Von Regula Kolar
Unter dem Motto «Gleichstellung, Entwicklung und Frieden» haben sich 1995 in Peking 189 Staaten zur vierten UNO-Weltfrauenkonferenz versammelt, an der die sogenannte "Beijing Declaration and Platform for Action", ein wegweisendes Dokument für die Geschlechtergleichstellung, verabschiedet wurde (1). Es listet Punkt für Punkt die Bereiche auf, in denen Frauen (2) diskriminiert sind und enthält einen umfangreichen Katalog von Massnahmen. Die Durchführung der Konferenz zusammen mit der Lancierung der Aktionsplattform war damals überaus visionär und revolutionär, bspw. in Bezug auf unbezahlte Care-Arbeit oder die transversale Verankerung von Gender in verschiedenen Lebens- und Gesellschaftsbereichen. Dennoch kann heute kein einziges Land behaupten, die Gleichstellung der Geschlechter erreicht zu haben. Im Gegenteil: Die Corona-Pandemie hat Ungleichheiten wieder verschärft.
Auch in der Schweiz gibt es noch viel Handlungsbedarf. Die Benachteiligung oder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erstreckt sich weiterhin auf alltägliche oder auch auf gesetzliche und strukturelle Fragestellungen.
Das Problem der Rollenstereotype ist in der Schweiz immer noch weit verbreitet. Nach wie vor fehlt es hier an intersektional strategischer Beteiligung zum Beispiel der Medien oder der Sensibilisierung in den Schulen. Denn gerade aufgrund ihrer Breitenwirkung könnte auf diesen beiden Wegen ein anderes, alternativeres Bild zu den klassischen Rollenmodellen gezeigt werden.
Ein weiterer Bereich, in dem Frauen diskriminiert werden, ist die Arbeitswelt. Frauen sind in den Führungsetagen nach wie vor untervertreten. Es besteht Lohnungleichheit, darüber hinaus finden sich über die Hälfe der Frauen in sogenannten Teilzeitanstellungsverhältnissen, was Benachteiligungen bei Weiterbildungen oder auch der Sozialversicherung mit sich bringt. Ausserdem gehen viele Frauen sogenannten prekären Arbeitsverhältnissen in Tieflohnbranchen mit ungesicherten Arbeitsbedingungen nach.
Ein weiterer wichtiger Faktor sind Mängel im Zusammenhang mit der Care-Arbeit, welche in der Corona-Pandemie verstärkt zum Vorschein kamen. Es gibt diverse Lücken sowohl in der Mutterschaftsentschädigung als auch bei der Diskussion um den Elternurlaub, bei der man noch immer ganz am Anfang steht. Dies gilt auch in Bezug auf die ausserhäusliche Kinderbetreuung, welche in der Schweiz wesentlich teurer ist als in den umliegenden Ländern. Darüber hinaus ist Familien- und Erwerbsarbeit für viele Frauen in der Schweiz nicht ohne massive finanzielle Nachteile vereinbar. Die unentgeltlich geleistete Familien- und Betreuungsarbeit ist ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt und bekommt gesellschaftlich noch immer nicht die Anerkennung, die ihr gebührt.
Geschlechtsspezifische Gewalt, insbesondere Gewalt gegen Frauen (inkl. Frauenhandel und Zwangsheirat), ist nach wie vor virulent in der Schweiz, wiederum besonders ausgeprägt bei von Mehrfachdiskriminierung betroffenen Frauen und Mädchen. Das verdeutlicht sich nicht so sehr auf der juristischen Ebene, hier ist in den letzten Jahren viel erreicht worden, sondern vor allem wenn es um die praktische Umsetzung geht.
In Bezug auf Migration sind Frauen ganz besonders betroffen, denn Migrantinnen müssen sich überdurchschnittlich oft mit unterqualifizierten Arbeitsverhältnissen abfinden. Migrantinnen sind oft gezwungen, mehrere Teilzeitjobs anzunehmen. Auf dem Arbeitsmarkt werden sie vom privaten und öffentlichen Sektor strukturell diskriminiert, besonders wenn sie ein Kopftuch tragen. Migrantinnen sind zurückhaltend bei der Beantragung von Sozialversicherungen aus Angst, ihren rechtlichen Status zu verlieren oder zu verschlechtern.
Von Mehrfachdiskriminierung sind insbesondere auch Frauen und Mädchen mit Behinderungen betroffen. Dies zeigt sich unter anderem im Rahmen der ungleichen sozialen Sicherheit, Stereotypen bei der Berufswahl und im öffentlichen Bewusstsein, geringerer Erwerbstätigkeit und prekären Arbeitsverhältnissen, erhöhter Gewaltbetroffenheit, Diskriminierung im Bereich von Sexualität und Familienplanung und mangelnden Möglichkeiten zur Selbst- sowie zur politischen Mitbestimmung.
Die Themen Transgender und «Geschlechtsidentität» werden weder in Bundes- oder Kantonsverfassungen noch auf Gesetzesebene explizit genannt. Dieser fehlende Schutz steht in eklatantem Widerspruch zur von Diskriminierung, Stigmatisierung und Gewalt geprägten Lebensrealität dieser Menschen.
Das Erinnern an den 25. Jahrestag der Aktionsplattform von Beijing ist ein neuer Auftakt, um endlich die Menschenrechte aller Frauen und Mädchen weltweit zu verwirklichen und wird ein Moment der globalen Mobilisierung sein. Das auf 2021 verschobene Generation Equality Forum widmet sich Beijing +25 in Verbindung mit der Agenda 2030. Das Forum ist ein entscheidender Moment der Mobilisierung und wurzelt grundlegend in derselben Logik, die vor fünfundzwanzig Jahren den bedeutenden Fortschritt bei der Verabschiedung der Aktionsplattform von Beijing möglich machte: die Kraft des Aktivismus, der feministischen Solidarität und der Führungsrolle der Jugend, um einen transformativen Wandel zu erreichen.