letzten Jahren hat eine Reihe von Regierungen den Lead übernommen (Schäferhoff et al., 2019). Die Krise bietet eine starke Option, restriktive Gesetze und Massnahmen, die Kontrolle durch Eltern und/oder Partner, die Voreingenommenheit von Gesundheitspersonal und andere Hindernisse zu hinterfragen und zu ändern. Die COVID-19-Pandemie ist zweifellos eine grosse Bedrohung. Sie könnte aber auch eine nie dagewesene Chance für einen verbesserten Wiederanfang sein.

Jeder Ansatz für einen verbesserten Wiederanfang muss in gleichberechtigter Partnerschaft mit Heranwachsenden erfolgen

Aus 40 Jahren Erfahrung mit HIV-Prävention wissen wir, dass es nicht funktioniert, jungen Menschen einfach zu sagen, was sie tun müssen. Wir müssen junge Menschen und insbesondere Heranwachsende, Kinder und diejenigen, die am meisten in die Verletzlichkeit gedrängt werden, beschützen. Während junge Menschen heranwachsen und sich entwickeln, müssen wir sie zunehmend ermächtigen, vorbereiten und unterstützen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Wir müssen unbedingt davon abkommen, junge Menschen zu übergehen, zu kontrollieren und zu rügen und stattdessen mit ihnen als gleichwertige Partner im Kontext von Kliniken wie der öffentlichen Gesundheit zusammenarbeiten.

Während junge Menschen heranwachsen und sich entwickeln, müssen wir sie zunehmend ermächtigen, vorbereiten und unterstützen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.

[1] Es gibt ein breites Spektrum an globalen, regionalen und nationalen Maßnahmen, um die Auswirkungen von COVID-19 auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die Rechte von Jugendlichen abzumildern. Hier einige Beispiele für die dokumentierten Maßnahmen.


Referenzen

Wir möchten uns auch herzlich bei Ahmed Ali, Alka Barua und Yemurai Nyoni für ihre Beiträge zu diesem Artikel bedanken.

Shanen Ganapathee​,
Shanen Ganapathee ist in Mauritius geboren und aufgewachsen. Sie ist Absolventin der Duke University, wo sie ein Stipendium der MasterCard Foundation erhielt - ein Programm zur Unterstützung wirtschaftlich benachteiligter junger Afrikaner*innen zum Erwerb einer Hochschulausbildung. An der Duke University hat Shanen einen eigenen Studienschwerpunkt entwickelt, bestehend aus Neurowissenschaften, evolutionärer Anthropologie und Genomik, um zu erforschen, was die menschliche Kognition einzigartig macht.

Neben der Forschung liegt ihr die Lehre sehr am Herzen. In den letzten drei Jahren hat Shanen Lehrpläne entworfen und mehr als 250 Auszubildende aus verschiedenen Bereichen des afrikanischen Kontinents und des globalen Südens unterrichtet.

Derzeit schreibt sie ihre Dissertation über die Art und Weise, wie junge queere Afrikaner*innen in virtuellen Räumen kommunizieren. Sie ist eine leidenschaftliche Unterstützerin von Jugendbewegungen für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRHR). Email

Venkatraman Chandra-Mouli
Venkatraman Chandra-Mouli, arbeitet als Wissenschaftler für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte von Jugendlichen bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Abteilung für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Forschung.